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nicht mehr, als nöthig war, verzögerten. Gut Ding muß Weile haben. Noch lange Zeit muß das Schiff der Rechtswissenschaft in der erwünschten Richtung steuern, und auf dem Boden eines neuen, einheitlichen Gesetzbuches wird es besser diesen Kurs innehalten können, als in dem alten Wirrwarr, in dessen zahllosen Schlupfwinkeln Spitfindigkeit und Wortklauberei ihren Lieblingssit haben. 180) Was uns schon jetzt eint, ist die deutsche Rechtswissenschaft, und sie wird auch in Zukunft die Ansichten der Juristenwelt nicht durch Zweideutigkeiten des Gesetzbuches auseinandersprengen lassen.

Darum meint der Verfasser, daß der Entwurf zum Geseze erhoben werden soll; am liebsten in verbesserter Gestalt, aber im Nothfalle auch ohne eine solche, am liebsten ohne eine ausdrückliche Anerkennung des Willensdogmas, schlimmsten Falls aber auch mit ihr. Ueber lang oder kurz muß dieses Dogma doch zu Grunde gehen, und seine Gegner werden auch unter der Herrschaft des neuen Gesetzbuchs im Streite nicht erlahmen. 181)

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Zu guter Lezt möchte sich der Verfasser noch gegen den Verdacht verwahren, als ob seine Bekämpfung des Willensdogmas einen Vorwurf gegen die Hersteller des Entwurfs enthalten sollte. Diese konnten wohl nichts Anderes thun, als diese unhaltbare Lehre vorläufig anzunehmen. Die Wissenschaft ist eben eine Größe, deren Inhalt unausgeseßten Aenderungen unterworfen ist. Als der allgemeine Theil" des Entwurfs endgültig festgesetzt wurde, stand, wenigstens in der Theorie, auf deren Beihülfe der Gesetzgeber hinsichtlich seiner allgemeinen Formeln angewiesen war, das Willensdogma unangefochten da. Der Protest Bähr's ging, wie wir oben sahen, damals noch zu weit und konnte nicht beachtet werden, entbehrte auch der Begründung aus den Quellen. Gerade erst in den letzten Jahren seit jener Zeit ist eine lebhafte Bewegung in der Vertragslehre entstanden. Der Inhalt dieser Bewegung konnte bei der

180) Bähr, Krit. V.J.Schr. Bd. 31 S. 371, sieht viel zu schwarz und beurtheilt namentlich die Literatur des Civilprocesses viel zu streng. Soweit unsere Wissenschaft noch an Verworrenheit leidet, wird sie sich schließlich doch zur Klarheit durcharbeiten müssen. Der Zug unserer Zeit strebt nach Deutlichkeit, Anschaulichkeit und Gemeinfaßlichkeit. Von ihm wird auch unsere Rechtslehre von Tage zu Tage im besten Sinne mehr und mehr erfaßt, und gerade deshalb darf ihr auch das neue Gesetzbuch anvertraut werden.

181) Vgl. auch Bekker, System und Sprache des Entwurfs, Berlin u. Leipzig 1888, S. 82, v. Liszt, die Grenzgebiete zwischen Privatrecht und Strafrecht, Berlin u. Leipzig 1889, S. 45.

ersten Lesung nicht mehr beachtet werden, da sie zum größten Theile erst nach dem Actenschlusse sich ereignete. Jeht, in zweiter Instanz, muß man zu ihren Gunsten ein beneficium novorum in Anspruch nehmen.

Jedenfalls können die Gegner des Willensdogmas in dem Vertrauen auf die Lebenskraft ihrer Lehre jeder, auch einer ungünstigen Entscheidung in der großen Proceßsache Einzelwille contra Verkehrsgebrauch" mit Ruhe entgegensehen.

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XXIV.

