christliche Presse vorwarf, sie machen die Wilden durch ihre Theorie von der Gleichheit aller Menschen unbotmässig. Unser «Kirchenfreund» sagte darüber mit Recht: «Es sind die rücksichtslosen Egoisten, denen bei ihrer Ausbeutung der Welt das Christenthum im Wege steht und welche in den Schwarzen keine Menschen sehen, die irgendwelche Schonung verdienten. Dass die Unarten dieser Völker, die so lange in der finstersten Nacht des Heidenthums geblieben sind, nicht mit einem Male weggewischt werden können, wenn sie Christen werden, wissen die Missionare wohl und haben es oft genug gesagt. Es ist kein Wunder, wenn sie bei Gelegenheiten, wo sie aufs äusserste gereizt sind, wieder in wilder und abstossender Art aufwachen. Natürlich verlangen ihre Missethaten eine strenge Sühne. Allein dass man über jene kolonialen Vampyre eine schirmende Hülle breite, welche eigentlich das Ganze verschuldet und den Tod so vieler wackerer deutschen Krieger auf dem Ge. wissen haben, ist keine Förderung der wahren nationalen Ehre.» In den näheren Gebieten ist es die Polenfrage, welche der deutsche Reichskanzler als die wichtigste innerpolitische Frage bezeichnet hat. Eine Zeitungsnotiz sagt darüber: «In den letzten Jahren des Bismarckschen Regiments, 1886, wurde das preussische Gesetz erlassen, welches 100 Millionen Mark zum Ankauf von Gütern in den Provinzen Posen und Westpreussen wo vornehmlich die Polen sitzen – und zur Ansiedlung Deutscher auf diesen Gütern auswarf. Diese Summe ist bis 1903 auf die riesige Höhe von 450 Millionen Mark, also erheblich über eine halbe Milliarde Franken, gesteigert worden. Es wurden einige dreissig tausend Deutsche angesiedelt; das macht in jenen Provinzen nur etwa 1 Proz. der Bevölkerung aus. Da die Ansiedlungskommission fleissig als Güterkäuferin auftrat, steigerten sich natürlich die Güterpreise; davon profitirten die deutschen Gutsbesitzer, indem sie, den materiellen Profit über das national-ethische Moment setzend, ihre Güter der Ansiedlungskommission verkauften. Die Polen waren patriotischer und gaben viel weniger ihre Güter an die deutsche Ansiedlungskommission her. Sie wurde unterstützt durch die Gründung polnischer Landbanken, welche mit starken, ihnen grossentheils geheim zufliessenden Mitteln versehen, ihrerseits möglichst viele Güter erwarben und an polnische Bauern parzellirten. Zugleich gewann der polnische Grundbesitz an Lebens. kraft dadurch, dass durch die um 4/3 bis '/2 erhöhten Güterpreise auch die hypothekarische Beleihungsfähigkeit entsprechend stieg. Dazu wurde nun eine Novelle erlassen, welche die Genehmigung der Ansiedlung von der Regierungsbehörde abhängig macht. Das heisst: die Regierung kann pol. nische Ansiedlung, den Verkauf und Ankauf von Gütern an Polen und von Polen verbieten. Das ist eklatante Verletzung der Verfassung, rufen Polen, Freisinnige und Ultramontane; denn die Verfassung sagt: alle Preussen sind vor dem Gesetz gleich und jeder darf Grundeigenthum erwerben. Ihnen wird erwidert, dann wäre schon das ursprüngliche Ansiedlungsgesetz von 1886 verfassungswidrig, dessen Tendenz dahin ging. Fraglos ist die Thatsache, dass das Polenthum im Laufe der letzten Jahrzehnte sich in Deutschland enorm ausgedehnt hat und dass seine letzten Bestrebungen auf Wiederherstellung des Polenreiches gehen, also revolutionär und staats- und deutschfeindlich sind. Der nationale Zug ist im Polenthum grossartig aufgewacht. Es war nicht unverdient, dass Polen vor 130 Jahren als Reich unterging, aber doch brutal, dass ein Jahrhundertelang bestandenes Reich einfach unter Russland, Oesterreich und Preussen aufgetheilt wurde.» Das rächt sich nun, denn «jede Schuld rächt sich auf Erden», und komplizirt sich einigermassen mit der grossen Machtstellung, welche die katholische Kirche in Deutschland, speziell in Preussen, erlangt hat und die in der Aufhebung des Art. 2 des Jesuitengesetzes von 1899 durch die preussischen Stimmen im Bundesrath nun einen plastischen Ausdruck gefunden hat. Die beiden Artikel dieses berühmten Gesetzes lauten im wesentlichen Theil: $1. «Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm verwandten Orden und ordensähnlichen Kongregationen sind von dem Gebiet des deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Errichtung von Niederlassungen derselben ist untersagt. » § 2. «Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kongregationen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden. Wenn sie Inländer sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten versagt oder