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und namentlich auch die Vereinheitlichung des materiellen Strafrechtes zum Ziele führen möchte. Nachdem durch den Krieg so manches staatliche Problem aufgetaucht oder dringlich geworden ist, liegt es, wie wir heute glauben, nur im Interesse des Gelingens der Prozessreform, wenn ihre Beschleunigung nicht erzwungen werden will. Sie muss und wird kommen, heute aber hätte sie zweifellos noch mit gewaltigen Widerständen zu rechnen.

Neben den bereits erwähnten gesetzgeberischen Aufgaben sind, wie bekannt, dem eidgen. Justizdepartement zurzeit noch eine Reihe anderer von grosser Bedeutung überbunden. Der Verfassungsartikel über das Verwaltungsgericht harrt seiner Ausführung, ein eidgen. Beamtengesetz ist postuliert, das Lotteriewesen soll durch die Bundesgesetzgebung geordnet werden, die Frage der Doppelbesteuerung in einem Bundesgesetz ihre Regelung erfahren usw. Ist es auch nicht möglich, an dieser Stelle im einzelnen über das Stadium der gesetzgeberischen Vorbereitung dieser Materien nähere Mitteilungen zu machen, so können wir doch soviel konstatieren, dass das Departement seine bezügliche präparatorische Tätigkeit, trotz der vielseitigen Inanspruchnahme durch die «Kriegsmassnahmen »>, keineswegs unterbrochen hat.

Auf kantonalem Gebiete ist die Revision des Strafgesetzbuches für den Kanton Baselstadt zu erwähnen, über die der Regierungsrat zu Beginn des Jahres dem Grossen Rat eine Vorlage unterbreitete; ferner die Revision des Polizeistrafgesetzes für den Kanton Luzern, dessen Grosser Rat eine bezügliche Vorlage in erster Lesung angenommen hat. Der Grosse Rat des Kantons Wallis nahm in zweiter Lesung ein Gesetz über die Kinematographen an, das Kindern

unter sechzehn Jahren den Besuch dieser modernen Volksbildungsstätten verbietet. Der bernische Gesetzentwurf über das Lichtspielwesen und Massnahmen gegen die Schundliteratur ist nunmehr vom Grossen Rat in erster Lesung durch beraten.

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des

Mit dem im Monat Mai erfolgten Beitritt Kantons Thurgau (29. August 1915) zum Konkordat betreffend die Gewährung gegenseitiger Rechtshilfe zur Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche gehören diesem Konkordat nunmehr alle Kantone ausser Genf an.

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Die aussergewöhnliche Tätigkeit, die die Militärjustiz infolge der Mobilisation auszuüben im Falle ist, musste fast notwendigerweise die Bewegung für die Revision des Militärstrafrechtes fördern. Die Diskussion, die über diese Frage in der Junitagung im Nationalrat stattfand, und die aus der Kritik der Militärjustiz herauswuchs, zeigte deutlich, wie allgemein das Verlangen nach einer Modernisierung des über sechzig Jahre alten Militärstrafgesetzbuches ist. Man hat dieses mit Recht als einen Anachronismus bezeichnet. Die Rechtsauffassungen und Theorien, die der Gesetzgeber vom Jahre 1851 in dieses Strafgesetz niederlegte, sind nicht mehr die unsrigen; unter den verschiedensten Einflüssen haben sie sich gewandelt und andern Anschauungen Platz gemacht. Die Strafausmessung z. B. stellt im bestehenden Gesetz einseitig auf den Erfolg des Deliktes ab; auf die Willensrichtung des Täters, die Stärke seines bösen Willens usw. nahm der einstige Gesetzgeber wenig oder gar keine Rücksicht. Je länger je mehr mussten sich für den Richter Gewissenskonflikte ergeben, wollte er sich streng an

die gesetzlichen Bestimmungen halten, eine freiere Anschauung des Gesetzes führte aber zu der tatsächlich nicht unbedeutenden Verschiedenheit in der Judikatur der Militärgerichte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass mehr als eine Freisprechung einen eigentlichen Protest gegen die unserm heutigen Empfinden unverständliche Härte des Gesetzes darstellt.

Das Verlangen nach einer Revision des Militärstrafgesetzbuches datiert, wie angedeutet, nicht von heute. Schon vor mehr als dreizehn Jahren, im Juni 1902, unternahm im Nationalrat Hr. Brosi mit seiner Motion einen Vorstoss. Obschon das Bedürfnis nach einer Totalrevision des Gesetzes allgemein anerkannt war, glaubte sich der Motionär im Hinblick namentlich auf die in Aussicht stehende Vereinheitlichung des bürgerlichen Strafrechts auf eine Partialrevision beschränken zu sollen. Er postulierte eine Novelle, durch welche dem Richter gestattet wird, bei der Strafzumessung in Friedenszeiten unter das angedrohte Strafminimum herabzugehen oder auf eine mildere Strafart zu erkennen. Wie heute galt die Kritik vor allem den angedrohten hohen Minimalstrafen und dem. Umstand, dass das Gesetz bei den Strafandrohungen für gemeine Delikte im Gegensatz zu den rein militärischen keinen Unterschied kennt zwischen strafbaren Handlungen, die im aktiven Dienst, und solchen, die im blossen Instruktionsdienst begangen werden.

