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den wird, unverletzlich ist, dass derselbe Staat aber dieselbe Sendung beschlagnahmen kann, sobald sie, um zu transitieren, sein Gebiet berührt. Die letzte Erwägung setzt allerdings voraus, dass das Abkommen über die Beschränkung des Beuterechts im Seekrieg im Verhältnis zwischen den Neutralen und den Kriegführenden gelte, und das ist mehr als fraglich. 1) Wie

1) Das Abkommen findet nämlich, wie die meisten andern Abkommen über Kriegsrecht, « nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung und nur dann, wenn die Kriegführenden sämtlich Vertragsparteien sind ». (Art. 9.) So selbstverständlich diese Regel scheint, so schwierig ist ihre Anwendung und so seltsam sind ihre Folgen. Schwierig ist die Anwendung, weil hier nicht klar ist, welche Staaten Vertragsteile sein müssen; beim Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, das nur unter Kriegführenden gelten will, kommen nur diese in Betracht. Das vorliegende Abkommen aber betrifft auch die Beziehungen zu den Neutralen. Selbstverständlich muss der Nehmestaat (d. h. der Staat, dessen Kreuzer den Postdampfer aufgehalten hat) das Abkommen ratifiziert haben, um im Beuterecht beschränkt zu sein. Müssen aber auch alle andern beteiligten Staaten Vertragsstaaten sein, damit die Briefpost unverletzlich sei: der Staat, dem der Postdampfer angehört, der Staat, der den Postsack abgesandt, derjenige, dem er bestimmt ist, und auch diejenigen, denen die einzelnen Postgegenstände bestimmt sind (z. B. wenn der Postsack Sendungen an mehrere Staaten enthält)? Oder hat jeder dieser Staaten gegenüber dem Nehmestaat einen selbständigen Anspruch auf Einhaltung des Abkommens, wie er ein selbständiges Interesse daran hat? Da das Abkommen die Briefpostsendungen für unverletzlich erklärt, ist anzunehmen, dass die Wegnahme verboten ist, sofern die Postsendung einem Vertragsstaat angehört, auch wenn der Staat, dessen Flagge der Postdampfer führt, nicht Vertragsstaat ist; unklar bleibt aber, ob Absende- und Bestimmungsstaat, eventuell welcher Bestimmungsstaat massgebend ist. Das Abkommen hätte sich die Mühe nehmen sollen, diese Frage

dem auch sei, aus dem Umstande, dass das Abkommen den Postverkehr auf der See nur gegen das Beuterecht glaubte in Schutz nehmen zu müssen, geht zur Genüge hervor, dass Sendungen, die der Wegnahme nicht unterliegen, ohne weiteres als unverletzlich betrachtet werden. Wenn sich also bei der Durchsuchung eines neutralen Schiffes herausstellt, dass die Sendung eingehender zu regeln. Seltsame Folgen kann jene Bestimmung zeitigen, weil es nach dem Wortlaut genügen soll, dass ein Kriegführender dem Abkommen fern geblieben ist, um es unanwendbar zu machen, z. B. im gegenwärtigen Krieg Montenegro oder Serbien! Tatsächlich ist nun von allen gegenwärtigen Kriegführenden nur Russland nicht beigetreten; England könnte sich daher, nach dem Wortlaute des Abkommens, darauf berufen, dass sein Bundesgenosse nicht Vertragspartei ist, um selbst die Verbindlichkeit des Vertrages abzulehnen, und das ist auf den ersten Blick stossend. Ganz unberechtigt ist diese Konsequenz aber nicht, da es vorkommen könnte, dass alle Staaten einer Kriegspartei die Vorteile aus dem Abkommen beanspruchen könnten, während sie selbst das Abkommen nicht gegenüber allen gegnerischen Staaten zu beobachten hätten, was unter andern Umständen entschieden ungerecht sein könnte (gl. A. Zitelmann im Archiv d. öff. Rechts, 35, S. 1 ff., a. A. Müller-Meiningen, Der Weltkrieg 1914/15 und der «Zusammenbruch des Völkerrechts ». Berlin 1915. S. 12). Die Solidaritätsklausel wollte die Anwendung aller dieser Abkommen auf Kriege beschränken, bei welchen alle Kriegführenden dem Vertrage beigetreten sind. Das hat die Folge, dass die Schweiz im gegenwärtigen Krieg die Anwendung des Abkommens überhaupt nicht verlangen kann, auch wenn im gerade gegebenen Fall alle beteiligten Staaten Vertragsstaaten sind; z. B wenn ein englischer Kreuzer einen niederländischen Postdampfer anhält, auf dem sich amerikanische Postsäcke mit Bestimmung nach der Schweiz befinden. Das scheint zunächst übertriebener Formalismus; er entspricht aber m. E. dem zwar ängstlichen, aber wirklichen Willen der Parteien. Es ist ebenso eigentümlich, wenn die Abkommen, welche die Grausamkeit des Krieges mildern

weder dem Feinde gehört noch für den Feind bestimmt ist, darf sie nach allgemeinen Grundsätzen nicht weggenommen und auch nicht geöffnet werden.

