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Zweiter Teil.
Seekriegsrecht.

I. Abschnitt.

Das Verhältnis der Kriegsparteien.

§ 31. Einleitung.

1. Charakter des Krieges.

Die vielfach erörterten Fragen, ob der Krieg überhaupt erlaubt und unter welchen Voraussetzungen ein Krieg als gerechtfertigt_angesehen werden könne, gehören nicht in die Lehre des positiven Völkerrechts. Die Staatenpraxis hat zu allen Zeiten die Zulässigkeit anerkannt, und auch der moderne Kulturstaat hält denselben Standpunkt fest. Man kann demgemäfs nur mit der Tatsache rechnen, dafs der Krieg ebensowenig vermeidbar ist, wie es Streitigkeiten und Gewaltakte zwischen einzelnen Personen sind. Dem Völkerrecht aber fällt die Aufgabe zu, seine civilisatorische Macht auf diesem Gebiete zur Geltung zu bringen, darauf fufsend, dafs der Krieg ein Rechtsmittel, nämlich das äufserste Mittel der Selbsthülfe, sei. Nur wenn man hiervon ausgeht, lassen sich Rechtsnormen für den Kriegszustand aufstellen, deren Ziel die möglichste Minderung und Milderung seiner Übel ist. Sieht man dagegen den Krieg als einen Zustand an, welchem die rechtliche Basis fehlt, so öffnet man damit auch jeder Willkür in seinem Verlaufe die Pforten. Die Frage, ob ein Krieg ein gerechter sei, ist für das Völkerrecht ohne praktische Bedeutung, schon aus dem Grunde, weil es keinen Richter gibt, der darüber zu entscheiden zuständig wäre. Indessen ist die Frage, welcher Krieg als ein gerechter anzusehen sei, nicht nur von Philosophen und Politikern, sondern, nach GROTIUS' Vorgang,1) auch vielfach in der Rechtslehre mehr oder weniger eingehend behandelt worden.2)

1) De jure belli ac pacis, lib. II. c. XXII f.
2) So bei BLUNTSCHLI, §§ 515 bis 518.

II. Begriff des Kriegsrechts.

Das Kriegsrecht ist der Inbegriff der Normen, welche im Falle eines Krieges vom Standpunkte des Völkerrechts aus für das Verhältnis der Kriegsparteien zueinander und zu dritten Mächten (Neutralen) gelten. Diese Normen bilden die Grundlage für den internationalen Rechtsschutz, auf welchen nicht nur der Private Anspruch hat, sondern der auch für die Streitkräfte selbst nach mannigfachen Richtungen hin erforderlich ist. Solche Regeln kannte das Altertum nur vereinzelt, z. B. hinsichtlich der Parlamentäre. Erst der Geist des neueren Kulturlebens und die allmählich eindringende Auffassung, dafs der Krieg nur ein notwendiges Übel sei, dafs sich auch die Kriegführung auf solche Aktionen zu beschränken habe, die zur Beseitigung dieses Übels erforderlich sind, dass mithin jede zwecklose Grausamkeit verpönt ist, dafs der Krieg zwischen Staaten und deren Streitkräften, nicht aber gegen Privatpersonen geführt werden soll, haben zu einem System von Grundsätzen geführt, welche das Streben nach möglichst humaner Kriegführung deutlich erkennen lassen, und deren Nichtbeachtung nur in dem Falle der äussersten Not, als sogenannte Kriegsraison, gerechtfertigt erscheinen kann.

Das Kriegsrecht ist aber auch heute noch die schwankendste Materie des Völkerrechts, und in erhöhtem Mafse gilt dies für das Seekriegsrecht, d. h. denjenigen Teil der Materie, welcher sich auf die Verhältnisse der Kriegführenden zueinander und der Neutralen auf dem maritimen Gebiete bezieht.

