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verstehe, welcher nicht betreffe Art, Object oder Subject des Geschäfts, welcher mit anderen Worten in einer falschen Vorstellung von Thatsachen beruhe, die außerhalb des Inhalts des concreten Rechtsgeschäfts liegen." Dieselbe Grenze zieht u. A. Dernburg, Pandekten I § 94 S. 215, indem er ausführt: „Vorgedanken, welche den Abschluß veranlassen, deren Verwirklichung aber für das Geschäft nicht essentiell ist, nennt man Beweggründe oder Motive. Das Kriterium ist also ein negatives. Ueber das Motiv hinaus geht alles, was dem Geschäfte seinem Begriffe nach essentiell ist, und was durch den Willen der Betheiligten zum Essentiale erhoben ist. Hierfür ist eine ausdrückliche Hervorhebung keineswegs immer erfordert. Als essentiell für die Betheiligten ist vielmehr auch das zu erachten, was nach der Verkehrsanschauung im regelmäßigen Verlaufe der Dinge bei Geschäften solcher Art als essentiell gilt." (Dernburg führt als Beispiel die Unterstellung der Zahlungsfähigkeit bei einer Crediteröffnung an, welche in § 458 des Entwurfes durch die Vorschrift Berücksichtigung gefunden hat, daß der Vertrag, durch welchen die Hingabe eines Darlehns versprochen wird, im Zweifel als unter dem Vorbehalte geschlossen anzusehen ist, daß der Versprechende befugt sei, von dem Vertrage zurückzutreten, wenn die Vermögensverhältnisse des anderen Theiles vor der Darleihung eine wesentliche, den Rückerstattungsanspruch gefährdende Verschlechterung erfahren.) Für die regelmäßige Einflußlosigkeit des Irrthums in den Beweggründen darf hier auf Savigny, System III § 115 und Beilage VIII Nummer X, sowie Windscheid, Pandekten I § 78 Bezug genommen werden.

In dem ursprünglichen Entwurfe fehlte eine dem jeßigen § 102 entsprechende Vorschrift. Wohl aber war ein § 105 folgenden Inhalts vorgeschlagen: „Irrt sich bei Verträgen der eine Vertragschließende zu seinem Nachtheile über solche Eigenschaften des Leistungsgegenstandes, vermöge deren derselbe nach den im Verkehre herrschenden Begriffen zu einer anderen Gattung oder Art gehören würde, so ist der Vertrag zu Gunsten des Irrenden anfechtbar. Die Anfechtung erfolgt durch eine dem anderen Vertragstheile gegenüber abzugebende Willenserklärung. Die Rückforderung dessen, was die Parteien in Folge des anfechtbaren Vertrags einander geleistet haben, richtet sich nach Buch III Abschnitt II Titel 8 § 24 mit der Maßgabe, daß zu Gunsten des Anfechtungsgegners auch § 17 desselben Titels entsprechende Anwendung findet." Allein diese Vorschrift wurde gestrichen. Ausweislich der Motive zu § 98 S. 199 waren hierfür folgende Erwägungen maßgebend: Irrthum in den Gattungseigenschaften sei Irrthum in den Motiven, schließe mithin

an sich die Willenswirklichkeit nicht aus. Das letztere gleichwohl zu bèstimmen oder die Willensbeeinflussung als Anfechtungsgrund zu behandeln, fehle es an genügenden Gründen. Soweit ein Bedürfniß, den Irrenden zu schüßen, wirklich vorliege, werde schon durch die demselben zur Seite stehenden sonstigen Rechtsbehelfe vorgesorgt. Insbesondere kämen in dieser Beziehung in Betracht die Vorschriften über die GewährLeistung für dicta et promissa, für Fehler und Mängel, bezw. für das Fehlen der gewöhnlich vorausgeseßten Eigenschaften, über die actio redhibitoria und über die Anfechtung wegen Betrugs, mangelnder Voraussehung u. s. w." (Vgl. Savigny a. a. D. Beilage VIII Nummer XI, Windscheid § 78 Anm. 3.) Außerdem mochte für die Streichung die Besorgniß maßgebend sein, daß eine solche Vorschrift bei der Unmöglichkeit, die Kriterien ihrer Anwendbarkeit mit genügender Deutlichkeit zu be= stimmen, zu vielen Streitigkeiten Anlaß geben müsse. Statt dessen hielt man nach dem Vorgange der Mehrzahl der Gesetzeswerke zur Verdeutlichung der regelmäßigen Unerheblichkeit des echten Irrthums oder des Irrthums in den Motiven einen ausdrücklichen Ausspruch für angezeigt, daß der Irrthum in den Motiven, soweit das Gesetz nicht ein Anderes bestimme, unbeachtlich sei. Diese Vorschrift empfiehlt sich zur Klarlegung, daß bezüglich der Beweggründe, als des unwesentlichen Bestandtheils des Vertrags, eine Ausnahme von dem in § 98 anerkannten Willensdogma einzutreten hat; sie ist nicht nur nicht überflüssig, vielmehr zur besseren Begrenzung des Willensdogmas nicht zu entbehren. Die Grenze in einer festen, jeden Fall einschließenden Weise zu bestimmen, war für das Geset nicht möglich, dies durfte und mußte der Wissenschaft und der Rechtsanwendung überlassen werden. Die Fälle, in welchen nach gesetzlicher Bestimmung der Irrthum in den Beweggründen unter gewissen Voraussetzungen Berücksichtigung findet, sind in den Motiven zu § 102 aufgezählt. Denselben ist in beschränktem Maße auch der § 1259 (An= fechtung der Ehe) beizufügen, in welcher Beziehung es an der Verweisung auf die Motive IV S. 76 genügen dürfte.

