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Im übrigen zählt die Proklamation vom 9. Sept. 1914 die Handlungen einzeln auf, die unter das Verbot fallen; es sind u. a. verboten: eine Summe Geldes an einen oder zum Vorteil eines Feindlichen zu bezahlen; eine solche Zahlung sicherzustellen; Wechsel und ähnliche Papiere (negotiable instruments) zu ziehen, anzunehmen, zu zahlen oder zu übertragen; auch keine solche Papiere anzunehmen, die Feindliche oder andere für sie besitzen, ausgenommen wenn kein vernünftiger Grund besteht, letzteres anzunehmen; ferner weder direkt noch indirekt ein feindliches Land oder eine feindliche Person (oder einen andern zu deren Gebrauch und Vorteil) mit Gütern oder Waren zu versehen oder eine derartige Versorgung zu vermitteln, noch mit derartigen, für den Feind bestimmten oder vom Feind kommenden Gütern zu handeln oder sie zu befördern; englische Schiffe abgehen zu lassen, um mit feindlichen Häfen zu verkehren; kein Handels-, Finanzoder anderes Geschäft mit oder zum Vorteil eines Feindes einzugehen, usw. Nach Klauseln, wie die letztangeführte, gibt es kaum noch Rechtsgeschäfte zwischen einem Bewohner eines kriegführenden Staates und einem Feindlichen, die mit Sicherheit als giltig betrachtet werden könnten; es werden auch noch viele andere unsicher, wenn sie mittelbar zum Vorteile eines Feindlichen ausschlagen könnten.

Streng genommen ist das alles allerdings Sache des englischen Landesrechts, nicht des Völkerrechts; wenn England seinen Bewohnern aus Gründen der eigenen Sicherheit verbietet, mit Angehörigen feindlicher oder neutraler Staaten Verträge zu schliessen, so können die neutralen Staaten nicht dagegen aufkommen. Weder ein Freundschafts-, Handels- und Niederlassungsvertrag, wie die Schweiz ihn mit Gross

britannien abgeschlossen hat, noch ein spezieller Handelsvertrag, wie er zwischen der Schweiz und andern Staaten besteht, noch das allgemeine Recht auf Verkehr begründen unter solchen Umständen einen Anspruch auf freien Geschäftsverkehr der Bewohner, obschon für gewöhnliche Zeiten der Handelsvertrag die Möglichkeit freien Geschäftsverkehrs offenbar voraussetzt, ja postuliert. Anders verhält es sich aber mit schon begründeten Vertragsrechten mit der Erfüllung von Ansprüchen aus frühern Verträgen. Die Proklamation vom 9. September 1914 erklärt solche Verträge nicht nichtig, aber sie verbietet, einer feindlichen Person Zahlungen in bar oder anders zu machen oder Waren zu liefern; sie verbietet also für viele Fälle die Erfüllung des bestehenden Vertrages und bringt dadurch den Gläubiger zu Schaden. Das entspricht zwar der Praxis der englischen Gerichte, wie oben bemerkt; es fragt sich aber, ob es völkerrechtlich zulässig sei. Die Doktrin und die Praxis der kontinentalen Staaten hatten es vor diesem Krieg abgelehnt, bestehende Verträge ungiltig oder unklagbar zu erklären, entgegen dem englischen common law. Diese Staaten glaubten auch, diesen Grundsatz durch Art. 23 h des Haager Reglementes über den Landkrieg von 1907 sanktioniert zu haben. England erklärte aber, es habe diese Bestimmung, die absichtlich aus dem Abschnitt über die Besetzung feindlichen Gebietes in den allgemeinen Abschnitt über die Mittel zur Schädigung des Feindes herübergenommen worden war, in der Meinung angenommen, dass sie nur für die Verwaltung des okkupierten Gebietes gelte. Die Verbindlichkeit des ganzen Abkommens im gegenwärtigen Krieg ist übrigens gemäss der schon besprochenen Solidaritätsklausel fraglich, weil ihm nicht alle Kriegführenden beigetreten

sind, nämlich nicht die Türkei, Italien, Serbien und Montenegro. Die Versagung des gerichtlichen Schutzes. an feindliche Personen darf aber wohl, auch abgesehen von diesem Abkommen, als ein rückständiger Grundsatz bezeichnet werden; infolge der Ausdehnung des Begriffes des feindlichen Ausländers bekommen leider auch neutrale Staaten seine Wirkungen zu spüren. England wird allerdings finden, wenn es selbst Gut und Blut aufs Spiel setzt, sollen sich Neutrale nicht darüber beklagen, in ihrem Geschäftsverkehr ein bischen gehemmt zu sein; England wird sich aber erinnern, dass es solche Hemmungen stets ungern ertrug, wenn es neutral war, und dass es sich das Mass der Einschränkung nicht von andern vorschreiben liess.

