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Finalität. - Ich verstehe darunter," sagte er, „denjenigen geistigen Zustand, bei welchem ein auftauchendes Element sofort andere zu erwecken bestrebt ist. Nicht die Gesamtheit des Geistes ist das Bestimmende für das Auftreten der Erscheinungen, sondern nur die Elemente. Das heisst, dasjenige, was im Geiste schon einseitig geordnet, systematisirt ist, strebt nach Vervollkommnung dieser Ordnung.

Betrifft es eine Empfindung, so sucht dieselbe Vorstellungen oder besondere, bestimmte, entsprechende Handlungen wach zu rufen; ist es eine allgemeine Tendenz, eine schon vorher festgestellte geistige Auffassung, so wird sie alle dem Geiste zuströmenden Empfindungen so oder so auslegen. Da jedes psychische Element systematisirt ist, da die Finalität nicht aus der Gesamtheit des psychischen Organismus, oder aus einer Reihe von Handlungen, oder aus einer Theorie oder Leidenschaft (alles Dinge, die nicht wirklich psychische Elemente sind) hervorgeht, da sie also auf den Elementen beruht, der Neigung der Elemente zu systematischer Association aber die höhere Kontrolle, die allgemeine Richtschnur fehlt, so bringt sie eine Menge Misslaute in der Summe der psychischen Operationen hervor. Etwas Aehnliches würde sich in einem Orchester ereignen, wo jeder Musiker eine andere Melodie in einer anderen Tonart spielte. Wenn in einer Gesellschaft eine Genossenschaft sich auflöst, so wird damit ein FinalitätsGesetz zerstört und die Elemente, die Leute, aus denen der Verein bestand, treten in das individuelle Leben zurück und in neue Formen geselliger Thätigkeit wieder ein. Wenn z. B. eine Spinnerei geschlossen wird, so werden die darin beschäf igten und gewissermaassen eine systematische Genossenschaft bildenden Arbeiter und Arbeiterinnen jeder für sich, sei es getrennt, sei es in anderen Genossenschaften, wo einige sich übrigens wiederum zusammenfinden können, arbeiten. Derselbe Fall ist es mit den psychischen Elementen; wenn das Band, das sie zusammenhielt, durch irgend einen Umstand zerreisst, so gehen sie neue Verbindungen ein, wo jedes für sich auf die Gefahr, Zusammenhangloses zu Tage zu fördern, arbeitet.

Diese Art isolirter Thätigkeit der Elemente finden wir in sehr auffallender Weise bei den Geisteskranken.

Das Wortspiel (Calembour) ist eine Form derartiger Störung. Zergliedert man es, so findet sich, dass es wesentlich darin besteht, dass ein als Element gebrauchter Laut aus einem besonderen Komplex (systematisirter Bilder, Gedanken oder Töne als Bestandtheile der Bedeutung des Lautes), der selbst wieder eine Abzweigung eines grösseren Komplexes, der Phrase, ist, sich wenigstens theilweise loslöst aus diesen beiden Systemen und sich anderen Gedanken- und Bilderreihen anschliesst. Die Gedankenverbindung auf Grund von Aehnlichkeit gewisser Worttheile, z. B. der Reim, beruht wesentlich auf solchem Vorgange. Hier ist es ein Ton, der sich systematisch an andere Töne anreiht und gleichzeitig mit verschiedenartigen Tönen sich verbindet, um sofort oder unter raschen Unterbrechungen Systeme zu bilden, die nicht miteinander im Einklang stehen. Zu letzterer Klasse kann man den grösseren Theil der Lapsus linguae und der Lapsus calami zählen."

Beispiele dafür giebt es in Ueberfluss. REGNARD führt mehrfach Verse von Irren an, worin die systematische Association der Elemente stark vertreten ist. Bisweilen erkennt man noch einen Rest von Verstand und Zusammengehörigkeit darin, doch spricht sich die Zusammenhangslosigkeit meist sehr deutlich aus, wie in folgenden Versen:

J'aime le feu de la fougère,
La fumée est âcre de goût.

On peut tirer en s'amusant

Ne durant pas, mais pétillant;
Mais des cendres de: la Fou j'erre
Deux sous d'un sel qui lave tout,

De soude, un sel qui lave tout.1

In anderen Fällen verschwindet der Sinn fast, wie in folgenden Versen, deren Verfasser, ein eiteler Delirant, seit 25 Jahren geisteskrank war.

Magnan! à mon souhait, médecin Magnan-ime

Adore de mon sort la force qui ... t'anime.

Admirant son beau crâne . . autre remord de Phèdre

Nargue Legrand du Saulle et sois un Grand du Cèdre.

