Mit einigen Worten sei hier noch der Entwicklung der Zensurfrage Erwähnung getan. Wenn in der bereits genannten Sitzung des Nationalrates ein Vorwurf gegenüber der Zensur mit Grund erhoben worden ist, so war es der ihres Mangels an Einheitlichkeit und Uebersichtlichkeit. Eine Reihe von Behörden nahm das Kontrollrecht gegenüber der Presse für sich in Anspruch und sie übten es unabhängig voneinander und ungleichmässig aus. Zwischen der militärischen und politischen Presskontrolle bestand eine feste, sichere Unterscheidung und Abgrenzung nicht, die militärische Instanz hielt sich für verpflichtet, auch bei der politischen Zensur mitzuwirken. Der Bundesrat, dem die Uebergriffe und Ungeschicklichkeiten speziell der militärischen Zensurbehörde erst nachträglich bekannt geworden waren, entzog sich der Wünschbarkeit einer Neuordnung der Zensurverhältnisse nicht. Nachdem er die Neutralitätsverordnung vom 2. Juli d. J. erlassen, zu ihrer Handhabung wurde als Vertreter der Bundesanwaltschaft Prof. Dr. W. Burckhardt gewählt folgte am 27. Juli der Bundesratsbeschluss über die Presskontrolle während den Kriegswirren (vergleiche den Anhang). Er trug den Wünschen der Presse durchaus Rechnung. Dieselben gingen dahin: 1. keine Verschärfung der Zensur, 2. bestimmte Ausscheidung zwischen der militärischen und der politischen Pressekontrolle und Beschränkung der erstern auf ausschliesslich militärische Nachrichten, 3. Einheitlichkeit und Gleichmässigkeit der politischen Pressekontrolle. Der Bundesratsbeschluss vom 27. Juli bezieht sich ausschliesslich auf die politische Pressekontrolle; er brachte die Einsetzung einer Presskontrollkommission, in der die Presse durch zwei ihrer Mitglieder vertreten ist. Diese Kommission stellte sodann auf Grundlage des Bundesratsbeschlusses für ihre Massnahmen eine ziemlich einlässlich gehaltene Ordnung auf (vergl. den Anhang). In seiner geistvollen Rede an der Jahresversammlung der Neuen Helvetischen Gesellschaft (26. September 1915) verbreitete sich Prof. Dr. Max Huber über den schweizerischen Staatsgedanken, der aus zwei Elementen zusammengesetzt sei: aus dem demokratischen Prinzip, der Idee des volkstümlichen Staates einerseits und anderseits aus der Idee der über die Nationalitäten hinwegreichenden, politischen Nation. Nach dem zweitgenannten Element, das sich gegen das übersteigerte Nationalitätenprinzip richtet, gehört dieser Staatsgedanke, wie der Redner selbst konstatierte, nicht unserer Jahrhunderte alten Geschichte an; er bedeutet für uns ein neues Problem, wir müssen diesen Staatsgedanken erst uns völlig erwerben und verdienen. Nicht genug kann unserm rasch lebenden Geschlecht zu Gemüte geführt werden, wie sehr es notwendig ist, dass ein Volk sich immer wieder der grossen Idee bewusst werde, auf der der Staat aufgebaut und von der er beherrscht wird. Denn ein Staat kann, wie Bundesrat Welti in einer Rede einmal ausführte, nicht bloss auf den Sätzen des Rechts, nicht bloss auf Verfassungs- und Gesetzesartikeln aufgebaut sein, sondern ein jedes Volk, das darauf Anspruch erhebt, neben den andern Völkern Europas zu bestehen, muss eine bestimmte Idee vertreten, es muss ein bestimmter Gedanke durch einen solchen Staat gehen. Und wir, die wir nicht bloss klein, sondern zusammengesetzt sind aus verschiedenen Sprachfamilien und Konfessionsgemeinschaften, brauchen diesen Gedanken erst recht. Auf dem dunkeln Hintergrund der heutigen Zeit hebt sich hell und licht eine Tat ab, die wie kaum eine andere der jüngsten Gegenwart den Staatsgedanken der neuen Eidgenossenschaft verkörpert. Wenn mit der unsern Bund beherrschenden Idee die Bundessubventionen an die einzelnen Kantone aufs engste verknüpft sind, so dürfen wir einen noch spezifischeren Ausdruck dieses Gedankens in der freiwilligen Hilfe an bedrängte Bundesglieder erblicken. Dem ältesten eidgen. Stand, Uri, über den schweres finanzielles Unglück hereingebrochen war, bewilligten die eidgen. Räte durch die einstimmige Annahme der vom Bundesrat eingebrachten Vorlage (Bbl. III, 253) ein Darlehen von fünf Millionen Franken. Wenn je das Wort berechtigt war, dürfen wir hier sagen: unter Zustimmung des ganzen Volkes. Am 1. Januar d. J. trat das Bundesgesetz über die Reorganisation der Bundesverwaltung in Kraft. Ein abschliessendes Urteil über die organisatorischen Neuerungen dürfte heute kaum schon möglich sein. Stärker