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um diese Einrichtung gar nicht verwerflich, sondern viels mehr nachahmungswerth zu finden.

Der Grund der Seltenheit, der Nichtigkeitserklärungen in Deutschland, liegt nämlich nicht etwa darin, daß Nullis tåten bey uns selten vorkámen, sondern in der Art, wie man dieselben wieder gut zu machen sucht. Denn anstatt ein verunglücktes Rechtsgeschäft, einen unrichtig behandels ten Proceß und einen, auf falsche Pråmiffen gegründeten, Ausspruch zu faffiren, pflegt man vielmehr, wenn es nur einigermaßen angeht, der Sache dadurch zu Hülfe zu kommen, daß man das Fehlende und Unrichtige rektificirt, modificirt und supplirt. Bisweilen geht dieses allers dings recht gut an; oft jedoch thåte man, wie jeder Sachkundige gewiß nicht in Abrede stellen wird, weit beffer, wenn man das Fehlerhafte lieber ganz wegwürfe, als sich auf dessen Ausbesserung einliege; wodurch doch nur meist Flickwerk entsteht. Dauern nicht z. B. viele Proceffe bloß deßwegen so lange, weil sie verkehrt einges leitet sind? Und wäre es nicht eine wahre Wohlthat, wenn dergleichen Mißgeschöpfe gleich im Anfange unters drückt würden? Es ist hier nicht bloß die Rede von fehlerhaften Klagen, welche der Richter, nach dem Ausspruche des alten Sachsenrechts, mit den Zähnen zerreißen foll; gegen die man aber ebenfalls, in den neuern Zeiten, viel zu nachsichtig ist; sondern vorzüglich von den Fehlern, welche auf Rechnung der Richter kommen. Denn das wird doch wohl Niemand leugnen, daß die Richter fast eben so oft als die Advokaten daran Schuld sind, wenn eine prozeßführende Partey zuleht, nach vielen Jahren, die theuer erkaufte Erfahrung macht, daß man sie in der Frre herum geführt hat! Und man frage doch einmahl, in unsern Appellationsgerichten nach, wie viel Urthel

jährlich daselbst reformirt werden, weil sie Aussprüche' contra jus in thefi enthalten.

Auch würden die Richter, wenn die, von ihnen vers hangenen, Nullitåten jedesmahl eine Kassation, ihres Verfahrens und ihres Ausspruchs nach sich zögen, nothe wendig weit sorgfältiger und aufmerksamer, in ihrem Amte, werden; da sie hingegen jezt, wo man selten oder nie erfährt, ob die, von der höhern Instanz verfügte. Abänderung, wegen eines Fehlers in der Form und wes gen materiellen Unrechts, oder wegen einer unrichtigen Anwendung der Gesche geschieht, sich ganz ruhig gehen Lassen können.

Eben daher verdient es auch allen Beyfall, daß, nach den französischen Rechten, die Sache, worin eine Mullitat vorkommt, nach erfolgter Kassation derselben, nie wieder an die bisherige Behörde, sondern an eine andre, zur Fortstellung abgegeben wird. Denn wenn auch das gemißbilligte Verfahren und der, für nichtig erklärte, Ausspruch, nicht allemahl eine grobe Fahr lässigkeit oder Unwissenheit des Richters verräth, so ist doch die Annullirung, in den meisten Fållen, die Folge eines Mangels an gehöriger Geschicklichkeit des Richters und die Avokation der Sache also schon um des Wilken nöthig; außerdem wird aber auch dein Richter die Fortstellung einer Sache gewiß nicht angenehm seyn, worin er eine Kassation feines Verfahrens oder Ausspruchs erfährt. Liegt hingegen der Grund des verworfenen Verfahrens oder Ausspruchs, vielleicht bloß in der Undeuts lichkeit oder Unzulänglichkeit der Gesetze, so wird der erste Richter bald dadurch gerechtfertiget werden, daß der zweyte in den nämlichen Fehler verfällt; und får dies sen Fall war auch gut gesorgt, indem das Kassationstris

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bunal dem Staatsrathe Nachricht geben mußte, wenn bey ihm, zwey Kassationen aus demselben Grunde ers folgten; damit man das, zu Nullitäten Anlaß gebende, Gesez erläutre und berichtige.

Daß sich nächstdem das Kaffationsgericht bloß mit Aufhebung und Bernichtung, der fehlerhaften Verfahren und Aussprüche, begnügte, nicht aber auch deren Vers besserung selbst motivirte, hat auch seinen großen Nugen. Denn

1. liegt, bey nichtigen Verfahren und Aussprüchen, die Hülfe dagegen fast stets schon darin, daß sie für nichtig erklärt werden.