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Ein hübsches Beispiel dieser Art hat ein von TROUSSE AU beobachteter Kranker geliefert, der auf mehr als 500 Seiten Worte geschrieben, von denen eines das andere durch Assonanz oder Aehnlichkeit des Sinnes hervorrief, wie: Chat, Chapeau, Peau, Manchon, Main, Manches, Robe, Jupon, Pompon u. s. w. u. s. w.1

Man braucht nicht eben irr oder blödsinnig zu sein, um Calembours zu machen und Worte nach ihrer oberflächlichen Aehnlichkeit aneinander zu reihen. Dann ist es aber nicht eine dauernde Spaltung zusammengehöriger Systeme, sondern nur eine vorübergehende Spaltung. Nichts ist natürlicher, wenn man das Bedürfniss hat, den Geist sich erholen zu lassen, als die Freigabe der psychischen Elemente aus dem Zwang der Systeme, die für das Leben nicht gerade wesentlich sind, eine Freiheit, die sie allerdings mitunter missbrauchen. In Verfolg des obigen Vergleiches kann man sagen, die Arbeiter der Spinnerei arbeiten auch nicht immer, sie haben ihre Ruhestunden, ihre Erholungen und beschäftigen sich dann im allgemeinen mit minder verwickelten Gegenständen.

Zu rhythmischen Aeusserungen sind am meisten geneigt: die chronischen Maniaci, die Alkoholiker, die Paretischen in den ersten Stadien, obgleich man bei ihnen öfter Reime als Verse und mehr Verse, als Sinn und Verstand findet. Dann kommen die Melancholischen im Verhältniss zu der geringen Zahl, in der sie sich in Anstalten befinden. Ihnen dient es vielleicht als Ersatz für das gewohnte stumme Verhalten und als Ableitung von Verfolgungswahnvorstellungen. Diese Bemerkung ist um so beachtenswerther, wenn man sie mit der bekannten Beobachtung zusammenhält, wonach bei allen grossen Denkern und Dichtern eine melancholische Ader zu finden ist.

1 Vgl. Luys, Actions réflexes du cerveau, p. 170.

Zweites Kapitel.

Die Kunst bei Irren.

Die Neigung zur Kunst ist bei den Irren sehr ausgesprochen und kommt fast bei allen Irrsinnsformen vor. Dieser auffälligen Erscheinung hat man gleichwohl bisher wenig Beachtung geschenkt.

Nur TARDIEU sagt (Etudes médico-légales sur la folie), die Zeichnungen der Irren haben für die gerichtliche Medizin grosse Bedeutung. SIMON (Annal. méd. psych. 1876) spricht von dem häufigen Vorkommen bei Grössenwahn und bemerkt, die Einbildungskraft steigere sich dabei in umgekehrtem Verhältniss wie die Intelligenz; später hat FRIGERIO im Diario del Manicomio di Pesaro eine vorzügliche Abhandlung über den Gegenstand veröffentlicht. Endlich ist es mir gelungen, mit Hülfe merkwürdiger Materialien, die ich den Herren Riva, Toselli, Lolli, Frigerio, Tamburini, Maragliano und Maxime du Camp verdanke, der Sache tiefer auf den Grund zu gehen. Zusammen mit meinen eigenen Ermittelungen verfügte ich über 107 Fälle von Kunstbestrebung bei Geisteskranken, und zwar war Neigung

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An Irrsinnsformen kamen dabei vorzugsweise vor:

Verfolgungswahn mit Sinnestäuschungen in 25 Fällen

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Daraus ersieht man, dass die schweren unheilbaren und angeborenen Zustände (Monomanie und Moral-Insanity), oder

diejenigen, zu welchen Blödsinn sich gesellt (Grössenwahn, Paralyse), in hervorragender Weise vertreten sind.

Ich kann hinzufügen, dass die moralische Verkehrtheit bei denjenigen Irren sich insbesondere äusserte, welche Proben einer höheren Intelligenz lieferten, sowohl als Künstler wie als Schriftsteller.

Betrachten wir uns die Umstände und Charaktere dieser Irren etwas näher.

1. Vorkommen. In denjenigen Gegenden, wo die Kunstbestrebungen überhaupt allgemeiner und stärker hervortreten, ist selbstverständlich auch die Zahl der irren Künstler grösser. Daher kommt es, dass ich in Turin, Pavia, Reggio wenige auflesen konnte, während Perugia, Lucca und Siena sehr ergiebig daran sind.

2. Gewerbe.

Bei nur wenigen machte sich der Einfluss ihrer früheren Gewerbe und Gewohnheiten geltend. Wir finden unter unseren irren Künstlern nur

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Von neueren Malern, die irr wurden, bemerken wir ausser anderen: Gill, Cham, Chirico, Mancini.

In

Bei einigen steigerte sich die alte Neigung infolge des Irrseins. Ein Mechaniker z. B. zeichnete Maschinen, zwei Matrosen bauten kleine Kriegsschiffe, ein Hôtelwirth zeichnete auf den Fussboden Speisetische mit Fruchtpyramiden. Reggio schnitzte ein Kunsttischler sehr schönes Blattwerk und Ornamente; ein Seeoffizier verfertigte niedliche Gondeln und verlegte sich später auf die Malerei von Seestücken, mit der Bemerkung, das tröste ihn für die Entbehrung seines geliebten Elementes.

Oft flösst das Irrsein diesen Menschen eine seltene Ausdauer in der Arbeit ein, „in einer Weise," wie de Paoli und Adriani mir meldeten, dass man glauben sollte, sie würden

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