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drohten Freiheitsstrafe hinuntergehen und nach Art. 7, Abs. 4, an Stelle von Zuchthausstrafe Gefängnisstrafe setzen.»>

Eine in der diesjährigen Dezembersession im Nationalrat eingereichte Motion regt eine Ergänzung des zitierten Bundesratsbeschlusses vom 20. Oktober 1915 an und zwar in dem Sinne, dass der bedingte Straferlass auch auf militärgerichtliche Urteile angewendet werden kann.

In der Schweizer. Zeitschrift für Strafrecht » (1915, Heft 1) stellt Rechtsanwalt Dr. Wüst folgende drei Hauptpunkte für eine umfassende Reform auf: 1. systematische Umarbeitung des Militär - Strafgesetzbuches, 2. Revision einer Grosszahl der gesetzlichen Begriffsbestimmungen, 3. Abänderung der Strafmasse entsprechend unsern modernen Anschauungen. Der letztgenannte Revisionspunkt wird als der wesentlichste bezeichnet. In der Hauptsache werde die Revision auf eine Herabsetzung der Minima gehen müssen, eine Abschaffung der letztern könne aber, schon mit Rücksicht auf den im Militärstrafrecht besonders zu betonenden Zweck der Abschreckung, nicht akzeptiert werden.

<< Die Reform des Militärstrafrechtes ist notwendig und dringlich. Sie kann aber erst dann wirklich in Angriff genommen werden, wenn das Strafrecht einheitlich schweizerisch geworden ist. Die Revision des Militärstrafrechtes hängt eben in doppelter Hinsicht von dem zu schaffenden eidgenössischen Strafrecht ab. Einmal bezüglich der Begriffsbestimmungen. Sodann aber wird der Hauptpunkt der Revision, nämlich die Abänderung der Strafmasse erst in Angriff genommen werden können, wenn die Strafmasse des schweizerischen Strafgesetzbuches feststehen. Dass zwar das Militärstrafgesetz strenger und härter ist, als das gewöhnliche Strafgesetzbuch, das ist eine Vorstellung, die uns allen geläufig ist. Aber eben so sicher ist, dass das

Militärstrafrecht nicht einfach von sich aus beliebig hohe Strafen festsetzen soll. Die Anschauungen über die Schwere der Strafe zeigen sich im bürgerlichen Strafrechte. Hierauf hat auch das Militärstrafrecht Rücksicht zu nehmen. Es darf sich nicht in dieser kolossalen Weise vom Strafrahmen des bürgerlichen Rechtes entfernen, wie dies heute der Fall ist. Deshalb wird notwendiger Weise der Revision des Militärstrafrechtes die Vereinheitlichung des bürgerlichen Strafrechtes vorausgehen müssen. Allein das hindert nicht, dass heute schon nachdrücklich auf die Revisionsbedürftigkeit des Militärstrafrechtes hingewiesen wird. Es ist heute schon möglich mit den Vorarbeiten zu beginnen, und es ist sehr wünschbar, dass dies bald tatsächlich geschehe. »

Zweifellos ist an eine Totalrevision des Militärstrafgesetzbuches bis nach erfolgter Vereinheitlichung des Strafrechts nicht zu denken.

In einem Artikel, der sich mit der Militärjustiz beschäftigt, wies der « Bund » in sehr zutreffender Weise auf die grosse Rolle hin, die die Militärjustiz für unser Rechtsleben heute zu spielen berufen ist. Diese Rolle gehe über den militärischen Zweck hinaus.

« Vergegenwärtigen wir uns die grosse Zersplitterung in der Strafrechtspflege der Schweiz! Auch da, wo die materiellen Normen einheitlich, eidgenössisch sind, gehen doch überall die Vorschriften über das Verfahren und über die Gerichtsorganisation auseinander. Nun ist zum erstenmal eine einheitlich und straff geordnete eidgenössische Gerichtsbarkeit, die sich über das ganze Land erstreckt, über ein Jahr lang ununterbrochen an der Arbeit gewesen, um überall nach dem gleichen Verfahren das gleiche Strafrecht anzuwenden. Hierin liegt eine programmatische Note für die Zukunft. Erhöht wurde noch die Bedeutung dieser Tätigkeit für das ganze Rechtsleben dadurch, dass der Militärjustiz nicht nur die Angehörigen der Armee und nicht nur Delikte militärischen Charakters unterstellt wurden. Die «Militarisierung des Eisenbahn

und des Postpersonals allein hat den Bereich der Militärjustiz tief in bürgerliche Verhältnisse hineingetragen. Noch bedeutungsvoller war die Unterstellung der wichtigsten wirtschaftlichen Notgesetze unter die Gerichtsbarkeit der Armee: die Vorschriften über die Versorgung des Landes mit Getreide, Futtermitteln, Stroh, die Vorschriften über die Brotbereitung und die Verbote neutralitätswidriger Publikationen, die ganze lange Reihe der Ausfuhrverbote all diese ins tägliche Leben der Familien, in die bürgerlichsten aller bürgerlichen Verhältnisse eingreifenden Vorschriften sind der Gerichtshoheit der Armee unterstellt worden. Man muss sich diese Fülle von Aufgaben und Befugnissen vor Augen halten, um die Bedeutung der Militärjustiz für das ganze Rechtsleben zu ermessen. »

In den weitern Ausführungen wird sodann die Auffassung von der Untrennbarkeit von Strafprozess und Strafrecht betont; ohne einheitliches Verfahren und einheitliche Gerichtsorganisation wäre die gleichmässige Anwendung der materiellen Rechtsnormen so gut wie ausgeschlossen. Die Vereinheitlichung des Strafprozesses werde sich, wenn einmal das schweizerische Strafgesetzbuch in Kraft sei, mit der Gewalt natürlicher Tatsachen aufdrängen.