Wenn auch im allgemeinen für den Landkrieg und den Seekrieg dieselben Grundregeln gelten, so liegt es doch einerseits in der Natur der Sache und ist es andererseits durch eine jahrhundertealte Praxis begründet, dafs für den Seekrieg eine Reihe besonderer Maximen und Gebräuche, abweichend von der allgemeinen Kriegspraxis, bestehen, deren Eigentümlichkeiten sowohl in den Beziehungen zwischen den kriegführenden Teilen selbst, als auch in deren Verhältnis zu den Neutralen hervortreten. In ersterer Hinsicht sei namentlich hervorgehoben, dass der Seekrieg auch gegen das Eigentum von Privatpersonen geführt wird, in letzterer kommen die mannigfachen Einschränkungen des neutralen Seehandelsverkehrs in Betracht. Wenn der Seekrieg früher lediglich ein Raubkrieg war, so ist er es heute noch in gewissem Umfange. Die neuere Doktrin und zum Teil auch die Praxis sucht dem entgegenzuwirken (s. § 36).

Vor dem Kriegsrecht stehen die kriegführenden Teile gleich. Wollte man das nicht anerkennen, so würde damit überhaupt der Rechtsboden entfallen. Die früher bisweilen aufgestellte Ansicht, dafs der ungerecht angegriffene Staat in den Mitteln der Abwehr weniger beschränkt sei als sein Gegner, ist unhaltbar. Jeder Teil pflegt ja auch sich für den ungerechtfertigterweise herausgeforderten beziehungsweise angegriffenen zu halten oder doch auszugeben.

§ 32.

Kriegführende Parteien.

I. Legitimation zur Kriegführung.

Vermöge der Gleichheit der unabhängigen Staaten steht das Recht, Krieg zu erklären und zu führen, einem jedem derselben zu. Ausgeübt wird dieses Recht regelmäfsig durch die oberste Staatsgewalt nach Mafsgabe der staatsgrundgesetzlichen Bestimmungen; in zusammengesetzten Staaten ist es in der Regel der Zentralbundesgewalt vorbehalten. Im Deutschen Reich steht nach Artikel 11 der Verfassung das Recht, im Namen des Reichs Krieg zu erklären, dem Kaiser zu; jedoch ist dazu die Zustimmung des Bundesrats erforderlich, es sei denn, dafs ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt.

II. Bürgerkrieg.

Die bewaffnete Aktion innerhalb eines Staates zwischen verschiedenen politischen Parteien hat bei ihrem Beginne niemals den Charakter des Krieges im völkerrechtlichen Sinne. Sie kann aber diesen Charakter gewinnen, sobald die Parteien einen getrennten territorialen Besitzstand gegeneinander erlangt haben und behaupten. Es hängt alsdann von dem politischen Ermessen der fremden Mächte ab, ob sie diejenige Partei, welche sich der legitimen Regierung gegenüber im Zustande der Feindseligkeit befindet, als wirkliche Kriegspartei anerkennen wollen. In einer solchen stillschweigenden oder ausdrücklichen Anerkennung liegt noch nicht die Anerkennung eines neuen Staates oder einer neuen Regierungsgewalt. So haben nach der Insurrektion der Südstaaten der nordamerikanischen Union England und Frankreich dieselben niemals als einen neuen Staat, wohl aber als kriegführende Macht anerkannt, und zwar bereits zu einer Zeit, als die Regierung von Washington mit Fug dieselbe Partei für Rebellen erklärte. Die im Kampfe gegeneinander befindlichen politischen Parteien pflegen überhaupt in ihren Wechselbeziehungen die Grundsätze des internationalen Rechts erst dann zur Geltung zu bringen, wenn sie dazu, jede in ihrem eigenen Interesse, gezwungen sind. Es lässt sich allerdings nichts dagegen einwenden, wenn Aufständischen gegenüber zunächst das Strafgesetz in Anwendung gebracht wird. Wird aber die aufständische Partei zu einer militärisch organisierten Macht und das Strafgesetz ihr gegenüber ohnmächtig, so mufs sich die Regierungspartei, wenn sie es dennoch ferner walten läfst, auf Repressalien gefafst machen. Kann also nach Lage der Verhältnisse und namentlich in Berücksichtigung des Umfanges der Insurrektion und der Organisation der aufständischen Partei ein regelrechtes Strafverfahren nicht mehr in Anwendung gebracht werden, dann gebietet es das beiderseitige Interesse, die Regeln des internationalen Kriegsrechts gelten zu lassen; das kann um so unbedenklicher geschehen, als darin keineswegs eine Anerkennung der Berechtigung des Aufstandes zu finden ist. So hatte auch seiner Zeit während des nordamerikanischen Unabhängigkeits

