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A. Internationale Angelegenheiten.

Wie das vorausgegangene, so scheint auch das Jahr 1915 seinen Kreislauf vollenden zu sollen, ohne dass die nahe Zukunft ein Ende des furchtbaren Völkerringens erkennen liesse. Der Felder, die das Blut heroischer Tapferkeit färbt, sind noch immer nicht genug. Als der Frühling sich anschickte, sein Regiment an den Sommer abzutreten, empfahl auch Italien seine Zukunft dem Kriegsgott, und in dem Zeitpunkt, da unser Jahresbericht in die Setzerei wandert, gärt es wieder mächtig auf dem Balkan, und bereits kommt die Kunde, dass auch dort wieder die männermordende Schlacht anhebt.

Die relative Stille, die auf den Schlachtfeldern des nahen Westens den Winter über herrschte, schien die anfängliche aufgeregte Teilnahme unseres Volkes an den weltbewegenden Vorgängen etwas ruhiger gestimmt zu haben; auch die Neubelebung des Krieges im Osten in den ersten Maitagen dieses Jahres vermochte das wieder stärker erwachende Interesse an den kriegerischen Operationen nicht in die Bahn der anfänglichen Aufregung zu lenken. Je näher aber die Schicksalsstunde für unsern südlichen Nachbarstaat Italien heranrückte, um so stärker griff auch in unserer Bevölkerung die Nervosität wieder Platz, und nur die Bilder der Bestürmung der Banken und der Lebens

mittelverkaufsstellen fehlten, um sich wieder in die Augusttage des letzten Jahres zurückversetzt zu fühlen. Die tollsten Gerüchte schwirrten von neuem im Lande herum, die gedankenlose Phantasie konstruierte alsobald die Gefahr einer Aushungerung der Schweiz beim Eintritt Italiens in den Krieg, dem Bundesrat wurde zugemutet, er stehe im Begriffe, wieder die ganze Armee aufzubieten. An Wachsamkeit fehlte es allerdings im Bundeshause nicht, eine neue Situation musste ja zweifellos für unser Land in dem Momente entstehen, da der Ring der kriegführenden Staaten um unser Land sich schloss, und für alle Eventualitäten galt es, Vorsorge zu treffen. Allein zu einer Höchstspannung des Misstrauens, das ja gerade in solchen historischen Momenten und Wandlungen aus der Politik und ihren Massnahmen nicht ausgeschaltet werden kann, lag ein wirklicher Grund nicht vor.

Auch an offizieller Stelle war man darüber im Klaren, dass die, übrigens längst unbedeutend gewordene Wareneinfuhr aus Italien in der ersten Zeit der Teilnahme dieses Staates am Krieg ganz aufhören dürfte. Fast schwerer als das Aufhören dieser Einfuhr musste das Ausbleiben des Transites von Kohle und Eisen aus Deutschland nach Italien empfunden werden, denn während Monaten hatte dieser Transit unsere Schienenstränge in ungewöhnlicher Weise befruchtet. Die Hauptsache aber war, dass wir keinen Grund hatten zu der Befürchtung, durch Italien ebenfalls in den Krieg verwickelt zu werden. Die Neutralitätspflicht allein und nicht die Befürchtung vor kriegerischen Verwicklungen an der Südgrenze diktierte die militärischen Massnahmen des Bundesrates vom Monat Mai. Indem er, wie von Anfang an, den Grenzschutz überall der allgemeinen Lage gemäss gestaltete,

brachte der Bundesrat jenes Geschwätz unverantwortlicher Zeitungsschreiber des Auslandes allmählich zum Verstummen, das immer wieder von Geheimverträgen der Schweiz faselte und das in die wirksame Bewachung unserer Grenze Misstrauen setzte. Allerdings fehlte es auch in Italien nicht an Blättern, die den Pressefeldzug einiger schlecht unterrichteten Organe gegen unser Land auf das entschiedenste verurteilten und darauf hinwiesen, wie die Aufrechterhaltung der Neutralität unser stärkstes staatliches Bollwerk bilde.

Die Notifikation der bundesrätlichen Neutralitätserklärung vom 5. August 1914 hatte, wie erinnerlich, Italien Veranlassung geboten, dem Bundesrat spontan die Anerkennung unserer Neutralität mündlich und schriftlich auszusprechen. In der bezüglichen Note erklärte die italienische Regierung: «Quoique l'Italie ne soit pas une des Puissances signataires de l'Acte du 20 novembre 1815, portant reconnaissance et garantie de la neutralité perpétuelle de la Suisse et de l'inviolabilité de son territoire, le Gouvernement du Roi s'est toujours inspiré des principes consacrés par cet Acte et est fermement résolu à observer cette attitude à l'avenir.»> Gewiss, Italien stand in dem Zeitpunkt, da es diese für uns bedeutsame Erklärung abgab, selbst noch in der Reihe der neutralen Mächte. Sollte sich mit der Aufgabe seiner Neutralität und der am 23. Mai beschlossenen Teilnahme am Krieg seine Gesinnung gegenüber der Schweiz gewandelt haben? Die Antwort auf diese Frage liess nicht lange auf sich warten. Am 24. Mai richtete die italienische Regierung an den Bundesrat folgende Erklärung:

« Die Regierung Seiner Majestät legt Wert darauf, dem schweizerischen Bundesrat die Erklärung betreffend die Anerkennung der ewigen Neu

tralität der Schweiz und der Unverletzlichkeit des schweizerischen Gebietes, die die königliche Regierung die Ehre hatte, ihm unter dem Datum vom 19. August 1914 zu überreichen, neuerdings zu bestätigen. Die Regierung Seiner Majestät des Königs von Italien, fest entschlossen, in Hinsicht auf die Schweiz alle ihre Pflichten als kriegführende Macht auf das peinlichste und loyalste zu beobachten, wünscht bei dieser Gelegenheit, dem Gefühl ihres vollsten Vertrauens Ausdruck zu geben, welches ihr die in der Note der schweizerischen Regierung vom 26. August enthaltenen Erklärungen betreffend den festen Willen des Schweizervolkes und die Haltung seiner Regierung in bezug auf die Neutralität und der sich daraus ergebenden Pflichten eingeflösst haben. »

Die Gegenerklärung des Bundesrates lautet:

<< Im Augenblick, da Italien im Begriffe ist, sich an den kriegerischen Ereignissen zu beteiligen, legt der schweizerische Bundesrat Wert darauf, der königlich italienischen Regierung die formelle Versicherung der absoluten Neutralität, die in der Erklärung des schweizerischen Bundesrates vom 5. August des vergangenen Jahres und wiederholt in seiner Note vom 26. Dezember niedergelegt war, in aller Form zu bestätigen.

Der schweizerische Bundesrat, fest entschlossen, in seinen Beziehungen zu Italien alle seine Pflichten als Neutraler aufs loyalste und peinlichste zu beobachten, wünscht bei dieser Gelegenheit dem Gefühl des vollen Vertrauens Ausdruck zu geben, welches ihm die in der Note vom 19. August vergangenen Jahres niedergelegte Erklärung eingeflösst hat, wonach die königlich italienische Regierung entschlossen ist, für die Zukunft, wie sie es für die Vergangenheit getan, die durch die Akte vom 20. November 1815 festgelegten Grundsätze betreffend die Anerkennung der ewigen Neutralität der Schweiz und der Unverletzbarkeit ihres Territoriums zu befolgen. >>

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