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des

Congreffe 8.

20. Heft.

Wiener

XVI.

Die Confiscation des bündnerischen PrivatEigenthums in Veltlin, Cleven und Worms, ausführlicher dargestellt. Als Beantwor tung zweier in Mailand erschienener Druckschriften. Mit Bewilligung der Regierung des Standes Graubünden.

Kaum hatten die siegreichen Waffen der verbündeten Mächte einen Despotismus gestürzt, der ganz Eus ropa mit Fesseln bedrohte, so wurde die unter dessen Schuß erfolgte Confiscation des bündnerischen PrivatVermögens in den Landschaften Velts lin, Cleven und Worms, wahrheitgemäß und mit Actenstücken belegt, dem Publikum vorgetragen *). Mußte nicht jener grosse Augenblick, sichtbar von der Vorsehung vergeltenden Hand herbeigeführt, die Wies derkehr der längst entflohenen Gerechtigkeit, und mit ihr jedem Unterdrückten seinen gebührenden Ersaß verheiffen? Dies fühlten die Inhaber der, den Bündnern widerrechtlich entrissenen Güter, und es erschienen das her in Mailand ungefähr zu gleicher Zeit, in französis scher und italiänischer Sprache, zwei Druckschriften, die auf Rechtfertigung (wenn sie je möglich wäre) des

*) Historische Erläuterungen über die Confiscation des bündnerischen PrivatEigenthums 2c. 20. Gesammelt von C. U. v. Salis Marschlins, Chur 1814. Acten d. Congr. V. Bd. 4. Heft.

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Raubs, oder doch dahin gerichtet waren, in Beurtheis lung desselben einen falschen Gesichtspunkt dem wahren unter zu schieben.

Wenn die erste: betitelt: Mémoire sur les événements politiques des trois provinces Valtelline, Chiavenna et Bormio depuis 1797 jusqu'au mois de Mai 1814, im Gewande anscheinender Mässigung ihre Leser irre zu leiten sucht und deswegen einer Widerlegung sehr bedarf, so trägt die zweite (sur les attentats militaires et politiques de quelques Grisons contre les peuples du département de l'Adda) das unverkennbarẻ Gepräge einer Schmähschrift allzudeutlich an ihrer Stirne, als daß es jemals unsere Sache seyn könnte, sie in eben diesem Tone zu erwiedern. Ihre Sprache ist nicht diejenige des Rechts und der Wahrheit, ihre seynsollenden Vertheidigungsgründe sind meistens mit des nen des Memoirs gleichlautend.

Der Ausgang dieses Geschäfts sey nun welcher er wolle, so ist es uns heilige Pflicht, eine Forderung von welcher das Wohl so vieler unschuldiger Familien abhängt, gegen jeden, auch den entferntesten, Verdacht von Unrechtmässigkeit sicher zu stellen. Wir werden als so noch einmal, und ausführlicher als bisdahin, ersts lich die Ereignisse ihrem wahren Verlaufe gemäß erzählen, und dann zweitens die von unsern Gegs nern vorgeschüßten Rechtsgründe prüfen. Das Urs theil glauben wir der Einsicht und dem Gefühl eines Jeden, der für Recht und Unrecht noch einigen Sinn hat, überlassen zu dürfen.

S. 1.

...Auf jede unter den. Völkern für rechtmässig anerkannte Weise, durch Schenkung, Eroberung und Abtre

tung, hatte Bünden über die Provinzen Veltlin, Eleven und Worms alle die Regentenrechte erlangt, welche früher von den Kaisern und dann von den Mais ländischen Herzogen ausgeübt wurden. In den Jahren 1512 und 13 hatte es den wirklichen Besitz angetreten, und ward fortan in einer Reihe von Verträgen bis auf die neuesten Jahrhunderte, von den europäischen Mächten als rechtmäßiger Souverain jener Länder anerkannt. Die Bewohner haben als Unterthanen den Bündnern gehuldigt und den Eid der Treue geschworen *). Nies mals sind sie auf irgend eine Art Bundesgenossen ihrer Oberherren geworden; kein einziges Actenstück kennt sie als Mitglied eines der drei Bünde oder als vierten Bund; nie wagten sie nur einen Versuch, Repräsentanten mit Sitz und Stimme auf einen Bundstag zu schi cken. Kein einziger Schriftsteller vor 1620 gedenkt eis nes auch nur scheinbar bundsgenössischen Verhältnisses zwischen den Bündnern und ihren Unterthanen. Viels mehr übten jene alle Rechte der vollkommensten Souves rainetät über lettere ununterbrochen aus, seit 1512 bis 1620 **), und erst in der Rebellion dieses leßtern Jahres brachten die Veltliner ein untergeschobenes, aus V Capiteln bestehendes Bündniß mit ihren Oberherren zum Vorschein, dem sie die Jahrzahl 1513 beizulegen für gut fanden.