Das französische Handelsverbot, wie es durch Dekret vom 27. September 1914 aufgestellt worden ist, verbietet den Handel mit den Untertanen Deutschlands und Oesterreich-Ungarns, sowie mit den dort niedergelassenen Personen. Dieses Verbot verpflichtet natürlich nur französische Staatsangehörige und Bewohner des französischen Gebietes, obschon das Gesetz vom 7. April 1915, welches die Strafbestimmungen zum Verbot enthält, nicht näher bestimmt, an wen sich Verbot und Strafandrohung richten. Gegenüber Franzosen im neutralen oder feindlichen Ausland wird es in der Regel nicht durchführbar sein, weil die dortigen Behörden es nicht gelten lassen, wie der Handelsminister in der Sitzung der französischen Deputiertenkammer vom 11. März 1915 selbst bemerkte (p. 341); unter Umständen hat aber auch ein französisches Gericht über die Giltigkeit eines im Ausland geschlossenen Geschäftes zu urteilen und die in Frankreich ausgesprochene Strafe könnte unter Umständen

dort vollziehbar sein. Diese Frage berührt aber nur Frankreich. Für uns Neutrale ist es besonders von Wichtigkeit, zu wissen, wer auf der andern Seite vom Verbot betroffen wird, d. h. mit welchen Personen der Handel verboten ist.

Während das englische Verbot als Leitsatz das Wohnsitzprinzip aufstellt, verbindet Frankreich von vornherein das Heimatprinzip mit dem Wohnsitzprinzip; es verbietet den Handel mit allen Untertanen der beiden feindlichen Monarchien, wo sie immer wohnen, zugleich auch den Handel mit Angehörigen neutraler Staaten, die im Gebiet jener Monarchien wohnen. Franzosen dürfen also bei Strafe weder mit Schweizern in Deutschland oder Oesterreich-Ungarn Handel treiben, noch mit den in der Schweiz niedergelassenen deutschen und österreichischen oder ungarischen Kaufleuten. Lässt man das Handelsverbot einmal zu, so muss man eine gewisse Beeinträchtigung neutraler Interessen mit in den Kauf nehmen; sowohl das Domizil- wie das Nationalitätsprinzip bringen das mit sich. Die Verbindung beider Prinzipien aber schädigt die Neutralen doppelt. Der französische Handelsminister begründete das Nationalitätsprinzip u. a. damit, Frankreich müsse sich der deutschen Vermittler seines Handels, z. B. in Südamerika, entledigen.

Wann ist nun aber ein Haus schweizerischer, wann ist es feindlicher Nationalität? Handelt es sich um Einzelkaufleute, so ist die Antwort einfach die Nationalität des Inhabers entscheidet. Schwieriger ist es bei Handelsgesellschaften: ist der Sitz der Gesellschaft massgebend oder die Nationalität der Teilhaber, oder kommen noch andere Umstände in Betracht, wie das geschäftliche Verhältnis dieser Gesellschaft zu andern, oder das Land, in welchem das Gesellschaftskapital investiert ist?

Die Beratungen der französischen Deputiertenkammer vom 11. März 1915 (Journal off. 1915, p. 339 ff.) geben darüber nicht deutlich Auskunft. Der Berichterstatter der Kommission schien der Ansicht zu sein, die Gesetzgebung des Sitzes der Gesellschaft habe darüber zu entscheiden; die schweizerische Gesetzgebung hätte also darüber zu entscheiden, ob die bei uns niedergelassene Gesellschaft als schweizerische zu betrachten sei, die französische dagegen würde entscheiden über die Nationalität der Gesellschaften, die in Frankreich ihren Sitz haben. Es ist fraglich, ob man damit zu einer einheitlichen Lösung dieser doch internationalen Frage gelangen würde. Tatsächlich scheint aber das Verbot nicht in dieser Weise ausgelegt worden zu sein. Was die in Frankreich selbst niedergelassenen Gesellschaften anbelangt, so wird das formelle Moment des Sitzes nicht als entscheidend betrachtet, sondern, entsprechend der Tendenz der französischen Handelsgesetzgebung selbst, bei Kollektivund Kommanditgesellschaften die Nationalität der Teilhaber, bei Aktiengesellschaften, wie es scheint, vorwiegend die Nationalität der Aktionäre.

Der Zwangsverwalter entschied offenbar diese Frage auch hinsichtlich des Handelsverkehrs: wurde das ganze Geschäft (als feindliches) unter Sequester gestellt, so war auch der weitere Geschäftsverkehr mit ihm verboten; wurde dagegen kein Sequester verhängt, oder wurden nur die Anteile der feindlichen Teilhaber sequestriert, so blieb, wie es scheint, der Handelsverkehr im übrigen frei. Nach welchen Grundsätzen der Sequester durchgeführt wird, soll noch unten erörtert werden.

Für Häuser im neutralen Ausland kann man aber die feindliche Eigenschaft nicht durch die behördliche

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