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sollte es überdies nicht aufs tiefste bewegen, zum Nachfolger dessen sich erkoren zu sehen, der fast 26 Jahre die Kirche mit größter Weisheit regierte, dessen rüstige Geisteskraft und reicher, makelloser Tugendglanz selbst den Feinden Bewunderung abnötigte und den Ruhm seines Namens durch glänzende Erfolge verklärte? Dann schreckte Uns, um die andern Gründe zu übergehen, auf das allerheftigste die gegenwärtige so schwere Bedrängnis des menschlichen Geschlechtes. Es ist ja allen bekannt, daß die menschliche Gesellschaft heute an einer schweren, tiefeingesessenen Krankheit leidet, wie sie die früheren Zeiten nicht gekannt. haben. Tag für Tag wächst dieselbe und schleppt ihre Opfer in gänz licher Zerrüttung dem Untergange zu. Ihr wißt, ehrwürdige Brüder, welches diese Krankheit ist. Der Abfall, die Trennung von Gott, dieser engste Bundesgenosse des Verderbens, nach dem Wort des Propheten. „Siehe, die sich weit von dir machen, kommen um." Diesem schweren Unheil entgegenzuwirken, erkannten Wir als Pflicht des päpstlichen Amtes, das man Uns übertrug; wir glaubten auf Uns den Befehl Gottes beziehen zu müssen: „Siehe, ich setze dich heute über die Völker und Reiche, daß du ausreißest und niederreißest, aufbauest und pflanzest"; aber eingedenk Unserer Schwachheit bebten Wir vor der Übernahme einer Aufgabe zurück, die keine Verzögerung duldet und mit den größten Schwierigkeiten erfüllt ist. || Doch nachdem es der göttlichen Weisheit gefallen hat, Uns aus Unserer Niedrigkeit zu diesem Reichtum der Gewalt zu erheben, richten Wir Uns auf „in dem, der Uns stärkt". Im Vertrauen auf Gottes Kraft legen Wir Hand ans Werk und erklären, daß das leitende Ziel Unseres päpstlichen Waltens das ist: „in Christus alles zu erneuern", auf daß Christus alles in allen sei". - Es wird gewiß nicht ausbleiben, daß man das Göttliche mit dem Maßstabe des Menschlichen mißt, die Absichten Unseres Innern zu ergründen und im Sinne weltlicher Bestrebungen und Parteiziele zu deuten sucht. Solche eitle Hoffnungen möchten Wir von vornherein mit der allerbestimmtesten Versicherung abschneiden, daß Wir nichts sein wollen und mit Gottes Hilfe vor der menschlichen Gesellschaft nichts sein werden als der Diener Gottes, in dessen Namen Wir walten. Gottes Sache ist Unsere Sache, ihr gehören Unsere Kräfte, für sie setzen Wir selbst Unser Leben ein. Wenn daher jemand von Uns einen Wahlspruch verlangt, der die Ziele Unseres Innern offenbart, so werden Wir Uns immer zu dem einen bekennen: „Alles zu erneuern in Christus." || Indem wir nun dieses herrliche Werk auszuführen beginnen, gereicht Uns, ehrwürdige Brüder, die Zuversicht zum größten Troste, daß Wir in euch allen tatkräftige Helfer bei seiner Durchführung besitzen. Wollten Wir daran zweifeln, dann

müßten Wir glauben, daß ihr von dem frevelhaften Kriege, der jetzt fast überall gegen Gott entbrannt ist und geschürt wird, in offenem Widerspruch zu eurer Pflicht nichts wisset oder ihn für bedeutungslos haltet. Denn fürwahr, gegen ihren Schöpfer „knirschen die Völker und sinnen Eitles die Nationen", so daß der Ruf der Gottesfeinde: „Geh weg von uns!" fast allgemein geworden ist. In sehr vielen hat er die Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott gänzlich ertötet, und man kümmert sich in den Vorkehrungen des öffentlichen und privaten Lebens nicht um den höchsten Herrn. Ja man spart keine Kraft und versäumt kein Mittel, um die Erinnerung an Gott und die Kenntnis von ihm gänzlich zu