Gutachten des Herrn Rechtsanwalt Dr. Max Hachenburg zu Mannheim

über die Frage:

Ist die im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches angenommene Behandlung der Pertinenzen zu billigen, oder eine Abänderung derselben wünschenswerth, und in welchem Sinne?

I.

Ein Gegensaß, der in der jüngsten Zeit bei den Besprechungen über das künftige Civilrecht des Deutschen Reiches oft betont wurde, der Gegensatz zwischen römischem und deutschem Rechte, ist auch bei der hier vorliegenden Materie der Pertinenzen unverkennbar. Nicht als ob sich zwei Systeme schroff gegenüberstünden; aber es sind zwei Strömungen vorhanden, eine ausdehnende und eine einengende, die historisch und quellenmäßig auf jene beiden Grundlagen zurückgehen. Wie auch die Motive (III S. 66) anerkennen, zieht sich durch das heutige Recht „ein Zwiespalt, dessen Beseitigung im Interesse der Rechtseinheit unerläßlich ist". Gemeines Recht und Particularrecht stehen sich gegenüber, und das moderne wirthschaftliche Leben drängt dazu, die particularrechtliche Idee zur reichsrechtlichen zu machen.

Ob die Römer überhaupt einen dem heutigen entsprechenden Pertinenzbegriff hatten, wird bezweifelt'); jedenfalls sind die Normen des corpus juris, die hierauf bezogen werden, nur unvollständige Keime; zur Ent= faltung des Begriffes, wie er sich heute gestaltete, fehlte das wirth

1) Goeppert, Ueber die organischen Erzeugnisse. (1869) S. 55 ff., 58.

schaftliche Bedürfniß,2) fehlte auch, was beim Deutschen Rechte von so tiefgreifendem Einflusse war, die scharfe Trennung von Mobilie und Liegenschaft und ihren Rechten.

Die Zubehör im heutigen Sinne und der Sachbestandtheil figuriren unter gemeinsamem Namen als pars fundi, pars oder portio aedium3). Mag dies nur bedeutet haben, daß gewisse Kleinigkeiten als „Zugaben“ mit in den Kauf gingen,) oder daß zwar ein sachlicher Zusammenhang bestand, dieser aber mangels Interesses daran nicht deutlich erfaßt und hervorgehoben wurde, jedenfalls hatte die gemeinrechtliche Wissenschaft kein festes römisches Fundament, auf dem sie aufbauen konnte. Daher zunächst das Zusammenwerfen von Sachbestandtheil und Pertinenz, also völliger Anschluß an die römische Lehre 5). Dann arbeitet sich, von deutschrechtlichen Ideen nicht unbeeinflußt, der Gegensatz von Sachtheil und Zubehör heraus, allerdings mit oft kühnen Versuchen, das denselben bedingende und begründende Moment zu treffen ®). Die Angriffe Goeppert's, dessen Untersuchung in den Worten gipfelt: „in der That halte ich die ganze heutige Lehre von den Pertinenzen für unbegründet“, ') und dessen Polemik und Kritik vom rein römischen Standpunkte aus nicht unberechtigt war, vermochte den einmal anerkannten Pertinenzbegriff nicht mehr zu erschüttern. Stets aber, und hier zeigt sich der nicht zu beseitigende Einfluß der Pandektenstellen, ist der Umfang ein be= schränkter. Aus den vorhandenen Stellen konnte der Begriff inhaltlich, so wie er heute in Lehrbüchern und Urtheilen figurirt, entnommen werden. Der Umkreis bleibt stets ein fest gegebener, über den nur ein kühner Sprung hinausführt. „Pertinenzen, sagt Windscheid, sind solche Sachen, welche, ohne Bestandtheil einer anderen Sache zu sein, zu einer anderen Sache in einem solchen Verhältnisse stehen, daß sie nach der Verkehrsauffassung als in dieser Sache begriffen angesehen werden“, also eine

2) Kohler, Zur Lehre von den Pertinenzen, in Jhering's Jahrb. Bd. 26 S. 23 ff.