krieges England es sehr bald aufgeben müssen, die aufständischen Amerikaner als Rebellen zu behandeln. Ebenso hat, 80 Jahre später, nach Niederwerfung des Aufstandes der Südstaaten, die nordamerikanische Unionsregierung nicht umhin gekonnt, auf die Anwendung des Strafgesetzes gegen die Rebellen zu verzichten. Tatsächlich hatte aber auch schon im Verlauf des Krieges die Behandlung derselben als Feinde und nicht als Verbrecher die Regel gebildet. Übrigens war bereits durch die Verhängung des Blockadezustandes über die südstaatlichen Küsten durch den Erlafs des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 19. April 1861 der wirkliche Kriegszustand anerkannt worden; denn diese Blockade trug nicht blofs den Charakter einer Sperrung der eigenen Häfen; sie zog dritte Mächte in Mitleidenschaft wie jede wirkliche Kriegsblockade.')

§ 33. Kriegsgebiet.

I. Begrenzung.

Das Gebiet des Krieges ist

a) das Land- und Seegebiet der krieg führenden Mächte; b) das offene Meer.2)

Auch diejenigen nicht zum Meere gehörigen Eigengewässer der kriegführenden Staaten, die dem Betriebe der Seefahrt dienen, gehören dem Seekriegsschauplatz an.")

') Wertvolle Betrachtungen über den Charakter dieser Blockade vom Standpunkte des internationalen Rechts sowohl wie des amerikanischen Staatsrechts bei UPTON, S. 44 f. und 298 f. Nähere Erörterungen über die Rechtsverhältnisse der Parteien im Bürgerkriege und die Anwendung der Regeln des internationalen Kriegsrechts während eines solchen bei VATTEL, III. S. 150. Ferner in dem Vortrag SIR WILLIAM HARCOURT'S in der Sitzung der Royal United Service Institution vom 9. Juni 1865 (übersetzt in der Rev. marit. et col., Bd. 19 S. 503 f.); seine Ausführungen gipfeln in dem Satze: Der Kriegszustand ist eine quaestio facti, und zwar eine solche, welche die neutralen Mächte unter ihrer eigenen Verantwortlichkeit zu entscheiden haben. Schwierigkeiten über die Ansehung der für die Kongrefspartei tätigen Kriegsschiffe der chilenischen Flotte während des Bürgerkrieges 1890 entstanden mit Rücksicht darauf, dass nicht diese mächtige Partei, sondern der Präsident Balmaceda mit seinem Anhang formell die chilenische Regierungsgewalt dem Auslande gegenüber repräsentierte. S. den Aufsatz Das Seekriegsrecht im chilenischen Kriege", in den Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens, Jahrg. 1891 S. 181 f. Reiches Material bei WHARTON, SS 380, 381; s. auch dessen Abhandlung Insurgents as belligerents“ in The Albany Law Journal, 1886, S. 125 bis 131. Ferner MARQUÉS DE ÕLIVART, Del reconocimiento de beligerancia y sus efectos imediatos, Madrid 1895; die Ergebnisse dieser Arbeit teilt E. LEHR in der Rev. d. dr. i. 1896 S. 100 f. mit. S. auch Naval War College, International Law Situations, 1901, S. 108 bis 137. 2) N. W. C. Art. 2: The area of maritime warfare comprises the high seas or other waters that are under no jurisdiction, and the territorial waters of belligerents. Neither hostilities nor any belligerent right, such as that of visitation and search, shall be exercised in the territorial waters of neutral States."

