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vielleicht darin, dass die Neutralen den Kriegführenden kein Kriegsmaterial liefern, dass sie aber im übrigen im Verkehr mit beiden Parteien frei bleiben. Das Verbot an Neutrale, den Kriegführenden Waffen, Munition und Kriegsmaterial, oder Halbfabrikate dazu, zu liefern, scheint uns ein Gebot der Menschlichkeit zu sein, das in einem zukünftigen Kriegsrecht anerkannt werden sollte. Der Neutrale hat an der Lieferung dieser Waren kein anderes Interesse, als das einer unverhofften Bereicherung; soll er den Krieg verlängern, vielleicht einen Kriegführenden einseitig begünstigen dürfen, damit ihm kein Geschäftsgewinn entgehe? Der Neutrale legt sich ein geringes Opfer auf und kommt eigentlich nur seiner Neutralitätspflicht in weiterm Sinne nach, wenn er die Ausfuhr von Kriegsmaterial für die Kämpfenden verbietet; die Schweiz hat bisher auch die Ausfuhr fertiger Waffen konsequent verboten. Es ist ein doktrinärer Standpunkt, wenn man erklärt, ein neutraler Staat könne und brauche seinen Angehörigen nicht zu verbieten, Waffen und Munition zu fabrizieren und zu verkaufen. Der einfache Verstand versteht es nicht, dass es dem neutralen Staate verboten sein soll, selbst den Kriegführenden Waffen zu liefern, dass er aber wohlgefällig soll zusehen dürfen, wie seine Bürger es massenhaft tun, obschon er es leicht verhindern könnte.. Die Kanonen, die Krupp oder Creusot dem Staate geliefert haben, darf der Staat nicht weitergeben; er braucht aber nicht zu verhindern, dass Krupp oder Creusot neue Kanonen giessen und ausführen; ja er darf die Kanonen, die er entbehren kann, an Private verkaufen, die sie ihrerseits ausführen. Ein Recht, das in einer so wichtigen Frage auf so spitzige Kontroversen hinausläuft, ist ein künstliches Recht. Wenn

der neutrale Staat den Kriegführenden nicht Waffen liefern soll, so soll es die ganze staatliche Gemeinschaft, Behörden wie Private, nicht tun, und der Staat im engern Sinn hat dafür zu sorgen, dass die Privaten es unterlassen. Warum sollte er das auch nicht tun können? Die Ausfuhr lässt sich leicht überwachen, da jeder Staat schon des Zolles wegen ein vollständiges Grenzbewachungssystem hat; die Bevölkerung neutraler Staaten muss sich jetzt ganz andere Eingriffe gefallen lassen. Verbietet jeder neutrale Staat die Ausfuhr von Kriegsmaterial aus seinem Gebiete und haftet er für due diligence in der Ausführung dieses Verbotes, so werden auch die Kriegführenden die neutrale Schiffahrt wegen Konterbandeverdacht nicht so streng zu überwachen brauchen. Dagegen sollte im übrigen der Verkehr mit den Kriegführenden unter neutraler Flagge nicht gehemmt werden, oder nur soweit, als er effektiv verhindert werden kann, d. h. durch die Blockade, wie der Verkehr zu Land auch nur durch die effektive Besetzung der Zugänge verhindert werden kann. Was als Kriegsmaterial zu betrachten sei und was nicht, wäre allerdings nicht leicht zu bestimmen, weil die Bedürfnisse des modernen Krieges ungeheuer mannigfaltig sind und mit der Zeit wechseln. Die Erfahrungen, die man in dem hoffentlich bald vergangenen und für lange letzten Krieg gemacht hat, scheinen mir aber einer derartigen Regelung günstiger zu sein, als der von England an der zweiten Haager Konferenz vorgeschlagenen, wonach das Verbot der Konterbande ganz abgeschafft und den Neutralen nur verboten würde, ihre Handelsflotte in den Dienst feindlicher Streitkräfte zu stellen, bei Strafe nicht bloss weggenommen, sondern wegen der assistance hostile angegriffen zu werden. Alle Nachteile, welche die englischen Delegierten damals dem Konterbandeverbot nachsagten, treffen zwar zu; aber der Verbrauch von Munition und Kriegsgeräten hat solche Proportionen angenommen, dass ein Staat sich kaum verpflichten kann, untätig zuzusehen, wie ein Neutraler oder sogar der Gegner selbst sich aus einem dritten Staat, was ihm abgeht, herbeischleppt, sofern das Schiff nur nicht der feindlichen Flotte zusteuert. Das Wichtigste scheint mir daher zu sein, die Neutralen zur Unterdrückung jeder Waffen- und Munitionslieferung zu verpflichten.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika werden diesem Vorschlag entgegenhalten, das Verbot der Waffenlieferung durch Neutrale werde die Grossmächte in Zukunft veranlassen, ihre Rüstungen noch mehr zu steigern, um im Falle eines Krieges auch ohne neutrale Zufuhr gewappnet zu sein; gerade die Möglichkeit, im Falle des Krieges von Neutralen Waffen zu beziehen, gestatte es einem friedliebenden Staate ohne seine Sicherheit zu gefährden, auf die riesenhafte Anhäufung von Kriegsvorräten zu verzichten; die Lieferung von Kriegsmaterial an die Kriegführenden sei gewissermassen eine Prämie, die der Neutrale denjenigen Staaten gebe, die sich in Friedenszeiten durch Beschränkung ihrer Rüstungen um die Erhaltung des Friedens verdient gemacht haben. Das haben die Vereinigten Staaten in ihrer Note vom 26. August 1915 an Deutschland auseinandergesetzt, als « praktischen >> Grund für die Aufrechterhaltung der bisherigen Grundsätze. Auf den ersten Blick mag diese Doktrin bestechen; sie hält aber, wie mir scheint, einer nähern Prüfung nicht stand. Die Waffenlieferung der Neutralen könnte vielleicht als Belohnung der Friedensliebe gelten, wenn Gewähr dafür bestände, dass nur der Staat, der sich (aus Friedensliebe) auf den Krieg

