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lich jetzt erst an. Unser Volk im Grossen und Ganzen schöpft in den Schulen seine historische Belehrung aus kurzgefassten Lehrbüchern, die vorzugsweise äusserliche Thatsachen enthalten und naturgemäss viel zu wenig in das Einzelne eingehen und dabei verweilen können. Aber auch die eingehenden Untersuchungen, die mehr für das gebildete, historisch interessirte Publikum bestimmt sind, halten sich vorzugsweise und mit Vorliebe in Gebieten. auf, welche auf die gegenwärtige Politik sehr wenig Bezug haben. Eine räthselhafte Urkunde ohne allen politischen Werth, die Frage etwa, welchen Stammbaum Frau Hadewig, die Gemahlin Eppo's von Nellenburg gehabt habe, oder die Kämpfe der Allemannen zur Zeit Aure. lian's beschäftigen oft die verdientesten schweizerischen Geschichtsforscher eher, als die Geschichte unserer mo. dernen Politik. Selbst die grossen offiziellen Publikationen, die Eidgenössischen Abschiede, die Fontes rerum Bernensium u. a. m. sind Geschichtsquellen für das Alterthum, nicht für die Neuzeit; über dieselbe besteht noch nicht einmal eine ganz brauchbare Zusammenstellung der wesentlichsten Staatsverträge seit 1814.

Man kann es unter diesen Umständen den meistens sehr realistischen Staatsmännern unserer Zeit nicht ganz verdenken, wenn sie mitunter auf die Historiker etwas schlecht zu sprechen sind und findet etwas Wahres an dem abschätzigen Urtheil des grossen Friedrich über den schweizerischen Thukydides, Johannes von Müller, von dem er kurzweg sagt: er habe ihn sehr für das Kleine eingenommen gefunden. «Er hat Untersuchungen über die Cimbern und Teutonen angestellt, für die ich ihm keinen Dank weiss. Das wahre Genie hält sich nicht bei kleinlichen Untersuchungen auf, entweder stellt es die

Sachen unter neuen Gestalten dar, oder es überlässt sich der Imagination, oder was noch besser ist, es wählt interessante und neue Gegenstände.»>

Soviel wenigstens ist an diesem königlichen Urtheile sicher richtig, man muss die Geschichte ein wenig im grossen Style auffassen, nicht als eine blosse Sammlung von Thatsachen mehr oder weniger gleichgültiger Art, und sie spiegelt sich daher auch nur in einem dazu geeigneten Geiste und in dessen kräftiger, lebendiger Subjektivität. «Die Wissenschaft in einem unreinen und unwahren Gemüth wird unbrauchbar, wie der Wein in einem unreinen Gefäss (Epiktet)». Auch die Völker haben zwei Naturen, wie die einzelnen Menschen, die Eine ist. kleinlich, auf den augenblicklichen Vortheil bedacht, vorzugsweise auf das gerichtet, was man jetzt «wirthschaftliche Interessen» nennt, durch die auch unser Volk bemerkbar herabgekommen ist, trotz seiner scheinbaren industriellen Blüthe. Die Andere ist grosszügig, ideenvoll, begeisterungsfähig, und diese soll die Geschichte allein pflegen und befördern. In diesem Sinne ist sogar Macchiavelli's sonst etwas gefährliches Wort wahr, dass <<Handlungen, die etwas Grosses an sich haben, gleichviel welcher Art sie seien und welchen Zweck sie haben, mehr Ehre einbringen als Tadel.»

Dann, wenn man sich in diesem etwas grossartigeren Sinne mit der Geschichte befasst, sonst aber nicht, ist auch ein anderes Wort für den einzelnen Menschen in heutiger Zeit, in der die Art, wie die Geschichte der Gegenwart <gemacht wird, zu wünschen übrig lässt, sehr anwendbar: «Le souverain remède contre les dégouts de la vie, c'est l'étude» (Montesquieu, pensées). Andernfalls ist es ein sich Zurückziehen und Ausweichen,

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wenn nicht gar Ablehnen der Forderungen des gegenwärtigen Lebens. Und das wird es auch sein, um auf den Eingang unserer Betrachtung zurückzukehren, was bei vielen Menschen unserer vorzugweise praktischen und vorwärts blickenden Gegenwart die innerliche Abwendung von den geschichtlichen Studien veranlasst. Die Situation in dem Jahrhundert vor Beginn der französischen Revolution war bei uns wenigstens eine ganz ähnliche. Die gebildeten Kreise beschäftigten sich gerne mit den historischen Erinnerungen einer bedeutenden Vergangen. heit, ohne sehr viel Sinn für die dringenden Anforderungen der Zeit zu haben. Und als dann ganz andere Volksschichten und ihre Leiter plötzlich und allzu ausschliesslich an das Staatsruder gelangten, glaubten sie mit allem Historischen aufräumen und ein philosophisch begründetes Staatsrecht an die Stelle des geschichtlich entstandenen setzen zu sollen.