2. Ist eine geschwinde Hülfe bekanntlich doppelt so viel werth, als eme langsame. Nun läßt sich aber zwar wohl die Nullität einer Sache leicht und ge schwind- erkennen, nicht so leicht jedoch auch die zu treffende Verbesserung angeben; es ist also einem Berlegten unleugbar, mit einer bloßen, schnell zu erlangenden, Nichtigkeitserklärung mehr gedient, als mit einer Reformation in meritis, worauf er eine lange Zeit warten muß.

3. Geht für die, durch ein nichtiges Verfahren, oder eine nichtige Sentenz, verlegte Partey, nichts das bey verloren, wenn das Kassationsgericht, bloß die Nullität ausspricht, da die Sache ja doch an ein andres Gericht gelangt; woselbst sie angemessener, behandelt und, an die Stelle der aufgehobenen Entscheidung, eine richtigere gesezt wird. Und es dauert gewiß eben so lange, wo nicht noch långer, bis der, die Abånderung enthaltende Rechtsspruch bey unfern Appellationsgerichten erfolgt, als es ges

dauert haben würde, wenn bloß die Nichtigkeit ers flårt und die Sache zur Fortstellung wieder an ein Untergericht abgegeben worden wäre. Auch muß

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4. das Untergericht, dem die Fortstellung einer Sache, worin eine Kassation geschehen ist, übertragen wird, eben so wie das Obergericht, im Stande seyn, den richtigen Weg zu treffen und den richtigen Ausspruch zu thun. Denn es läßt sich doch wohl nicht im Ernste behaupten, daß das Personale des Oberges richts allein die Gabe hiezu besige; da das Unterges richt die andern Sachen ja, gleich vom Anfange an, ohne Anweisung des Obergerichts zu leiten und zu entscheiden hat. Die Natur der Sache bringt es zwar mit sich, daß es Vorgesezte gibt, und daß durch diese die Kassation der, von einem Unterges richte verhangenen, Nullitäten geschiehet; allein mit der, hiezu verliehenen, Macht empfängt die vorgesette Behörde nicht auch ein größeres Maaß von Talent, Verstand und Beurtheilungskraft, sondern diese Eigenschaften müssen jeder Staatsbehörde, in gleichem Grade, beywohnen; und wenigstens muß, daß dem also sey, in der Regel angenommen werden. Endlich ist

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5. und dieß ist das wichtigste Argument, das Obergericht, wenn es nächst der Aufhebung des vorigen Ausspruchs, zugleich auch über die merita caufae erkennt, wieder eine Behörde, zur Bes urtheilung feines Verfahrens und seines Ausspruchs, vonnöthen; weil ihm so gut wie jedem andern ets was menschliches begegnen kann, Wo lågt sich also das Ziel und das Ende der Kontrolirung der Behörs den finden? Ein bloß auf Nichtigkeitserklärungen

sich beschränkendes, Gericht, hingegen bedarf keiner weitern vorgefeßten Behörde, da es keine Rullitåt begehen, sondern höchstens bloß darin irren kann, daß es Verfügungen und Aussprüche für nichtig hält, die es nicht sind. Dieser Jrrthum hat keine weitern Folgen, als allenfalls die Sache zu verlåns gern; denn das Untergericht, dem die Fortstellung derselben übertragen wird, ist, nach ausdrücklicher Bestimmung des Gesetzes, nicht verpflichtet ein andes res Verfahren zu wählen und einen andern Aus: spruch zu thun, wenn seine Ueberzeugung, von der Richtigkeit des vorigen Verfahrens und Ausspruchs, nicht mit der des Kassationstribunals übereinstimmet.

Aus diesem lehten Umstande ergibt sich insonderheit die Nothwendigkeit, daß das Geschäft der Kassation, keis ner, der Handhabung des materiellen Rechts gewidmez ten, Behörde anvertrauet seyn darf; nur Entscheidungen in Kompetenz Streitigkeiten und Perhorrefcenzfällen, beg denen auch blog außre und subjektive Dinge in Frage kommen, scheinen, für die Sphäre des Kaffationstribunals, ebenfalls geeignet zu seyn, und ihm daher, wie in Frankreich, übertragen werden zu können.

§. 12.

Von Friedensrichtern.

Um sich von der Zweckmäßigkeit und dem Nutzen des Instituts der Friedensrichter zu überzeugen, darf man nur die einzige Thatsache nehmen, daß, im Laufe des Jahs res 1810, von den Friedensgerichten, im Herzogthum Warschau, 15,325 Sachen abgethan worden sind; die aus ßerdem die Gerichtshöfe viele Jahre lang, beschäftiget, den Parteyen große Kosten verursacht, und, in mehr als

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