verwischen. || Die Betrachtung dieser Zustände ruft unwillkürlich die Befürchtung wach, als hätten wir in dieser Verderbnis der Herzen die Vorboten, ja den Anfang jener Übel vor uns, welche am Ende der Zeiten zu erwarten sind, oder als weilte der Sohn des Verderbens", von dem der Apostel spricht, schon jetzt auf Erden. Wird doch überall mit solcher Verwegenheit und mit solchem Ungestüm versucht, die Ehrfurcht vor der Religion zu erschüttern, und die Beweisführung für die geoffenbarte Glaubenswahrheit bekämpft und auf die völlige Aufhebung jeder pflichtmäßigen Beziehung des Menschen zu Gott mit aller Kraft hingearbeitet. Anderseits- und das ist nach demselben Apostelwort das Merkmal des Antichrists - stellt der Mensch in größter Vermessenheit sich an die Stelle Gottes und erhebt sich „über alles, was Gott genannt wird". Wohl kann er den Gedanken an Gott nicht gänzlich in sich austilgen, doch treibt er die Überhebung so weit, dessen Hoheit zu verleugnen und sich selbst diese sichtbare Welt wie als Tempel zu weihen, um sich von den andern anbeten zu lassen. „In Gottes Tempel setzt er sich [so] und gibt sich für Gott aus." Welches der Ausgang dieses Kampfes der Sterblichen wider Gott sein wird, darüber kann allerdings kein Einsichtiger in Zweifel sein. Gott läßt den Menschen wohl seine Freiheit mißbrauchen und Recht und Ehre des Schöpfers aller Dinge antasten, der Sieg aber ist immer auf seiner Seite. Die Niederlage der Menschen rückt nur um so näher, je frecher sie in stolzer Siegeshoffnung sich auflehnen. Warnend erklärt Gott selbst von sich in der Heiligen Schrift: „Er ist nachsichtig gegen die Sünden der Menschen", als gedächte er seiner göttlichen Macht und Hoheit nicht; bald aber ist das scheinbare Zurückweichen zu Ende, und ,,wie ein Held trunken von Wein aufwachend", wird er die Häupter seiner Feinde zerschmettern", damit alle erkennen, ,,daß Gott der König ist über die ganze Erde", und damit die Völker wissen, daß sie Menschen sind". || Darauf, ehrwürdige Brüder, bauen wir unsern zuversichtlichen Glauben, darauf unsere Erwartungen. Doch hindert uns das

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nicht, daß jeder für seinen Teil das Werk Gottes zu fördern suche. Beharrlich beten wir: „,Steh auf, o Herr, es erstarke nicht der Mensch!" und nicht das allein, wir wollen, was viel wichtiger ist, die Oberherrschaft Gottes über die Menschen und die übrigen Wesen in Wort und Tat anerkennen und offen verteidigen, auf daß alle seinem Herrschaftsrecht mit Ehrerbietung sich beugen. Damit erfüllen wir nicht nur eine natürliche Verpflichtung, sondern auch eine Forderung des gemeinsamen Wohles der Menschheit. Wen, ehrwürdige Brüder, sollte nicht Bangigkeit und Trauer befallen, wenn er in einer Zeit so verdienstlichen und rühmlichen Kulturfortschrittes die Menschen größtenteils einander so bitter bekämpfen sieht, daß man vom Kriege aller gegen alle reden kann? Die Sehnsucht nach Frieden bewegt wahrlich jede Menschenbrust, und alle rufen angelegentlich nach ihm. Doch wo Gott verworfen wird, sucht man vergeblich nach Frieden; denn wo kein Gott ist, da hat auch die Gerechtigkeit keine Stätte, und wo keine Gerechtigkeit ist, ist die Hoffnung auf Frieden umsonst. „Das Werk der Gerechtigkeit ist der Friede." - Wir wissen es wohl, daß das Verlangen nach Frieden, der da ist „die Ruhe der Ordnung", sehr viele zum Zusammenschluß in Vereinen und Parteien angetrieben hat, die man Ordnungsparteien nennt. Doch ach, diese Hoffnungen und Sorgen sind eitel! Der