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Das «Zeichen der Zeit» ist jetzt eine in gewissem Sinne «rückläufige» Bewegung, die auf allen Gebieten des Lebens mit Macht eintreten wird. Von der naturwissenschaftlich-materialistischen Philosophie der letzten Zeit und dem Nietzsche'schen Grössenwahn zu einer wahreren, idealistischen Auffassung des Menschenthums und seiner Ziele; von der blossen Genusssucht zum Pflichtbewusstsein; von dem allgemein verbreiteten thörichten Luxus zu soliderer Einfachheit; von der bloss phantastischen Freiheitsidee ohne Konsequenzen zu der wirklichen Ausgestaltung derselben für Alle; von dem atheistischen und daher völlig unfruchtbaren Sozialismus zu dem praktischen Christenthum. Das Alles wird keineswegs ohne vorangehende schwere Prüfungen so werden, und auch nicht ohne Uebertreibungen nach dieser Seite hin, die sich bereits zeigen. Gott ist aber dafür Bürge, dass das Gute überall bestehen bleibt, während das Böse sich selbst verzehrt und unter sich gegenseitig vernichtet. In dieser Hoffnung gehen wir einer jedenfalls auch für unsern Staat bewegten Zukunft entgegen.

Diejenigen Leute bei uns und in Deutschland, welche zuweilen in dem für die Mehrzahl noch veralteten und <überwundenen» alten Testamente Belehrung und Erfrischung in den Kümmernissen der Gegenwart und Zukunft suchen, werden eine ähnliche Zeit, wie die gegenwärtige, in II. Chron. XV, 3–7 und XVI, 9 beschrieben finden und sich dabei beruhigen können. Diejenigen hingegen, welche sich nur auf die eigene Kraft und Wissenschaft, oder die Hülfe der Menschen verlassen, werden in Bälde die geringe Zuverlässigkeit und Ausdauer dieser Stützen zu erproben Gelegenheit haben.

Die augenblickliche Politik ist trostlos, man muss ihre Leitmotive nicht in irgendwelchen hohen, weitreichenden, oder sonst absonderlichen Gedanken suchen. Sie sind vielmehr gewöhnlicher, zunächst. liegender Natur. Uebrigens täuschen sich ja auch diejenigen, welche glauben, Perikles, oder Richelieu, oder Napoleon I., oder Cavour und Bismarck hätten weiter. reichendere Gedanken, als die der gewöhnlichen Durchschnittsmenschen ihrer Zeit gehabt und verfolgt. Sie wirkten gerade damit für den Augenblick so stark, dass sie nicht mehr als das Nächstliegende in's Auge fassten und erreichten. So ist es jetzt auch; die hohen Gedanken muss man überhaupt anderswo suchen, als in der Politik.

Immerhin unter Beifügung einer nicht zu übersehenden Aeusserung des jetzigen amerikanischen Präsidenten Rooseveldt, die wenigstens für die Republiken unbedingte Gültigkeit besitzt:

<<The real service is rendered, not by the critic, who stands aloof from the contest, but by the man, who enters into it and bears his part as a man should, undeterred by the blood and the sweat.»

Der japanisch-russische Krieg, durch welchen das Jahr 1904 auf immer in der Geschichte denkwürdig bleiben wird, begann, eigentlich unerwarteter Weise, gegen Ende des Januars in wirkliche Aussicht zu kommen. Während der ganzen Weihnachts- und Neujahrszeit drohte er zwar schon und daneben noch der weit kleinere zwischen Amerika und Columbien, wegen der Ablösung von Panama von dem letzteren Staate. Was jedoch die Kirchen aller Schattirungen nicht hinderte ihre gewohnten,

längst auswendig gelernten Festpredigten von dem «Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen» noch einmal zu halten. Es könnte ja wohl so werden durch das Christenthum, darüber besteht kein Zweifel; aber nicht mit ihrer Auslegung und Anwendung desselben, die sich nun schon zwei Jahrtausende lang nicht erprobt hat. Die Menschheit muss noch einmal gründlicher als gewöhnlich verstehen, wohin eine <moderne Weltanschauung», oder eine oberflächliche Religion, die beide gleich schäd lich sind, führt.

