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ist nichts Ordentliches daraus zu ersehen. Die Hauptsache liegt in Privatbriefen und confidentiellen Mittheilungen.»>1) Also in Mittheilungen höchst subjektiver Natur.

Ganze Perioden der Geschichte, in denen ein Kampf der Geister und Weltanschauungen stattfand, und Niemand objektiv war, sondern alles sich in leidenschaftliche Subjektivität der Anschauung auflöste, wie z. B. die Reformation, die französische Revolution, die Kreuzzüge, können gar nicht rein objektiv aufgefasst und beschrieben werden; die Bücher, welche das versucht haben, lassen im Leser das Gefühl einer Leere und Enttäuschung zurück.) Er thut viel besser, um sich wirklich zu informiren, mehrere der leidenschaftlichsten Erzeugnisse der damaligen Zeit von verschiedener Auffassung zu lesen und beides auf sich wirken zu lassen. Ein geistreicher Beurtheiler solcher Dinge sagt: «la révolution française a été tant étudiée qu'on commence à ne plus la comprendre». Man könnte das auch mit nicht geringerem Rechte von der Reformation sagen und vielleicht von der Schweizergeschichte in ihren Hauptperioden ebenfalls.

Daher, von dieser Art von «Objektivität» stammt auch das bittere Wort von Goethe, selbst die beste Geschichte habe etwas Leichenhaftes, einen Geruch der Todtengruft.

Das ist nun freilich eine starke Uebertreibung und im allerweitesten Sinne betrachtet kann man wohl von einem objektiven «Urtheil der Geschichte» sprechen. Nichts

1) Aehnlich verhält es sich, wie schon oben angeführt, mit den offiziellen Kriegsberichten.

2) Thukydides legt das lebhaftere, subjektive Element in die Reden seiner handelnden Personen, die natürlich erdichtet sind. Ohne dieselben würde seine Darstellung auch reizloser sein.

ist zwar für einen selbständigen Geist weniger massgebend als die sogenannte «öffentliche Meinung» einer Zeitperiode, sobald man nur darauf sein Augenmerk richtet, wie dieselbe nach jedem Erfolge oder Misserfolge sich wandeln und vom <<Hosianna» in's «Kreuzige» umschlagen kann. Betrachtet man aber dieselbe in grösseren, über ein kurzes Menschenleben hinausreichenden Zeitabschnitten, so wird man finden, dass sie doch schliesslich, nach mit unter mehrfachen Pendelschwingungen, auf dem ganz richtigen Punkte zum Stillstand kommt.

Dazu kommt noch ferner, dass die Objektivität, die sich vorzugsweise auf dokumentarische Zeugnisse gründet und nach ihrem System gründen muss, oft nicht der Wahrheit entspricht. Es gibt nicht allein viele wirklich unechte Urkunden, die gar nicht so leicht von echten zu unterscheiden sind, dergestalt, dass bekanntlich eine grosse Zahl kaiserlicher und päpstlicher Erlasse des Mittelalters in ihrer Echtheit angefochten werden. Noch bedenklicher für die bloss dokumentarische Geschichtsschreibung aber ist es, dass viele echte Urkunden unrichtige Thatsachen enthalten, nicht bloss unabsichtlich, sondern sogar absichtlich. Eine Menge von Schenkungsurkunden z. B. wie sie in der älteren Schweizergeschichte vorkommen, sind nicht Schenkungen, sondern zwangsweise Abtretungen gewesen, denen nur jene freundlichere Form gegeben wird; Freiheitsbriefe (wie z. B. die Berner-Handfeste) sind nicht unter dem Datum und von der Person ausgestellt, die sie angeben, sondern enthalten eine spätere Zusammenstellung älterer und neuerer Rechtsverhältnisse in einem und demselben Dokument, die früher entweder nicht verbrieft, oder wenigstens nicht in Einem Dokument zu finden waren, oder die man erst jetzt so darzustellen für gut

fand. Wichtige Verträge und Friedensschlüsse, wie die ewige Richtung mit Oesterreich, der Basler-Friede, der Vertrag von St. Julien haben die Form von Schiedssprüchen, während sie in Wirklichkeit Verträge sind, indem der Spruch zum Voraus zwischen den Parteien festgestellt wurde.