Das Ergebnis der Revisionsbewegung war die Novelle vom Jahre 1903, die sich darauf beschränkte, den militärischen Richter zu ermächtigen, in den Fällen der Eigentumsbeschädigung, des Diebstahls, der Veruntreuung und des einfachen Betruges das Minimum der angedrohten Freiheitsstrafe bis auf einen

Drittel zu ermässigen, und erforderlichenfalls an die Stelle der Zuchthausstrafe Gefängnisstrafe zu setzen.

Das

Die heutigen Verlangen gehen erheblich weiter als die Motion Brosi vom Jahre 1902. Ganz radikal möchten die Sozialdemokraten verfahren, die gleich die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit überhaupt fordern. Sie wollen also nicht bloss mit dem materiellen Militärstrafrecht, sondern auch mit dem Strafprozess und der Institution der Militärgerichte aufräumen. Postulat einer Einschränkung des Geltungsbereiches des Militärstrafrechtes geht dahin, es seien von den Militärgerichten nur noch die spezifisch militärischen Delikte zu beurteilen. Nach der erwähnten Diskussion im Nationalrat ist als Minimalforderung für eine Revision zu verzeichnen die Ausdehnung der Novelle vom Jahre 1903 auf die im Aktivdienst begangenen Verbrechen. Der Vertreter des Bundesrates schien anfänglich dieser letztern Lösung zuneigen zu wollen, eine nähere Prüfung der Frage weckte dann aber doch Bedenken, ob eine bezügliche generelle Bestimmung zu genügen vermöchte, oder ob auf die einzelnen Tatbestände einzutreten sei. Eine Reihe von Punkten war unter Verwendung statistischen Materials noch näher abzuklären.

Am 12. Oktober d. J. erliess der Bundesrat folgende Verordnung über die Abänderung gewisser Bestimmungen des Militärstrafgesetzes vom 27. August 1851 für die Dauer des gegenwärtigen aktiven Dienstes (A. S. n. F. XXXI, 351).

Art. 1. Die Bestimmungen des Militärstrafgesetzes vom 27. August 1851 werden abgeändert wie folgt:

a) Wenn das Gericht mildernde Umstände zuerkennt, kann die im 2. Absatz des Art. 65 vorgesehene

Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten bis zu zwei Jahren und die in Art. 78 b vorgesehene Gefängnisstrafe in eine Disziplinarstrafe verwandelt werden; ausserdem kann in dem in Art. 118 c vorgesehenen Falle eine Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten ausgesprochen werden.

b) Art. 35bis ist auch auf den aktiven Dienst anwendbar.

Art. 2. Diese Verordnung wird am 20. Oktober 1915 in Kraft treten.

Sie findet Anwendung auf alle Strafarten, die von diesem Tage an zur Beurteilung vor ein Militärgericht gelangen.

Der Bundesrat bestimmt den Tag, an dem diese Verordnung ausser Wirksamkeit gesetzt wird.

Die resp. Bestimmungen des Militärstrafgesetzes lauten:

Art. 65, Abs. 2. « Wer wirkliche Tätigkeit gegen seine militärischen Obern im Dienste ausübt, wird mit Zuchthausstrafe von höchstens fünf Jahren belegt. Geschah die Tat ausser dem Dienste, oder im Instruktionsdienste, so tritt Gefängnis bis auf höchstens drei Jahre ein. »

Art. 78 c. << Eine

Schildwache oder Vedette, welche schlafend angetroffen wird, trifft folgende Strafe:

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... b. entfernt vom Feinde oder in Dienstaktivität im Innern Gefängnis bis auf ein Jahr...» Art. 118 c. «Wer... gegen ein Kind von weniger als vierzehn Jahren unzüchtige Handlungen sich erlaubt, macht sich der Notzucht schuldig.» (Strafe für Notzucht Zuchthaus event. Todesstrafe). Art. 35bis (Bundesgesetz vom 23. Januar 1904). « Bei den Verbrechen der Eigentumsbeschädigung (Art. 130, erster Satz), des Diebstahls (Art. 131-136), der Veruntreuung (Art. 150-152) und des einfachen Betruges (Art. 153 und 154) kann der Richter, wenn die Handlung im Instruktionsdienst verübt wurde, bis auf einen Drittel des Mindestmasses der ange

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