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Ein anderes, uns zum Theil mitberührendes Ereigniss war der Tod des Fürsten Herbert Bismarck, welcher in der 2. Hälfte des Septembers erfolgte. Bei diesem Anlasse wiederholten wieder einige schweizerische Zeitungen, unter Anderen das Genfer Journal vom 20. September, die Behauptung, derselbe sei der Urheber des Wohlgemuthhandels und der Verfasser der bezüglichen drohenden Depeschen gewesen, welche zeitweise sogar von einer Aufkündung der schweizerischen Neutralität sprachen; der grosse Kanzler habe dann aber die diplo matischen Fehler seines Sohnes wieder in's Reine gebracht.

Wir wiederholen, dass diese Geschichtserzählung eine völlige Fabel ist. Der Herausgeber des Jahrbuchs hatte damals öfter Gelegenheit, mit den leitenden Personen des damaligen Bundesrathes, namentlich den HH. Welti und Droz, über diese Sache zu sprechen. Der Letztere, welcher dem Departement des Auswärtigen vorstand und die Drohnoten Bismarcks zu beantworten hatte, beauftragte ihn sogar, als der Konflikt seinen Höhepunkt erreicht hatte, mit der Abfassung eines Gutachtens darüber, das von einem Tag auf den andern eingereicht werden musste; niemals aber war damals nur im Entferntesten davon die Rede, dass nicht der Kanzler selbst der Urheber der drohenden Schreiben sei, welche sich im Eidg. Archive befinden, und der Leiter der ganzen Campagne, in welche er zeitweise auch noch Oesterreich und Russland zu verwickeln versuchte. Wir haben durchaus keinen Grund, ihm die schliessliche diplomatische Niederlage in dieser an sich kleinen Sache zu ersparen, oder uns seiner Freundschaft zu berühmen, die in der That niemals bestanden hat, auch nicht zur Zeit des Neuenburgerhandels, in welchem er nach Paris geschickt wurde, um

Napoleon III. gegen uns zu stimmen, wie er es selbst in einer seiner nachmaligen Reichstagsreden erzählt. Er sagt darin sogar, dass er auf diese Hoffnung eine private Börsenspekulation gegründet hatte, die dann schlecht ausfiel, als zwar nicht Napoleon, sondern der noch lebende Kaiser von Oesterreich seine Zustimmung zu dem Einmarsch der preussischen Truppen (deren Befehlshaber bereits ernannt war) in unser Gebiet versagte. Erst der Nachfolger Bismarcks, Caprivi, hat die guten Beziehungen des deutschen Reichs zu der Eidgenossenschaft, die glücklicherweise seither wieder bestehen, und den von Bismarck im blinden Zorn aufgekündeten Niederlassungs- und Freundschaftsvertrag wiederhergestellt. Dem jetzt verstorbenen zweiten Fürsten Bismarck haben wir weder Gutes noch Schlechtes zu verdanken gehabt. Man bekommt einige Bedenken gegen die Geschichte überhaupt, wenn man sieht, wie Vorfälle der jüngsten Zeit, deren Zeugen sogar noch leben, völlig unrichtig erzählt werden. Es wäre Aufgabe der geschichtsforschenden Gesellschaften, darüber wenigstens einige Kontrolle auszuüben.

Deutschland ist, bei aller äusseren Prosperität, die sich u. A. in einer starken Bevölkerungszunahme (seit Errichtung des Reichs um 181⁄2 Millionen) ausspricht, kein glückliches Land. Es ist nach Aussen von allen Seiten her bedroht, ohne einen andern zuverlässigen Freund als Russland, und verfällt im Innern immer mehr der Genusssucht, die seit jeher den schlechten Theil des deutschen Charakters bildete. Die gute Seite, die Innigkeit, Tiefgründigkeit, Treue und Idealität der deutschen Seele hat unter dem Drang nach äusserer Expansion und unter der Vorherrschaft der allerwenigst idealen, mehr nur zur gewaltsamen Aktion geeigneten Charaktere ge

litten. Eine deutsche Stimme gibt diesem Empfinden, das alle Freunde der deutschen Nation mit Besorgniss erfüllen muss, folgenden Ausdruck:

«Es ist keine Frage, dass das metaphysische Empfinden im deutschen Volke besonders in den letzten Jahrzehnten sehr zurückgetreten ist. Von realer Seite wird ja dieser Process als Fortschritt bezeichnet. Wer an Maschinen, Fabrikschloten, der äusseren Kenntniss exakter Thatsachen, den Fortschritt eines Volkes misst, mag ja immerhin damit recht haben; es ist ohne Zweifel ein Fortschritt, wir leugnen ihn nicht, aber nur ein Fortschritt anderer Kulturwerthe. Das Volk ist nüchterner, praktischer, realer, äusserlicher geworden. Viel ist damit verloren gegangen. Ich schwärme nicht für die Romantik, die sich in eine eingebildete Welt verliert, aber die Romantik pflegte doch in gewissem Sinne eine Sehnsucht, eine geistige Unzufriedenheit und lenkte den Blick oder wenig. stens die Empfindung auf den grossen Urgrund des Lebens, der nicht bloss Urnebel und Rotation heisst.»>

