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gische Volk würde uns äusserst sympathisch in seiner ganzen Erscheinung sein, die viel Verwandtes mit den guten deutschen Elementen der Schweiz hat, wenn nicht die «Norwegerei», d. h. die Litteratur von Ibsen, Björnson, Strindberg, Garborg und noch vielen Andern wäre, welche den «modernen Menschen» in seinen schlimmsten Seiten, materialistischem Unglauben, bodenloser Genusssucht und Eitelkeit, und zuletzt meistentheils noch erbärmlicher Feigheit zeigt. Wie diese Litteratur aus diesem braven Bauernvolke heraus hat wachsen können, das ist für uns noch ein psychologisches Räthsel und hoffentlich nur ein Uebergangszustand. Sie hat einstweilen das Verdienst gehabt, der Welt die Hässlichkeit ihrer jetzigen <modernen >> Anschauungen und Lebensgewohnheiten deutlich vor Augen zu führen. In diesem Sinne haben diese Schriftsteller, als Todtengräber einer untergehenden Gesellschaft, auch ihren wohlthätigen Dienst gethan; erbauen aber müssen andere eine neue und viel bessere Welt. Sympathischer sind für uns die «alten Schweden», in denen noch immer etwas von dem Geiste des Befreiers Gustav Adolf lebt und denen wir Jetztlebenden die Befreiung von dem Tyrannen Alkohol verdanken. Darüber enthielt eine Privatcorrespondenz der Genfer-Zeitung vom 25. April den folgenden Bericht, der auch auf uns Anwendung findet:

«Le 17 avril 1904 marque une date importante dans l'histoire de la lutte contre l'alcoolisme en Suède. Ce jour-là les abstinents ont remporté une victoire telle qu'ils n'en avaient pas enregistré d'aussi considérable depuis 1865. Un projet de loi tendant à interdire toute vente de boissons fermentées dans les cantines militaires, précedemment adopté déjà par la deuxième Chambre, vient enfin de recevoir l'approbation de la première Chambre

aussi, qui l'avait plusieurs fois repoussé dans des sessions antérieures.

Pour comprendre la portée de cette réforme, il faut se rendre compte de deux faits. Le premier est le très grand péril que la bière constitue, à l'heure actuelle, pour le pays. La loi qui réglemente, avec la sévérité que l'on sait, la vente de l'alcool, avait laissé en dehors de ses prescriptions les boissons fermentées, dans lesquelles on voyait, au moment de son adoption, le meilleur auxiliaire de la tempérance. L'événement n'a pas justifié cet optimisme. Au contraire. La consommation de la bière qu'on avait cru devoir favoriser, a effectivement augmenté dans la mesure même où diminuait celle de l'eau-de-vie. Mais elle a pris en ces dernières années des proportions si formidables, que l'heure approche où il faudra aviser et prendre les mesures nécessaires pour combattre cette nouvelle forme (nouvelle à notre époque) de l'alcoolisme.

L'expérience a prouvé que la législation peut beaucoup dans ce domaine. L'homme qui a un penchant pour la boisson y succombe presque fatalement, quand les facilités de le satisfaire sont nombreuses. Trop faible pour résister à d'incessantes sollicitations, il ne demanderait souvent pas mieux pourtant que d'être protégé contre luimême.»

In dem dritten scandinavischen Staate Dänemark besteht dermalen merkwürdigerweise eine starke Initiative auf Verschärfung des Strafsystems durch Prügelstrafen für Gewaltthätigkeit und Rohheit. Es ist ein demokratisches Ministerium, das erste seit 1866, welchem diese seltsame Aufgabe zufällt, und muthmasslich ist es die für das kleine Land unnatürlich grosse und übercivilisirte Hauptstadt und Seestadt, die diesen <<Fortschritt» nöthig gemacht haben wird. Immerhin war schon dadurch vorgearbeitet, dass in den Schulen der «Stab Wehe» ziemlich unbeschränkt regiert und dass auch für kleine Diebstähle bereits körperliche Züchtigung von Mino

rennen und selbst Maiorennen möglich war. Das ist also der empfehlenswerthe Etappenweg, wie man zu dieser Wohlthat, die auch bei uns sporadische Anhänger zählt, gelangen kann.

Von Serbien wollen wir bloss berichten, dass endlich im September die Krönung des neuen Königs aus der Familie Kara Georgs im Beisein einiger fremden Diplomaten, aber auch der königsmörderischen Offiziere stattfand.

Von Spanien, das jetzt auch nicht mehr zu den Grossstaaten zählen kann, sagte jüngst eine Zeitungskorrespondenz :

<<Die Spanier sind skeptisch geworden, sie glauben nicht mehr an sich selbst und an die alten Ideale der Nation. Sie selbst fühlen, dass der trübe Schein einer Dämmerung ihr Vaterland verdunkelt, und sie wissen nicht, ob es eine Morgendämmerung ist, der eine neue Sonne folgen wird, oder ob sie die Finsterniss der Nacht, des Vergehens, erwartet.

