Page images
PDF
EPUB

Borisow. *) In diesem Gefecht wurden die Generale Legrand und Dombrowski schwer verwundet. **) So= mit erhielt Napoleon die Gewißheit, daß der Admiral allein auf dem rechten Ufer und Wittgenstein noch nicht mit ihm vereinigt sey. /

Da Marschall Viktor, der seit den glänzenden Ges fechten von Smolinni Wittgensteins Korps in Schrecken hielt, Befehl bekam, der Bewegung Marschall Oudinots zu folgen, rückte ihm die russische Dwina: Armee nach. Bey dieser rückgängigen Bewegung richtete er sich über Tschernia und Kologmitschi. — Zu Ratulitschi vereinigte er sich mit der von Moskau kommenden Hauptarmee. Wittgenstein hingegen, statt ihm über Kologmitschi nachzusetzen, ging über Baran, und Kutusow, statt sich uns zu nähern, hielt sich einige Tage zu Lannicki auf, und kam erst den 25. zu Kopys am Dnieper an. General Miloradowitsch, der seinen Vortrab befehligte, war noch nicht über das fünf Tagreifen von uns entfernte Kokanowo hinaus. Während allen diesen Operationen, die vom 23. bis 27. Nov. dauerten, marschierten wir fast ohne Unterlaß durch mehrere Dörfer, ohne beynahe auch nur die Namen von Bobr, Nacza und Niemaniza, wo die Müdigkeit uns anzuhalten zwang, erfahren zu können. Die Tage waren so kurz, daß, ob wir gleich wenig Weg zu rücklegten, wir dennoch einen Theil der Nacht marschierten, Ursache dessen sich so viele Unglückliche verirrten oder verlo. ren. Da wir sehr spåt in der Mitte des Bivouaks eintrafen, wo sich alle Korps vermengt befanden, konnte Niemand das Regiment wissen oder anzeigen, zu dem man gehörte. So mit musste man, nachdem man den ganzen Tag marschiert

[ocr errors]

*) In allen diesen Darstellungen hält der Verfasser des Bes richts mehr Mäßiğung. Oudinot rückte nicht weiter als Brilown.

**) Nach dem Bericht ersterer beym Treffen vom 28.

war, die Nacht hindurch herumirren, um seine Vorgesetzten zu suchen, was selbst nur selten glückte. Da man in diesem Falle die Stunde des Aufbruchs nicht wusste, überließ man sich dem Schlaf, und befand sich beym Erwachen in den Hån den der Feinde.

Als wir durch Borisow kamen, sahen wir die Division Parthonnenur, die den Nachtrab des neunten Korps bildete. Sie vollzog eben eine große Artillerie-Bewegung, um die Russen glauben zu machen, man wolle auf diesem Punkt den Uebergang erzwingen. Nachdem wir auf den Plah gelangt, verlieffen wir die Heerstraße, welche nach dem von den Russen befeßten Brückenkopf führt, und nahmen den Weg rechts nach Studzinnka, wo sich Napoleon befand. Die andern zum neunten Korps unter Marschall Victorgehörigen Truppen kamen ebenfalls auf demselben Wege an.

Da das zweyte und neunte Korps, so wie die Polen unter Dombrowski nicht in Moskau gewesen waren, hatten sie so zahlreiches Gepäck, daß Fuhrwerk und Munitionswagen die Straße von Borisow bis Studzinnka bedeckten. Die Verstärkung, die sie uns zubrachten, bot uns eine måchtige Hülfe, nichtsdestoweniger dachte man mit Schrecken daran, daß diese in einer weiten Eindde vereinte Menschenmasse unfre Uebel nothwendig verdoppeln würde. Wir marschierten in der åußersten Verwirrung zugleich mit den Divisionen Marschall Viktors vorwårts, bis wir uns nach zwey Stunden durch eine so große Menschen-Menge angehalten fanden, daß man sich nirgendwo auf keinem Punkte mehr be wegen konnte. Mitten zwischen diesem Gedrånge befanden sich auf dem Gipfel einer Anhöhe einige schlechte Scheunen; beym Anblick der Jäger der Garde, die darum herlagerten, schlossen wir, daß Napoleon sich hier befånde, und wir die Ufer der Beresina berührten. Es war derselbe Punkt, wo Karl XII. den 25. Junius 1708 über diesen Fluß ging, als er gegen Moskau marschierte.

Welch schreckliches Schauspiel stellte mir diese durch Elend aller Art niedergedrückte Menschen-Menge dar, der hier ein Morast zum Aufenthalt diente! Sie, die zwey Monate siegs reich den halben Umfang des ausgedehntesten Reichs umfasste! Bleich, entstellt, vor Hunger und Kälte ersterbend, hatten unsre Soldaten nichts, sich vor der Hårte der Witterung zu bewahren, als Pelzstücke oder fast verbrannte Schaffelle; fo drångten sie sich wehklagend långs diesem Unglücks-Ufer hin. Deutsche, Polen, Italiener, Spanier, Kroaten, Portus giesen und Franzosen, alle vermischt, schrien, riefen sich, schalten, jeder in' seiner Sprache; Offiziere und selbst Generale in schmußige, unflåthige Pelze gehüllt, stunden mit den Soldaten vermengt, und erzürnten sich gegen diejenigen, die sie stießen oder ihr Ansehen mißkannten; Alles stellte eine Vers wirrung dar, von der man durch kein Gemählde ein Bild zu entwerfen vermöchte.

