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zuteil werden. Auf allen möglichen Gebieten wurden dem Publikum Weisungen und Richtungen gegeben.

Ist das Schweizervolk unter dem Einfluss des Krieges wirklich so ratbedürftig geworden? Leider lässt sich nicht leugnen, dass der Krieg für uns bisher weder zum politischen Erzieher noch zum Erneuerer der sittlichen Lebensmächte werden sollte. Er hat uns auf national-politischem Gebiete nicht nur nicht gestärkt, sondern im Gegenteil bedenklich geschwächt, er hat den grossen eidgenössischen Gedanken, den wir längst schon ermatten sahen, nicht zu beleben und zu befruchten vermocht, und wenn nicht bald die Wendung erfolgt, werden wir nach dem Krieg mit einem bedenklichen Defizit nationaler Kräfte in die veränderte Welt eintreten. Wie dies alles gekommen, braucht hier des nähern nicht geschildert zu werden. Auch im Leben der Völker spielt man nicht ungestraft mit dem Feuer. Die vielfach masslose Parteinahme in diesem europäischen Ringen konnte unmöglich ohne Folgen für unser aus verschiedenen Sprachen und Kulturen zusammengesetztes Staatswesen bleiben. Umsonst mahnte die Landesregierung zu verschiedenen Malen zur strikten Neutralität, umsonst predigte die einsichtige Presse das Pathos der Distanz gegenüber den kriegführenden Staaten. Die natürlichen Sympathien wuchsen sich auf dem Boden der Rasseninstinkte, der Sprach- und Kulturgemeinschaft und unter Einflüssen verschiedener Art1) zur leidenschaftlichen Stellungnahme aus und

1) Neben Prof. Paul Seippel, in seinem Vortrag „Le point de vue de la Suisse romande“, hat namentlich Prof. Dr William Rappard in Genf den Versuch gemacht, uns Deutschschweizern das Verständnis für die einseitige Stellungnahme der welschen Schweiz zu erschliessen. Nicht nur die psychologische Vertiefung dieser Studie, sondern

die Antipathien gaben sich vielfach in hässlichen Manifestationen kund. Statt vor allem an den eigenen Staat zu denken, und seine Interessen wahrzunehmen, statt im guten Sinne des Wortes dem sacro egoismo zu huldigen und nur schweizerisch zu empfinden, verschwendeten bei uns nicht nur Einzelne, sondern ganze Volksteile ihre moralische Kraft für das Ausland. Wir waren, Deutsch und Welsch, weiter auseinander, als wir es uns eingestehen wollten, und nur Mangel an Mut zur Ehrlichkeit kann behaupten, dass der Graben, der sich seit dem Krieg im Schweizerland zwischen Ost und West aufgetan, heute bereits wieder zugedeckt sei. Beklatschte Bankettreden sind noch lange kein Beweismaterial. Noch immer sehen wir die verderbliche Leidenschaft ihr Wesen treiben, wir sehen Vorgänge, deren staatsgefährlicher Charakter nach der Ansicht vieler ein Einschreiten des Bundesrates nicht als überflüssig erscheinen liesse. Wo blieb die bewunderungswürdige Einigkeit und Geschlossenheit, in der, wie es im Aufruf des Bundesrates vom 5. August 1914 hiess, das Schweizervolk hinter den Behörden steht? auch die vornehme Ruhe und Vorurteilslosigkeit gesellen Rappards in jeder Beziehung gehaltvolle Schrift „Zur nationalen Verständigung und Einigkeit" dem besten bei, was die „Kriegsliteratur“ unseres Landes gezeitigt hat. Wir haben ihr gegenüber nur die eine Einwendung zu machen, dass sie uns weniger in die Psyche der welschen Eidgenossen überhaupt, als nur der sog. intellektuellen Kreise und nicht einmal aller einzuführen scheint. Die Haltung der grossen Masse gegenüber dem Ausland bestimmen nach unserer Ueberzeugung in solchen Zeiten eben doch vor allem die Rasseninstinkte und die Sprach- und Kulturverwandtschaft.

Aus unserer „Kriegsliteratur" seien hier ferner noch besonders erwähnt: Prof. Dr. O. Nippold (Bern) „Neutrale Pflichten und nationale Aufgaben“ und Prof. Paul Wernle (Basel) Gedanken eines Deutsch-Schweizers".

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Wie ein Traum ist jene stolze, erhebende Stimmung der ersten Augusttage wieder entschwunden, und je weiter die Kriegsgefahr von unserm eigenen Herde wegrückte, um so gebieterischer machte sich der analytische Trieb der Einzelinteressen wieder geltend und traten der Partikularismus und die Abkehr vom staatlichen Ganzen wieder in die Erscheinung.