Die Ruhe und das innere Gleichgewicht fehlen dem Volke, es gefällt sich in Krisen und Konvulsionen, die, oft künstlich erzeugt, erloschene Ideale und Bestrebungen von neuem anfachen sollen, und dann flackert plötzlich ein gewaltiges Strohfeuer auf und hinterlässt doch oft nur einen neuen Haufen Asche; die Nation ist krank, und es scheint, als ob das Fieber der im Jahre 1899 geschlagenen Wunden erst jetzt so recht zum Ausbruche kommt.>>

Welches Urtheil über den ehemaligen Weltstaat, in dem die Sonne nicht unterging! Und dabei kann es noch immer Leute geben, die nicht an eine Gerechtigkeit in der Geschichte glauben, und dauernde Politik mit den kleinsten Mittelchen der List oder Härte machen zu können meinen.

Der am meisten sympathische der Kleinstaaten ist uns Holland, mit dem den protestantischen Theil der Schweiz auch alte Freundschaftsbande verbinden. Vorausgesetzt immer, dass er seine historische Selbständigkeit aufrecht hält, so wie es das Programm seines ausgezeichneten Staatsmannes Savornin-Lohmann enthielt, das wir im Jahrbuch XVI pag. 671 abgedruckt haben. Andernfalls, wenn er in Zoll- und Postunionen mit grösseren Staaten einträte, würde er uns ein schlechtes und gefährliches Beispiel geben. Ob dies die Absicht seines dermalen leitenden Staatsmannes, Dr. Kuyper, ist, müssen wir ganz dahingestellt sein lassen. Einstweilen hat derselbe einen andern, ebenfalls bedenklichen, Erfolg in einem Hochschulgesetz gehabt, das Universitäten mit konfessionellem Charakter einführt. Sie müssen Anfangs bloss 3 Fakultäten haben, denen sie nach 25 Jahren eine vierte und innerhalb 50 Jahren eine fünfte beizufügen schuldig sind. Dabei sind die Professoren der theologischen Fakultät nicht bloss von der Staatsernennung unabhängig, sondern sie brauchen auch nicht einmal einen akademischen wissenschaftlichen Grad zu besitzen. Hier hat also der strenge Calvinist Kuyper die Freiburger-DominikanerHochschule in allen Theilen zum Muster erwählt. Möge es Holland wohl bekommen!')

1) Ueber die auswärtige Politik Hollands, das neben seinem eigenen kleinen Land eben noch ein grosses Kolonialreich besitzt, sagt eine holländische Correspondenz der Allg. Zeitung:

<< Holland gehört zu denjenigen Staaten, welche durch ihre besondere Interessen gezwungen sind, den Ereignissen in Ostasien die grösste Aufmerksamkeit zu schenken. Zwar besitzt unser Land nicht den Ehrgeiz, eine politische Rolle in Ostasien zu spielen und sich in den Kampf um den chinesischen «Kuchen» zu mischen. Aber die Niederlande gehören zu den bedeutendsten Kolonialmächten in den ostasiatischen

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Dagegen hat das gleiche Ministerium den ersten unbedingten Schiedsvertrag, mit Dänemark, geschlossen, mit Adhäsions-Klausel. Das könnte der Ausgangspunkt für eine dauernde Verbindung der Kleinstaaten wenigstens Westeuropa's werden, die wir immerfort als nothwendig anschen, um ein gewisses Gewicht und Selbstgefühl gegenGewässern, und es kann ihnen schon aus diesem Grunde nicht gleichgültig sein, wer dieselben beherrscht und in der Nähe ihres Kolonialgebietes die ausschlaggebende Macht ist. Der gegenwärtige russisch-japanische Krieg muss nun dar über entscheiden, ob die so mächtig aufstrebende Grossmacht Japan auf die Stellung beschränkt bleiben soll, die sie zur Zeit einnimmt, oder ob ihr im Stillen Ozean die unbeschränkte Vorherrschaft zufallen wird. Siegt Japan über Russland, so ist das letztere eingetreten und der bekannte Ruf «Asien den Asiaten!», der von Tokio aus schon des öfteren in die Welt gerufen wurde, würde dann über kurz oder lang zweifellos den Besitzstand aller europäischen Kolonialmächte in Ostasien bedrohen. Nun sind Deutschland, England und Frankreich wohl noch stark genug, um auch gegen ein siegreiches und selbst mit China verbündetes Japan ihren ostasiatischen Kolonialbesitz und ihre politischen und wirthschaftlichen Interessen vertheidigen zu können, aber das Gleiche lässt sich von Holland nicht behaupten. Denn dank der jahrelangen Vernachlässigung seitens der massgebenden Kreise ist die holländische Kriegsmarine von ihrer einstigen Höhe soweit herabgesunken, dass sie derzeit einen Seekrieg mit Japan nimmermehr bestehen könnte. Schon als vor acht Jahren die Insel Formosa an Japan fiel, das somit fast zum Nachbar des niederländischen Kolonialreiches wurde, begann man hier unruhig zu werden und die Zukunft des niederländischen Kolonialreiches zu erwägen, in welchem die gelbe Rasse vorherrschend ist. Man ist aber hier nach alter Gewohnheit nach einiger Erörterung der Frage wieder sanft eingeschlafen, ohne etwas zur Stärkung der niederländischen Kriegsmarine gethan zu haben. Der Krieg hat jetzt diese Sorgen aufs neue wachgerufen. Wem die Sympathien des holländischen Volkes in dem gegenwärtigen Ringen gehören, ist schwer zu sagen, aber die eigenen Interessen müssten Holland eigentlich bestimmen, den Erfolg der russischen Waffen zu wünschen.»

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