Es wächst aber, wenn auch noch nicht in der nächsten Generation, ein anderes Geschlecht heran, das unter dem Eindrucke der nächsten Ereignisse, die nicht lauter Glück, wie bisher, bedeuten werden, die von Gott den Deutschen speziell anvertraute Aufgabe wieder mit neuem Muthe aufnimmt. In diesem Sinne verfasste Prof. Felix Dahn bei Anlass des Kant-Jubiläums, das in diesem Jahre statthatte, folgendes schöne Gedicht, das ganz unserer Ansicht entspricht:

«O grosser Meister Kant,
Du strahlendster Demant

In deutschen Geistes Königshort,
O wende nicht dich von uns fort,
Von manchem Anblick unerhört
Erzürnt, verekelt und empört!

Dein Geist hat weiland uns begeistert,
Dass wir den Korsen selbst bemeistert,

Dein Geist hat auch noch uns geschaffen
Vor Sedans Feld die Siegeswaffen.

Doch nun erwuchs ein neu Geschlecht,
Urselbstisch, ohne Pflicht und Recht,
All seines Strebens Ziel Genuss.
Kein edles Soll, kein heilig Muss!

Weh, soll'n wir nicht bald schmählich fallen,
So sende aus den Sternenhallen

Uns deines Geistes Strahlen nieder;

Zu deinen Schülern mach uns wieder,

Bescheiden, massvoll, pflichttreu, rein, —
Sonst müssen wir verloren sein!»

In Frankreich herrscht dermalen unter dem jetzigen Ministerium Combes eine Art von Freimaurerregiment, das in diesem Jahre einen Bruch mit der katholischen Kirche herbeigeführt hat, wie er seit der grossen Revolution in solchem Masstabe nicht mehr bestand. Es ist nicht anders, als sehr glaubwürdig, was von dieser Seite beständig versichert wird, dass eine gewisse feste Hand des Staates gegenüber dem katholischen Clerus und dem stark überwuchernden Ordenswesen nothwendig war; was aber geschieht, geht weit über das hinaus, bis zur «Trennung der Kirche vom Staat», ja sogar bis zur Feindschaft gegen alle Religion; gegen die protestantische so gut, wie die katholische. Und dabei sitzt auf dem Stuhle Petri jetzt nicht mehr ein Diplomat, dem die Erhaltung der guten Beziehungen mit der «ältesten Tochter der Kirche» als etwas erschien, was mit allen Mitteln herkömmlicher römischer Gewandtheit im Erfinden von Auswegen erstrebt werden müsse, sondern ein viel einfacher denkender Mann, der an die Kirche und ihre unsterbliche Mission innerlich glaubt und sich daher auch vor keinen Konsequenzen seines Thuns fürchtet. Es wird sich zeigen, wer Meister wird; wir unsererseits glauben

nicht an den dauernden Sieg des Staates, dem ein grosser Theil der Bevölkerung widerstrebt und der es seinerseits nicht wagt, weder die sehr wenigen staatsfreundlichen Bischöfe energisch an ihren Stellen zu erhalten, noch das schlimmste aller «abergläubischen » Institute, die Wallfahrtsgrotte von Lourdes zu schliessen. In solchen geistigen Kämpfen bleibt der Sieg schliesslich immer dem, der ein bestimmtes und ausführbares Programm hat und an dasselbe von ganzer Seele glaubt. Der Protestantismus könnte jetzt eine schöne, staats- und kirchenerhaltende Rolle in Frankreich haben, wenn er andere Vertreter hätte, als die, welche nichts Besseres zu thun wussten, als in Genf Servet ein Denkmal zu setzen. Diese sind auch mit Blindheit geschlagen, so gut wie die défroqués auf der katholischen Seite.

Das nächste, was sich nun bald entscheiden wird, wenn das Ministerium Combes bestehen bleibt und nicht ein grosser «Gang nach Canossa», wie s. Z. durch Bismarck nach der Falck'schen Aera eintritt, ist die Aufhebung des Konkordats vom 15. Juli 1801, des sprechendsten Ueberrestes des napoleonischen Geistes in Frankreich. Napoleon nannte damals das Papstthum «die beste und glücklichste Einrichtung zur Leitung der Seelen», was ihn aber einige Jahre später nicht hinderte, den Papst durch einen Offizier verhaften zu lassen und den Kirchenstaat aufzuheben, denn die Seelen sollten eben nur nach seinem Willen gelenkt werden. Darin besteht die Frage eigentlich noch immer, Frankreich garantirt den Bestand der katholischen Kirche und diese wieder soll den Bestand Frankreichs garantiren helfen. Dieses Einverständniss ist nun vorläufig in die Brüche gegangen. Hauptsächlich handelte es sich dermalen um das Recht der französischen

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