Schon wenige Wochen nach dem Ausbruch des Krieges musste der Bundesrat einer pflichtvergessenen Presse gegenüber mit der Zensur drohen. Obschon er diese in weitherziger Auffassung der Pressfreiheit handhabte und nur selten einschritt, blieb ihm doch jene Zensurdebatte in der Junisession d. J. nicht erspart, in der im Namen der individuellen Freiheit die << Diktatur» der Bundesregierung auf die Anklagebank gesetzt wurde. Wenn wir auch heute über jene Diskussion ruhiger urteilen können, als unter dem unmittelbaren Eindruck ihrer Voten, so hat sie eben doch die Hoffnung vollends erschüttern müssen, die gewaltige Zeit, die die ganze Aufgabe und Tätigkeit des Staates so grell beleuchtet, werde nicht spurlos an der individualistischen Staatsauffassung, wie sie zumal in der Westschweiz lebendig ist, vorübergehen. Gewiss, in der Zensurfrage selbst fehlte es nicht an welschen Blättern, die für die Schärfe der von einem Genfer Abgeordneten geübten Kritik kein Echo hatten; wir konstatieren diese Tatsache mit nicht geringerer Freude als die andere, dass führende Blätter der Westschweiz je und je für die nationale Verständigung durch die Verurteilung chauvinistischer Extravaganzen wirkten. Im allgemeinen muss man aber doch sagen, dass die Wellen jenes mächtigen staatlichen Empfindens, jenes Aufgehens des einzelnen Bürgers im staatlichen Ganzen, wie wir es in den kriegführenden Staa

ten, sehen, unser Land kaum erreichten und vollends in jene Teile nicht gelangten, wo bisweilen die Freiheit im Staat nur zu leicht mit der Freiheit vom Staat verwechselt wird.

Vergegenwärtigt man sich, welche unerfreuliche Entwicklung die ganze Stimmung unseres Volkes erfahren hat seit dem kurzen Auflodern jener anfänglichen freudigen Entschlossenheit zu allen Opfern, so kann der Ausblick in unsere staatliche Zukunft kaum ein erfreulicher sein. Was soll der Trost, dass in der Stunde höchster Gefahr unsere Einigkeit und unser Opfersinn ihre Probe beständen! Heute, wo wir unsere beste Kraft nutzlos vergeudet haben, tritt die Gewissensfrage an uns heran, ob wir die zahlreichen schweren Aufgaben, die unser nach dem Kriege harren, zu bewältigen noch im Stande sein werden. Im Glauben, dass wir Eidgenossen, wenn einmal die Schlacken der heutigen Leidenschaften beseitigt sind, uns wieder finden und verstehen werden, geben wir auch die Hoffnung nicht auf, es werde uns beschieden sein, unser Schweizerhaus weiter ausbauen zu können. Aber bevor wir an diesen Ausbau denken dürfen, werden wir die Fundamente des Hauses, die so bedenklich ins Wanken kamen, tüchtig stützen und verstärken müssen. Für diese Arbeit gilt es und zwar ist es die höchste Zeit das geistige Material und Rüstzeug zu meln. Wer sich heute noch immer der Einsicht verschliesst, was uns so dringend Not tut, soll nicht mehr hinter der eidgenössischen Fahne marschieren.

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Die Bewegung, die dermalen durch das Land geht, dass vor allem auch die Schule berufen sei, an der Neubildung eines widerstandsfähigen nationalen Geistes mitzuwirken, verdient zweifellos alle Beachtung. Sie fand ihren parlamentarischen Niederschlag in der vom

Ständerat mit allen gegen eine Stimme angenommenen Motion Wettstein, durch die der Bundesrat beauftragt wurde, zu prüfen und Bericht zu erstatten, in welcher Weise die staatsbürgerliche Bildung und Erziehung der schweizerischen Jugend gefördert werden könnte. Seither war die Frage auch Gegenstand der Erörterung durch die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und durch verschiedene schweizerische Lehrervereinigungen, und auch in der Presse erfuhr das Problem eine sehr ausgiebige Behandlung. Eine Unmasse Vorschläge tauchte dabei auf und es ist nicht zu leugnen, dass zum Teil weit überspannte Forderungen an die Schule gestellt werden möchten. Gewiss ist, dass diese berufen ist, an der Lösung der Frage mitzuwirken, nach unserer Ansicht im besondern dadurch, dass sie der Erziehung der Jugend wieder einen grössern Platz einräumt und nicht in erster Linie den Examenerfolg anstrebt. Gerade im Hinblick auf die Erscheinungen, die der Forderung eines bessern staatsbürgerlichen Unterrichtes gerufen haben, kann man nicht genug die Bedeutung der erzieherischen Seite betonen. Alle Bildung strebt zur Freiheit des Geistes, alle Erziehung zur bewussten Einordnung des Einzelnen unter das Ganze.

Es fehlt uns hier der Raum, um des nähern auf das Problem und die Vorschläge zu seiner Lösung eintreten zu können. Wir möchten nur noch erwähnen, dass sich an der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren und am schweizerischen Lehrertag in Zürich auch der Vorsteher des eidgenössischen Departements des Innern, Bundesrat Calonder, in einer gehaltvollen Rede vernehmen liess und dabei die Stellung des Bundes zu der Frage skizzierte. (Der Leser findet die Ausführungen am Lehrertag unter den Beilagen zum Jahresbericht.)

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