Ordnungsparteien, welche wirklich Frieden in unsere gestörten Verhältnisse bringen können, gibt es nur eine Art, die Partei der Anhänger Gottes. Diese also müssen wir fördern, die Zahl ihrer Anhänger nach Möglichkeit verstärken, wenn wir von Liebe zu ruhig geordneten Verhältnissen getragen sind. || All unsere Versuche und Anstrengungen, die Völker unter Gottes Majestät und Herrschaft zurückzuführen, würden jedoch gänzlich vergeblich sein ohne den Beistand Jesu Christi. Denn hier gilt die Erinnerung des Apostels: ,,Einen andern Grund kann niemand legen, als der gelegt ist, welcher ist Christus Jesus." Er allein ist es,,,welchen der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“, „der Abglanz des Vaters und das Ebenbild seines Wesens", wahrer Gott und wahrer Mensch, ohne den niemand zur heilsnotwendigen Erkenntnis Gottes gelangen kann; „denn niemand kennt den Vater als der Sohn und wem ihn der Sohn offenbaren will". Daraus folgt, daß „alles in Christus erneuern" soviel heißt, als die Menschen zum Gehorsam gegen Gott zurückführen. Es muß demgemäß unsere Sorge sein, das Menschengeschlecht Christus untertan zu machen. Ist das gelungen, dann ist es auch schon zu Gott zurückgekehrt. Dabei verstehen Wir unter Gott nicht ein träges, um die menschlichen Angelegenheiten unbekümmertes Wesen, wie die Wahngebilde der Materialisten ihn darstellten, sondern den lebendigen, wahren Gott, einfach in seinem Wesen

und dreifaltig in den Personen, den Schöpfer der Welt und weisen Lenker des All, endlich den gerechten Geber der Gesetze, der die Schuldigen straft und der Tugend den versprochenen Lohn gibt. || Wo nun uns der Weg zu Christus sich öffnet, ist klar erkennbar, nämlich in der Kirche. Deswegen sagt der hl. Chrysostomus mit Recht: „Deine Hoffnung ist die Kirche, dein Heil die Kirche, deine Zuflucht die Kirche." Dazu hat Christus um den Preis seines Blutes sie gegründet, ihr seine Lehre und die Weisungen seiner Gesetze übergeben und sie mit den reichsten göttlichen Gnadengaben ausgestattet, welche den Menschen Rettung und Heiligung bringen. || So seht ihr also, ehrwürdige Brüder, welche Aufgabe Uns und euch gleichmäßig gestellt ist. Wir müssen die menschliche Gesellschaft, welche den Pfad der Weisheit Christi verloren hat, zum kirchlichen Geist zurückführen. Die Kirche wird sie Christus unterwerfen, Christus aber Gott. Wenn wir das mit Gottes Gnade erreichen, dann werden wir uns freudig sagen dürfen, daß die Bosheit der Gerechtigkeit Platz gemacht hat. Unser Ohr wird die starke Stimme vom Himmel" beglücken, „die da spricht: Jetzt ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Gesalbten erfüllt worden". Die Erfüllung dieser Wünsche setzt aber die bis zur Wurzel dringende Ausrottung des ungeheuerlichen und verabscheuungswürdigen Frevels unserer Zeit, der Selbsterhebung des Menschen als Gott, voraus. An jener müssen wir mit Anspannung aller Kräfte arbeiten. Ferner muß den heiligen Satzungen und Räten des Evangeliums die alte Würde zurückgegeben und die kirchlich überlieferte Wahrheit, die Lehre von der Heiligkeit der Ehe, von der Jugenderziehung und -schulung, vom Eigentum und Gebrauch der irdischen Güter und von den Untertanenpflichten gegen die Staatslenker gründlich dargestellt werden. Endlich ist jenes Gleichgewicht unter den verschiedenen Ständen des Staates wiederherzustellen, welches christlicher Sitte und Satzung entspricht. Das sind die Ziele, die Wir im Gehorsam gegen Gottes Willen Unserer päpstlichen Amtswaltung gesteckt haben, und Wir werden