3) fr. 32, fr. 91 § 4 D. leg. III (32) fr. 33 D. a. e. v. (19,1), fr. 49 D. de c. e. (18,1), fr. 3 § 1 D. de trit. (33,6), fr. 12 § 23 D. de instr. leg. (33,7) u. s. w.

4) Goeppert S. 71.

5) So noch Glück, Pandekten II S. 524 ff., Thibaut, Pandekten § 172. 6) Kierulff, Theorie des gem. Civilrechts I S. 330 ff., Waechter, Württemb. Privatrecht II S. 246, Unger, Desterr. Privatrecht I S. 428 ff., Girtanner in Jhering's Jahrb. III S. 105, Windscheid, Pandektenr. I § 143 (6. Aufl. S. 461). 7) a. a. D. S. 58.

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Definition dem Worte nach ziemlich ähnlich der der modernen Gesetze und auch der des Entwurfs. Aber in der Einzelausführung bleibt der Pertinenzcatalog der von den Römern überlieferte; die zur Bewirthschaftung eines Grundstückes, zur Ausübung eines Gewerbes dienenden Hilfssachen, Maschinen u. dergl., sind nie Zubehör); in keiner Weise verlieren sie ihre Selbständigkeit.

Hier aber zeigt sich gerade der Gegensatz zum deutschen Rechte; nicht in der formalen Begriffsbestimmung liegt er, in der Auffassung vom Wesen der Zubehör, sondern in dem Umfang, der den Zubehörden gegeben wird. Wo die particulare Gesetzgebung eine Definirung enthält, lautet sie ähnlich wie die des gemeinen Rechtes. So sagt das preußische A.L.R. (I, 2 § 42): „Eine Sache, welche zwar für sich bestehen kann, die aber mit einer anderen Sache in fortwährende Verbindung gesezt worden, wird ein Zubehör oder Pertinenzstück derselben genannt."9) Noch mehr pan= dekten-ähnlich das sächsische B.G.B. (§ 65): „Als Zubehörungen einer Sache werden Sachen angesehen, welche ohne Bestandtheile zu sein, zu fort= dauerndem Gebrauche bei ihr bestimmt und entweder körperlich mit ihr verbunden oder in das zu diesem Gebrauche erforderliche Verhältniß gebracht sind." Das österr. B.G.B. (§§ 293, 294) und der code civil (a. a. 524, 525), die keine directe Definirung geben, kommen in ihren Regeln doch auf dasselbe begriffliche Verhältniß 1) hinaus; sie nähern sich der früheren gemeinrechtlichen Auffassung durch den Mangel der scharfen Trennung von den Sachbestandtheilen 11). Beide, gemein wie particularrechtliche Vorschriften stimmen darin überein, daß sie der Hauptsache eine Hilfssache" beifügen, die rechtlich mit jener vereinigt ist, ohne es körperlich zu sein, daß sie eine besondere rechtliche Beziehung beider anerkennen, das Pertinenzverhältniß. Sie trennen sich aber dann, sobald es sich fragt, wann jenes Verhältniß gegeben ist, welche Objecte zu einem anderen in die pertinenziale Beziehung treten können. Hier zeigt die deutsche und ihr folgend die moderne Rechtsanschauung eine weitgehende

8) Windscheid a. a. D. Note 6 S. 463, Kohler, S. 147 u. die daselbst Citirten.

9) Förster-Eccius,

Theorie und Praxis des heutigen preußischen Privatrechts, 4. Aufl. I. 1881 S. 123 ff.

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10) S. österr. B.G.B. § 294: die der Eigenthümer zum fortdauernden Gebrauche der Hauptsache bestimmt hat“, code civil S. 524: que le propriétaire d'un fond y a placés pour le service et l'exploitation de ce fond.

11) Unger, Desterr. Privatrecht S. 440, Stabel, Institutionen des französ. Civilrechts S. 104, Laurent, principes du droit civil t. V No. 460 ff.

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