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Oberst Giacomo Luvini-Perseghini, aus dessen Feder die im Folgenden mitgeteilten Aktenstücke geflossen sind, ist eine in der Geschichte der Schweiz wohlbekannte Persönlichkeit. 1) Er war der Sohn Ambrogio Luvinis, der 1798 nach Bekämpfung eines Korps der Cisalpini den Generalstitel erhielt, und der Martina Perseghini, geboren in Lugano am 23. Februar 1795. Schon vor Vollendung der juristischen Studien an der Universität Pavia wurde er zum Adjutanten seines Vaters ernannt und brachte es 1832 im eidgenössischen Militär bis zum Rang eines Obersten. In frü

1) Kurze Biographie Luvinis in der Allgemeinen Schweizer Militärzeitung 1862, VIII, 189 nach der Revue militaire Suisse, ausführlichere, mir 'aber nicht zu Gebote stehende in der Monatsschrift Patria e Progresso, Organo dell' Emigrazione Ticinese. Vol. III, p. 13 ff. Ich verdanke Herrn Giuseppe Lonati in Lugano die freundliche Mitteilung der Nummern 178, 184, 191, 196, 202, 207 des eingegangenen Journals « L'Azione » (Lugano 1906, Nov. 3., 10., 19., 24., Dez. 1., 7.). Daselbst findet sich unter dem Titel «Teste e Figure. Ricordi giovanili e Bozzetti Ticinesi, XXI, Giacomo LuviniPerseghini » eine Arbeit von Romeo Manzoni, dem die Tochter Luvinis, Signora Marta Grecchi-Luvini handschriftliches Material aus dem Nachlass ihres Vaters zur Benutzung überwiesen hatte. Von Geschichtswerken, in denen Luvinis Wirksamkeit gewürdigt wird, sind mir besonders zustatten gekommen Tillier (der Luvinis Berichte schon benutzt hat): Geschichte der Eidgenossenschaft während der Zeit des so geheissenen Fortschrittes I, II. Oechsli: Geschichte der Schweiz im neunzehnten Jahrhundert, 1913, II, 818 ff. Gubler: Geschichte des Kantons Tessin von 1830–1841 (Züricher Dissertation) 1906. Verlag der « Academia ›.

her Jugend trat er in seiner Vaterstadt als freisinniger politischer Redner auf und machte sich als Advokat, namentlich in dem berüchtigten, 1827 angestrengten << Vergiftungsprozess », der dem Landammann Quadri gegen politische Widersacher zustatten kam, einen Namen. Im Kampf gegen Quadris verhasstes Regiment stand er neben Francini, Lurati, Peri in der vordersten Reihe. Er nahm, als am 1. Mai 1830 gewählter Sindaco von Lugano, einen Hauptanteil an der Reformbewegung dieses Jahres und wurde nach Annahme der neuen Verfassung des Kantons Präsident des Grossen Rates. In den nächsten Jahren gehörte er als Mitglied des Staatsrates zu den einflussreichsten Politikern des Tessins, brachte seine Stimme auch auf der Tagsatzung zu Gehör und wurde bei der Scheidung der Parteien in <«< Liberali » und << Moderati » einer der heissblütigsten Führer der ersten Partei. Als solcher nahm er sich auch der Flüchtlinge an. Er stand schon früh in brieflicher und freundschaftlicher Verbindung mit Mazzini. 1) Desgleichen haben sich in seinem Nachlass Briefe der bekannten italienischen Patriotin, der Fürstin Belgiojoso-Trivulzio, des Mailänder Republikaners Carlo Cattaneo, Ledru-Rollins, Edgar Quinets, Kossuths vorgefunden.

Im Jahre 1838, nach einem grossen Wahlsieg der << Moderati » verlor der heftig angefeindete Luvini seinen Sitz in der Regierung und als Präsident des Grossen Rates. Im Dezember 1839 stellte er sich an die Spitze des bewaffneten Aufstandes gegen das reaktionäre Regiment und zog als Führer der siegrei

1) Vgl. Mazzinis Brief an Rosales, 24. September 1834 (Epistolario di G. Mazzini, 1902, I, 322).