aus

nicht vorbereitet hat, Waffen erhalte, der andere aber nicht; und sie könnte den (kriegs- und) rüstungslustigen Staat von seinem Vorhaben abschrecken, wenn er mit einiger Sicherheit voraussehen müsste, dass seine Gegner ihre mangelhafte Kriegsbereitschaft mit Hilfe der Neutralen während des Krieges in kurzer Zeit werden vervollständigen können.

Für diejenigen, welche Deutschland die Schuld am gegenwärtigen Krieg aufladen, scheint sich diese These heute zu bestätigen: Die masslosen Rüstungen Deutschlands, sagt man, werden aufgewogen durch die Unterstützung, die die andern Staaten nun den Munitionsfabriken des neutralen Amerika erhalten. Allein auch in dieser Hypothese bewährt sich die Doktrin nur halb, da einer der Verbündeten, Russland, von der Zufuhr aus Amerika sozusagen abgeschnitten ist. Noch viel weniger kann man darauf bauen, dass sie in Zukunft im Sinne Nordamerikas friedenserhaltend wirken wird. Welcher Staat, der sich durch die Politik der andern bedroht fühlt, wird seine Rüstungen einstellen, im Vertrauen darauf, dass er im Falle des Krieges schon das Nötige von den Neutralen erhalten wird ? wer sind in einem zukünftigen Kriege die Gegner ? wer bleibt neutral ! wie lange braucht der Neutrale, um die bestellten Waffen zu liefern ? wie weit reicht dann noch das Geld ? Auf alle diese Fragen ist die Antwort so unsicher, dass kein Staat deswegen abrüsten kann; jeder Staat muss vielmehr damit rech n, dass er aus neutralen Staaten nichts erhält, oder mindestens dass sein Gegner ebensoviel erhält wie er selbst; und in diesem letztern Fall neutralisieren sich die beidseitigen Lieferungen. Oder sollen die Neutralen nur derjenigen Partei liefern dürfen, welche im Recht ist, und berechtigt oder

verpflichtet sein, dem Gegner die Sekundierung zu verweigern ? will man die Neutralen zum Richter über die Kriegführenden machen? Das wäre der sichere Tod jeder Neutralität; die Pflichten und Rechte der Neutralen müssen in Zukunft wie heute in der Voraussetzung normiert werden, dass beide streitenden Teile gleichviel im Recht sind, oder besser : ohne Rücksicht

. auf ihr materielles Recht, gleichmässig gegenüber beiden.

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Im Vorstehenden sind einige der wichtigsten Fragen besprochen worden, deren Abklärung die neutralen Staaten und ganz besonders die Schweiz verlangen müssen. Wann sich dazu Gelegenheit bieten wird, vermag noch niemand zu sagen; denn es wird nicht die nächste Sorge der Kriegführenden nach dem Waffenstillstand sein, über die Probleme eines neuen Neutralitätsrechtes zu beraten. Unser Interesse ist es aber, · dass feste Regeln aufgestellt werden, die unabhängig seien vom Ermessen der Kriegführenden und auf die sich auch die Neutralen berufen können.

Es ist von verschiedenen Seiten vorgeschlagen worden, die Schweiz solle und könne billigerweise Ersatz für ihre Auslagen zur Wahrung der Neutralität beanspruchen, vielleicht im Betrag einer halben oder ganzen Milliarde. Das möchten wir nicht befürworten. Wie der Krieg auch ausfalle, Sieger wie Besiegte werden finanziell so mitgenommen sein, dass sie nicht gern auf solche Forderungen eingehen werden. Einen Rechtstitel können wir nicht geltend machen. Verlangen wir die Entschädigung vom Sieger, so müssen wir sie als ein Geschenk hinnehmen, fordern wir sie vom Besiegten, so treten wir den Gedrückten noch

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