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Rechtsfreund

Sammlung

aller seit der Bundesverfassung von 1874 erlassenen

Bundesgeseke, Bundesbeschlüffe und Staatsverträge

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Botschaft

des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Militärftrafgesehbuch für die schweizerische Eidgeuofsenschaft.

(Vom 30. Mai 1884.)

Tit.

Wir haben die Ehre, Ihnen hiemit den von uns genehmigten Entwurf eines neuen Militärstrafgesetzbuches vorzulegen, welches an die Stelle des bisherigen vom 27. August 1851 treten soll und womit zugleich das bisher noch provisorisch fortbestehende Verhältniß der kantonalen Militärjustiz seine Erledigung nach den Bestimmungen des Art. 20 der Bundesverfassung und des Art. 227 der eidg. Militärorganisation findet.

Schon die Vorschrift der leztern, daß die militärische Rechtspflege lediglich eine eidgenössische sein soll, würde uns haben bewegen müssen, eine Revision des bisherigen Gesezes vorzuschlagen; es kamen hiezu jedoch auch noch zahlreiche Gründe technischer Natur. Das bisherige Geset war seinerzeit aus einer bloßen, unter damaligen Umständen etwas rasch vorgenommenen Ueberarbeitung und Adjustirung des vorangehenden von 1838 entstanden, welches seinerseits wieder auf provisorischen Arbeiten der Jahre 1806 bis 1817 beruhte.')

1) Vide Repertorium II, pag. 333 ff., und „Grundzüge eines Militärgesetzbuches für die schweizerische Eidgenossenschaft, Bericht an das Eidg. Militärdepartement, 1876“, in welchem die historischen Verhältnisse gründlich auseinandergesetzt sind.

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In lester Linie basirten diese Arbeiten nicht auf einer unsern jezigen nationalen und politischen Verhältnissen entsprechenden und aus denselben hervorgegangenen Auffassung des Militärstrafrechts, sondern auf Strafgeseßgebungen für die Schweizertruppen in fremden Diensten, namentlich auf dem für nationale Truppen wenig geeigneten „Code pénal militaire pour les régiments Suisses" von 1816, welcher in Frankreich und nachmals auch noch in Neapel geltend war. Die Vermischung der militärischen und gemeinen Verbrechen, sowie der Verbrechen, die nur im aktiven Dienste oder Kriege vorkommen, mit denjenigen des Instruktionsdienstes, oft in einem und demselben Artikel, sowie die ursprüngliche Berechnung des Verfahrens, als Ganzes betrachtet und vor Einführung der Jury, auf den aktiven Dienst sind die deutlichen Spuren dieses historischen Vorbilds, bei dem eben von einem bloßen Instruktionsdienste nie die Rede war, sondern die Truppen stets auf einer Art von Kriegsfuß stehend gedacht wurden. Mit dieser hergebrachten Richtung des ganzen Gesezes kontrastirten dann völlig einzelne eingeschobene Artikel, ganz besonders aber die mit dem übrigen Theile nicht übereinstimmende Einführung der Geschwornengerichte, die in keinem eidg. Militärstrafverfahren vor 1851 eristirten, daher niemals bei einem größeren aktiven Dienste ihre Probe abgelegt haben und in einem solchen auch nicht ausführbar sind. Die Mängel des jezigen Verfahrens beruhen zum wesentlichen Theil auf diesem Einen Punkte.

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Als hervorstechende Fehler des gesammten heutigen Gefeßes und Verfahrens sind besonders außer den bereits genannten, die in der ganzen Entstehungsgeschichte und Auffassung liegen, folgende zu bezeichnen: Die sehr hohen Minimalstrafen einzelner besonders häufig auch im Instruktionsdienste vorkommender Verbrechen, vorzugsweise des Diebstahls, der auch im geringsten Betrage mit 6 Monat Gefängniß bestraft werden muß, weil er beinahe ausnahmslos qualifizirt ist, während umgekehrt schwere Verbrechen, selbst die allerschwersten, wie der Verrath im Kriege gegen die Eidgenossenschaft, mit einer relativ sehr großen Milde behandelt werden 1) und

1) Der Versuch eines Militärs, z. B. also des Eidg. Generals selber, die Eidgenossenschaft in die Gewalt und Abhängigkeit einer

manche andere nicht vorhanden oder mangelhaft definirt sind (Mißbrauch der Dienstgewalt, Spionage, Verlegung verschiedener dermalen bestehender völkerrechtlicher Verträge, Maraude, Meuterei 2c.). Im Prozeßverfahren hat die Praxis bereits nothgedrungen bedeutende Aenderungen herbeigeführt, die geseßlicher Anerkennung bedürftig sind. Die Voruntersuchung, die von dem sogen. Strafpolizeibeamten gemacht und vom Auditor höchstens ergänzt werden sollte, wird in Folge von absolut nothwendigen Anordnungen des Militärdepartements eigentlich von dem Auditor, der sofort beigezogen werden muß, gemacht, und selbst bei dieser Vorsicht kommt es vor, daß unrichtige Voruntersuchungen in Folge der nicht gut angeordneten und daher zu wenig bekannten Vorschriften von den Großrichtern zurückgewiesen werden. Die Bildung der Geschwornenliste, wie sie in den Art. 216 und 228 ff. vorgeschrieben ist, ist auch in den gewöhnlichen Fällen des Instruktionsdienstes nicht möglich, die große Liste wird faktisch eben einfach aus den jeweilen gerade vorhandenen, vielleicht gar nicht zahlreichen Truppen gebildet und die Richter werden. ebenso jeweilen für den Fall und aus einer oft sehr geringen Auswahl von gerade zur Hand befindlichen Offizieren ernannt. Das umständliche Verfahren und die ungleichen Urtheile der Geschwornengerichte haben eine Tendenz zur Folge, den An

fremden Macht zu bringen, kann nicht mit dem Tode bestraft werden (Art. 47). Ebenso wenig verfällt dieser Strafe, wer an dem ge= waltsamen Umsturz der Bundesverfassung Theil nimmt, oder ein Kommandant, der wissentlich falsche Rapporte abstattet, oder ohne Berathung, oder selbst gegen den Willen eines Kriegsraths belagerte Festungen übergibt (Art. 44, 46). Jedes militärische Verbrechen, also selbst Verrath im Krieg, verjährt schon in Einem Jahr nach Auflösung des Korps, dem der Verbrecher angehörte (Art. 38). Auch entferntere Verwandte und Verschwägerte eines Verräthers, selbst wenn sie ebenfalls Militärs sind, sind nicht schuldig, einen Anschlag auf Verrath oder sonstige schwerste Verbrechen, der ihnen bekannt ist, anzuzeigen (Art. 85). Das deutsche Militärstrafgesetz, Art. 60, kennt dagegen gar keine Ausnahme von der Anzeigepflicht. Andere, wie z. B. der neue dänische Art. 65, haben bloß eine Strafmilderung bei Verwandten. Wer einen Obern thätlich mit der Waffe angreift und verlegt, kann im Instruktionsdienste nur mit 3 Jahren Gefängniß bestraft werden (Art. 65). Vergehen aus Fahrlässigkeit sind im Allgemeinen, wenn nicht das Gesetz etwas Anderes im einzelnen Falle vorschreibt, gänzlich straflos (Art. 14).

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