chen Liberalen in Locarno ein. Nach seiner dreimaligen Ablehnung des Präsidiums des Staatsrates wurde Franscini mit dieser Würde betraut. Luvini, der als << Retter des Vaterlandes » von den Liberalen Gefeierte, wurde Präsident des neuen Grossen Rates und verherrlichte in einer pathetischen Ansprache die « glorreiche Revolution ». Bei der Niederschlagung der Gegenrevolution im Sommer 1841 war er oberster Befehlshaber des kantonalen Aufgebotes. Nach standgerichtlicher Verurteilung des Anführers dieser Gegenrevolution, des Advokaten Nessi, verweigerte er der Gattin Nessis, die sich ihm zu Füssen warf, die erbetene Verwendung, wiewohl er das Los ihres Gatten mit ihr beweinte. Eine bedeutende politische und militärische Rolle spielte Luvini alsdann als Mitglied des eidgenössischen Kriegsrates, Gesandter an der Tagsatzung, Kommandant der VI. Division in der Vorgeschichte und in der Geschichte des Sonderbundskrieges. Aber es war ihm nicht vergönnt, während des Kampfes sich mit Lorbeeren zu bedecken.1) Die Ueberrumpelung seiner Truppe durch die Sonderbündischen in Airolo am 17. November 1847 und seine Flucht von dort nach Bellinzona wurden ihm lange vorgehalten. Aber er wusste mit der Zeit die Tadler zum Schweigen zu bringen und bewahrte in kantonalen und eidgenössischen Angelegenheiten eine angesehene Stellung, in der er seinen Hass gegen Oesterreich und seine radikale Gesinnung nicht verleugnete 2). Besonders ver

1) Tillier a. a. O. III, 32, 69 ff. Vgl. General Dufour: Der Sonderbundskrieg, 91, 105.

2) S. z. B. seine Ausfälle gegen Radetzky in einer Rede vom 21. Sept. 1848 auf der Tagsatzung bei Tillier III, 219. Ueber seine Beschützung Franz Sigels in Lugano im April 1851, s. Franz Sigels Denkwürdigkeiten. Mannheim 1902, S. 143.

dient machte er sich um die Hebung des tessinischem Wehrwesens. Die letzten Jahre seines Lebens waren durch Krankheiten getrübt. Am 24. Mai 1862 starb er in Lugano.

Kaum eine Persönlichkeit mochte dem Eidgenössischen Vorort im stürmischen März des Jahres 1848 so geeignet erscheinen, mit einer ausserordentlichen Mission nach Mailand betraut zu werden, wie Oberst Luvini. Die Mailänder hatten in den glorreichen « fünf Tagen » Radetzky mit der österreichischen Besatzung zum Abzug gezwungen und eine provisorische Regierung unter Präsidium des Grafen Casati gebildet, die sich bald danach zu einer provisorischen Regierung der Lombardei erweiterte. Durch Schreiben des in Mailand beglaubigten Generalkonsuls Raymond 1) vom 23. und 24. März über die jüngsten dortigen Vorgänge unterrichtet, beschloss der Eidgenössische Vorort, an deren Spitze Ochsenbein stand, am 27. März 1848 den Oberst Luvini-Perseghini nach Mailand abzuordnen, « um die Interessen der schweizerischen Angehörigen zu wahren und den Vorort von allem in Kenntnis zu setzen, was für die Eidgenossenschaft Bedeutung haben könnte ». Die offene Kreditive, die ihm ausgestellt wurde, hatte folgenden Wortlaut 2):

Lettres de créance.

Le Directoire de la Confédération Suisse sur le rapport du Consulat général à Milan que dans cette

1) Korrespondenz des Schweizer Konsulats in Mailand 1835-1848, Eidg. Archiv Bern.

2) Protokoll des Eidg. Vororts, Band 307, No. 481. Eidg.. Archiv Bern.

ville et que sur divers autres points de la Lombardie des mouvements très sérieux ont éclaté et ont donné occasion de faire des réclamations auprès des autorités compétentes dans l'intérêt des ressortissants Suisses domiciliés dans la Lombardie;

Considérant qu'il est du devoir du Directoire fédéral de sauvegarder les intérêts de la Confédération en général partout où ils pourraient être en péril et de pourvoir spécialement à la protection et à la sûreté des ressortissants Suisses menacés dans la Lombardie

a résolu dans la séance de ce jour d'envoyer M. le Colonel fédéral Luvini-Perseghini de Lugano à Milan en qualité de Délégué extraordinaire avec le mandat spécial de sauvegarder autant que possible et énergiquement les dits intérêts et de faire rapport sur tout ce qui pourrait survenir et qui intéresserait de plus près la Confédération.

Le Président et Conseil d'Etat.

Inzwischen hatte der Generalkonsul Raymond gleichfalls von Bern aus Anweisung erhalten, in offizielle Beziehungen zu der provisorischen Regierung in Mailand zu treten und ihr die Sendung Luvinis, als << Beweis der Sympathie für die heldenmütige Nation », anzukündigen. Die provisorische Regierung drückte Raymond gegenüber ihre Dankbarkeit aus und entsandte ihrerseits Luigi Prinetti als Bevollmächtigten nach Bern. Luvini kam am Abend des 5. April in Mailand an und überreichte der provisorischen Regierung alsbald sein Beglaubigungsschreiben. Der erste erhaltene von ihm an den Vorort abgesandte Bericht datiert vom 17. April. Indessen, nach einer auf dem Sammelband im eidgenössischen Archiv zu Bern befindlichen Bleistiftnotiz, fehlen mehrere frühere De

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