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suchte die Grube zu decken, nachdem das Kind in dieselbe gefallen war. Von allen Seiten musste nun der Bauer Strafpredigten entgegennehmen, auch von solchen Leuten, denen bis anhin jede Sonderstellung der Landwirtschaft, jeder Schutz derselben im Dienste nationalwirtschaftlicher Autonomie ein Greuel gewesen war. Komisch muss es geradezu wirken, wenn solche Leute sich noch reichsdeutscher Stimmen bedienen, um unsere Landwirtschaft an die Pflicht zu erinnern, die Lebensmittel während des Krieges billig abzugeben, nachdem der übrige Teil des Volkes durch lange Jahre hindurch die Lasten der agrarischen Wirtschaftspolitik getragen habe. Also der Schweizerbauer, der 30 Rp. Getreidezoll genoss, soll die gleiche moralische Pflicht übernehmen, die der deutsche Schutzzoll von Mk. 5.50 dem dortigen Landwirte auferlegt. Der Gegensatz zwischen der deutschen Wirtschaftspolitik, die die Landwirtschaft für den Krieg systematisch vorbereitete und der Handelspolitik der Schweiz, so wie man sie sogar in der Bundesverfassung festzulegen verstund, ist denn doch zu gross, um übersehen zu werden und vollends ungereimt ist es, der schweizerischen Landwirtschaft zuzumuten, die Schuldverpflichtung agrarischer deutscher Wirtschaftspolitik zu übernehmen. Man liess sie ungeschützt angewiesen, in der Weltwirtschaft durch Selbsthilfe sich zurecht zu finden, und da musste sie unter obwaltenden Verhältnissen in geschilderter Weise einseitig werden, freilich auf Kosten allseitiger Selbstversorgung des Landes. Daher waren nach Ausbruch des Krieges von Seite der Behörden und organisierten Erwerbsgruppen Vorkehren zu treffen, um unsere Existenz und unser Wirtschaftsleben über die Dauer des Krieges bestmöglich sicher zu stellen und zu schützen.

In der Beurteilung der daherigen Massnahmen muss man recht vorsichtig und auch christlich nachsichtig sein. Das eine wie das andere, vorsichtig, weil es keine leichte Sache ist, die Richtigkeit und die Tragweite der einzelnen Massnahmen zutreffend zu beurteilen, und nachsichtig, weil wir glücklicherweise in Kriegsmassnahmen keine Alltagserfahrung besitzen.

Vor allem bemühte man sich, unsere Landwirtschaft in ihrem ganzen Wirtschaftssystem einer Umgestaltung zu unterwerfen und die Betriebsrichtung so zu wählen, dass der Selbstversorgung unseres Landes wieder besser genügt werden kann. Ueberall im Lande herum hielten landwirtschaftliche Vereine Versammlungen ab, um die Landwirte in diesem Sinne zu belehren. Das schweiz. Volkswirtschafts - Departement bemühte sich in verdienstlicher und erfolgreicher Weise um die Beschaffung von Saatgut aller Art. Wirkungsvoller als die Predigten dürfte der stille Schrecken gewirkt haben, der bei Kriegsbeginn in die Bewohner vorräteleerer Bauernhäuser gefahren ist. Unter seinem Einfluss dürfte mancher Bauer im Stillen den bestimmten Entschluss gefasst haben, wieder mehr Bodenerzeugnisse zu erzielen, die direkt der menschlichen Ernährung dienen können: Brotfrüchte, Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, Rüben, Kohl etc. wobei es gelingt, von der gleichen Bodenfläche das 10-30fache Quantum von menschlichen Nährstoffen zu gewinnen als bei Nutzung derselben als Viehweide.

Unserer Betrachtung drängt sich an dieser Stelle auch die Tatsache auf, dass nach Kriegsbeginn die Preisgestaltung der Lebensmittel, die sich in den letzten 50 Jahren sehr zugunsten der tierischen Erzeugnisse verändert hatte, nun wieder rückläufig wurde: Man bezahlte die Lebensmittel wieder mehr nach ihrer

Fähigkeit, den Hunger zu stillen als nach ihrer Eignung, den Gaumen zu befriedigen.

In welchem Masse die vegetabilische Nahrung liefernden Kulturen ausgedehnt wurden, dürfte bei der Verschiedenheit der Verhältnisse zahlenmässig kaum einigermassen verlässlich angegeben werden können. Doch haben wir aus vielen Gegenden recht günstige Berichte erhalten. Als Curiosa mögen die Tatsachen genannt werden, dass man im Lande Glarus genossenschaftlich wieder einen Pflug anschaffte, und dass auf dem Felde von Schuls der Selbsthalterpflug, der anderwärts schon mehr als 30 Jahre im Dienste steht, endlich seinen festlichen Einzug feierte.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass infolge vermehrter Pflanzung und dank dem geschilderten Erntesegen heurigen Jahres die Versorgung des Landes mit Lebensmitteln gegenwärtig eine viel bessere ist, als im Vorjahr.

