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Zwei edle Gestalten, hoch und aufrecht wie die in Erz gegossenen vor dem Theater in Weimar, treten als ein eng verbundenes Freundespaar vor unsern Blick. Sie haben sich, wie jene Grossen, erst im reifen Mannesalter gefunden und zu gleichartigem Denken und Streben vereint. Der Genfer Pictet (17551824) steht dem Berner Fellenberg (1771-1844) im Alter voran. In den siebzehn Jahren ihrer Freundschaft haben sie sich nicht allzu häufig gesehen, aber immer fleissig geschrieben, und dieser Briefwechsel bildet ein in jeder Hinsicht bedeutsames Denkmal ihrer Gesinnungsverwandtschaft und Freundestreue. Er soll, soweit er noch vorhanden ist, heute, nachdem die hundert Jahre zumteil erfüllt sind, seine Würdigung finden. Pictets Name wird in diesem Jahre 1915 viel genannt, er führe nun auch den eines vielverdienten, aber fast etwas vergessenen Berners in unser Gedächtnis zurück.

Von den vielen Briefen, die Fellenberg an Pictet gerichtet, soll in Genf nur noch ein ganz kleines Häuflein vorhanden sein. Zum Glück verhält es sich mit den Briefen Pictets an Fellenberg nicht also. Wohl fehlen ihrer viele in der Reihe; aber die für unsere Landesgeschichte wichtigsten sind noch da. Sie setzen wenig neue Tatsachen ins Licht, bringen keine Enthüllungen, die Aufsehen machen, dennoch sind sie uns wertvoll durch die Vertraulichkeit ihrer Mitteilungen, die treffsichern Urteile Pictets und die Anmut, womit seine Feder selbst das Unscheinbare umkleidet.

Die Briefe, die uns vorliegen, stammen meist aus den Jahren 1812-1817, diesen reiht sich dann noch eine Anzahl aus den Jahren 1822-1824 an. Zwei grosse Lücken: 1808-1812 und 1817-1822 müssen wir immerhin bedauern. Seien wir aber froh über das noch Vorhandene. Die Erlaubnis, diese Pictet-Briefe veröffentlichen zu dürfen, verdanken wir der Güte des Herrn Grossrat Richard von Müller, Gutsbesitzers von Hofwil und Urenkels von Fellenberg.

Ueber den Verfasser unserer Neutralitätsakte, sind wir trefflich belehrt durch das Buch Edmond Pictets (bei H. Georges in Genf, 1892). An Werken, welche die Zeit von Pictets diplomatischer Tätigkeit beleuchten, haben es unsere Mitbürger von Genf nicht fehlen lassen. In unvermindertem Werte verharrt A. Rilliets Histoire de la Restauration de Genève (1849). Wichtige Ergänzungen bieten die vier Vorträge von Herrn Prof. Ch. Borgeaud: Genève canton suisse, 1914, und sein Anteil an dem Sammelband Les cantons suisses et Genève, 1477-1915, der diesen Sommer erschienen ist. Eine grossartige Leistung des Genfer historischen Vereins stellt die Herausgabe der Correspondance diplomatique de Pictet de Rochemont et de François d'Ivernois durch Herrn Lucien Cramer, 1914, dar, an welche sich das neueste Werk von Fräulein Marguerite Cramer: La République de Genève aux congrès européens et à la diète helvétique, 1814-1816, anschliessen soll. Damit haben wir nur die wichtigsten Genfer Veröffentlichungen über die Jahre 1813-1816 erwähnt.

Eine Lebensbeschreibung Fellenbergs von wissenschaftlicher Gründlichkeit gibt es nicht. Die Fellenbergforschung steht beinahe noch auf demselben Stand wie 1871, da Dr Robert Schöni seine Jubiläums

schrift über den Stifter Hofwils herausgab. Man sucht sich Notizen zusammen aus den Biographien der zwei besten Mitarbeiter Fellenbergs, aus J. A. Pupikofers « Leben und Wirken von J. J. Wehrli »>, Frauenfeld, 1857, und aus dem Buche von K. R. Pabst über Theodor Müller, « Der Veteran von Hofwil, » Aarau, 1861/63. Ein junger bernischer Forscher, Hans Krebs, hat sich vor etwa drei Jahren an die grosse, weitschichtige Arbeit einer Biographie Fellenbergs gewagt, allein die Sichel des Todes raffte ihn mitten aus seiner Arbeit hinweg. Ein reiches Material steht dem Schilderer Fellenbergs zu Gebot, eine Unzahl von Briefen hat der Stifter Hofwils geschrieben und empfangen.