Auch in der neueren und neuesten Geschichte, die man aus den Mittheilungen noch lebender Personen wirklich kontroliren kann, kommen solche Fälle vor. Gleich der Anfang unserer modernen Geschichte, die Verabredung Laharpe's mit dem franz. Direktorium, die zur Revolutionirung des Waadtlandes und der ganzen Schweiz im Frühjahr 1798 führten, ist trotz dem vielen, was darüber geschrieben ist, noch immer im Wesentlichen unbekannt. Aus verschiedenen Vorgängen, besonders aus der Aufstellung eines Generals und eines waadtländischen Militärstrafgesetzes im Anfang März 1798, sowie aus dem nachmaligen Versuch der Franzosen, die Schweiz als erobertes Land, gegen die mit dem französischen Direktorium vereinbarte helvetische Constitution, zu behandeln, erhellt ziemlich klar, dass anfänglich der Krieg gegen Bern vom Waadtlande begonnen und von den Franzosen nur unterstützt werden sollte, während dieselben ihn schliesslich allein führen und daher noch in letzter Stunde allerlei Vorbereitungen treffen mussten, wozu ihnen die Regierung von Bern Zeit liess. Es ist auch kaum zweifelhaft, dass dieselbe Ursache hatte, noch in den ersten Tagen. des März nicht an das direkte Einrücken der Franzosen zu glauben. Die Sache selbst ist dem einsichtigen Beobachter in ihrer muthmasslichen Gestaltung ziemlich klar. Dennoch kennt Niemand die wahre Geschichte dieser Tage aus Akten, denn die sämmtlichen darüber vorhan

denen Aktenstücke enthalten entweder nicht genug, oder Unrichtiges.

Man kann aus etwas späterer Zeit als ein weiteres Beispiel hinzufügen die Thatsache, dass mitten in der Mediationszeit, im Jahre 1807, ein förmliches Protokoll über eine Sitzung der «bernischen Standeskommission», einer reaktionären Behörde von 1802, vorhanden ist, das ganz klar zeigt, dass dieselbe sich nicht aufgelöst hatte, sondern in der Hoffnung auf einen Umschwung im Geheimen neben der Mediationsregierung fortbestand, weshalb sie dann auch sofort im Dezember 1813 wieder in offene Thätigkeit überging. Niemand aber weiss etwas Genaueres von dieser 10 Jahre lang dauernden geheimen Nebenregierung in dem Hauptkanton der Eidgenossenschaft, die allein eine Erklärung für einige sonst räthselhafte Vorgänge vom Ende des Jahres 1813 bietet. Und doch müssen Nachrichten darüber in Bern in Familienarchiven liegen, welche die Geschichte der Mediationszeit erheblich ergänzen würden.

Es gibt aber auch absichtlich unrichtige öffentliche Urkunden selbst in unserer ganz modernen Geschichte. Im Jahre 1836 verlangte der König Louis Philippe durch seinen Gesandten Duc de Montebello von der damaligen bernischen Regierung den Rücktritt von den sog. BadenerBeschlüssen, welche die Feststellung der Staatssupprematie über die katholische Kirche enthielten, und zwar innert 3 Tagen, unter der Androhung des unmittelbaren Einmarsches der Franzosen in den Jura. Die Thatsache ist ganz unzweifelhaft, es lebten sogar noch vor kurzem Personen (Staatsschreiber v. Stürler), die sie aus eigener Anhörung des Gesandten kannten. Wir haben sie so selbst aus ihrem Munde noch vernommen.

Dennoch enthalten die bernischen Staatsprotokolle darüber nicht nur nichts, sondern im Gegentheil sogar einen Passus, der ganz das Gegentheil zu besagen scheint, und ein künftiger kritischer Geschichtsschreiber wird daraus leicht beweisen können, dass auch dieses angebliche Vorkommniss «zur Tell's- und Winkelriedssage und dem Uebrigen bloss Traditionellen, oder ganz Mythischen der Schweizergeschichte gehöre». Die Tradition hat aber Recht, und die Dokumente enthalten Unwahrheit.

Das ist es, was das Studium der Geschichte so schwer macht, die Thatsache, dass vieles Geschriebene, wie Napoleon I. sich schon ausdrückte, «fable convenue» ist und vieles Ungeschriebene, bloss Traditionelle, Wahrheit, jedoch durch die Länge der Zeit und die mündliche Ueberlieferungsweise entstellt und verunstaltet. Dazu braucht es dann eben den Instinkt der Wahrheit, oder «le sûr don d'imagination» bei dem Geschichtsschreiber, um nicht bloss in der Tradition, sondern auch in den Archiven Wahrheit von Irrthum, oder absichtlicher Täuschung zu unterscheiden, und diese Eigenschaften hat nicht jeder Gelehrte, oder fleissige Arbeiter, sondern nur Einer, der selbst aus der Wahrheit» ist. Da ist also ein ausserordentlich «subjektives» Auffassen der Geschichte absolut nöthig; denn sie ist nicht ein blosses Abschreiben von Urkunden und eine «Rekonstruktion» mit altem Material, wie es die Ranke'sche Schule vorzugsweise verlangt, sondern ein wirkliches neues Erstehen und Erleben in einem dazu geeigneten Geiste, eine «ressurrection». Ohne eine solche bekommt die sogenannte objektive, bloss auf dokumentarische Beweise gegründete Geschichte leicht etwas Trockenes, Abstraktes. Die Schreibart des Thukydides, bei welcher bereits die Geschichte aus Massen-Evo

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