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Ruf gebracht zu haben, da sie ihn absichtlich todt schwiegen. Das war seine fixe Idee, die ebenso wie die Vorstellung von seiner Unfehlbarkeit in seinem Geiste festsass, selbst dann noch, als er in verhältnissmässig normalem Zustande sich befand und nach dreissigjährigem Zuwarten sein Name und sein Werk Anerkennung gefunden hatten.

Eigentlich aber trat der Grössenwahn und die Melancholie, in Begleitung von Wuthausbrüchen infolge des Verfolgungswahnes schon in frühester Jugend bei ihm auf.

Im Alter von sechs Jahren fürchtete er, seine Eltern wollten ihn verstossen. Als Student war er beständig mürrisch. Was ihm ganz besondere Pein verursachte, war das Geräusch, namentlich das Peitschenknallen.

Gegen Lärm empfindlich sein," schreibt er, „ist einer der vielen unglücklichen Umstände, mit denen das Privilegium des Genies zu rechnen hat.

Qui non habet indignationem non habet ingenium ist sein Spruch. Er hatte freilich nur zu viele indignatio und selbst krankhaften Ingrimm.

Als er in Berlin eines Tages seine Wirthin im Vorzimmer schwatzen hörte, trat er hinaus und schüttelte sie so unbarmherzig, dass er ihr den Arm zerbrach und verurtheilt wurde, für ihren Unterhalt zu sorgen.

Als richtigen Hypochonder vertrieb ihn die Furcht vor Syphilis aus Neapel, aus Verona die Besorgniss, vergifteten Schnupftabak genommen zu haben (1818), aus Berlin das Entsetzen vor der Cholera, und schon einmal die Furcht vor der Aushebung.

1831 erfasste ihn ein neuer Raptus von Unruhe; beim mindesten Geräusch griff er nach dem Degen, die Furcht war ein wahres Leiden geworden; er öffnete keinen Brief ohne Bangen vor einem Unglück, er liess sich den Bart nicht scheren, sondern brannte ihn. Während er die Weiber, die Juden und noch mehr die Philosophen hasste, liebte er die Hundebis zu dem Grade, dass er sie in seinem Testament bedachte.

Er sprach über alles und jedes, auch über die kleinlichsten Dinge, über seinen ausserordentlichen Appetit (er ass unmässig),

über Mondschein, der ihm unlogische Gedanken eingebe u. s. w. Er glaubte an Tischrücken, war überzeugt, die Elektricität könne die Pfote seines Hundes heilen und ihm selbst das Gehör wiedergeben. Als sein Hausmädchen einmal geträumt, sie wische Tintenflecke ab, vergoss er am Morgen die Tinte, um daraus zu beweisen, dass alles, was geschieht, nothwendig geschehen müsse", und um ein tiefes System auf einem Irrthum aufzubauen.

Er war der personifizirte Widerspruch. Als Endzweck des Lebens gilt ihm die Vernichtung, das Nirwana. Gleichwohl meint er, hundert Jahre alt zu werden (d. h. also, er wünscht es zu werden). Er predigt geschlechtliche Enthaltsamkeit und überlässt sich Ausschweifungen. Nachdem er unter der Intoleranz seitens Anderer viel gelitten hat, schmäht er in unbegründeter, heftiger Weise Moleschott und Büchner und freut sich, dass ihnen von Regierungswegen das Lehramt genommen wird.

Er bewohnt untere Stockwerke aus Furcht vor Feuersgefahr, ist misstrauisch gegen den Barbier, er versteckt sein Gold im Tintenfass, Werthpapiere unter der Bettdecke. „Wenn ich nicht beunruhigt werde, dann empfinde ich gerade am meisten Furcht," sagt er, wie Rousseau.

Ein Rasirmesser macht ihm Furcht, ein fremdes Glas könnte ihm eine ansteckende Krankheit mittheilen; er trägt seine geschäftlichen Aufzeichnungen in Griechisch, Lateinisch, Sanskrit ein und versteckt seine Zinsabschnitte in Notenheften, unter Büchern, um sie vor Dieben und Neugierigen zu schützen, anstatt sie einfach zu verschliessen. Er glaubt, das Opfer einer Verschwörung von Professoren der Philosophie zu sein, die sich in Gotha das Wort gegeben hätten, seine Werke nicht zu erwähnen, und gleichwohl fürchtet er, dass sie darüber sprechen könnten. Ich möchte lieber selbst von den Würmern zernagt werden, als dass die Professoren meine Philosophie benagen."

In seiner Lieblosigkeit geht er so weit, seine Mutter zu schmähen und sein Urtheil über sie zum Maassstab für das ganze weibliche Geschlecht zu machen, „dessen Haare zu lang

und dessen Ideen zu kurz sind". Nach dieser Verdammung verwirft er gleichwohl die Monogamie und preist die Tetragamie, die allerdings das Unangenehme habe, mit vier Schwiegermüttern behaftet zu sein.

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Derselbe Mangel an Gemüth veranlasst ihn zur Verachtung der Vaterlandsliebe, der dümmsten aller dummen Leidenschaften", und er stellt sich auf die Seite des Militärs, das gegen das aufständische Volk geschickt wird. Den Soldaten und seinem Hunde hinterlässt er sein Vermögen!

