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Gleichzeitig mit ihrer Erklärung fragte die italienische Regierung den Bundesrat an, ob er geneigt wäre, die Vertretung der italienischen Interessen in Deutschland während der Dauer des Krieges zu übernehmen. Der schweizerische Bundesrat nahm diese freundschaftliche und ehrenvolle Mission an und erteilte der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin die gewünschten Instruktionen.

Auch Deutschland wandte sich mit einem solchen Ersuchen an den Bundesrat, indem die deutsche und die bayrische Regierung ihn anfragten, ob er geneigt wäre, die Vertretung der deutschen und der bayrischen Interessen in Italien während der Dauer des Krieges zu übernehmen. Der Bundesrat entsprach auch dieser freundschaftlichen und ehrenvollen Mission und liess der schweizerischen Gesandtschaft in Rom die nötigen Instruktionen zukommen.

Wie Italien, so erneuerten Deutschland und Oesterreich-Ungarn ihre im Monat August vorigen Jahres abgegebenen Erklärungen über die Anerkennung unserer Neutralität. Die bezügliche Mitteilung des Politischen Departements vom 24. Mai dieses Jahres lautet:

<< Die deutsche Reichsregierung und die österreichisch-ungarische Regierung haben dem Bundesrat mitgeteilt, dass sie selbstverständlich die bei Kriegsausbruch abgegebenen Erklärungen der strikten Respektierung der schweizerischen Neutralität auch unter den durch die Beteiligung Italiens am Kriege veränderten Verhältnissen aufrecht erhalten. »

Ohne alle Hintergedanken konnte der Bundesrat seine Antwort auch an diese beiden Staaten in die formelle Versicherung fassen, dass wir nach wie vor gewillt seien, an unserer strengen Neutralität festzu

halten. Wir dürfen es unbedenklich behaupten: kein neutraler Staat steht dem europäischen Ringen mit grösserm politischen Desinteressement gegenüber als die Schweiz, und keiner kann von einem entschlossenern Willen beseelt sein, in diesem Krieg einfach seine Unabhängigkeit und neutrale Stellung zu wahren. Wo nicht Vorurteile, mangelndes Verständnis für unsere ganze politische Existenz oder böser Wille das Urteil des Auslandes trübten, wurde denn auch das streng neutrale Verhalten unserer Behörden anerkannt und fand die Haltung unseres Bundesrates rückhaltlose Anerkennung. In einem Artikel über « Die Neutralen in diesem Kriege » widmete eine deutsche Zeitschrift der Schweiz folgende Sätze: «Eine einzige neutrale Macht in Europa gibt es, die nach menschlichem Ermessen von solchen Krisen und Gefahren (wie sie andern Neutralen aus der Umwerbung ihrer Stimmung und Gesinnung erwachsen können) nicht bedroht werden kann: die Schweiz. Mitten auf dem europäischen Festlande liegend, ohne Verbindung mit der See und in beinahe unangreifbarer Stellung, wehrkräftig, nach allen Seiten unabhängig, hat die Schweiz es stets verstanden, das Ideal der Neutralität ohne Schaden für sich selbst zu verkörpern. So ist es auch in diesem Kriege. Wirtschaftlich leidet die Schweiz allerdings schwer durch die Blockade der europäischen Küsten. Ausserdem machen sich im schweizer. Bundesgebiet die Sympathien und Antipathien der verschiedenen Nationalitäten in bezug auf die kriegführenden Mächte bemerkbar. Das ist aber jetzt eine Erscheinung von minderer Bedeutung, und man darf nach wie vor annehmen, dass die Schweiz im Sinne des Wortes unparteiisch bleiben und jede Verletzung ihrer Neutralität durch kriegführende Parteien kräftig mit der Waffe zurückweisen wird. Die Neutralität der Schweiz ist eine nach Aussen in jedem Sinne uninteressierte Neutralität. »>

Aehnliche Urteile fanden sich, neben allerdings weniger freundlichen Widmungen an unser Land, auch

in der französischen, italienischen und englischen Presse.

Leider hat nun aber auch diese strikteste Neutralität unseres Staates das Eine nicht zu erreichen vermocht: unser Land vor den schwersten Einflüssen und Rückwirkungen des Wirtschaftskrieges zu bewahren und uns die Rechtsstellung zu sichern, auf die wir als Neutrale Anspruch zu erheben berechtigt waren. Wie kaum ein zweiter neutraler Staat verspüren wir wirtschaftlich die Ausschaltung des Völkerrechtes und seiner Satzungen über die Rechte der Neutralen.