J.

Durch den Aufgebotsbeschluss vom 1. August v. waren auch die Beamten, Angestellten und Arbeiter der öffentlichen Verkehrsan stalten und der Militärverwaltung, der eidgen. Militärwerkstätten und -Anstalten, der Zeughäuser und Magazine den Militärgesetzen und der Militärgerichtsbarkeit unterstellt worden. Je weiter weg die Wahrscheinlichkeit rückte, dass unser Land in den Krieg hineingezogen werden könnte, um so schwerer empfand das genannte Personal die Fortdauer dieser Unterstellung. Der Bundesrat wäre bereit gewesen, die Verfügung schon im Frühjahr aufzuheben,

allein es wurden von Seite der Armeeleitung Bedenken geltend gemacht. Schliesslich kam eine Art Kompromiss zwischen der bürgerlichen und der Militärgewalt zustande, indem der Bundesrat am 9. Juli d. J. beschloss, es unterstehe das genannte Personal den Militärgesetzen und der Militärgerichtsbarkeit nur noch für diejenigen vorsätzlichen Dienstverletzungen, die nach Massgabe der Art. 41-98 des Militärstrafgesetzes zu beurteilen sind und im einzelnen Falle militärische Bedeutung haben.

Militärwesen.

Als am 1. August v. J. der Bundesrat die ganze Armee aufbot, vermochte sich niemand auch nur einigermassen darüber Rechenschaft zu geben, wie lange dieser Aktivdienst und in welcher Stärke er unser Heer in Anspruch nehmen dürfte. Die Ueberzeugung von der Unwahrscheinlichkeit, dass auch wir in den Krieg verwickelt werden könnten, festigte sich zwar mit jedem Monat mehr, allein die Erkenntnis blieb doch beim Grossteil des Volkes bestehen, dass diese Gefahr keinesfalls als absolut gebannt betrachtet werden dürfe und dass daher jede verfrühte und zu weit gehende Einschränkung der aufgebotenen Wehrkraft sich unter Umständen schwer rächen müsste. Im Gefühl der ihr zufallenden höchsten Verantwortung konnte sich die Armeeleitung nicht entschliessen, jenen Stimmen beizupflichten, die schon im Frühjahr eine ganz intensive Abrüstung an unserer Grenze als logische Folge der kriegerischen Lage glaubten vertreten zu sollen, und der Bundesrat, dem schliesslich das Recht der Mobilisation und Demobilisation zusteht, musste sich von der Begründetheit der Auffassung der

Armeeleitung überzeugen. So hat sich denn seit dem Aufmarsch der ganzen Armee mehr als ein volles Jahr gewendet, ohne dass wir in die Lage gekommen wären, mit einem relativ kleinen Grenzschutz auskommen zu können; der Jahrestag der ersten Mobilmachung sah noch immer drei Divisionen im Felde stehen. Ueber sieben Monate hatten zwei der sechs Divisionen an der Grenze gestanden, erst Mitte bezw. Ende März erfolgte ihre Ablösung für die Dauer eines Vierteljahres. Der Eintritt Italiens in den Krieg (23. Mai) schuf zwar für uns, wie schon bemerkt, im Grunde keine wesentlich veränderte militärische Lage, allein es zeigte sich doch die Wünschbarkeit, zu den bereits im Dienst stehenden zwei Divisionen eine dritte (vorläufig als Reservedivision) für Anfangs Juni aufzubieten.

Wenn wir in unserm letzten Jahresbericht bemerkten, die Umstände erlaubten ein Urteil über die Leistungsfähigkeit der Armee einstweilen nicht, so müssen wir auch heute wieder mit einer kritischen Würdigung zurückhalten. Einmal verbietet es die Situation überhaupt, sich in nähern kritischen Betrachtungen zu ergehen, solange der Grenzdienst andauert, und sodann umgibt ja ein zu dichter Schleier die Tätigkeit der Truppen, als dass ein näheres Urteil über unser Heer und seine Fähigkeiten und über unser derzeitiges Militärwesen überhaupt durch Nichteingeweihte gefällt gefällt werden könnte. Auch der Geschäftsbericht des Militärdepartements für 1914 hat unter den aussergewöhnlichen Verumständungen die Kürze und in manchen Dingen das Schweigen vorgezogen, er enthält sich z. B. aller und jeder Mitteilungen über die Beobachtungen und Erfahrungen, die in den Schulen und Kursen gemacht worden sind, über den Stand der Ausbildung von Kadres und

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