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Versuch

die Elemente der Farbenlehre

zu entdecken.

Arduum sane est hoc negotium, in quo plura esse existimo, quae sub occultioribus caussis latent, quam quae sciuntur; pluraque quae dubitationem quam quae cognitionem pariant.

Aguilonius.

Von weißen, schwarzen, grauen
Körpern und Flächen.

1.

Es scheint nichts leichter zu sein, als sich deutlich zu machen was man eigentlich unter Weiß verstehe, 5 und sich darüber mit andern zu vereinigen, und doch ist es außerordentlich schwer, aus Ursachen welche nur nach und nach entwickelt und erst am Ende dieser kleinen Abhandlung völlig in's Klare gesezt werden können. Ich erbitte mir eine parteilose Aufmerksamkeit 10 für die Methode und den Gang meines Vortrags.

2.

Wir nehmen zuerst einen durchsichtigen farblosen Körper, z. B. das Wasser, vor uns, und wir bemerken (die Refraction abgerechnet), daß wir durch eine gewisse Masse desselben die Gegenstände ihrer 15 Gestalt und Farbe nach deutlich erkennen; so daß ein Körper auf seinem höchsten Grade der Durchsichtigkeit für das Auge gleichsam kein Körper mehr ist, und nur durch das Gefühl entdeckt werden kann.

Goethes Werke. II. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

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3.

Es gehe nun das reinste Wasser in seinen kleinsten Theilen in Festigkeit und zugleich Undurchsichtigkeit über, und wir werden sodann den Schnee haben, dessen Anhäufung uns die reinste Fläche darstellt, welche uns nunmehr einen vollkommenen und s unzerstörlichen Begriff des Weißen gibt. Ebenso ver= wandeln sich durchsichtige Krystalle, z. B. des Glauberischen Wundersalzes, wenn ihnen ihr Krystallisationswasser entgeht, in ein blendend weißes Pulver.

4.

Diese Körper gehen nun unter veränderten Um= 10 ständen aus dem weißen undurchsichtigen Zustande in den Zustand der farblosen Durchsichtigkeit wieder zurück. So leiten wir die weißen Körper von den durchsichtigen farblofen ab, wir führen sie zur Durchsichtigkeit wieder zurück und diese unmittelbare Ver- 15 wandtschaft, diese Rückkehr in den durchsichtigen Zustand ist aller unserer Aufmerksamkeit werth.

5.

Außer denen weißen Körpern, welche wir aus durchsichtigen entstehen und wieder in solche übergehen sehen, gibt es ihrer viele, welche in den weißen Zu 20 stand versezt werden können; theils durch Waffer, Licht und Luft, welche Operation wir Bleichen

nennen, wodurch alle Theile, die wir nur einigermaßen farbig nennen können, aus ihnen ausgezogen und abgesondert werden; theils durch heftig wirkende Mittel, wodurch eine ähnliche Operation vor sich geht.

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6.

Alle diese Wirkungen, wovon der Chemiker nähere Rechenschaft zu geben hat, bringen einen Effect hervor, der uns zugleich mit dem Begriff vom Weißen den Begriff von unbedingter Reinheit und Einfachheit eindrückt; so daß wir auch im Sittlichen 10 den Begriff von Weiß mit dem Begriff von Einfalt, Unschuld, Reinheit verbunden haben.

7.

Das Weiße hat die größte Empfindlichkeit gegen das Licht, eine Eigenschaft, welche von den Naturforschern genugsam bemerkt und auf verschiedene 15 Art bestimmt und ausgedruckt worden ist. Uns sei genug hier anzuführen; daß eine weiße Fläche (worunter wir fünftig diejenige verstehen, welche dem frischgefallenen Schnee am nächsten kommt) unter allen andern Flächen, fie mögen grau, schwarz, oder 20 farbig sein, wenn solche neben ihr einem gleichen Lichte ausgesetzt sind, die hellste ist, dergestalt daß ihr Eindruck auf das Auge in der finstersten Nacht noch sichtbar bleibt, oder doch am letzten verschwindet.

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