Dieser Irrthum sollte jetzt beiderseits nicht zum zweiten Male begangen werden.

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«Fata volentem ducunt, nolentem trahunt.» Nicht wie ein Thier, das stumpf und blind für Alles ausser dem Genuss eines kurzen Erdendaseins seinem unvermeidlichen Ende entgegenschreitet, soll ein gebildeter Mensch und ein civilisirtes Volk seinen Weg durch das Leben gehen. Sondern wie ein Wanderer, der, das Auge stets auf die leitenden Sterne gerichtet, denselben folgt und mit froher Zuversicht ein hohes Ziel vor sich sieht.

Die verständnissvolle Beobachtung einer solchen menschenwürdigen Laufbahn durch einen congenialen Geist, das ist Geschichtschreibung.

Beilage.

Römische Staatsmaximen.

Aus den «Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence».1)

I.

Der Tag der Aktion muss für den Kämpfer eine Erleichterung von seiner gewöhnlichen Arbeit sein, nicht umgekehrt.

II.

Niemals muss man Frieden schliessen, wenn man sich im Unglück befindet, dagegen einem geschlagenen Gegner goldene Brücken zum Rückzuge bauen; mehr verlangen, als vorher, wenn man geschlagen wurde, nicht mehr, wenn man Sieger geblieben ist. (Bei uns geschah meistens das Gegentheil.)

III.

Der imaginäre (psychologische) Eindruck, den eine Niederlage verursacht und das daraus hervorgehende Ge

') Wir geben diese aus den Erörterungen des interessanten Büchleins abzuleitenden Sätze, welche die römische Politik der guten Zeit kennzeichnen können, mit dem Gedanken hier wieder, dass es möglich sein würde, eine Anzahl solcher Maximen auch aus der historischen Politik der Eidgenossenschaft zusammenzustellen, Gedanken, die sich z. Th. in sprichwörtlicher Form erhalten haben und noch heute manches sonst Unerklärliche, was in unserem Staate vorgeht, erklären können. Z. B. «Nach der That hält der Schweizer Rath», oder «Dei providentia et hominum confusione Helvetia regitur»; oder das vielleicht in Graubünden entstandene, jeden falls dort sehr bekannte Sprüchwort «Chi offende non perdona». Diese Maximen einmal in der Art Montesquieu's zusammenzufassen, soweit sie aus der Geschichte deutlich erkennbar sind, wäre eine Aufgabe für einen Historiker.

fühl der Entmuthigung ist schlimmer, als jeder materielle Verlust. Hiegegen sich gut zu wappnen und mit Ausdauer und Kaltblut im Unglück festzustehen, ist die Hauptsache bei jeder Kriegführung (auch der innern).

IV.

Man muss stets bereit sein vom Gegner zu lernen, auch sogar seine Waffen und Sitten anzunehmen, wenn sie besser sind, als die eigenen.

V.

Schlachten liefern ist leichter als Kriege durchführen. Dazu gehört: das Glück benutzen und es auch abwarten können, bedenklich zu sein vor dem Beginn des Krieges, nichts mehr zu fürchten, sobald er begonnen ist. (Greif nicht leicht in ein Wespennest; doch greifst du drein, so stehe fest.)

VI.

Fast alle grossen Geschäfte werden dadurch verdorben, dass man neben der Hauptsache noch kleine Nebenerfolge sucht, welche bloss der Eitelkeit schmeicheln.

VII.

Es ist besser einen unglücklichen Krieg zu führen, als den Frieden zu kaufen. Man respektirt nur den, von welchem man Widerstand zu gewärtigen hat.

VIII.

Die Erbschaft grosser Vermögen benachtheiligt gewöhnlich das Herz und auch den Verstand des Erben. Er überschätzt leicht ihre Macht und Dauer und unternimmt mit etwas, was von Natur keine Dauer hat, sondern bloss eine temporäre Anschwellung und Anhäufung ist, Dauer erfordernde Unternehmungen.

IX.

Halte Dich nie an eine (menschliche) Hilfe, die stärker ist als Du selber und von der Du abhängig wirst.

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