Page images
PDF
EPUB

57.

Die nähern Umstände und die nächste Ursache dieser Erscheinung werden uns bei den objectiven Versuchen durch den Augenschein deutlicher werden, anstatt daß wir bei subjectiven nur die Wirkung bemerken. Ich 5 beziehe mich also, was diesen Punct betrifft, auf eine dort vorzutragende Ausführung. Haben wir nun bei diesen vier Bedingungen, welche ich sammt und sonders der Aufmerksamkeit der Beobachter empfehle, mehr oder weniger zu zweifeln Ursache gehabt, ob die Re10 fraction in demselben Grade vermehrt werde, als die Farbenerscheinung zunimmt, so finden wir dagegen eine fünfte Bedingung, welche ganz unabhängig von stärkerer oder schwächerer Refraction uns eine vermehrte oder verminderte Farbenerscheinung zeigt.

15

58.

Es ist diese merkwürdige Bedingung erst in unsern Zeiten entdeckt und nach mancherlei Widerspruch endlich durch Versuche unumstößlich dargethan worden. Ich sehe mich genöthigt, die Geschichte zu Hülfe zu nehmen, um für weniger unterrichtete Liebhaber der 20 Naturlehre deutlich werden zu können.

59.

Es hatte Newton festgestellt, daß das weiße farblose Licht zusammengesezt und theilbar sei und zwar, daß solches besonders durch Refraction getheilt, gespalten, zerstreut werde. Aus dieser Lehre, welche er

durch mehrere Versuche darzuthun glaubte, folgte natürlich, daß Stärke und Schwäche der Farbenerscheinung mit der Stärke und Schwäche der Refractionskraft gleichen Schrittes gehe: denn warum sollte die Wirkung der Ursache nicht proportionirt sein? Auch 5 waren mehrere Versuche dieser Meinung günstig, wie denn z. B. Wasser eine geringere Refractionskraft und geringere Farbenerscheinung als das Glas bemerken läßt.

60.

Newton bestärkte sich in dieser Idee, welche aus seiner 10 Theorie unmittelbar folgte, durch einen Versuch, welcher beweisen sollte: daß die Farbenerscheinung niemals anders aufgehoben werden könne, als wenn durch eine entgegengesetzte Refraction zugleich die Wirkung der ersten Brechung aufgehoben würde.

61.

15

Es dauerte achtzig Jahre bis man den Irrthum und die Unzulänglichkeit des Versuches entdeckte, obgleich so viele Gelehrte und gelehrte Gesellschaften in diesem Zeitraume behaupteten: die Newtonischen Versuche wiederholt, richtig befunden und so sich von der 20 Wahrheit seiner Säße überzeugt zu haben. Endlich kam man auf einem sehr sonderbaren Wege zur Entdeckung: daß die Refractionskraft mit der Kraft die Farbenerscheinung darzustellen in keinem Verhältniß stehe, so daß ein paar Mittel einander an Refractions= 25

kraft gleich, an Kraft die Farbenerscheinung zu be= wirken ungleich sein könnten, daß der umgekehrte Fall eben so gut statt finden könne, daß man die Farbenerscheinung in einem Mittel vermehren und vermin5 dern könne, ohne daß die Refractionskraft in gleichem Grade verändert werde, daß man also nicht, wie man bisher geglaubt, sobald man die Refractionskraft eines Mittels wisse, auch nun die Stärke der Farbenerscheinung nach der bekannten Formel ausrechnen 10 könne, sondern daß man erst, wenn man durch Versuche sich mit der Refractionskraft eines Mittels be= kannt gemacht, neue Versuche anzustellen habe, um zu erforschen, welche Kraft die Farbenerscheinung mehr oder weniger darzustellen das Mittel besize, genug, 15 daß die Farben darstellende Kraft als von der Refractionskraft unabhängig angesehen werden könne.

62.

Hier wird uns nun unsere gewohnte Art Ränder durch Prismen zu betrachten sehr zu statten kommen : denn man beschaue z. B. durch ein Prisma von Flint= 20 glas, als welches die Farbenerscheinung am heftigsten hervorbringt, einen weißen Kreis auf schwarzem Grunde, und denselben gleich darauf ohne den Ort zu verändern durch ein Prisma von gemeinem Glase von gleichen Graden: so wird er im ersten Falle schon 25 ganz mit Farben überdeckt sein, da in dem zweiten die weiße Mitte noch deutlich zu erkennen ist.

Goethes Werke. II. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

14

Die fünfte Bedingung der Farbenverbreiterung ist also oberwähnte Eigenschaft der brechenden Mittel, welche von der Refraction wo nicht unabhängig doch außer allem Verhältnisse mit ihr wirkt, eine Eigenschaft, die wir übrigens noch nicht näher 5 kennen.

63.

Diese fünf Bedingungen, wodurch die Farben= erscheinung bei Gelegenheit der Refraction vermehrt wird, sind mir bisher bekannt geworden. Wie wichtig es sei sie genau zu kennen und zu beobachten, wird 10 uns erst bei der Anwendung recht deutlich werden.

Ich gehe nunmehr zu den Bedingungen über, unter welchen die Farbenerscheinung vermindert wird.

Unter welchen Bedingungen, bei fortdauernder Begränzung des Gegenstandes, 1 der Grad der Farbenerscheinungen vermindert wird.

64.

15

Zuerst ist offenbar, daß man die fünf in dem vorigen Abschnitte angezeigten Bedingungen der Vermehrung unserer Farbenerscheinung nur stufenweise 20 aufheben oder rückgängig machen dürfe, um auch die Farbenerscheinungen auf eben dem Wege wieder zu

vermindern wie wir sie vermehrt haben. So darf man also nur auf das brechende parallele Mittel unter einem Winkel von mehreren Graden sehen, man darf den Winkel des Prismas vermindern, man 5 darf von der Dicke des parallelen Mittels etwas hinwegnehmen, sich mit dem Prisma vor'm Auge dem Gegenstande nähern, oder durch chemische Vermischung die Kraft der Farbenerscheinung in dem Mittel schwächen; so wird jederzeit unter übrigens gleichen 10 Umständen der Grad der Farbenerscheinung verringert zu bemerken sein. Es sind aber noch einige Mittel übrig den Grad der Farbenerscheinung zu verringern, welche ich jedoch, um des Zusammenhangs willen und um mich nicht zu wiederholen erst in dem folgen15 den Abschnitt, zu welchem ich sogleich übergehe, vor= zutragen für räthlich finde.

Unter welchen Bedingungen, bei fortdauernder Begränzung des Gegenstandes, die Farbenerscheinung gänzlich aufgehoben wird.

65.

Wir hatten uns in dem ersten Abschnitte überzeugt, daß Refraction an und für sich keine Farben= erscheinung hervorbringe, wir hatten zu Anfange des

[blocks in formation]
« PreviousContinue »