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3) Nicht einleuchtend erscheint die Auffassung bei v. LISZT (S. 317): ein Gefecht, das etwa in der unteren Elbe zwischen Kriegsschiffen ausgetragen wird, sei kein Seegefecht, sondern nach Landkriegsrecht zu beurteilen. Die

II. Neutralität im objektiven Sinne.

Man versteht unter Neutralität im objektiven Sinne die hergebrachte oder konventionelle Exemtion gewisser Objekte vom Kriegszustande. Solche Objekte sind Personen, wie z. B. das für die Krankenpflege bestimmte Personal, Sachen, Institute und Gebiete, und zwar sowohl ganze Staatsgebiete1) wie einzelne Plätze und Gewässer.2)

In Betreff des Schwarzen Meeres s. § 5, II, in Betreff der Donaumündungen Artikel 21 der Donauschiffahrtsakte vom 2. November 1865 und Artikel 7 des Londoner Vertrages vom 13. März 1871.

III. Neutralisierung der Ostsee.

Die Frage der Zulässigkeit einer Neutralisierung der Ostsee im Fall eines Krieges, bei welchem externe Mächte beteiligt sind, ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wiederholt der Gegenstand von Verhandlungen und Vereinbarungen gewesen. Im Roeskilder Frieden, 1758, kamen Dänemark und Schweden überein, kein Kriegsschiff fremder untere Elbe dient der Seefahrt; im Sinne des § 1 des Flaggengesetzes vom 22. Juni 1899 ist dies für das äufsere Revier der Elbe auch zum Ausdruck gelangt durch § 1 der Ausführungsbestimmungen vom 10. November 1899. Über die Frage ,,Landkrieg" oder „,Seekrieg" s. auch H. RETTICH, Prisenrecht und Flufsschiffahrt, eine völkerrechtliche Studie, in der Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge, Heft 141, Hamburg 1892, S. 735 f. 1) Über die dauernde Neutralisierung solcher Gebiete s. E. NYs, Notes sur la neutralité, in seinen Études de droit international et de politique, 2. série, Bruxelles et Paris 1901, S. 47 bis 163. Ferner Sir TRAVERS TWISS, On international conventions for the neutralisation of territory and their application to the Suez Canal, London 1887.

2) Als im Jahre 1870 in Nagasaki die Privatnachricht vom Ausbruche des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich eintraf, machte daselbst der Kommandant des französischen Kriegsschiffes Dupleix" dem Kommandanten der deutschen Korvette „Hertha" den Vorschlag, für den Fall des Krieges die Neutralisierung der japanischen und chinesischen Gewässer in Antrag zu bringen; der deutsche Kommandant stimmte dem zu. Man ging dabei von der Auffassung aus, dafs auf jenen Stationen die europäischen Mächte gemeinschaftlich mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika civilisatorische Aufgaben zu erfüllen hätten und dafs mithin dort eine Solidarität ihrer Interessen bestehe, gegenüber welcher alle inneren Streitigkeiten zwischen ihnen in den Hintergrund treten müfsten. Die Vertreter Deutschlands und Frankreichs in Yokohama berichteten unterm 22. August an ihre Regierungen und befürworteten die Neutralisierung der ostasiatischen Gewässer. Der preufsische Marineminister erklärte durch ein Telegramm vom 20. November sein Einverständnis; die französische Regierung verhielt sich aber ablehnend. Der Gesandte der Vereinigten Staaten in Paris hatte vergeblich die Herbeiführung der Neutralisierung zu erzielen gesucht. Jules Favre begründete die Ablehnung dahin: „Da Preufsen nicht hinreichende Seestreitkräfte besitzt, um in den Gewässern von China und Japan den dort durch eine grofse Zahl von Kauffahrteischiffen repräsentierten deutschen Handel zu schützen, so ist es augenscheinlich, dafs ihm an der Neutralisierung dieser Meere alles liegen mufs, während Frankreich im Gegenteil nur dadurch verlieren kann. Wenn Preufsen mit so äufserster Hartnäckigkeit alle die Vorteile benutzt, die ihm bis jetzt das Waffenglück in dem gegenwärtigen Kriege zu Land gegeben hat, so können wir keinen Augenblick auf diejenigen verzichten, welche unsere Überlegenheit auf dem Meere uns gibt." S. die Abhandlung: Die norddeutschen Kriegsschiffe in Ostasien während des deutschfranzösischen Krieges (anonym), Berlin 1872.

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