Hiernach gelangt das geforderte Gutachten zu dem Ergebnisse:

Die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches im Allgemeinen Theil (§§ 98-102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt, empfiehlt sich, jedoch mit folgenden Modificationen:

1. § 98 Sat 1 sollte im Eingange dahin lauten:

„Ist der Urheber einer Willenserklärung sich des Mangels der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem als gewollt Erklärten nicht bewußt (Irrthum), so ist die Willenserklärung nichtig.

2. § 99 Abs. 1 wäre dahin zu fassen:

Vorstehende Bestimmung (§ 98) findet keine Anwen= dung, wenn dem Urheber der Willenserklärung grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt",

oder dahin:

Eine Willenserklärung, welche nach den Vorschriften des § 98 an sich nichtig wäre, ist gültig, wenn ihrem Urheber grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.“

3. § 101 wäre dahin zu fassen:

„Hat der Urheber der Willenserklärung zur Uebermitte= lung derselben an den Empfänger sich einer Mittelsperson bedient, durch welche der Wille unrichtig mitgetheilt ist, so finden die Vorschriften der §§ 98-100 mit der Maßgabe. entsprechende Anwendung, daß der Urheber der Willenserklärung auch die Fahrlässigkeit der Mittelsperson zu vertreten hat."

4. Daneben bleibt die redactionelle Frage offen, ob die vom Entwurfe vorgesehene Nichtigkeit die Ausgestaltung als bloß relative Nichtigkeit erfahren solle.

XXIII.

Gutachten des Herrn Professor Dr. Leonhard in Marburg

über die Frage:

Empfiehlt sich die Beibehaltung der Vorschriften, welche der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs im Allgemeinen Theil (§§ 98-102) über den Irrthum bei Willenserklärungen aufstellt?

Es wird beantragt, der hohe Juristentag wolle beschließen:

daß die allgemeinen Grundsäße über die rechtliche Behandlung des Irrthums bei Rechtsgeschäften der wissenschaftlichen Fest= stellung nicht durch Gefeßesvorschriften entzogen werden sollen. Die gestellte Frage wird also verneint.

Vorwort.
§ 1.

Nach zwei Seiten muß des Verfassers Vorbemerkung eine Pflicht erfüllen. Sowohl wissenschaftlichen Mitkämpfern als auch dem Leser muß er über dasjenige, was er plant, Rede stehen.

Dringende

Dem kleineren Kreise will er sich zuerst zuwenden. Nebengeschäfte hemmten die Entwickelung dieses Gutachtens zu dem vollen Umfange, welchen sein Gegenstand verdiente. Es gefährdet somit allerdings eine gute Sache, indem es sie nicht mit gehöriger Vollständigkeit vertheidigt und zahlreichen (nicht durchweg ablehnenden) Erwiderungen auf des Verfassers Schrift über die gemeinrechtliche Irrthumslehre 1) die

1) Der Irrthum bei nichtigen Verträgen nach römischem Rechte. Ein Beitrag zur Vereinfachung der Vertragslehre. 2 Theile. Berlin 1882, 1883. Da die folgenden Ausführungen des Verfassers vielfach auf dieser Vorarbeit fußen, so sieht er sich genöthigt, sie öfters anzuziehen, um Wiederholungen zu vermeiden.

erforderliche Berücksichtigung wenigstens hier schuldig bleibt. Doch war dieses Verfahren das kleinere Uebel gegenüber dem Anscheine einer Fahnenflucht, auch gewährt es immerhin den Vortheil, dem Leser die Rolle eines Unparteiischen in wissenschaftlichen Zweikämpfen zu ersparen, welche ihm vielleicht nicht zusagt. So bittet denn der Verfasser, sein Schweigen über die Entgegnungen Anderer nicht als Rathlosigkeit und auch nicht als Rücksichtslosigkeit zu deuten. Mit dem gesprochenen Worte und mit der Feder hofft er das hier Versäumte bei mehr als einer Gelegenheit nachholen zu können.

Eine einleitende Auskunft über den Plan des Gutachtens darf der Leser erwarten. Der Vorschlag, welcher gemacht ist, bekundet lediglich eine Zerstörungsabsicht. In ein lückenreiches Werk will der Verfasser eine fernere Bresche schießen lassen. Ob dies nicht zu viel des Guten ist, muß fraglich erscheinen.

Zu jeder Bresche gehört nicht bloß ein Vernichtungswerk, sondern auch das Ausbleiben eines Ersatzes, der die Lücke füllt. So muß denn hier in zwei Abschnitten geprüft werden, was an den beurtheilten Stücken des Entwurfes beseitigenswerth ist, und warum nach einem Fortfall der Plaz gänzlich leer bleiben soll.

Zum Schlusse des Gutachtens will der Verfasser den unfreundlichen Eindruck, welchen seine Beurtheilung durch ihren verneinenden Kern machen muß, abschwächen, indem er ein Gesammturtheil über den Entwurf anhängt, welches dahin gehen soll, daß dieser weit besser ist als sein Ruf. Die besondere Prüfung der Irrthumslehre soll zu diesem allgemeinen Schlußworte die Bausteine allmählich zusammentragen.

Erster Abschnitt.

Der Werth der allgemeinen Irrthumslehre des Entwurfs. Capitel 1. Der Plan der Abschätzung.

I. Fragestellung.
§ 2.

Mit den allgemeinen Vorschriften über den Irrthum bei Willenserklärungen will der Entwurf einen Streit schlichten.

Welches ist der Inhalt dieses Streits?

Ueber einen Punkt sind alle Parteien einig. Mit ihm wollen wir beginnen.

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