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ponieren, sie öffentlich aufführen liess und, während das "Requiescat gesungen wurde, sich eine Kugel durch den Kopf jagte.

Sein Fanatismus ist also kein politischer, sondern entspringt vielmehr seinen lächerlichen und konfusen Hirngespinnsten. Nicht wenn man seine Partei schmähte, zitterte und weinte er vor Gericht, sondern wenn man ihm verweigerte, seine Briefe vorzulesen; wenn man ihn in seiner Ehre verletzte und ihm vorwarf, er lese immerwährend, anstatt die Teller zu reinigen. Ein Beweis für seine Halbverrücktheit ist, dass er diese zu seinen Gunsten sprechende Thatsache leugnete.

Seinen Verstand konnte man eher abweichend und originell nennen, nicht aber dem gewöhnlichen überlegen. Derselbe äusserte sich viel lebhafter in seinen Worten als in seinen Schriften (ein besonderes Kennzeichen der Mattoiden). Selten begegnet man bei ihm, wie dies in den Werken Wahnsinniger der Fall ist, einem rohen Ausdrucke. Damit ist indes durchaus nicht gesagt, dass sich nicht hier und da beim Durchblättern seiner Papiere eine merkwürdige und originelle Stelle findet.

Trotz aller Seltsamkeiten kann man seinen Vorschlägen eine gewisse Originalität nicht absprechen, wie z. B. „man solle, wie die Abgeordneten, die Beamten, damit sie etwas weniger stolz seien, aus allgemeiner Wahl hervorgehen lassen; die Gefangenen lieber die wüstliegenden Aecker bearbeiten lassen, als zugeben, dass sie in Müssiggang verkommen; man solle die wehrpflichtigen jungen Leute zu den Fahnen einberufen, bevor sie einen Beruf gewählt haben. So eifert er gegen Kaiser Wilhelm, der Frankreich fünf Milliarden entrissen hat": „Wer Dornen säet, soll nicht barfuss gehen." Ein guter Gedanke ist auch, obgleich er von den Türken entliehen ist, dass in allen Dörfern für die Reisenden eine freie Herberge errichtet werden soll.

Ebenfalls schön ist die Stelle, in der er die vaterländischen Ideen in einer kleinen italienischen Landschaft schildert: „Seit unserer Kindheit zeigt man uns das Vaterland zuerst da, wo sich das einfache Thürmchen erhebt," und die folgende:

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Wie oft haben die Unterdrückten Gott angerufen, der aber nie ihres Jammers sich angenommen hat als Sklave, vor Hunger sterbend, muss der anständige und freie Bürger enden, oder er wird umgebracht, wenn er nicht auf die Galeere geschickt wird."

Vor allem merkwürdig aber ist nachstehender Ausspruch, von dem man sagen könnte, er habe ihn in eigener Sache" gethan, wäre er nicht lange Zeit vorher schon niedergeschrieben worden: „Es ist verwerflich, dass die Regierung strenge Strafen über Denjenigen verhängt, der die blosse Idee hat, die Regierungsform zu ändern und das Staatsoberhaupt anzufallen. Das Vaterland ist die gleiche Mutter für Jeden, das Gesetz muss Allen als die Schwester des Todes gelten, die Keinen verschont und die, im gegebenen Augenblick, zuschlägt."

Sehr treffend ist sein Vergleich des Menschen, der die Einsamkeit sucht, mit dem, welcher sich in die Gesellschaft stürzt: „Sobald der Mensch allein steht, ist er schwach wie Glas, wie denn zwischen einem Glase und der Kraft eines einzelnen Menschen ein grosser Unterschied nicht vorhanden ist; in der Vereinigung dagegen stählt sich der Mensch und hat die Kraft von tausend Simsons."

Aber wahrhaft über das Durchschnittsmaass erhebt er sich in seinen mündlichen Entgegnungen. So z. B.: „Die Geschichtskenntniss, welche man durch Erfahrung im Volke sich erwirbt, ist viel lehrreicher, als die aus Büchern erworbene." - ,,Das Volk ist der Herr der Geschichte" und ähnliche Antworten. Um sich zu rechtfertigen, dass er, der arme Küchenjunge, sich anmasse, ein Schriftsteller zu sein, antwortete er: Wo der Weise irrt, findet oft der Unwissende den richtigen Pfad."

