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können, welche die prismatischen Farben so ziemlich repräsentiren: so ist das reine Weiß dagegen ein Repräsentant des Lichts, das reine Schwarz ein Repräsentant der Finsterniß, und in jenem Sinne, wie 5 wir die prismatische Erscheinung farbig nennen, ist Weiß und Schwarz keine Farbe; aber es gibt so gut ein weißes als schwarzes Pigment, mit welchem sich diese Erscheinung auf andere Körper übertragen läßt.

§ 30.

Unter den eigentlich farbigen Erscheinungen sind 10 nur zwei die uns einen ganz reinen Begriff geben, nämlich Gelb und Blau. Sie haben die besondere Eigenschaft, daß sie zusammen vermischt eine dritte Farbe hervorbringen, die wir Grün nennen.

§ 31.

Dagegen kennen wir die rothe Farbe nie in einem 15 ganz reinen Zustande: denn wir finden, daß sie sich entweder zum Gelben oder zum Blauen hinneigt.

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Von den übrigen Mischungen und Abstufungen wird erst in der Folge die Rede sein können.

Goethes Werke. II. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

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I.

Prismatische Erscheinungen
im Allgemeinen.

§ 33.

Das Prisma, ein Instrument, welches in den Morgenländern so hoch geachtet wird, daß sich der chinesische Kaiser den ausschließenden Befit desselben, 5 gleichsam als ein Majestätsrecht, vorbehält, dessen wunderbare Erscheinungen uns in der ersten Jugend auffallen, und in jedem Alter Verwunderung erregen, ein Instrument, auf dem beinahe allein die bisher angenommene Farbentheorie beruht, ist der Gegenstand, 10 mit dem wir uns zuerst beschäftigen werden.

§ 34.

Das Prisma ist allgemein bekannt, und es ist kaum nöthig zu sagen, daß solches ein länglicher gläserner Körper sei, dessen beide Endflächen aus gleichen, parallelstehenden Triangeln gebildet sind. 15 Parallele Ränder gehen rechtwinklig von den Winkeln beider Endflächen aus, verbinden diese Endflächen und bilden drei gleiche Seiten.

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Gewöhnlich sind die Dreiecke, durch welche die Gestalt des Prisma bestimmt wird, gleichseitig, und 20

folglich auch alle Winkel derselben gleich und jeder von sechzig Graden. Es sind diese zum Gebrauch ganz bequem und können bei unsern Versuchen nicht ent= behrt werden. Doch wird es auch nöthig sein solche 5 Prismen anzuwenden, deren Basis ein gleichschenkliger spigwinkliger Triangel, ohngefähr von funfzehn bis zwanzig Graden ist. Rechtwinklige und stumpfwinklige Prismen lassen wir vorerst unberührt.

$ 36.

Wenn wir ein gewöhnliches gleichseitiges Prisma 10 vor die Augen nehmen: so erscheinen uns die Gegen= stände auf eine mannichfaltige Weise gefärbt, die Erscheinung ist blendend und manchen Augen schmerzhaft; ich muß daher wünschen, daß diejenigen, welche an meinen Bemühungen Antheil nehmen möchten und 15 nicht gewohnt sind durch das Prisma zu sehen, zuerst ihr Auge daran üben, theils um sich an die Erschei= nung zu gewöhnen, theils die Verwunderung, welche die Neuheit derselben erregt, einigermaßen abzu= stumpfen. Denn sollen Versuche methodisch angestellt 20 und in einer Reihe vorgetragen werden: so ist es nöthig, daß die Seele des Beobachters aus der Zer= streuung sich sammle und von dem Staunen zur Betrachtung übergehe.

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Man nehme also zuerst das Prisma vor, betrachte 25 durch dasselbe die Gegenstände des Zimmers und der

Landschaft, man halte den Winkel durch den man sieht bald oberwärts bald unterwärts, man halte das Prisma horizontal oder vertical und man wird immer dieselbigen Erscheinungen wahrnehmen. Die Linien werden im gewissen Sinne gebogen und gefärbt sein; schmale, kleine Körper werden ganz farbig erscheinen und gleichsam farbige Strahlen von ihnen ausfahren; man wird Gelb, Roth, Grün, Blau, Violett und Pfirsichblüth bald hier und da erblicken; alle Farben werden harmoniren; man wird eine gewisse Ordnung 10 wahrnehmen, ohne sie genau bestimmen zu können, und ich wünsche daß man diese Erscheinungen so lange betrachte, bis man selbst ein Verlangen empfindet das Gesetz derselben näher einzusehen und sich aus diesem glänzenden Labyrinthe herauszufinden. Alsdann erst 15 wünschte ich, daß man zu den nachstehenden Versuchen überginge und sich gefallen ließe der Demonstration mit Aufmerksamkeit zu folgen und das was erst Spiel war zu einer ernsthaften Beschäftigung zu machen.

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II.

Besondere prismatische Versuche.

§ 38.

Ein durchsichtiger Körper kann im allgemeinen Sinne prismatisch heißen, wenn zwei Flächen desselben in einem Winkel zusammen laufen. Wir haben auch

bei einem jeden Prisma nur auf diesen Winkel, welcher gewöhnlich der brechende Winkel genannt wird, zu sehen, und es kommen bei den Versuchen, welche gegenwärtig angestellt werden, nur zwei Flächen in 5 Betracht, welche durch denselben verbunden werden. Bei einem gleichwinkligen Prisma dessen drei Flächen gleich sind, denken wir uns die eine Fläche weg oder bedecken sie mit einem schwarzen Papiere, um uns zu überzeugen, daß sie vorerst weiter keinen Einfluß hat. 10 Wir kehren bei den folgenden Versuchen den brechen= den Winkel unterwärts und wenn wir auf diese Weise die Erscheinungen genau bemerkt haben, so können wir nachher denselben hinaufwärts und auf beide Seiten kehren und die Reihe von Versuchen 15 wiederholen.

$ 39.

Mit dem auf die angezeigte Weise gerichteten Prisma beschaut der Beobachter nochmals zuerst alle Gegenstände die sich in seinem Gesichtskreise befinden. Er wird überall bunte Farben erblicken, welche gleich20 sam den Regenbogen auf mannichfaltige Weise wiederholen.

§ 40.

Er wird besonders diese Farben an horizontalen Rändern und kleinen Gegenständen am lebhafteften wahrnehmen, indem von ihnen gleichsam Strahlen 25 ausfahren und sich aufwärts und niederwärts er=

strecken. Horizontale Linien werden zugleich gefärbt

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