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· nicht nach wie vor wussten, dass die Milch auch zu bisherigem Preise das Billigste gewesen wäre, was der städtische Konsument das ganze Jahr hindurch kauft, oder vergessen hätten, dass keine lohngedrückte Magd der Stadt billiger arbeitet als der Milchbauer; nein, gestehen wir es offen, die Preisreduktion geschah einzig und allein unter dem Drucke der Marktlage. Der Bauer bekam letzten Winter für die Milch glücklich wieder 15—16,50 Rp. pro Kg. netto loco Hof und die städtische Familie musste nach der erfolgten Preisreduktion für die Milch täglich 5—10 Rp. weniger ausgeben, konnte dafür mehr Stümpen, Zigaretten, Kino und Tramfahrten sich erlauben, so wie es skrupellos in allen Schichten der Bevölkerung geschah. Der arme kleine Schuldenbauer aber erhielt einen um 50 Rp. bis Fr. 1.50 gekürzten Taglöhn. Das war der Erfolg der Konsummilch-Preisreduktion, wie sie als ein Gebot der Gerechtigkeit hingestellt worden ist.

Erst recht unbegründet musste ein künstliches Tiefhalten der Preise für Konsummilch erscheinen, nachdem unter dem Einfluss mangelhafter Versorgung unserer Viehstände mit Kraftfutter die Milchergiebigkeit der Kühe einen empfindlichen Rückgang erfahren hat, denn wie sehr dadurch die Produktionskosten gesteigert worden sind, braucht man nicht einmal dem Laien vorzurechnen. Dass solcher Tiefstand des Milchpreises trotz staatlicher Preistaxe sich nicht halten liess, dafür sorgte der alte starke Regulator: der Käsepreis. Käse- und Butterpreise erfuhren den ganzen Winter hindurch im In- und namentlich im Ausland stetige Preissteigerung und es kam damit der tiefe Konsummilchpreis in unerträgliches Verhältnis, das im Frühjahr 1915 Korrektur erheischte, was selbstverständlich nicht ohne Kampf zwischen den Interessentengruppen ablief. Die

Erhöhung des Milchpreises erschien um so mehr als gerechtfertigt, als die Preisberichtstelle des Bauernverbandes für das erste Halbjahr einen Produktionsausfall von 20 % konstatierte eine Folge schlechter Durchwinterung der Kühe bei Kraftfuttermangel. In Deutschland hat man in den Molkereien der Provinz Sachsen ein Ertragsmanko von 15—35, vereinzelt bis 50 0;o konstatiert.

Bei der daherigen Steigerung der Produktionskosten erachteten es die Milchproduzentenverbände für kommenden Winter für gerechtfertigt, den Milchpreis wieder auf die Höhe vom Jahre 1912 anzusetzen. Die Erhöhung des Milchpreises um einen Rappen setzte einen erbitterten Kampf ab, an dem sich die Berufsorganisationen, die Kantonsregierungen etc. beteiligten. Das Missverhältnis zwischen den Konsummilchpreisen der Städte und den Preisen, die solche Genossenschaften erzielen, die ihre Milch in Regie, auf Käse und Butter verarbeiten, liess mit aller Deutlichkeit voraussehen, dass zu den festgesetzten Preisen ein Grossteil der Milch nicht mehr in die Stadt geliefert werde. Die Angst vor ungenügender Versorgung der Städte mit Konsummilch führte am 30. Oktober zu einer Konferenz aller Interessentengruppen unter Leitung des Vorstehers des Schweiz. Volkswirtschafts-Departements, wobei laut ausführlichem amtlichem Bericht über die Verhandlungen dank der Nachgiebigkeit der von staatlichen Zwangsmassnahmen eingeschüchterten Produzenten und einer wohlerwogenen Preispolitik der Milchsiedereien eine Lösung gefunden wurde, die allerdings noch den « Bundesratsbeschluss über die Sicherung der Milchversorgung des Landes >> vom 9. November 1915 als notwendig erscheinen liess.

Bezüglich der staatlichen Preistaxe ist endlich ge

nerell zu

sagen, dass wenn die Staatsallmacht das Recht praktizieren will, Abweichungen der Marktpreise von ihrer « Norm » zu korrigieren, sie es dann konsequent durchführen muss, d. h. sie muss nicht allein vorübergehende Preissteigerungen korrigieren, sondern auch solche Tiefpreise, die dem Bauer empfindliche Verluste bringen; sie muss dem Bauer quantitativ normale Erträge und ebenso stetig « normale » Preise seiner Produkte garantieren. Jede anders geartete staatliche Beeinflussung des Marktes ist ein Unrecht.

Besondere Erwähnung verdient die Versorgung der Armee mit Schlachtvieh und Milch.