angewiesen werden.» Das Verbot der jesuitischen Ordensniederlassungen (S1) bleibt auch fortan noch bestehen. Hingegen fällt die even. tuelle Behelligung der einzelnen Ordensglieder bei ihrem Aufenthalt im deutschen Reiche ($ 2) weg. - Desgleichen ist das seit dem Kulturkampf in Preussen geltende Verbot der sogen. Marianischen Kongregationen aufgehoben worden, d. h. das Verbot von katholischen Jünglingsvereinen unter Gymnasiasten. Der Vorstand des «evangelischen Bundes» in Deutschland erliess folgende Protestation: «Der Bundesrath hat den $ 2 des Jesuitengesetzes durch seinen Beschluss vom 8. März d. J. aufgehoben. Die Millionen evangelischer Christen Deutschlands in zahllosen Eingaben, Kundgebungen, Protesten haben umsonst geredet. Der preussische Evangelische Oberkirchenrath, die preussische Generalsynode, der Deutsch-Evangelische Kirchenausschuss, diese Vertretung sämmtlicher evangelischer Landeskirchen im Reich, man hat ihre Warnungen vor den weltkundigen Zerstörern des kirchlichen und nationalen Friedens, den Vätern der Gesellschaft Jesu, missachtet. Um augenblickliche Vortheile auf staat lich-politischem Gebiete zu gewinnen, hat man den Schlag ins Angesicht des deutschen Protestantismus und seiner organisirten kirchlichen Vertretung nicht gescheut. Wir haben dieser erschütternden Thatsache, der in Preussen die ministerielle Zulassung der Marianischen Kongregationen eben voraufgegangen war, nichts weiter hinzuzufügen. Auch dem Blindesten sind jetzt wohl die Augen aufgegangen über die Ohnmacht des deutschen Protestantismus, so lange seine innere Zerklüftung, die religiöse Gleichgültigkeit von Hunderttausenden in seinen Reihen, der Mangel eines festen und zielbewussten Zusammenschlusses fortbesteht. Der Evangelische Bund zur Wahrung der deutschprotestantischen Interessen hat durch die Wege, welche die leitenden Staatsgewalten nunmehr eingeschlagen haben, die glänzendste Rechtfertigung für sein Dasein, seine Bestrebungen und seine Wirksamkeit gefunden. Wir können angesichts der sich häufenden bitteren und immer bitterer werdenden Erfahrungen nur in unser evangelisches Volk hineinrufen: Kommt und füllt unsere Reihen, stärkt unsere Kraft und helfet mit, dass unser geliebtes Vaterland unter den Wunden, die ihm geschlagen werden, nicht verblute! Halle (Saale), 12. März 1904. Der Vorstand des Evangelischen Bundes zur Wahrung der deutsch.protestantischen Interessen.» Die Entscheidung über den $ 2 des Jesuitengesetzes im Bundesrathe ist in folgendem Stimmenverhältniss gefallen: Für die Aufhebung des $ 2 haben gestimmt: Preussen mit 17, Bayern mit 6, Baden mit 3, Waldeck, Reuss ältere Linie und Hamburg je mit einer Stimme, zusammen 29 Stimmen. Gegen die Aufhebung fielen folgende Stimmen: Sachsen 4, Württemberg 4, Hessen 3, MecklenburgSchwerin 2, Braunschweig 2, ferner Weimar, Mecklenburg Strelitz, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sach sen-Altenburg, Schwarzburg.Sondershausen, Schwarzburg. Rudolstadt, Reuss jüngere Linie und Detmold mit je einer Stimme, zusammen 25. Der Abstimmung enthalten haben sich mit je einer Stimme: Bremen, Lübeck, Anhalt und SchaumburgLippe, zusammen 4 Stimmen. Diese «Lauen» haben also eigentlich entschieden, neben der preussischen Vertretung im Bundesrath. Der «Hannover'sche Courier» citirte dazu eine Cabinetsordre König Friedrich Wilhelms I. von Preussen vom Jahre 1722, zur Instruktion seiner Nachfolger mit folgendem Wortlaut (Acta Borussica III 458): «Jesuwitter müsset Ihr in eure lender nicht dulden, sein Deuffels, die dar Ka Pable zu viellen Bohses und schedtl. gegen euch und gegen land und leuthe, also müsset Ihr sie nicht dulden unter was Pretext sie sich auch wollen einnistellen in euer lender.» Es ist ganz unzweifelhaft, dass dieser Vorgang das Ansehen der Krone Preussen als Vormacht und Schützerin des Protestantismus sehr beeinträchtigt hat. Als äusserliches Nebenmoment kam noch hinzu eine Pressfehde gegen den Oberhofmeister der Kaiserin, von Mirbach, in welcher demselben ein umziemliches Beitreiben von Beiträgen für Kirchenbauten von Juden und Christen, zum Theil unter Versprechung von Orden und Titeln vorgeworfen wurde. Das Verfehlte an dieser ganzen Sache, die ebenfalls das monarchische Gefühl in Deutschland nicht erhöhte, ist übrigens nicht das Kirchenbettelwesen, das glaubt mit dem blossen Kirchenbauen sei das Reich Gottes schon gemacht, sondern auch das ganze Ordens- und Titelwesen, das in Deutschland mehr als jemals blüht und sogar mitunter unsere Gränzen zu überschreiten droht. |