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Alle unsere bisherigen Behauptungen sind mit mögs lichster Gründlichkeit und durch unzählige Thatsachen in einem historisch - diplomatischen Werke bis zur Evis

Fragmente II, S. 176 und Lavizzari pag. 65.

**) Fragmente II, S. 237 -268.

denz erwiesen worden *), auf welches die Veltliner feit mehr als 20 Jahren noch immer ihre Antwort schuldig geblieben sind. Die Unächtheit und völlige Untergeschos benheit der sogenannten V Capitel wird darin so unwiderlegbar dargethan, daß der allgemein verehrte Ges schichtschreiber der Schweiz diesen Theil der Untersus chung ein Muster nennt, wie dergleichen uns ächten Geburten des Partheigeists das uns auslöschliche Verwerfungszeichen eingebrannt werden mag, das sie zu jedem künftigen Ges brauch disqualifizirt." Der Verfasser des Mes moir's giebt uns jedoch neuen Anlaß zu bewundern, ,,mit welchem Vertrauen auf die Unwissenheit Anderer und auf die Macht eigner Arglist, man jeßt wieder gesucht hat, sie mit Ehren zum Vorschein zu bringen" **). Denn mit sichtbarer Hindeutung auf die V Capitel will er seine Leser glauben machen, die Provinzen seyen nur in eis nem gewissermassen unterthänigen, sonst aber bundsgenössischen Verhältnisse, der rhätischen Republik einverleibt worden, welche sodann usurpationsweise dasselbe bald in völlige Unterthänigkeit zu verwandeln gewußt habe ****).

* Fragmente der Staatsgeschichte des Veltlins 2c. von Ulifses v. Salis. Auch italiänisch unter dem Titel: Frammenti dell' Jstoria politica e diplomatica della Valtellina etc.

** Joh. v. Müllers sämmtliche Werke, XII, S. 35 und 36.

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***) Memoire, p. 1 et 2. Ces provinces, après avoir jadie ,, pendant deux siècles environ fait partie du Duché de ,, Milan, en furent détachées l'an 1513, et réunies alors, sous certains rapports de dépendance et de confédéra,,tion à la République Rhétienne, mais avec la réserve

S. 2.

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Solche ihnen entrissene Rechte wieder zu erlan gen, griffen im I. 1620 die Provinzen zu den Waffen " so spricht der Verfasser des Memoir's *); anders freilich die Wahrheit aus dem Munde unverfälschter Geschichte: Hundert Jahre lang hatten die Veltlis ner sich nie träumen lassen, Bundesgenossen ihrer Obers herren zu seyn, als sie, vom Religionsfanatismus entbrannt, sich zur Ermordung aller unter ihnen wohnenden Protestanten verabredeten, ihr blutiges Vorhaben wirklich ausführten (1620) und mit dieser Gräuelthat ihren völligen Abfall eröffneten. Ganz Europa schauderte. Die Rebellen aber, den verdienten Abscheu zu vermindern, beriefen sich auf nie besessene Vorrechte, und ersannen nie geschlossene Verträge. So und erst damals entstand die Fabel der V Capitel.

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Unter dem Schuße der spanischen Waffen gelang es den Abtrünnigen sich geraume Zeit zu behaupten, bis im Jahr 1635 ein französisch - bündnerisches Heer, angeführt vom Herzog von Rohan, den die Bündner auch zu ihrem Feldherrn ernannt hatten, die Provinzen wieder eroberte. Erobert waren sie nun, aber noch. nicht dem Eigenthümer eingeräumt; denn das Ministerium in Paris sann bald auf Zögerungen, bald auf mancherlei Vorschläge, die von den Bündnern, als ihren Herrschaftsrechten zuwiderlaufend, verworfen wur

,, de quelques conventions en leur faveur. Cette Républi„, que ne tarda pas à les enfreindre; et de là vint que ce ,, qui n'était d'abord pour ces Provinces qu'une simple alliance avec quelque dépendance dégénéra en une véritable et propre sujétion. “

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*) S. 2 Jalouses etc.

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