sie tatkräftig erstreben. Euch aber, ehrwürdige Brüder, kommt es nunmehr zu, Uns bei Unsern Absichten mit eurer verehrungswürdigen, gelehrten und erfahrenen Unterstützung und vor allem mit eurem Eifer für Gottes Ehre beizustehen, indem ihr auf nichts anderes absehet, als daß in allen „Christus gestaltet werde“. Welche Mittel wir für unsere große Sache anzuwenden haben, bedarf kaum der Erwähnung, denn sie sind allbekannt. Die erste Sorge soll die sein, daß wir Christus in denen gestalten, welche durch ihr Amt berufen sind, Christus in den übrigen zu gestalten. Die Priester meinen Wir, ehrwürdige Brüder. Alle, welche die heiligen Weihen empfangen

haben, sollen wissen, daß sie für das Volk, unter dem sie leben, jene Aufgabe haben, die Paulus mit jenen herzgewinnenden Worten als seine Obliegenheit bekundet: „,0, meine Kindlein, für die ich abermals Geburtsschmerzen habe, bis daß Christus in euch gestaltet wird!" Wie vermöchten sie nur die Obliegenheiten eines solchen Amtes erfüllen, wenn sie nicht selbst zuvor Christus angezogen hätten, und zwar in jener Weise, daß sie das Wort des Apostels von sich gebrauchen können: „Ich lebe, aber doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir", „Christus ist mein Leben!" Zwar geht an alle Gläubigen die Mahnung: „zur vollkommenen Mannheit, zum Maße des vollen Alters Christi zu gelangen", aber dennoch gilt sie dem Priester in ganz bevorzugter Weise. Er wird ein ,,zweiter Christus" genannt nicht bloß wegen der Teilnahme an seiner Gewalt, sondern auch mit Beziehung auf die Nachahmung desselben im Leben, in welchem er sich als getreues Abbild Christi darstellen soll. Welch ernste Sorge, ehrwürdige Brüder, müßt ihr demgemäß dafür tragen, daß der Klerus zum heiligen Wandel erzogen werde! Sie muß allen andern Angelegenheiten vorangestellt werden. Deshalb sei die vorschriftsmäßige Einrichtung und Leitung der geistlichen Seminarien, der Glanz reiner, unverkürzter Glaubenslehre und die Blüte heiliger Sitten in denselben eure Hauptsorge. Das Seminar sei die Freude eures Herzens, und nichts fehle darin, was das Konzil von Trient weise angeordnet hat und jenem zum Gedeihen dient. Ist dann aber die Zeit gekommen, wo die Kandidaten die heiligen Weihen empfangen sollen, dann beherziget wohl, was Paulus an Timotheus geschrieben: „Lege niemand voreilig die Hände auf." Denn das müßt ihr wohl beachten: wie diejenigen beschaffen sind, welche ihr zur priesterlichen Würde erhebt, so werden auch größtenteils die Gläubigen sein. Lasset euch keineswegs von persönlichen Rücksichten beeinflussen. Gott, die Kirche und das ewige Heil der Seelen allein habt ihr ins Auge zu fassen, damit ihr, der Warnung des Apostels getreu ,,euch nicht fremder Sünden schuldig macht". || Die neugeweihten, aus dem Seminar entlassenen Priester müssen eure Hirtensorge auch weiterhin erfahren. Euer Herz muß für sie, so mahnen Wir aus innerster Seele, von himmlischem Feuer glühen. Ziehet sie oft an euch, gebet ihnen Anregung, begeistert sie, Gott und dem Heile der Seelen allein zu leben. Wir hinwieder werden gewiß, ehrwürdige Brüder, mit aller Umsicht darauf achten, daß kein Mitglied des Klerus von den hinterlistigen Trugschlüssen einer neuen wissenschaftlichen Richtung umgarnt werde, die den Geist Christi nicht atmet und unter dem Aufputz schlauer Scheingründe die Irrtümer des Rationalismus und Semirationalismus wieder zu beleben trachtet. Schon der Apostel Paulus suchte solcher Gefahr vorzubeugen,

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