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kungen des Alkohols oder des Opiums sind seine Lieblingsthemata.

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Es giebt Tage, wo mein Herz vergeht wo der Schlamm mich umfängt," sang der arme Praga, den der Wein umbrachte und indem er ihn pries, doch noch lästerte: „Mag des Nüchternen Vorwurf mich treffen, mag die ganze Welt mich verhöhnen, bin ich zur Hölle vom Ewigen verbannt, ich steige hinunter, das Glas in der Hand."

Der Maler Steen, ein Trinker, malte nur Trinker. Hoffmanns Zeichnungen waren zuletzt nur Karrikaturen, seine Erzählungen schweiften ins Uebermenschliche, seine Musik war ein Tongerassel.

A. de Musset sieht bei den Frauen von Madrid „unter einem Schwanenhals einen keuschen Busen, goldig wie das junge Weinlaub."

Murger schwärmte für Frauen mit grünen Lippen und gelben Wangen. Wahrscheinlich war er farbenblind, wie wir es schon bei den Malern gefunden haben. (S. oben S. 249). 13. Fast alle diese grossen Genien gaben viel auf ihre Träume, die ohne Zweifel bei ihnen lebhafter in Farbe und Gestalt auftraten, als es sonst bei Gesunden der Fall ist. So bei Cardano, Lenau, Tasso, Sokrates, Pascal.

14. Bei mehreren von ihnen fand man sehr grosse, aber abnorme Schädel und schwere Gehirnläsionen wie bei Irren beförderten ihr Ende. Bei Pascal fand man Induration der Hirnsubstanz neben Vereiterung der linken Grosshirnlappen, bei Rousseau Wasser in den Ventrikeln; bei Byron und Foscolo frühzeitige Nahtverschmelzung. Schumann starb infolge chronischer Meningitis und Hirnatrophie.

15. Fast nie kommen die Wahnideen vereinzelt bei den grossen Geistern vor, meist finden sich mehrere zusammen. Melancholie trat zum Grössenwahn bei Chopin, Cardano, Comte, Schopenhauer, bei Tasso zum Alkoholismus, zum impulsiven Irrsinn und zum perversen Geschlechtstrieb bei Baudelaire und Rousseau, zum erotischen, alkoholischen und Grössenwahn bei Gérard de Nerval. Morphiumsucht und Alkoholismus gesellten sich zur Grübelsucht bei Coleridge.

16. Das wesentlichste Erkennungszeichen des Wahnsinns bei den grossen Geistern scheint mir auf der ungemeinen Steigerung der beiden Gegensätze Erethismus und Atonie Begeisterung und Erschöpfung zu beruhen, die wir bei fast allen grossen Geisteshelden, selbst bei den gesundesten, als Stadien auftreten sahen, welche sie sich gleich schlecht zu erklären suchen, je nachdem es ihren Stolz kitzelt oder verletzt.

„Eine träge Seele, die vor jedem Geschäft zurückbebt, ein galliges Temperament, das leicht verstimmt, bei jeder Widerwärtigkeit auffährt, scheinen sich in einem und demselben Wesen nicht zu vertragen, und dennoch bilden sie die Grundlage meines Charakters," gesteht Rousseau in Brief II. Daher kommt es, dass sie ähnlich dem Ungebildeten, der die Aenderungen seines Ich in materiellen und äussern Vorgängen. sucht, einem Teufel, einem Dämon oder Gott die glückliche Gabe der Begeisterung zuschreiben. Tasso sagt von seinem Kobolt, Genius oder Himmelsboten: „Er kann kein Teufel sein, da er mir vor heiligen Dingen nicht Scheu einflösst, aber etwas Natürliches ist es doch auch nicht, da es mir Gedanken einflösst, die ich zuvor nie gehabt habe." - Ein Genius giebt Cardano seine Werke, seine Kenntniss übernatürlicher Dinge, seine Verordnungen ein, Tartini seine Sonate und Mohammed seinen Koran. - Van-Helmont erklärte, ein Genius sei ihm bei allen wichtigen Ereignissen in seinem Leben erschienen; im Jahre 1633 entdeckte er seine eigene Seele in Gestalt eines glänzenden Krystalles. Der Bildhauer Blake begab sich oft an das Seeufer, um mit Mose, Homer, Virgil, Milton sich zu unterhalten, die er früher gekannt zu haben sich einbildete. Wenn ihn Jemand fragte, wie sie aussehen, so antwortete er: es sind Schatten von majestätischer Haltung, grau, aber glänzend und von weit grösserer Gestalt als gewöhnliche Menschen." Sokrates hatte seinen „Genius" zum Berather, der, wie er sich ausdrückte, mehr als 10 000 Lehrer werth ist". Oft rieth er, nach Anweisung dieses seines Sapovov seinen Freunden, was sie thun sollten.