Die unmittelbare Ursache des Krieges war die definitive Etablirung Russlands in der Mandschurei, sogar mit noch ganz unbestimmten Gränzen gegen das eigentliche China und gegen Korea hin, wogegen die benachbarten Japanesen, die selbst einen Theil der grossen chinesischen Erbschaft beanspruchen, seit langer Zeit vergeblich auf dem diplomatischen Wege reklamirt hatten. Russland gedachte den gewaltigen Bissen eines Landgebietes von 20 Millionen Einwohnern, unbehelligt von allen Theilungsansprüchen, allein zu verschlingen und begegnete den «kleinen Japanern», als sie ihm «Halt Bruder, Halbpart» zuriefen, mit dem verächtlich unwilligen Knurren eines grossen Köters, den ein viel kleinerer an seiner Mahlzeit stört. Der endliche muthige Angriff des Kleinen begegnete daher auch allgemein einer gewissen erstaunten Sympathie, wie sie vorbildlich für alle Zeiten in der Erzählung von dem Kampfe des kleinen David gegen den grossen und übermüthigen Goliath sich ausspricht. Es zeigte sich aber bald im Verlauf des Krieges, dass der Unterschied der Kräfte nicht so gross war, als vermuthet wurde, sondern sich durch den Vortheil der Nähe Japans an dem Kriegsschauplatz, einer viel stärkeren

und gewandteren Flotte, modernerer Geschütze und vor allem einer weit besseren Vorbereitung zum Kriege fast gänzlich ausglich. Nun ändert sich die Stimmung. Dermalen würde ein entscheidender Sieg der Japaner, z. B. die Einnahme von Port Arthur, oder die völlige Ueberwindung der russischen Armee bei Mukden auf einen bemerkbaren Widerwillen, selbst Englands, stossen und muthmasslich einer allgemeinen Intervention rufen, welche den Japanern den grösseren Theil ihrer Kriegsbeute wider entreisst und sie auf das beschränkt, was sie auch ohne Krieg, durch ein vernünftiges Einverständniss mit Russland hätten erreichen können, nämlich den Besitz von Korea und eine gewisse Garantie für die Bedürfnisse ihres Handels und ihrer Niederlassung in der Mandschurei. Als positives Resultat ihres energisch geführten Krieges wird ihnen aber jedenfalls bleiben die dauernde Seeherrschaft im gelben Meere, eine grössere Achtung vor ihrer Kriegstüchtigkeit überhaupt, und vor allem die Anwartschaft auf das Protektorat in China, mindestens auf einen Antheil an demselben. Das Gegengewicht zu diesen Vortheilen des Krieges für Japan ist die nunmehr handgreiflicher gewordene Furcht vor der <<gelben Gefahr», die fortan an die Stelle einer gewissen Sympathie für den jungen und gelehrigen Schüler treten wird, der sich die Vortheile der europäischen Civilisation so überraschend schnell angelernt hatte, sich allmählig aber anschickt, sie gegen seine Lehrmeister, und zwar gegen Einen nach dem Andern, zu verwerthen. Sie werden alle noch an die Reihe kommen, und die grösste Gefahr dieses Krieges liegt unseres Erachtens darin, dass die heutigen Gegner schliesslich nothgedrungen, durch die erfahrene Unmöglichkeit sich gegen

seitig zu überwinden, oder auch nur dauernd zu bekämpfen, zu Freunden und Verbündeten werden müssen, und damit in der Asiatisirung Russlands. Dieselbe begann schon längst mit der Moskowitisirung, welche das deutsche und finnische kultivirtere Volk, ähnlich wie früher das polnische, dem reinen Russenthum hintansetzte, welches seinen Blick stets nach dem Osten gerichtet hat. Nun folgt daraus das Weitere mit logischer, zwingender Nothwendigkeit. Dann aber liegt künftig Asien und die <gelbe Gefahr» an der deutschen Gränze und hat vorläufig sogar noch einen Verbündeten an Frankreich, obwohl in dieses schon an und für sich unnatürliche Verhältniss das englisch-französische Bündniss und noch mehr die Einsicht in die wirkliche Stärke des Verbündeten, welche der Krieg bewies, ein starkes Loch gerissen haben mag.

Die Rettung würde in einem kräftigen, freiheitlichen Bunde Englands, Deutschlands und Amerika's liegen. Demselben steht aber der übermächtige Handelsneid entgegen, den das «moderne Bewusstsein» auch grossgezogen hat und der keine andern Gesichtspunkte mehr kennt, sobald er einmal erwacht ist. Derselbe wird diese natürlichen politischen Freunde wahrscheinlich früher oder später doch zu einem für beide und für die Menschheit überhaupt nachtheiligen Kriege drängen. Jedenfalls sind wir von der Aera des «ewigen Friedens», von welcher die Friedensliga träumt, noch weit entfernt, und in der nächsten Zeit wird man sich damit begnügen müssen den Krieg durch neue Verbote allzu verderblicher Mittel, in der Art der Einzelnverbote der HaagerKonferenz, noch etwas mehr zu humanisiren. Aus den grossen Kriegen aber wird die jetztlebende Generation nicht mehr herauskommen, und aus der beständigen

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