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Als man ihn darüber befrug, was im Gewissen vorgehe, wenn man auf dem Punkte stehe, etwas Böses zu verüben, antwortete er: Ein zwiefacher Wille lebt in uns, wovon der eine treibt, während der andere abmahnt; welcher von beiden. nun im Streite obsiegt, der bestimmt die Handlung.“

Aber gerade an diesem bei einem gewöhnlichen Koch so auffälligen Aufflackern politischen Genies erkennt man die

Geisteskrankheit. Denn das vergesse man nie, dass diese schönen Dinge mehr Ausnahmen als Regel bilden. Die Regel ist eben das Banale und Absurde. Schlägt er doch in demselben Gesetzbuch, worin er Falschmünzer und Diebe hängen will, vor - die Todesstrafe abzuschaffen. In dem einen Artikel will er den König ermorden und begehrt in einem zweiten für ihn eine Pension von zwei und einer halben Million Lire !!! 1

Guiteau. Das Gleiche lässt sich von Guiteau sagen. Derselbe war in überaus hohem Grade mit Degenerationsmerkmalen behaftet, seine Handschrift war ganz die der Halbverrückten.

Auch waren viele von seinen Familienangehörigen Irrsinnige und Fanatiker. Er selber hatte sich in allen Berufen, z. B. als Advokat, Geistlicher, Politiker und Betrüger, versucht und gab vor, eine grosse Entdeckung bezüglich der Geburt Jesu gemacht zu haben. Das Wahre daran ist, dass er sehr viel Papier verklexte und Zeitungen, wie einfältige Abhandlungen über das „Dasein der Hölle“ und „die Wahrheit“, die er unter göttlicher Eingebung diktirt haben wollte, veröffentlichte. Obgleich er glaubte, Gott habe, um ihn für seine seltsamen Predigten zu belohnen, seine Schulden bezahlt, wie auch, dass Gott es sei, der ihm befohlen Garfield zu ermorden, so wollte er sich an Letzterem doch nur dafür rächen, dass er ihn weder zum Konsul in Liverpool, noch zum Gesandten für Oesterreich u. s. w. ernannt hatte zum Dank für die Mühe, die er, Guiteau, sich, wie er meinte gegeben habe, um ihn auf den Präsidentenstuhl zu bringen.

Amerikaner. Die Zahl der grossen Männer der Argentinischen Republik, welche geisteskrank waren, ist eine so ansehnliche, dass sie MEJIA das Material zu einem der schönsten und merkwürdigsten Werke geliefert hat, die die Neue Welt

hervorbrachte.2

1 Und trotz dessen haben sechs italienische Aerzte Passanante, der auf der Galeere stets überwacht wird, für völlig geistesgesund erklärt.

2 Las Neurosis des los Hombres celebres en la Historia Argentina par José Maria Ramos Mejia, Buenos-Ayres, 1878.

So z. B. war, nach MEJIA, Rivadura Hypochonder und starb infolge von Gehirnerweichung; Manuel Garcia litt ebenfalls an Hypochondrie und starb wahrscheinlich an einem Gehirnschlag; der Admiral Brown litt an Verfolgungswahn; Varela war epileptisch; Francia litt an melancholischem Wahnsinn, Rosas war moralisch irre; Monteagudo hysterisch (1. c).

Vierter Theil.

Zusammenstellung.

Die Entartungs-Psychose des Genies.

Wenn wir nunmehr die über weite, scheinbar fern voneinander liegende Gebiete zerstreuten Thatsachen sammeln, so sehen wir den krankhaften Charakter des Genies daraus emporsteigen.

Diese Auffassung, die zuerst eine verwegene Hypothese zu sein scheint, erhält ihre vollkommene Bestätigung, wenn man alle jene Erscheinungen, die uns das anatomische und biologische Studium sowohl der von Irrsinn ungeschädigten, als auch der ganz und halb irren Genien, das Studium ihrer geographischen Vertheilung, ihrer oft pathologischen Ursachen, ihres Erscheinens und ihrer Vererbung geliefert hat- einer genaueren Prüfung unterwirft, ähnlich der chemischen Reaktion, wann die einzelnen Stoffe in gegenseitige Berührung kommen.

Erstes Kapitel.

Eigenschaften geistreicher Menschen, die zugleich irr waren.

Zergliedern wir das Leben und die Werke der grossen kranken Geister, von denen die Geschichte spricht, so finden wir sogleich, dass sie sich in vielen Dingen von dem gewöhnlichen Menschenschlag, zum Theil aber auch von den geistreichen Menschen unterscheiden, deren ruhmvolle Laufbahn keine Spur von Wahnsinn zeigt.

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