Wie schon bemerkt, gestatten die Artikel 7 und 8 des allgemeinen internationalen Telegraphenvertrages von 1875 den Vertragsteilen, die Beförderung einzelner Privatdepeschen zu verhindern, welche für die Sicherheit des Staates gefährlich erscheinen, oder den internationalen Telegraphendienst, wenn sie es für notwendig erachten, ganz oder teilweise einzustellen. Eine ähnliche Bestimmung enthält der radiotelegraphische Vertrag vom 5. Juli 1912, Art. 4. Diese Bestimmungen gestatten den Staaten, deren Gebiet internationale Linien berühren, nicht nur den Verkehr einzustellen, sondern ihn auch unter Beschränkungen zu gestatten, z. B. unter dem Vorbehalt der Zensur und des Rechtes, Mitteilungen, die dem Staate nachteilig sein könnten, zurückzuhalten. England berief sich in der Tat auf sein Recht, den Telegraphenverkehr ganz zu unterbrechen, erklärte sich aber aus Entgegenkommen bereit, unter Zensur und auf das Risiko des Absenders die Telegramme weiter zu spedieren und die Gebühren

wollen, z. B. das Abkommen über die Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg, nicht gelten sollen, weil ein am Krieg (wenn auch nur zu Lande) teilnehmender Staat nicht Vertragspartei ist, oder wenn sie aufhören sollen zu gelten, weil ein solcher Staat in den Krieg eintritt, und endlich wieder gelten sollen im umgekehrten Fall. Das letzterwähnte Abkommen scheint übrigens stillschweigend als verbindlich anerkannt zu werden, auch von England, das es nicht ratifiziert hat. Die Solidaritätsklausel hat jedenfalls auch zu ihrem Teil die Unsicherheit verschuldet, die im gegenwärtigen Kriege herrscht, über das, was gilt und was nicht gilt.

für nicht spedierte Telegramme zurückzubezahlen. Solche Beschränkungen können nicht nur für Privattelegramme eingeführt werden, sondern auch für Staatstelegramme, die zwischen der Regierung anderer, neutraler Staaten und ihrer Kolonien oder ihren Untertanen im Ausland ausgetauscht werden. Da die Verträge für diese Telegramme keine Ausnahme machen, muss man in der Tat die Kontrolle der Korrespondenz zwischen zwei neutralen Staaten durch einen. Kriegführenden als eine Milderung der gänzlichen Sperre für rechtlich zulässig erklären; eine neutrale Regierung muss also gewärtigen, dass ihre amtlichen Telegramme in offener Sprache zurückbehalten und chiffrierte Telegramme nicht spediert werden. Frankreich und andere Staaten erfuhren, wie einschneidend diese Bestimmung wirken kann, als Grossbritannien während des Burenkrieges in Aden, welches von allen Europa mit Ost- und Südafrika verbindenden Kabeln berührt wird, alle Telegramme kontrollierte; Frankreich konnte während mehreren Monaten nur unter englischer Kontrolle mit seinen Kolonien verkehren. 1) Wenn nun die internationalen Linien gleichmässig auf alle Staaten oder auf die beiden kriegführenden Parteien und auf die neutralen Mächte verteilt wären, hätte das Sperrecht eines Staates keine grossen Inkonvenienzen; es bliebe den Neutralen noch die Möglichkeit, auf anderem Wege miteinander zu verkehren. In Wirklichkeit verfügt aber England durch sein Gebiet oder durch die Nationalität der Kabelgesellschaften über die meisten überseeischen Telegraphen verbin

1) Lamatabois, La correspondance télégraphique dans les relations internationales; thèse. Bordeaux 1910, p. 93.

dungen. Für die Schweiz sind namentlich die Kabelverbindungen mit Amerika und mit Ostasien von Bedeutung; die ordentliche Kabellinie mit Ostasien ist englisch; mit Amerika stehen ausser englischen gewöhnlich noch französische und deutsche zur Verfügung. Anfangs des Krieges sind die deutschen Kabel durchschnitten worden, so dass die neutralen Staaten Europas für ihren überseeischen Verkehr auf Linien der andern Mächtegruppe, im wesentlichen auf englische, angewiesen sind.

Vergegenwärtigt man sich nun, dass mit überseeischen Ländern Geschäfte nur auf telegraphischem Wege betrieben, dass politische Nachrichten nützlicherweise nur auf diesem Wege übermittelt werden können, und dass die Regierungen selbst sich nur auf diesem Wege unter einander verständigen können, so erkennt man, welch ausserordentliche Macht in geschäftlicher und politischer Beziehung die Beherrschung des Telegraphen verleiht. Der Staat, der nicht über selbständige Verbindungen verfügt, ist überall bei der Diskussion kommerzieller oder politischer Interessen zu spät und deshalb im Nachteil. Wie soll sich die Schweiz mit andern neutralen Staaten z. B. über gemeinsame Schritte bei einem Kriegführenden verständigen können, wenn ihre Telegramme durch die Hände dieses Kriegführenden gehen müssen?

Die Schweiz kann natürlich nicht darauf ausgehen, eigene überseeische Linien anzulegen; aber sie hat ein hohes Interesse daran, dass ihr möglichst viele, von einander unabhängige Linien zur Verfügung stehen. Der europäische Krieg hat deutlich gezeigt, in welche Abhängigkeit wir geraten können bei dem gegenwärtigen Zustand. Von der Neutralisierung gewis

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