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Der lebendige, farbenreiche Stil, in welchem die grossen Schriftsteller ihre phantastischen Grübeleien mit gewohnter

Sicherheit vortragen, z. B. die Liliput-Akademie und die Schrecken des Tartarus, beweist, dass sie alles, was sie beschreiben, mit der Sicherheit des Hallucinanten sehen und anfassen, kurz, dass Begeisterung und Wahn bei ihnen mit einander in Eins verschmolzen sind.

Man darf behaupten, dass diese Selbsttäuschung über Inspiration ihren Inhabern bisweilen recht nützlich geworden ist, - so in den Fällen von Mohammed, Luther, Savonarola, Molinos und sogar von Taiping, aus neuerer Zeit, da ihre Worte und Prophezeiungen infolgedessen die Farbe der Wahrheit erlangten, die auf innerster Ueberzeugung beruht und die allein die Macht besitzt, die unwissende Menge zu erschüttern und fortzureissen. Darin treffen denn auch die irren Genies mit den gemeinen Halbirren zusammen.

Ist aber die Heiterkeit und Begeisterung vorüber und schwimmen die düstern und grauen Nebel des Trübsinns wieder obenauf, so halten sich die unglücklichen Genies in falscher Deutung ihres eigentlichen Zustandes für vergiftet, wie Cardano, oder für verdammt zum Höllenfeuer, wie Haller und Ampère, oder für verfolgt von ingrimmigen Feinden, wie Newton, Swift Barthez, Rousseau. Allen erscheint dann der religiöse Zweifel, den die Vernunft dem Herzen zum Trotz anregt, als ein Verbrechen und wird Veranlassung und Werkzeug zu wirklichem Unglück.

17. Gleichwohl ist die Charakterbeschaffenheit dieser Männer so verschieden von der der gewöhnlichen Menschen, dass sie den verschiedenen Geisteskrankheiten (Melancholie, Monomanie u. s. w.), unter denen sie leiden, ein eigenartiges Gepräge aufdrücken, wonach man eine besondere Gattung als Psychose des Genies - aufstellen könnte.

LOMBROSO, Der geniale Mensch.

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Zweites Kapitel.

Aehnlichkeit zwischen dem irren und dem nicht irren Genie.

Gedenkt man alles dessen, was wir im Obigen vorgetragen haben, so findet man, dass die bezeichneten Eigenschaften nicht bloss dem irren Genie zukommen, dass sie vielmehr, wenn auch in weniger auffallendem Grade, bei den grossen Männern gefunden werden, die nicht im Verdacht des Irrseins gestanden haben, und von denen jene anderen nur eine Abart, ein Zerrbild darstellen. Sind Sokrates, Jesus, Columbus, Galilei, Spinoza, Cavour lautere in sich geschlossene Charaktere, so ist das bei anderen, als Alcibiades, Alexander, J. Caesar, Cicero, Seneca, Petrarca, Baco, Aretino, Macchiavel, Napoleon, Byron, Bulwer u. A. m. schon nicht mehr der Fall.