Unter den staatlichen Massnahmen ist in erster Linie das Exportverbot zu erwähnen. Es ist klar, dass es erste Sorge unserer Landesbehörden sein musste, für alle Verbrauchsgüter, von denen unsere Kriegsbereitschaft und unsere Widerstandskraft in irgend einer Weise abhängig sind, ein Exportverbot zu erlassen. Dass da in erster Linie für unser im Verhältnis zum produktiven Boden stark bevölkertes Land mit seiner Binnenlage die Lebensmittel in Betracht fallen mussten, ist verständlich. Bei jedem Kriegsausbruch pflegt man ja von der bequemen Schablone des allgemeinen Nahrungsmittel - Exportverbotes Gebrauch zu machen. Während die Anwendung dieses Mittels überall da, wo ein Land sich mehr oder weniger in vielseitiger Produktion selbst genügt, als die einfachste, nächstliegende Massnahme erscheint, muss sie für ein

so eigenartig entwickeltes Wirtschaftsgebiet, wie die. Schweiz es ist, auf grosse Schwierigkeiten stossen. Ein Land, das nicht allein auf dem Gebiet industrieller Produktion, sondern selbst in der Landwirtschaft sich so extrem auf den Export eingerichtet hat, ein Land, das auf 2,200,000 Hektar landwirtschaftlich benutzten Bodens 800,000 Milchkühe hält und rund die Hälfte der produzierten Milch auf eine Käsesorte verarbeitet, die erst nach vielen Monaten verbrauchsreif wird, so dass entsprechend grosse Lager stets im Lande sich befinden, kann nicht einfach die Ausgangstore zumachen, sonst hat man vieles, was man nötig braucht, nicht drinnen, und vieles, was man in Hülle und Fülle drinnen hat, kann man nicht selbst verbrauchen.

Es wäre daher verderblich gewesen, einfach den Export zu verbieten, so wie dies vielfach aus Konsumentenkreisen verlangt wurde, sondern man musste gegenteilig für den Export sorgen, dabei allerdings im Wege der Kompensation alle nationalwirtschaftlichen Interessen wahrzunehmen suchen. Zu diesem Zwecke musste das ganze Quantum des Exportkäses in die Hand des Staates kommen, was durch entsprechende Organisation geschah. Dass wir in diesem Sinne auf den Käseexport trotz Krieg und ungenügender Lebensmittelversorgung Bedacht nehmen mussten, durfte man auch im aufregenden Kriegslärm nicht vergessen. Der Inlandskonsum genügt nicht, um mit unserm Lager aufzuräumen. Wohl ist Käse ein vortreffliches Nahrungsmittel, aber man muss erfahrungsgemäss mit der Tatsache rechnen, dass ein ganz namhafter Teil der Bevölkerung überhaupt keinen Käse isst; dies bedingt nur eine beschränkte Verwendung des Käses für die Truppenverpflegung. Aber auch die Käseesser sind als solche erfahrungsgemäss nur in be

scheidenem Masse leistungsfähig. Es ist dies auch begreiflich: Milch ist die Nahrung des rasch wachsenden Säuglings, der für den Aufbau seines Körpers einer kräftigen Nahrung mit engem Nährstoffverhältnis benötigt. Indem man aus der Milch Käse erzeugt, in den fast alles Eiweiss des Rohmaterials übergeht, indessen der Milchzucker in der Schotte verbleibt, erhalten wir ein Nahrungsmittel mit noch viel engerm Nährstoffverhältnis. Da der ausgewachsene Körper mit geringen Eiweissmengen auskommen kann, ist das Bedürfnis nach Käse ein mässiges; derselbe vermag in der Ration nur die Rolle der « Beigabe» zu spielen. Auch diese bekannte Tatsache fand bei der Truppenverpflegung wieder ihre Bestätigung im grossen.

In der uns beschäftigenden Frage war weiter in Betracht zu ziehen, dass Emmentalerkäse wohl länger hält als Weichkäse, aber kein Dauerprodukt ist; wenn seine Zeit der Reife gekommen ist, so muss er konsumiert werden, sonst verdirbt er ganz oder nimmt doch empfindlich wertmindernde Eigenschaften an, die dem flotten Gang des Käsekonsums höchst nachteilig sind.

Weiterhin war wohl zu beachten, dass Käse ein kostspieliger Lagerartikel ist. Nicht allein verlangt er wohlgeeignete Lagerräume, sondern auch kostspielige Lagergestelle und eine qualifizierte Arbeit für die Pflege. Dazu kam noch ein Geldzins von bedenklicher Höhe.

Ein entscheidendes Moment, das nicht unbeachtet bleiben darf, ist der Umstand, dass die Milchkuhhaltung und die Verarbeitung ihres Produktes auf Käse ein langfristiges Unternehmen darstellt, das nicht so leicht von heute auf morgen aus dem Geleise gehoben werden kann; trotz geänderter Konjunktur

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