als das organisatorische Moment tritt übrigens gerade heute in der Leitung der Bundesverwaltung das persönliche in den Vordergrund: mit Stolz blickt der Schweizer zu seiner Landesregierung empor und dankbar nennt er die Namen der Männer, die mit zielbewusster Energie, mit Weitblick und unermüdlicher Arbeitskraft in dieser sturmbewegten Zeit unser Staatsschiff leiten. Die Frage einer umfassenden Verwaltungsreform tauchte meteorartig in der diesjährigen Junisession im Ständerat auf. Im gedruckten Bericht der ständerätlichen Geschäftsprüfungskommission erschien zur allgemeinen Ueberraschung eine bezügliche Anregung. Von der Reorganisation der Bundesverwaltung sprechend, konstatierte der Berichterstatter über die Geschäftsführung des Politischen Departements, der Bundesrat habe erfreulicherweise alle vorbereitenden Anstalten getroffen, um die im Reorganisationsgesetz niedergelegten Reformgedanken zu möglichst rascher und augenscheinlicher Wirksamkeit gelangen zu lassen. Immerhin fuhr er dann aber fort werde diese Reorganisation von grösseren Gesichtspunkten aus nur als Behelf zu betrachten sein. Es werde nötig sein, eine durchgreifende Verwaltungsreform vorzubereiten. Als Ziele seien aufzustecken: die Schaffung einer klaren und zweckmässigen Kompetenzausscheidung zwischen Kantonen und Bund und zwischen den einzelnen Instanzen selbst, die Regelung eines einfachen Verfahrens und Instanzenzuges und die möglichste Vermeidung oder doch Verringerung der schädlichen Doppelspurigkeit innerhalb der eidgenössischen Verwaltung und zwischen den eidgenössischen und kantonalen Administrationszweigen. Die Studien und Vorarbeiten für eine solche durchgreifende Verwaltungsreform, die auch vom Gedanken der Vermeidung von unnützen Kosten und der Ausschaltung unnützer Arbeitskräfte getragen sein soll, dürften grosse Schwierigkeiten bieten und lange Zeit in Anspruch nehmen. Sie sollten deshalb in geeigneter Weise ohne Verzug in Gang gebracht werden. Der Bundesrat konnte diesem politischen Programm nicht die Aufnahme bereiten, die es an sich verdient hätte. Sein Sprecher musste notwendigerweise als Gebot der Zeit den Vorrang des Notwendigen und Dringlichen vor dem Wünschbaren betonen. Wie sollte heute die Exekutive den zahllosen und mühevollen Aufgaben des Tages und den dringlichen Problemen der nächsten Zukunft noch Studien über eine umfassende Verwaltungsreform beigesellen können! Und in einem Zeitpunkt, wo die Eintracht des ganzen Schweizervolkes so sehr vonnöten ist, soll eine Frage in die öffentliche Diskussion geworfen werden, die an dem Fundament unseres staatlichen Grundgesetzes rüttelt, und die, wie kaum eine zweite, geeignet wäre, die Eintracht zu trüben? Wir müssen zufrieden sein, wenn uns der Krieg nicht um die nationalen Kräfte bringt, deren wir bedürfen, um zunächst die Einbürgerungsfrage und die unseres Erachtens noch dringlichere umfassende Finanzreform zu lösen. Auch das Militärwesen wird auf Grund der gegenwärtigen Erfahrungen in manchen Punkten zu revidieren sein. In die Nähe gerückt ist sodann die Erneuerung der Handelsverträge, ein Problem, dessen Bedeutung im Lichte der unabwendbaren Neuorientierung unserer ganzen Handelspolitik zu ermessen ist. Die Vorberatung eines einheitlichen Strafgesetzbuches steht vor ihrem Abschlusse, auf dem Gebiete des Zivilrechtes harren noch verschiedene Teile der Revision. Volkswirtschaftliche und soziale Postulate sind längst schon angemeldet. Das Pensum, bemerkte der Vertreter des Bundesrates in seiner Antwort auf die Anregung der ständerätl. Geschäftsprüfungskommission, dürfte für ein oder mehrere Dezennien genügen. Ziemlich optimistisch liess sich die Geschäftsprüfungskommission über die Lösung der Einbürgerungsfrage vernehmen. Der gegenwärtige Anschauungsunterricht über die Bedeutung und die Konsequenzen der Ueberfremdung darf nach ihrer Ansicht zu der Erwartung berechtigen, dass einer grosszügigen Lösung der Frage nicht mehr viele Hindernisse im Wege sein sollten. Angesichts der ausserordentlichen Stärkung, die der nationale Gedanke bei den kriegführenden Völkern erfahren werde, dürfte aber eine Lösung auf dem Wege des Zwanges kaum zu umgehen sein. Der Vorsteher des Politischen Departements, Bundesrat Hoffmann, stimmte den Ton der Zuversicht nicht ganz so hoch. Auch er sei von der Notwendigkeit energischer Massnahmen vollständig überzeugt, doch |