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zuhalten haben 11, und zwar um so mehr, als er zweifellos auch seine volle Berechtigung hat. So verschieden die Urteile über die Bedeutung und die Ergebnisse der ersten Haager Konferenz auch sonst lauten mögen, in einem Punkte stimmen Optimisten und Pessimisten völlig überein, nämlich darin, dafs die wesentliche Bedeutung der Konferenz nicht in dem zu suchen ist, was sie über die „kriegsrechtlichen" Materien oder gar über die Abrüstung verhandelt hat, sondern dafs sie in dem „friedensrechtlichen" Teil der Beschlüsse gelegen ist 12. Daher verdient die Konferenz den Namen Friedenskonferenz" auch sachlich ohne weiteres.

Für jeden, der weifs, was die erste Konferenz geschaffen hat, mufste es nun aber ohne weiteres klar sein, dafs auch die künftigen Haager Konferenzen Friedenskonferenzen" sein werden, dafs ihre Aufgabe, ihre Mission auf demselben Gebiete gelegen ist, wie die der ersten Konferenz, und dafs sich ihr Programm daher unmöglich in kriegsrechtlichen Materien erschöpfen konnte. Da man die bevorstehende zweite Konferenz auch allgemein als eine „Friedenskonferenz" ankündigte, hätte man sich also doch auch die Frage vorlegen

11 Vgl. auch Meurer, a. a. O. S. 31: „Eine besondere Zauberkraft hatte die Bezeichnung,Friedenskonferenz'. Wie der Präsident v. Staal in der zweiten Plenarsitzung feststellte, hatte der Volksinstinkt den Namen aufgebracht und die Regierungen waren darin nur gefolgt. Schon in der Eröffnungsrede des Staatsministers v. Beaufort begegnet uns diese Bezeichnung; und an der Spitze des Glückwunschtelegramms an den Zaren nannte sich schon die Konferenz selbst eine ,Conférence de la Paix'. Und Beernaert, der Präsident der ersten Kommission, feierte bereits in seiner Eröffnungsrede den,schönen' Namen: Friedenskonferenz. Das Wort ging dann auch in die Verhandlungen sowie in die Beschlüsse und Abkommen über. Die Haager Konferenz heifst darnach technisch für alle Zeiten die Friedenskonferenz."

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12 Zorn dürfte mit seiner Behauptung, dafs die Bezeichnung „Friedenskonferenz" deshalb ungeeignet sei, weil die unbestreitbaren und bedeutsamen Erfolge" der Konferenz nach der Richtung des Krieges lagen, wohl gänzlich allein stehen. Vergl. z. B. Meurer, a. a. O. S. 34: „Hiernach war die Friedensaufgabe der hauptsächlichste Inhalt der Haager Konferenzarbeiten."

sollen, worin denn das „Friedensprogramm" dieser Konferenz eigentlich bestehe. Dafs die Fortbildung ihres bedeutsamsten Werkes, der Haager Konvention für die friedliche Erledigung von internationalen Streitigkeiten, mit in dieses Programm gehöre, mufste jedem Einsichtigen als selbstverständlich erscheinen 18. Die Presse schien sich aber trotzdem dieser Tatsache nicht bewufst zu sein.

Die inzwischen ergangene russische Einladung zu der zweiten Haager Konferenz hat ja nun einigermassen Klarheit geschaffen. Sie führt als ersten Programmpunkt auf: Die Vervollkommnung der Bestimmungen der Konvention über die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten in denjenigen Teilen, die den Schiedsgerichtshof und die internationalen Untersuchungskommissionen betreffen.

Damit darf also als feststehend angenommen werden, dafs die zweite Konferenz keineswegs nur eine „Kriegsrechtskonferenz" sein wird. Sie wird vielmehr in der Tat nicht. nur dem Namen nach, sondern auch in ihren Arbeiten ebenfalls wieder eine „Friedensrechtskonferenz" werden und sich mit der Fortbildung des völkerrechtlichen Verfahrens als einem wesentlichen Teile ihres Programms befassen.

Hoffen wir also, dafs die Erkenntnis von der Bedeutung des zu lösenden Problems, das zu lösen speziell als eine Aufgabe der Haager Friedenskonferenzen erscheint, wie in der Wissenschaft und in den Kreisen der Staatsmänner, so auch in der Presse und in weiteren Kreisen immer mehr Platz greifen möge.

13 Das betont auch Lammasch, „Die Fortbildung des internationalen Schiedsgerichts seit der Haager Konferenz" in der „Deutschen Revue", a. a. O.: „Allerdings hat es den Anschein, als ob die nächste Konferenz sich mehr mit der Regelung der Fragen des Kriegsrechtes, als mit jenen der Friedensbewahrung beschäftigen sollte. Gewifs wird sie aber auch an der bedeutsamsten Schöpfung ihrer Vorgängerin nicht achtlos vorübergehen können, sondern auch diese in organischer Weise weiterzubilden sich bemühen."

Im übrigen bin ich mir aber wohl bewufst, dafs ein solcher allgemeiner Hinweis keineswegs genügen würde, um überall in mafsgebenden und nicht mafsgebenden Kreisen die Bedeutung der zu lösenden Aufgabe voll zum Bewusstsein zu bringen. Gerade das Gefühl von der Notwendigkeit, hier etwas tiefer zu graben, ist es ja gewesen, das mir die Feder zu der folgenden Untersuchung in die Hand gedrückt hat. Nur auf dem allgemeinen Hintergrunde der Aufgaben, die das moderne internationale Leben überhaupt an die Völkerrechtswissenschaft und an die Staaten stellt, wird man unser Problem, wird man die Aufgaben der Haager Konferenzen richtig verstehen und würdigen lernen.