Die Schreiben Pictets aus der Zeit seiner kurzen, aber für unser Land so bedeutungsvollen Diplomatenlaufbahn stehen natürlich im Vordergrund unseres Interesses. Das Bild dieser liebenswürdigen, lebenskundigen und geistvollen Persönlichkeit wäre aber ein sehr unvollständiges, wenn wir einzig die Schriftstücke politischen Inhalts übermittelten. Auch der Liebhaber einer veredelten Landwirtschaft und der Freund einer nationalen Erziehung verdient es, näher gekannt zu sein. Den Agronomen und Schulfreund Pictet streift sein Biograph nur nebenbei, die Briefe an Fellenberg füllen einigermassen eine Lücke aus. Was wir hier bieten, gliedert sich von selbst in die Mitteilungen aus den Jahren 1807-1813, in die der Jahre 1814/16 und 1816/24. Wir konnten nicht anders, wir mussten auch die gedruckten Zeugnisse Pictets für Fellenberg in unsere Darstellung einbeziehen und, soweit es uns die Mittel erlaubten, im Abriss die Zusammenhänge klarlegen.

I.

Von 1807 bis Ende 1813.

Die Liebe zur Landwirtschaft hat Pictet mit Fellenberg in Beziehung gebracht. Sowohl die Berner wie die Genfer Patrizier hatten eine besondere Neigung zum Landleben und waren bemüht, die Erträgnisse ihrer Güter durch rationellen Betrieb zu steigern. Pictets Vermögen war von der Genferrevolution 1793/94 arg mitgenommen worden, nachdem schon sein Vater durch die Vorgänge in Paris einen grossen Teil seines Gutes eingebüsst hatte. Er wanderte aber nicht aus, wie manche seiner Mitbürger, sondern kaufte sich, nachdem er aller Politik entsagt hatte, nahe bei Genf, aber auf savoyischem Boden, das Landgut Lancy. Er gedachte es zu einer Musterwirtschaft auszugestalten. Pflughalten war seine liebste Beschäftigung. Mit der gesunden körperlichen Landarbeit und der Aufsicht über eine recht gedeihliche Aufzucht von Merinoschafen verband Pictet ein äusserst reges Schaffen in der 1796 mit seinem Bruder Professor Marc-Auguste Pictet und ihrem Freunde F.-G. Maurice begründeten Halbmonatsschrift Bibliothèque britannique. Alle gebildeten Genfer im In- und Ausland hielten es für ihre Ehrenpflicht, diese Zeitschrift zu unterstützen. Ihr tapferes Durchhalten während der Zeit des napoleonischen Konsulats und Kaiserreichs legt ein glänzendes Zeugnis ab von der geistigen Tatkraft und dem kosmopolitischen Weitblick jenes Genf, das jetzt Residenz eines französischen Präfekten und Hauptort des Departements Leman geworden war.

Die Brüder Pictet teilten sich in die Arbeit an der Bibl. brit. zu ungefähr gleichen Teilen. Während Maurice das Geschäftliche übernahm, leitete Marc-Auguste die Abteilung Science et Arts und Charles die der Littérature und der Agriculture. Vorzugsweise, nicht einseitig, liessen sie sich den Stoff von England kommen, das in so vielen Richtungen anderen Ländern Voraus war. Was Ch. Pictet über Landwirtschaft geschrieben, füllt allein 10 Bände. Er erwarb sich mit seiner gewandten Feder einen weiten Bekanntenkreis, einen europäischen Namen. Die feine Wolle seiner Merinos und seine hervorragenden Kenntnisse in der culture des champs et des lettres wie Bonstetten sich ausdrückte verschafften ihm Verbindungen, die dem spätern Diplomaten sehr zustatten kamen. An den Agronomen und Schriftleiter Pictet wandte sich im Herbst 1807 auch Em. von Fellenberg. Er war einer der eifrigsten Leser der Bibl. brit. und bekannte sich in dem ersten Satz, den er an Pictet schrieb, als seinen Schüler in agronomischen Dingen.

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Mit dem 2. März 1799 hatte Fellenberg seine Tätigkeit auf Hofwil begonnen. Das Landgut hielt 220 Jucharten Feld und Wiesland in einem Stück und 100 Juch. Wald. Es war in üblem Zustand. Fellenberg liess den Tiefpflug durch die Felder gehen, gab mehrmals Ernten preis, allein die grundstürzenden Bodenverbesserungen trugen ihre Frucht und die Musterwirtschaft erfreute sich einer wachsenden Blüte. Nun regte sich in Fellenberg der Wunsch und Wille, der Welt zu zeigen, was er geleistet hatte, und wieviel eine Nachahmung seiner Arbeitsmethode dem Lande nützen könnte. Der Menschenfreund und Volkserzieher sah in einer gehobenen, dem üblichen Schlendrian entsagenden Landwirtschaft das vernünftigste Mittel, die

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