Page images
PDF
EPUB

Fünftes Kapitel. Die Völkerrechtskonferenzen.

Seite

480

§ 20. Die Aufgaben der künftigen Völkerrechtskonferenzen. . 480 § 21. Kritik der Vorschläge für die zweite Haager Friedenskonferenz

Schlufs.

§ 22. Resultat und Ausblick

526

601

601

[merged small][ocr errors][ocr errors][merged small]

I. Die Haager Konvention für die friedliche Erledigung
internationaler Streitigkeiten

608

II. Der russische Entwurf einer Konvention nebst den russi-
schen Noten und den Vorschlägen des „Comité d'examen“
III. Verzeichnis der Schiedsverträge.

627

645

IV. Botschaft des Schweizerischen Bundesrats zu den von
der Schweiz abgeschlossenen Schiedsverträgen.

652

V. Einladung und Programm für die zweite Haager Friedens-
konferenz

656

VI. Die Entwicklung der Haager Konventionen. Vortrag von
Nationalrat Dr. Gobat im Nobelinstitut.

659

Einleitung.

Kein Zweifel, dafs das Völkerrecht gegenwärtig eine Periode der Neu- und Umbildung durchmacht.

Diese Tatsache rechtfertigt es wohl schon an sich, dafs man auch die Fortbildung des völkerrechtlichen Verfahrens einer Erörterung unterzieht. Entwicklungs- und Übergangszeiten eignen sich wenig für eine dogmatische Behandlung der davon betroffenen Materien. Ich bin gewifs auch der Meinung, dafs eine wissenschaftliche Darstellung des geltenden Rechts auf dem hier in Frage stehenden Gebiete dringend not täte. Wir stehen da vor einer gewaltigen Lücke, es fehlt geradezu noch an den Grundlagen einer wissenschaftlichen Behandlung des Rechtsstoffes. Insbesondere das Recht der Haager Konvention ist wissenschaftlich überhaupt noch gar nicht durchgearbeitet worden. Auch das Meurersche Buch bedeutet in dieser Beziehung keine Ausnahme. So dankenswert es ist, dafs Meurer einen Anfang gemacht und die Aufmerksamkeit weiterer Kreise diesem Rechtsstoffe zugewandt hat, so liegt doch das Verdienst seiner Arbeit — wie er selbst sagt hauptsächlich in der systematischen Bereitstellung des Stoffes. Ihre Bedeutung liegt mehr in der rechtshistorischen, als in der dogmatischen Behandlung des Gebietes. Die kritischen Ergebnisse der Arbeit sind nur sehr geringfügige. So darf man denn sagen, dafs in der Tat in

1

Meurer, Die Haager Friedenskonferenz. I. Bd.: Das Friedensrecht der Haager Konferenz. 1905.

Nippold, Verfahren.

1

unserer Materie vielleicht noch mehr als in den meisten anderen Rechtsgebieten zunächst ein dringendes Bedürfnis nach einer Bearbeitung des geltenden Rechtes vorliegt.

Trotzdem habe ich geglaubt, über diese Lücke hinwegsehen und mich mit der Frage der Fortbildung dieses Rechtsgebietes befassen zu sollen. Der gegenwärtige Zeitpunkt schien mir, wie gesagt, für eine dogmatische Behandlung des Rechtsstoffes denn doch wieder wenig günstig zu sein. Die Entwicklung ist gegenwärtig zweifellos noch nicht bei einem Abschlusse angelangt. Sodann aber schien es mir namentlich im Hinblick auf die bevorstehende zweite Haager Friedenskonferenz angezeigt zu sein, die Frage der Fortbildung des völkerrechtlichen Verfahrens gerade jetzt etwas zu beleuchten. Wäre eine dogmatische Behandlung des Völkerprozefsrechts auch zweifellos die dankbarere Aufgabe gewesen, so erschien mir anderseits eine Beschäftigung mit der Frage der Fortbildung dieses Rechtsteils dafür als die zurzeit nötigere, die dringlichere Arbeit. So habe ich mich denn entschlossen, trotz der mir selbst nur allzu fühlbar gewordenen Lücken in unserer Völkerrechtsliteratur, die an sich näherliegende Aufgabe zunächst beiseite zu lassen und gewissermassen vorgreifend mich den Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des gegenwärtig noch in seinen Anfängen. liegenden völkerrechtlichen Verfahrens zuzuwenden.

Die Neigung der Rechtswissenschaft, speziell der deutschen, sich mit den Fragen der Fortbildung des Rechts zu befassen, ist keine übermäfsig grofse. Im Völkerrecht vielleicht noch weniger wie anderswo. Um so mehr mufs man es begrüfsen, wenn ein Mann wie Kohler neuerdings auch auf diese Aufgabe hinweist und betont, dafs wir neben der Aufgabe einer Aufzeichnung und wissenschaftlichen Gestaltung der geltenden Normen auch an der Fortbildung des Rechts zu arbeiten.

