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29.

Dieses zeigt sich auf's deutlichste, wenn wir abermals zu den durchsichtigen Körpern zurückkehren. Man nehme jedes reine Wasser in einer gläsernen Flasche oder in einem Gefäße mit gläsernem Boden; man vermische mit dem Wasser irgend einen leicht s aufzulösenden farbigen Körper, so wird das daruntergelegte weiße Papier uns zwar einen höchst anmuthigen Eindruck machen, dabei aber schon bei der geringsten Farberscheinung sogleich dunkler als vorher aussehen. Wir können dieses Dunkle so weit treiben, 10 daß nach und nach durch mehrere Beimischung eines solchen auflöslichen Farbenstoffes die Tinctur endlich völlig undurchsichtig wird, und kaum einen Schein der unterliegenden weißen Fläche oder eines andern Lichts durchläßt.

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Diese Annäherung an das Schwarze, an das Undurchsichtige solgt natürlich aus der Eigenschaft der Farbe, daß sie dunkler als Weiß ist, und daß sie durch Anhäufung ihrer Masse zur Undurchsichtigkeit und zur Annäherung an das Schwarze kann gebracht 20 werden, obgleich eine Farbe als solche, wie sich aus Begriffen derselben schon herleiten und durch Versuche darthun läßt, so wenig Schwarz als Weiß werden fann.

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Da es von der höchsten Wichtigkeit ist, daß wir die Erfahrung, alle farbige Flächen seien dunkler als die weißen die mit ihnen einem gleichen Licht ausgesezt sind, recht faffen; so bemerken wir nur, was 5 an einem andern Orte umständlicher auszuführen ist: daß die reizende Energie, womit farbige Körper auf unsre Augen wirken, mit der Helligkeit, womit das Weiße auf das Auge wirkt, nicht zu verwechseln sei. Eine orangefarbige Fläche neben einer weißen 10 wirkt gewaltsamer auf das Auge als jene, nicht weil sie heller ist, sondern weil sie einen eignen Reiz befißt, da das Weiße uns heller aber nur gleichgültig erscheint. Von verschiedenen Wirkungen der Farben auf die Augen und das Gemüth wird besonders zu handeln sein.

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Man nehme zwei Flaschen von dem reinsten Glase, man gieße in beide reines distillirtes Wasser, man bereite sich nach dem oben angegebenen Schema farbige Tincturen die sich chemisch nicht decomponiren, sondern fich friedlich vermischen, man tröpfle in eine von den 20 Flaschen gleich viel von jeder hinein, und man beobachte das Phänomen das entstehen wird. Das durchsichtige Wasser wird gefärbt werden, wie die Liquoren hinein kommen, nach den verschiedenen Mischungen wird die gemischte Farbe erscheinen, ja

man wird zuleht ein unfärbiges Wasser unter ver= schiedenen Proportionen der Liquoren hervorbringen können. Allein niemand wird behaupten, daß dieses Waffer nun so hell sei, als das in der Flasche, in welche keine farbige Liquoren eingetröpfelt worden. 5 Was hat man also gethan? So lange man harmo= nische Tincturen hinein goß, hat man das Wasser gefärbt, und da man widersprechende Farben hinein brachte, hat man das Wasser besch mußt; man hat ihm eine Unfarbe mitgetheilt, man hat ihm aber von 10 seiner Hellung, und wenn ich so sagen darf, von seiner specifischen Durchsichtigkeit genommen. Dieses wird um so deutlicher, wenn die Dose der Farben, welche man in das Wasser eintröpfelt, verstärkt wird, wo man bald eine dunkelgraue oder bräunliche, in geringer Maffe schon undurchsichtige, Tinctur erhalten wird. Man denke sich nun dieses dergestalt gefärbte Wasser in Schnee verwandelt; so wird man schwerlich behaupten, daß er so weiß als der natürliche werden könne.

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Wir haben oben schon die Wirkung der Farben- 20 mischung gesehen, und können auch nun hier daraus folgern und weiter gehen. Alle Farben zusammen. gemischt bringen eine Unfarbe hervor, die so temperirt werden kann, daß sie uns den Eindruck von Grau, den Eindruck eines farblosen Schattens macht, welcher 25 nur immer dunkler wird, je reiner man farbige

Pigmente und in je verstärkterm Grade man sie

genommen.

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Diese Unfarbe aber muß jederzeit dunkler als Weiß, und heller als Schwarz sein: denn da jede 5 einzelne Farbe eben diese Eigenschaft mit dem Grauen gemein hat, so können sie solche untereinander ge= mischt, nicht verlieren, sondern sämmtliche Farben, welche die Eigenschaft eines Schattens haben, müssen, wenn durch Vermischung die Kriterien aufgehoben 10 werden, die Eigenschaft eines farblosen Schattens annehmen. Dieses zeigt sich uns unter jeder Bedingung, unter allen Umständen wahr.

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Man mag die Farben unsres Schemas als Pulver oder naß durch einander mischen; so werden sie, auf 15 ein weißes Papier gebracht, unter jedem Lichte dunkler erscheinen als das Papier; man mag unser Schema auf ein Schwungrad anbringen, und die Scheibe nunmehr mit Gewalt umdrehen; so wird der vorher durch verschiedene Farben sich auszeichnende Ring grau, 20 dunkler als das Weiße und heller als das Schwarze erscheinen. (Welches man am deutlichsten sehen kann, wenn man die Mitte weiß läßt und einen schwarzen Kranz außen um das Schema zieht.) So viele tausend Mahler haben ihre Paletten so oft gepußt, und keinem 25 ist es je gelungen noch wird ihm gelingen durch die

Goethes Werke. I. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

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Vermischung aller Farben ein reines Weiß hervor= zubringen; viele tausend Färber haben oft alle Arten von Farbenbrühen zusammen gegossen, und niemals ist das hineingetauchte Tuch weiß hervorgezogen wor= den. Ja ich darf dreist sagen, man erdenke sich Ver- 5 suche von welcher Art man wolle; so wird man niemals im Stande sein aus farbigen Pigmenten ein weißes Pigment zusammenzusehen, das neben oder auf vollkommen reinem Schnee oder Puder nicht grau oder bräunlich erschiene.

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Übergang zur Streitfrage.

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Hier könnten wir die gegenwärtige Abhandlung schließen, weil uns nichts übrig zu sein scheint, was in der Reihe dieser Darstellungen noch weiter ab= ginge, wenn uns nicht die Frage aufgeworfen werden 15 könnte: woher denn nur die Idee, ein weißes Pigment aus farbigen Pigmenten zusammen zu sehen, ihren Ursprung genommen habe? Wir geben davon folgende Rechenschaft.

37.

Newton glaubte aus den farbigen Phänomenen, 20 welche wir bei der Refraction unter gewissen Bedingungen gewahr werden, folgern zu müssen,

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