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r) Verfassung des eidsgenössischen Standes Graubundten vom 11. Nov. 1814. und 19. Jun. 1820.

Standesverfassung.

Wir Präsident und großer Rath des souverainen eidsgenössischen Standes Graubündten urkunden anmit: daß, nachdem die Verfassung desselben bereits durch den am 11. Nov. 1814 von der damaligen obersten Standesbehörde genommenen Beschluß festgesezt, auch von den Ráthen und Gemeinden, als der obersten Staatsgewalt unsers Freistaats, genehmigt und bestätigt worden ist, wir dieselbe mit den auf verfassungsmäßigem Wege erhaltenen nåhern Bestimmungen in unserer heutigen Situng für vollkommen berichtigt und geschloffen erklärt, und demnach beschlossen haben, diese Standesverfassung, so wie sie hier folgt, in das eidsgenössische Archiv niederlegen zu lassen:

1. Der Freistaat Graubündten bindet zufolge der Buns desacte einen souverainen Mitstand der schweizerischen Eidsgenossenschaft.

Die Souverainitát desselben beruht auf der Ge sammtheit der Räthe und Gemeinden, und außert sich durch die Mehrheit ihrer gesehmäßig eingeholten und auf: genommenen Willensmeinungen oder Gemeindsmchren.

Eintheilung und Gränzen.

3. Derselbe ist in drei Bünde, und diese in politischer Rücksicht wieder in Hochgerichte und Gerichte eingetheilt, welche mit Vorbehalt desjenigen, was in den Art. 5. und 15. bestimmt ist, in denjenigen Gränzen verbleiben, in welchen sie sich am 20. Dec. 1813 befunden haben. In Rücksicht auf die Milizeinrichtung ist derselbe wie bisher in neun Kreise eingetheilt.

Befugnisse der Hochgerichte und Gerichte.

4. Die Hochgerichte und Gerichte erwählen ihre Vor: steher und Obrigkeiten, durch welche die niedere Polizei und ihr Justiz und Gemeindswesen verwaltet wird; sie find befugt, die dahin einschlagenden Ordnungen_fests zusehen, welche jedoch den allgemeinen Cantonsgesehen oder dem Eigenthumsrecht eines Dritten nie zuwider seyn dürfen. Sie ernennen frei aus allen Bürgern ihres Gez richts oder Hochgerichts ihre Mitglieder zum großen Rathe, und ertheilen ihnen die nöthigen Vollmachten. Sie haben das Recht, über die von den Landesbehörden ihnen vors gelegten bürgerlichen Gefeße, Staatsverträge und Bünd nisse zu berathschlagen, und solche anzunehmen oder zu verwerfen.

5. Es steht jedem Gericht und jedem unter Einem Staab stehenden Hochgerichte frei, mit Zustimmung von drei Viertheilen aller dasselbe bildenden Theile Abåndes rungen in seiner Verfassung vorzunehmen, welche jedoch der Verfassung und den Gefeßen des Cantons nicht zuz wider seyn dürfen, und in dieser Rücksicht dem großen Rathe vorzulegen sind.

Wo einzelne Gerichte sich in einem ganzen Hochge: richte befinden, können sie sich unter eine gemeinschaftliche Obrigkeit vereinigen, wenn in jedem der zu vereinigenden Gerichte dessen geseßmäßige Mehrheit dafür stimmt.

In beiden obgenannten Fällen bleibt der sich beschwert glaubenden Minderheit der Recurs an den großen Rath vorbehalten, welcher über ihre Anstände eidlich abspricht.

In keinem Fall kann ein dermalen bestehendes ganzes Gericht oder Hochgericht in kleinere politische oder Justizs bezirke zerstückelt werden.

6. In den Hochgerichten und Gerichten, welche in frühern Zeiten eine auf Vorrechte und Feudaleinrichtuns gen gegründete Verfassung hatten, oder in welchen Vers hältnisse zwischen beiden Religionstheilen festgesetzt was ren, verbleibt es in dieser Hinsicht bei derjenigen Ord nung, welche am 20. Dec. 1813 eingeführt war.

Oberbehörden und deren Befugnisse.
1. Großer Rath.

7. Der große Rath besteht dermalen aus fünf und Sechszig stimmgebenden Mitgliedern, welche wenigstens ein Jahr im Amt bleiben, und bei ihrem Austritt wieder wählbar sind. Die Mitglieder des kleinen Raths woh nen den Sizungen desselben mit rathgebender Stimme bei.

8. Der große Rath bildet in Verwaltungs- und Lans des Polizeiangelegenheiten die oberste Behörde, und die berathschlagende über die bürgerlichen Gefeße, Staatss verträge und Bündnisse, die den Gemeinden zur Sanction vorzulegen sind. Er wählt die Beamten des Standes, dessen Abgeordnete und Stellvertreter, und beeidigt und instruirt dieselben, wo es erforderlich ist. Er läßt sich alljährlich von dem kleinen Rath und der Standescom mission Rechenschaft über ihre Amtsführung und die Ver: waltung der Finanzen ablegen, wovon er auch den Ge meinden Kenntniß zu geben hat. Er bestimmt und vers theilt nach einem gefeßlich aufzustellenden Maaßstabe den Betrag der öffentlichen Beiträge an die Cantonscasse, wenn die Einnahmen die Ausgaben nicht decken sollten; aber neue Erhöhungen der Standesgefälle kann er nicht ohne Genehmigung der Räthe und Gemeinden einführen. classificirt die Mehren der Gemeinden entweder selbst oder durch die von ihm niedergeschten Commissionen. Er wacht über die Vollziehung der Beschlüsse der eidsgendssischen Oberbehörden. In Streitigkeiten zwischen Gemeinden über ihre politischen Verhältnisse spricht er als alleiniger Richter eidlich und endlich ab.