Zur Zeit des Kriegsbeginns waren bekanntlich die Schlachtviehpreise, spez. die Preise für fette Schweine und Kälber unerhört niedrig. Für den Produzenten und für die Armee musste es unter obwaltenden Umständen als besonders wichtig erscheinen, dass die Schlachtviehlieferung für die Truppen nicht zu einer Quelle unangemessenen Gewinnes Dritter, nicht Spekulation werde. Es galt insbesondere auch, dafür zu sorgen, dass die Schlachtviehbestände nicht verschleudert wurden, sondern vielmehr einer zielbewussten, ökonomischen Verwendung unterlagen. Zu diesem Zwecke wurde eine Organisation der landw. Genossenschaftsverbände geschaffen, bei der das Schweizer. Landwirtschaftsdepartement, die von ihm berufenen Organe und die Heeresverwaltung mitwirkten; es wurden als Sachverständige auch zwei Grossviehhändler herangezogen. Rein genossenschaftlich konnte das Unternehmen schon deshalb nicht gestaltet werden, weil die genossenschaftliche Organisation im Schweizerland immer noch nicht eine lückenlose ist. Daher wurden auch besondere, von den kantonalen Behörden beauftragte Kommissäre bestellt. Ein vereinbarter Ver

zur

man

war

unseres

trag wurde nach 14 Tagen auf Grund der Erfahrung revidiert. Dass im Anfang dieser Armeelieferung nicht alles klappen wollte, wird keinen Verständigen wundern. In der Folge hat sich die Institution eingelebt, und

bald beidseitig im allgemeinen mit dem Geschäft zufrieden. Es ist zu hoffen, dass die Schulung, welche die Genossenschaften bei dieser Viehlieferung für die Armee erhalten, nicht spurlos bleiben werde. Das wäre eine der wertvollsten Lehren des Krieges. Es verdient hier festgehalten zu werden, dass die schweizerische Landwirtschaft sich in der Versorgung

Landes mit Fleisch in ungeahnter Weise als leistungsfähig erwiesen hat. Tatsächlich haben in der Schweiz die Fleisch- wie übrigens auch die Milchpreise gegenüber den Nachbarländern seit Kriegsbeginn die weitaus geringste Steigerung erfahren.

Wie dem Erfahrenen zum voraus klar war, wurde die Milchlieferung für die Armee zu keiner grossartigen Aktion. Die einzelnen Truppenkörper versorgten sich selbständig und bezogen die Milch eben da, wo sie am nächsten zu haben war.

Der knappe Raum gestattet nicht, auf einlässlichere Besprechung von weiteren Massnahmen von Staat und organisierten Gemeinschaften einzutreten, die weniger hervorragend landwirtschaftlicher Natur sind. Wie in den Kriegsländern selbst, so waren sie auch in neutralen Staaten und insbesondere in unserem Binnenlande notgedrungen mannigfaltiger Art. Der Krieg, der bekanntlich vor allem Welthandelskrieg geworden ist, machte viele Vorkehren zur Notwendigkeit und daher gaben selbst solche Massnahmen wenig zu reden, die in ruhiger philisterhafter Zeit die tiefsinnigsten, vor- und umsichtigsten Erwägungen erfordert hätten und in

diesen wohl erstickt wären, so z. B. das Getreidemonopol.

Wie die Menschen sich in Zeiten der Not und Bedrängnis nach fürsorgendem Handeln, nach dem Schutz des Starken sehnen, so waren auch wir froh über einen starken, zielbewusst handelnden Staat, dieser mächtigsten, mit Zwangsgewalt ausgerüsteten sozialen Organisation und unser Freiheitsbedürfnis und das Selbständigkeitsverlangen waren in weitesten Kreisen des Volkes recht kleinlaut geworden. Inwieweit diese Kriegsmassnahmen Schule machen und die Entwicklung wirtschaftlicher Ideen auf ungeahnte Bahnen drängen wer

en, darüber werden je nach dem Standpunkt, der wirtschaftspolitischen Anschauung des Urteilenden die grössten Hoffnungen, auch die grössten Befürchtungen gehegt. Viele nehmen sozusagen blindlings an, dass der Krieg grosse Umwälzungen zur Folge haben werde, indem sie meinen, dass ein solch gewaltiges Ereignis naturnotwendig auch entsprechend tiefe Spuren zurücklassen müsse. Andere erinnern an die alte Redeweise, nach der der Appetit mit dem Essen kommt, und fürchten, dass die Bureaukratie nicht so leicht zum Verzicht auf ihre gegenwärtige Machtfülle zu veranlassen sein werde; wieder andere erinnern sich der Macht der Gewohnheit und nehmen ohne weiteres an, dass Institutionen, die sich während des Krieges eingelebt haben, dauernde werden. Und nicht zu leugnen ist endlich, dass manche Neuordnung, bei der man ehedem vor den Anfangsschwierigkeiten fürchtete, in der notweisen Durchführung als leichter sich erwies, als man angenommen hatte.

Dass gar die ganze Wirtschaftsordnung, wie viele glauben, auf den Kopf gestellt werde, dass die Freiheit persönlicher Einzelunternehmung keinen Raum mehr

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