Zu diesem Zwecke dürfte es nun in erster Linie notWendig sein, sich den Charakter des Völkerrechts in seiner heutigen, modernen Gestaltung einmal kurz zu vergegenwärtigen. Man wird sich ferner die Frage nach dem eigentlichen Charakter der Streitigkeiten, die heute zwischen zivilisierten Staaten entstehen, vorzulegen haben, um dann daran das Verfahren zu messen, das das positive Völkerrecht zur Schlichtung dieser Streitigkeiten bereit hält. So dürfte sich am leichtesten die Antwort auf die Frage ergeben, ob und inwieweit dieses völkerrechtliche Verfahren den Bedürfnissen des heutigen internationalen Lebens zu entsprechen geeignet ist und ob und inwieweit dieses letztere Anforderungen stellt an eine Fortbildung des Verfahrens.

Die Aufgaben, die das Völkerrecht hier zweifellos zu erfüllen hat, rufen von selbst danach, ferner auch einen Seitenblick zu tun auf den Stand der Völkerrechtstheorie und sich zu fragen, inwieweit denn die Wissenschaft die Staaten auf die zu lösenden Aufgaben vorbereitet hat.

An der Hand des gewonnenen Materials wird es dann wesentlich leichter sein, die Richtungen zu erkennen, in denen sich die weitere Entwicklung des völkerrechtlichen Verfahrens Voraussichtlich bewegen dürfte, und im Anschlusse daran Nippold, Verfahren.

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auch die Vorschläge zu prüfen, die man speziell der bevorstehenden zweiten Völkerrechtskonferenz zu unterbreiten beabsichtigt.

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Man darf, wie ich schon betont habe, meines Erachtens der kommenden Entwicklung mit Zuversicht entgegensehen. Wir stehen in unserer Materie heute unter dem Zeichen des Fortschreitens. Mag daher die einzelne Konferenz viel oder wenig bringen, so wird doch unter allen Umständen jede weitere von ihnen einen Schritt vorwärts bedeuten für die internationale Rechtsentwicklung. Und so darf man denn auch dem Zusammentreten der zweiten Friedenskonferenz mit Erwartung entgegensehen. Sie wird zweifellos, ebenso wie ihre Vorgängerin, sich ihrer hohen Mission bewusst und bemüht sein, ihre Aufgabe nach Kräften zu lösen.

Möchte der vorliegende bescheidene Versuch, auf einige dabei wesentlich in Betracht kommende Gesichtspunkte hinzuweisen, dazu beitragen, die Diskussion über diese Fragen anzuregen und in Flufs zu bringen. Dann wird sein Zweck erreicht sein. Da mich lediglich sachliche Motive leiteten, fürchte ich auch das Mifsfallen derjenigen nicht, die der Fortentwicklung unserer Materie von vornherein feindlich gegenüberstehen. Ich weifs wohl, dafs ein gewisser Freimut dazu gehört, um seiner wissenschaftlichen Überzeugung über völkerrechtliche Fragen Ausdruck zu geben, und zwar da erst recht, wo das völkerrechtliche Verfahren in Frage kommt. Das soll mich aber nicht hindern, Bekenntnis abzulegen. Da, wo man das Gefühl hat, Hand an eine offene Wunde zu legen, mufs man sich frei äufsern, selbst auf die Gefahr hin, nicht bei jedermann Beifall zu finden. Und im klassischen Lande der Schiedsgerichte vor allem bin ich sicher, dafs man ein freies Wort über das Schiedsgericht auch gerne entgegennehmen wird.

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Bern, im Oktober 1906.

O. N.

Erstes Kapitel.

Das Völkerrecht.

§ 1. Der Inhalt des alten und des neuen Völkerrechts.

Es läfst sich nicht leugnen, dafs man sich bisher weder in der Theorie noch in der Praxis der Tatsache in vollem Mafse bewufst geworden ist, dafs in den letzten Jahrzehnten allmählich ein neues Völkerrecht herangewachsen ist, das an Bedeutung und Umfang das alte vielleicht schon heute übertreffen dürfte. Wenn es auch an Stimmen nicht gefehlt hat, die die neuere Entwicklung nach Gebühr gewürdigt haben die richtigen Konsequenzen aus der stattgehabten Wandlung hat man meines Erachtens doch noch nicht zu ziehen unternommen.

Wenn wir uns nun hier in Kürze über den Charakter dieses neueren Völkerrechts, im Gegensatz zu demjenigen der älteren Zeit, Rechenschaft ablegen wollen, so müssen wir zweifellos an die zum Abschlufs gelangten Staatsverträge anknüpfen. Denn diese sind nicht nur eine der Formen, in denen sich uns die internationalen Rechtsschöpfungen der Gegenwart offenbaren: wir dürfen sogar getrost sagen, dafs sie die einzige sichtbar, lebendig fliefsende Quelle des internationalen Rechts sind. Die moderne internationale Rechtsentwicklung vollzieht sich zumeist in der Form des Abschlusses von Staatsverträgen 1. Man kann unmöglich die Tatsache

1 Dafs die Staatsverträge Rechtsquelle sind, wird heute kaum noch bestritten. Die Tatsachen sprechen in dieser Beziehung zu deutlich.

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