Nur für eins hat er Sinn, das ist sein Ich, und nicht etwa bloss für das Ich als den Schöpfer eines neuen Systems, nein, in hundert Briefen spricht er mit grossem Behagen von seiner Photographie, von seinem Bilde in Oel und von einer Person, die es erworben hat, um es in einer Art von Kapelle, wie ein Heiligenbild aufzustellen.

Niemand hat übrigens den Satz von der Verwandtschaft des Genies mit dem Wahnsinn so stark und offenherzig betont, wie Schopenhauer.

„Die geistreichen Menschen," sagt er, sind nicht nur unangenehm im praktischen Leben, sondern auch schwach in sittlicher Beziehung und boshaft." Ferner: „Solche Menschen können keine Freunde haben; auf den höchsten Höhen herrscht die Oede. Das Genie steht dem Wahnsinn näher als der Durchschnittsintelligenz. Das Leben der Genies zeigt sie uns oft wie die Geisteskranken in beständiger Unruhe,"

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Nikolaus Gogol hatte infolge einer unglücklichen Liebe sich geheimen Sünden ergeben, die zur Erklärung seines traurigen Endes dienen. Er starb an Erschöpfung oder vielmehr an Tabes dorsalis in tiefster Melancholie. Trotzdessen ist er einer der einflussreichsten russischen Schriftsteller und Humoristen geworden. Er hatte Pushkins Bekanntschaft gemacht und wendete sich seitdem der Novellenschriftstellerei zu. Sein Roman „Die todten Seelen" hatte durch seine ungemeine Vis comica, mit der er die Verderbtheit des russischen Beamtenthums geisselt, einen so durchschlagenden Erfolg, dass das Volk die Nothwendigkeit begriff, einer derartigen Wirthschaft

ein Ende zu machen, welche für die Opfer derselben wie für die Beamten ein Martyrium ist.

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Er erreichte den Gipfel seines Ruhmes durch die Kosakengeschichte Tarass Bulba", um welcher willen seine Schmeichler ihn mit Homer verglichen, die Regierung belobte ihn. Da erfasste ihn die Idee, er habe sein Vaterland mit einer Unbarmherzigkeit und einem Realismus geschildert, welche eine Revolution zur nothwendigen Folge haben müsse. Eine Revolution. halte sich aber nie in berechtigten Grenzen. Bräche sie aus, so würde die Gesellschaft, die Religion, die Familie umgestürzt werden, und er müsse sich anklagen, sie hervorgerufen zu haben. Diese Idee beherrschte seinen Geist nun ebenso, wie ehemals die Frauenliebe, die Neigung zum Drama, zum Roman und zur Satire es ihm angethan hatten.

Er begann daher den westeuropäischen Liberalismus zu bekämpfen. Das Gegengift zog jedoch weniger Leser an, als das Gift es gethan. Infolgedessen giebt er alle Arbeit auf, zieht sich in sein Haus zurück und beschäftigt sich lediglich mit Beten zu den Heiligen, die ihm die Gnade Gottes für seine revolutionären Sünden erwirken sollen.

Er macht eine Pilgerfahrt nach Jerusalem und kommt etwas getröstet zurück. Da bricht die Revolution von 1848 aus und mit ihr die alten Gewissensbisse.

Nun verfolgte ihn das Bild des triumphirenden Nihilismus, der die Religion, das Vaterland und die Familie begraben will. In höchster Erregung ruft Gogol das heilige Russland auf, den heidnischen Westen zu vernichten und auf den Trümmern das orthodoxe, das panslavistische Reich zu gründen.

Im Jahre 1852 fand man ihn todt vor seinen Heiligenbildern hingestreckt.

Zweiter Theil.

Aetiologie des Genius.

Erstes Kapitel.

Vom Einfluss der Atmosphäre auf geistige Arbeit.
Aehnlichkeit mit den Geisteskranken.

Einfluss der Atmosphäre auf die Irren. — Eine Reihe in meiner Klinik drei Jahre hindurch fortgesetzter Beobachtungen1 hat mich vergewissert, dass unter den Einflüssen des Luftdruckes und der Wärme der psychische Zustand der Geisteskranken sich regelmässig verändert. Ein Beweis dafür ist, dass, sobald das Thermometer über 25o, 30o und 32o C. zeigte, namentlich wenn die Steigerung plötzlich eintrat, die Zahl der Tobsüchtigen von 29 auf 50 stieg, während in den Tagen, an denen das Barometer häufig wechselte besonders wenn es stieg und hauptsächlich zwei bis drei Tage zuvor resp. danach, die Zahl der Tobsuchtsanfälle von 34 auf 46 wuchs.

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Diese Empfindlichkeit, welche ich meteorische nennen will, steigerte sich ganz im Gegensatz zu der Integrität der Nervencentren, welche bei Idioten sehr gross, bei den Monomanen weniger gross ist.

Eine andere Beobachtung, welche ich an 23 405 Geisteskranken gemacht habe, ergab ein überraschendes Zusammentreffen des Ausbruchs von Geisteskrankheiten sowohl mit der wachsenden Höhe der Monatstemperatur, als auch mit den

1 C. LOMBROSo, Pensiero e meteore. Biblioteca scientifica internazionale, Vol. XVI. DUMOLARD, Milano 1872. IDEM, Azione degli astri e delle meteore sulla mente umana, Milano 1871.

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