Unglaublich hochmüthig haben sich gezeigt: Dante, Napoleon I., Victor Hugo, Balzac, Comte, Hegel. Uebrigens sahen wir den Hochmuth auch bei Leuten, die nur Talent und nicht Genie besassen, als Cagnoli, Lucilius, Porta u. s. w. vorkommen.

Vorzeitige Entwickelung (S. 17) fehlt bei normalen Genien Rafael, Michelangelo, Stuart Mill u. A. m. — eben so wenig wie der Missbrauch geistiger Getränke1 und die sexuellen Ausschweifungen mit Sterilität im Gefolge. So Pope, Byron, Burns, Milton, Keats, Dryden. Uebertriebene Reiselust, Impulse mit krampfhaften Bewegungen vergesellschaftet oder als Ersatz für jene werden bemerkt. Bismarck soll Beust gefragt haben, ob es ihm auch Spass mache etwas zu zerbrechen. Von ihm sowohl wie von Gladstone und dem Belgier Malou sagt man, sie gefielen sich darin, wie Holzhauer zu arbeiten. Gladstones Freunde machten ihm deshalb ein silbernes Beil zum Geschenk.

Schädel- und Hirnanomalien finden sich auch hier. Degenerationszeichen kommen häufig bei beiden vor; so Stottern,

1 Zu den oben (S. 66) nicht erwähnten Engländern gehören (nach SMILES) Marlow, Pope, Addison, Sommerville, Burns, Keats, Sheffield.

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Mancinismus, Sterilität u. s. w. Endlich ist die Erscheinung zu bemerken, dass der Gegenstand der Arbeit, mit der der Betreffende beschäftigt ist, völlig mit ihm verwächst, und die Arbeit wie eine Hallucination oder Autosuggestion daraus hervorgeht. So erzählt Flaubert, die Schöpfungen seiner Einbildungskraft dringen auf ihn ein, verfolgen ihn oder besser gesagt, er lebe mit ihnen. Bei der Beschreibung der Vergiftung der Frau Bovary habe er den Arsenikgeschmack auf der Zunge gehabt, er sei selbst vergiftet gewesen und habe erbrochen. Dickens empfand Schmerz und Mitleid mit seinen Gebilden, als wären. es seine eigenen Kinder.1 „Meiner Meinung nach," sagt Edmond de Goncourt, ist mein Bruder infolge der Arbeit, namentlich an der Mühe, mit der er den Stil und die Sätze zu feilen suchte, gestorben. Ich sehe ihn noch, wie er gewöhnliche Sachen, die uns anfangs ganz gut gefielen, wieder vornahm, sie stunden- ja halbe Tage lang umarbeitete mit einer wuthähnlichen Hartnäckigkeit. Dazu kommt, dass unser ganzes Werk auf Nervenleiden und darauf vielleicht seine allzu theuer bezahlte Originalität beruht, wir die Krankheitsschilderungen aus uns selbst entnommen haben und dass wir dadurch, dass wir uns selbst bis ins Einzelnste zerlegten und studierten, einen so hohen Grad von Empfindsamkeit bekamen, den das Kleinste im Leben verletzte. Ich sage wir, weil ich, als wir Charles Demailly verfassten, kränker war, als er. Er hat zum Strick gegriffen. Ch. Demailly! Es ist doch merkwürdig, seine eigene Lebensgeschichte 15 Jahre im voraus zu schreiben."

dass

Die Befangenheit des Genies in solchem Zustande geht so weit, dass sie aus dem Menschen eine doppelte Persönlichkeit, aus einem Menschenfreund einen Tyrannen, aus einem Melancholischen einen Spassvogel zu machen im stande ist.

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Wir haben sogar bei den vollkommensten Genien Rudimnte von Irrsinn Melancholie, Grössenwahn, Hallucination gefunden, worauf, unserer Meinung nach, die Ueberzeugung gewisser Propheten und Stifter von Herrscherhäusern beruht, 1 DILTHEY, Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn, Leipz. 1886. 2 Lettres de Jules de Goncourt, Paris 1885.

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