Diejenigen, die aus Müdigkeit oder Unwissenheit der Gefahr sich weniger eilten über den Fluß zu kommen, suchten Feuer anzuzünden, und von ihren Strapazen auszuruhen. Bey diesen Bivouaks konnte man wahrnehmen,, zu welchem Grad von Rohheit das Uebermaß des Elends zu bringen vermag! Hier sah man Leute'sich um ein Stückchen Brot schlagen. Wer vor Kålte erstarrt sich einem Feuer nahen wollte, ward von denen, welchen es gehörte, unmenschlich fortgejagt. Vers langte man vor brennendem Durst einen Tropfen Wassers von dem, der einen ganzen Eimer trug, so war jedesmal noch die Weigerung mit harten Worten begleitet. Oft hörte man wohlerzogne Leute, die bis jezt Freunde gewesen, sich wegen einem Strohhalm oder einem Stück Pferdefleisch, das fie losschneiden wollten, zanken. So ward dieser Feldzug um so schrecklicher, da er unsern Charakter ausarten machte, und uns vorher unbekannte Laster aneignete. Selbst diejes nigen, die vorher redlich, gefühlvoll und edelmüthig gewesen ·

waren,

waren, wurden jest selbstsüchtig, geizig, wucherisch und boshaft.

Die Anstalten, die man zu Borisow gemacht hatte, um glauben zu lassen, man wolle die große Brücke herstellen, hatte die Anzahl der feindlichen Truppen, die sich gegen Stud zianka über befanden, beträchtlich vermindert; um fo mehr, da Kutusom, unrecht über den Punkt unsers vorhabenden Beresina - Uebergangs berichtet, Tschitsch a gow gemeldet hatte, wir würden unterhalb Borisow hervorbrechen. Napoleon benußte diesen Umstand (den 27. Nov.), und be sonders die Ankunft des Marschall Victors zu Studzianka, und setzte sich gegen zwey Uhr Nachmittags an die Spitze sets ner Garde, um durch die ungeheure Menge, die sich nach dem Fluß drångte, durchzumarschieren. Auch die Armee seßte, wiewol langsam, wegen den unaufhörlich an den Brücken ges machten Ausbesserungen, über.od men

Der Vicekönig, der den ganzen Tag bey dem Kaiser ges blieben, ließ seinem Generalstab melden, daß, was zum bierten Korps gehöre, Abends act Uhr über die Brücke solle. Wiewol dieser Augenblick der beste für einen so gefährlichen Zug war, konnten sich doch Manche den Feuern, bey denen fie faßen, nicht entreißen, und behaupteten, es sey besser auf diesem Ufer, als auf dem andern, wo sich nichts als Mos råste befånden, zu bivouaquiren, übrigens sey das Gedränge noch immer dasselbe, so daß, wenn man den morgenden Tag erwartete, die Menge vorüber und der Uebergang leichter seyn würde. Dieser üble Rath fand bey der Mehrzahl Eins gang, weswegen nur das Haus des Prinzen und einige Offis ziere des Generalstabs zur vorgeschriebenen Stunde über den Fluß seßten.

Wirklich musste man die ganze Gefahr, auf dem linken Ufer zu bleiben, kennen, um sich zu entsøließen, auf das andre überzugehen. Der Vicekönig und sein Gefolge, die sich Europ. Annalen. 4tes Stück. 1816.

auf leßterm befanden, lagerten auf einem fumpfigen Boden, und suchten, um die Nacht zuzubringen, die gefrorensten Stellen, um die Moraftlicher zu vermeiden. Es waltete unges heure Finsterniß, mit schrecklichem Winde, der uns eisigen Schnee in die Gesichter jagte. Die meisten Offiziere, um nicht vor Kålte zu erstarren, liefen unaufhdrlich auf und ab, und stampften mit den Füßen. Das Uebel zu vervollståndigen, mangelte das Holz so sehr, daß, um nur für den Vicetönig ein Feuer anzuzünden, man, um nur einige Feuerbrånde zu erhalten, die bayrischen Soldaten erinnern musste, daß der Prinz Eugen eine Tochter ihres Königs zur Gattinn habe!

(28. Nov.) Während Napoleon sich gegen Zembin verfügte, blieb die ganze unermessliche Menge auf dem jens feitigen Beresina-Ufer, wo sie das lebendige, grausenhafte Bild jener unglücklichen Schatten darstellte, die nach der Fabellehre an den Styrufern umherirren, und sich mit Ungestům nach dem verhängnißvollen Nachen drången. Es fiel ein hefa tiger Schnee; Hügel und Wälder erschienen gleich weißlichen Maffen, die sich im feuchten Dunstkreis verloren. Nichts zeigte sich deutlich, als der halbgefrorne Unglücksfluß, dessen trübes, schwärzliches Waffer, die Ebne durchsølångelnd, zwis schen den Eisschemmeln, die seine Fluthen mit sich führten, Weg bahnte.

Ungeachtet der zwey Brücken, die eine für das Fuhrwerk, die andre für die Fußgånger, war die Menge so groß, und die Zugänge so gefährlich, daß, wie man die Beresina erreichte, die in Masse gedrängten Menschen sich nicht mehr bewegen konnten. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten gelang es den Fußgängern, durch Beharrlichkeit sich herüber zu retten. Allein gegen acht Uhr Morgens brach die für das Fuhrs werk und die Pferde vorbehaltene Brücke, worauf das Fuhra werk und die Artillerie gegen die andre Brücke heranzog, und

« PreviousContinue »