Wohl wussten wir, dass in den Handelsverträgen mit unseren Nachbarstaaten die Kriegsklausel existiert, wonach Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote mit Bezug auf << Kriegsbedarf » bezw. «Kriegsereignisse » zulässig sind. Allein bei der erfolgten Ausgestaltung des politischen Krieges auch zum rücksichtslosen Wirtschaftskrieg blieb es nicht beim Verbot der Aus- und Durchfuhr von eigentlichem Kriegsmaterial, sondern es wurden diese Verbote auf Lebensmittel und auf Rohstoffe für die Industrie in weitestgehendem Masse ausgedehnt. Der Schutz der Neutralen erheischte ein ähnliches Vorgehen selbst im Verkehr unter sich, so dass von den Verboten nach und nach fast der ganze Handelsverkehr betroffen wurde.

Von den wachsenden Schwierigkeiten des Importes war bereits im letzten Jahresberichte die Rede, unter Bezugnahme auch auf die Ausführungen des Bundesrates in seinem Bericht über die von ihm getroffenen Kriegsmassnahmen.

Der Bundesrat bemerkte in jenem Bericht vom 1. Dezember 1914: «Wir haben nicht ermangelt, die den Neutralen zukommende Rechtsstellung dem Vorgehen einzelner kriegführender Staaten gegenüber, das ja

allerdings nicht gegen sie, sondern gegen andere kriegführende Staaten gerichtet ist, aber dessenungeachtet seinen folgenschweren Rückschlag auch gegen die Neutralen ausübt, nach Kräften zu wahren. Da diese wichtige Frage zurzeit noch keine Lösung gefunden hat, müssen wir uns versagen, im gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Einzelheiten einzutreten.» Der Bericht hätte freilich viele Monate später erscheinen müssen, sollte er von einer solchen Lösung sprechen können, erst der Monat September d. J. brachte den Abschluss der mühevollen, langwierigen Verhandlungen mit den Mächten des Vierverbandes über die sog. Trustfrage, nachdem eine Verständigung über die Kontrolle der aus Deutschland einzuführenden Waren bereits im Monat Mai erfolgt war.

Zu Beginn des Jahres standen noch die Unterhandlungen mit Italien im Vordergrund. Die Verdächtigungen, denen die Schweiz seit Wochen in der ausländischen Presse ausgesetzt war: dass sie mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln eine Vermittlerrolle im indirekten Handelsverkehr mit den Zentralmächten spiele, hatte bekanntlich auch das italienische Dekret vom 13. November 1914 zur Folge. Durch dieses Dekret wurden die Vorschriften über die Ausstellung der Schiffspapiere für den Transit von Waren nach neutralen Ländern abgeändert. Da die vor dem 13. Nov. auf dem Meer schwimmenden Ladungen in ihren Schiffspapieren den neuen Vorschriften nicht entsprachen, ergaben sich gewaltige Stockungen des Güterverkehrs in dem ohnehin überlasteten Hafen von Genua, und damit auch für den Import nach der Schweiz. Bei der Sperrung der nördlichen Zufahrtslinien, und da auch die französischen Häfen nur teilweise zugänglich waren, mussten die für unser Land bestimmten Waren über Genua geleitet werden. Der Wagen

mangel der italienischen Bahnen trug das Seinige zur Verschlechterung der Situation bei, und die Transportschwierigkeiten wurden noch erhöht durch die Verfügung der italienischen Staatsbahnen betr. das Verbot der Verwendung von gedeckten italienischen Wagen mit Bestimmung nach der Schweiz und des Ueberlassens der italienischen Wagendecken auf offenen Wagen. Den Bemühungen des Bundesrates gelang es, nach etlichen Wochen eine etwelche Besserung der Verhältnisse zu erzielen, doch hielt diese nicht lange an, und es bedurfte der energischen Tätigkeit des in besonderer Mission nach Rom entsandten Unterhändlers Nationalrat Alfred Frey, um wenigstens ein leidliches Arrangement zu erzielen. Im Monat Februar d. J. kam nach mühsamen Verhandlungen auch eine Vereinbarung zwischen Vertretern der Bundesbahnen und der ital. Staatsbahnen betr. die gedeckten Wagen und die Blachen zustande. Doch die Schwierigkeiten konnten nie gründlich behoben werden, um so weniger, als Italien seine Wirtschaftspolitik in immer stärkerem Masse unter dem Drucke Englands orientierte. Von Italiens Rolle als vorgeschobener Posten Grossbritanniens zeugte sein am 13. Juni an den Bundesrat gerichtetes Einfuhr-Ultimatum.

«Wir werden auch den letzten Neutralen zwingen, auf Seite des Dreiverbandes zu treten, » hatte bald nach dem Ausbruch des Krieges ein englischer Minister verkündet. Und nach dieser Parole schien der Dreiverband und nachherige Vierverband unter Englands gebieterischer Führung immer mehr den Wirtschaftskrieg gestalten zu wollen, unbekümmert um die Rechte der Neutralen und bezügliche internationale Abmachungen.

Als Grossbritannien und in seinem Gefolge Frankreich schrieb Nationalrat Alfred Frey in einer Artikelserie der N. Z. Z. über « Die Verhandlungen zum

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