2 In der Einführung der neuen Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht", Breslau, 1906.

und insbesondere dahin zu wirken haben, dafs Einrichtungen des Völkerfriedens: regelmäfsig aufeinanderfolgende Zusammenkünfte, Vereinbarungen und Schiedsgerichte eine immer festere Wesenheit annehmen.

Hoffen wir, dafs diese Mahnung Früchte tragen werde. Bisher hat speziell die deutsche Völkerrechtsliteratur diesen letzteren Fragen nur ein sehr bedingtes Interesse geschenkt. So kommt es, dafs die hervorragenden Arbeiten auf diesem Gebiete fast sämtlich anderen Ländern ihren Ursprung verdanken. Namentlich die französische Literatur bekundet ein weit gröfseres Interesse für den Völkerrechtsfortschritt.

Trotzdem alles in unserer Materie darauf hindeutet, dafs wir in einer Zeit der Bewegung, des Vorwärtsschreitens leben, trotzdem wir die Staaten bei den Arbeiten für die Weiterentwicklung des Völkerrechts vereinigt sehen, und trotzdem gerade die vorsichtige Art ihres Vorgehens gleichzeitig auch den besten Beweis ablegt für den Ernst ihrer Absichten und ihres Wollens, hüllt sich die Wissenschaft noch vielfach in Schweigen. Sie begnügt sich damit, gewissenhaft Buch zu führen über die Geschehnisse des politischen und rechtlichen Lebens. Aber sie wagt es nicht, einen Blick nach vorwärts zu tun. Sie kritisiert nicht einmal die Ergebnisse der Arbeiten der Staatsmänner und Diplomaten. Kurz, sie bekundet eine offenbare Unlust, sich mit der Fortbildung des Völkerrechts zu befassen. Und namentlich das völkerrechtliche Verfahren ist ein Gebiet, an dem insbesondere die deutsche Völkerrechtswissenschaft bisher mit Vorliebe vorübergegangen ist.

Die Folgen dieser Vernachlässigung sind nicht ausgeblieben. Da die Juristen, da die Völkerrechtswissenschaft versagte, haben sich andere der Sache angenommen. Der Rechtsfortschritt hat den Friedensfreunden" viel zu verdanken, mehr als man es heute in weiteren Kreisen wahr haben will. Wer kann sich darüber wundern, dafs es dabei auch an Übertreibungen nicht gefehlt hat, dafs auch manche

unrealisierbare Pläne ausgeheckt worden sind? Die Rechtswissenschaft sicherlich am allerwenigsten, denn sie hat es ja versäumt, ihres Führeramtes zu walten. Hätte sie sich auch der Fortbildung des Rechtes beizeiten angenommen, dann stünde es heute vielleicht nicht nur um das Völkerrecht, sondern auch um die Politik etwas anders, und dann hätte vielleicht auch die Friedensfrage" nicht diese akute Form angenommen, die sie heute nun einmal hat und die sie nicht wieder abstreifen wird.

[ocr errors]
[ocr errors]

Wenn aber auf diese Weise die „Friedensfrage" heute in den Vordergrund, die Rechtsfrage" dagegen zurückgetreten ist, so darf das die Rechtswissenschaft nicht etwa abhalten, diesen Problemen, wenn auch verspätet, doch ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Denn im Grunde handelt es sich eben doch um ein juristisches Problem, dessen Lösung eine Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, die erstrebt werden müfste, selbst wenn es keine „Friedensfrage" gäbe. Die Völkerrechtswissenschaft mufs nun einmal zu den auf der Tagesordnung stehenden rechtlichen Problemen Stellung nehmen. Die Fragen, die sich hier ergeben, verlangen eine wissenschaftliche Erörterung.

Und zwar verlangen sie diese Behandlung auch ganz unabhängig davon, ob etwa die zeitgenössischen Politiker und Diplomaten zu einer Berücksichtigung der Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Forschung geneigt scheinen oder nicht. Die Wissenschaft darf ihre eigenen Wege gehen. Sie mufs es den Staatsmännern überlassen, ob und wann sie ihr dabei folgen wollen. Denn sie hat vielfach andere Ausgangspunkte und Aufgaben, als diese letzteren. Sie mufs namentlich die Ent

3 Schlief, „Der Friede in Europa, eine völkerrechtlich-politische Studie", 1892, S. 470, hat recht, wenn er sagt: „Es ist streng begrifflich nur ein juristisches Problem und mufs als solches eine Lösung finden, wenn man überhaupt die unabweisbaren Schlufsfolgerungen aus dem Rechtsbegriffe an sich zu ziehen unternimmt."

« PreviousContinue »