Er

9. Der große Rath versammelt sich regelmäßig im An: fang des Brachmonats, und außerordentlich, so oft der kleine Rath ihn einzuberufen für nothwendig findet. Er wählt einen Präsidenten und Vicepråsidenten frei aus der ganzen Versammlung. Vor der Stimmenaufnahme hat cine Discussion Statt. Das Protocoll wird teutsch und zwar von demjenigen Secretair der Regierungscanzlei gez führt, welchen die Sißung bestimmen wird.

10. Der große Rath bestellt jedes Jahr eine Stans descommission von neun Mitgliedern, von welchen die

ganze Sizung drei aus den Bürgern eines jeden Bun: des frei erwählt; diese werden nebst den Bundesstatthals tern zur Mitberathung und Erledigung der wichtigern Regierungsgeschäfte einberufen. Dieselbe versammelt sich regelmäßig unmittelbar vor der Einberufung des großen Raths zur Vorberathung der demselben vorzulegenden Gez schäfte und zur Beurtheilung allfälliger Recurse. Sie muß einberufen werden, wenn Mahnungen zu Hülfleis stungen oder zu militairischen Aufgeboten von cidsgenössis schen Behörden oder Cantonen an die Regierung gelan's gen; in allen Fällen, wo die Ruhe des Cantons oder der Schweiz von innen oder vòn ́außen bedroht wird; und überhaupt bei wichtigen und dringenden Umständen, wo der große Rath nicht sogleich versammelt werden kann, und allenfalls wenn nur eins der Mitglieder des kleinen Raths ihre Versammlung verlangt. Sie ist dem großen Rathe Rechenschaft von ihren Verhandlungen schuldig (Art. 8.).

2. Kleiner Rath.

11. Die täglichen Regierungsgeschäfte sind einem klei nen Rathe von drei Mitgliedern übertragen. Dieselben werden alljährlich, je eins aus jedem Bunde, frei aus al len Bürgern desselben durch die abstimmenden Mitglieder des ordentlichen großen Raths in gemeinschaftlicher Sir kung gewählt. Sie bleiben ein Jahr im Amt, und sind im zweiten wieder wählbar, können aber jedesmal nicht långer als zwei nach einander folgende Jahre diese Stelle bekleiden. Sie können nicht zu gleicher Zeit mit einans der austreten; ein Beschluß des großen Rathes wird dars über das Angemessene festseßen.

12. Dem kleinen Rath ist die Vollzichung aller vom großen Rath oder von den cidsgenössischen Oberbehörden ergangenen Beschlüsse übertragen. Er besorgt die Vers waltung des Cantonsvermögens an Liegenschaften, Gefäls len, Zöllen und Straßengeldern. Er hat die Aufsicht über die Landespolizei, über die Erhaltung der Straßen und über die Aufnahme des Handlungswesens, immer mit billiger Rücksicht auf die Commerzialstraßen im Cans

ton; endlich über das Schulwesen, nach den jeweiligen Verfügungen des großen Rathes; und insofern es nicht von den besondern kirchlichen Einrichtungen abhängt. Er führt die seiner Stelle obliegende Correspondenz mit den eidsgenössischen und andern auswärtigen Behörden. Bon ihm ergehen, wenn der große Rath nicht versammelt ist, Er die nöthigen Erlasse an die Räthe und Gemeinden. bestimmt in Streitigkeiten zwischen Particularen oder Gemeinden gegen Gemeinden oder Corporationen den Richter, wenn im Hochgericht oder Gericht kein unpartheiis scher Richter zu finden wäre, und zwar durch Anweisung dreier nahe gelegenen Gerichte, wovon jede Part eins ausschlägt und das dritte aburtheilt. Er übt die Aufs sicht über den Rechtsgang der Civil: Rechtspflege; das Gesch bestimmt seine Befugnisse in dieser Hinsicht. Ueber seine deshalb ergehenden Beschlüsse kann an die Stan: descommission recurrirt werden, welche darüber eidlich und endlich abspricht. Ihm kommt laut Art. 19. auch die Aufsicht über die Criminalrechtspflege zu. Er hat die Obliegenheit, wenn bei ihm Klagen über die Nichtvollzie hung von Civil: oder Criminalurtheilen einkommen, nach Berathung mit der Standescommission deren Vollziehung zu veranstalten, und wenn die betreffende Obrigkeit nach zweimaliger Aufforderung solche nicht vollzogen hat, sie selbst vollziehen zu lassen.

13. Die Bundesstatthalter sind auf gleiche Weise und zu gleicher Zeit mit den Mitgliedern des kleinen Raths zu wählen und zu beeidigen; sie sind ihrer Stelle nach Mitglieder der Standescommission. In Fällen, wo ein Mitglied des kleinen Raths auf långere Zeit abwesend seyn muß, hat derselbe den Bundesstatthalter aus dem gleichen Bunde cinzuberufen.

14. Die Canzlei der Regierung wird von ihm mit möglichster Ersparniß ernannt.

Justizeinrichtung und Tribunale.

15. Die Justizcinrichtungen in den Hochgerichten und Gerichten bleiben in dem Bestand, wie sie den 20. Dec. 1813 festgescht waren, jedoch mit Berücksichtigung der

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