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nahmen wären am Platz, weil der Einzelne der Ueberrumpelung sich kaum erwehren kann.»

Für seine Diözese ordnet der Bischof eine Art von geistlicher Zensur in folgender Weise an:

«1. Alle Seelsorger werden angewiesen, in ihrer Gemeinde auf die angeführten Uebelstände ein wachsames Auge zu haben, namentlich die Büchercolportage sorgfältig zu überwachen und nöthigenfalls an das bischöfliche Ordinariat Bericht zu erstatten.

2. Da es uns nicht möglich ist, alle Zeitschriften zu halten und zu lesen, so sollen die hochw. Herren Kapitelsdekane in Verbindung mit der Kapitelskommission für jede in dem Kapitel verbreitete populäre, religiöse Zeitschrift einen urtheilsfähigen Zensor ernennen, welcher dieselbe genau kontrollirt und allfällige Inkorrektheiten dem bischöflichen Ordinariate zur Kenntniss bringt. Dieses wird den betreffenden Redaktionen die geeigneten Winke geben, und wenn diese nichts fruchten sollten, die Zeitschrift in der Diözese verbieten.>>

In Bezug auf die Einwanderung der französischen geistlichen Orden fand eine Verhandlung im Nationalrath, Sitzung vom 9. Juni statt, bei welcher sich ein Vertreter der katholisch-konservativen Partei mit einer kurzen, fast bloss geschäftsmässigen Bemerkung gegen die Gleichstellung aller dieser «Kongregationen» mit eigentlichen, im Art. 52 der B. Verf. verbotenen «Orden» begnügte.

Es erscheint uns dermalen, im Grossen und Ganzen genommen, als wahrscheinlich, dass sich eine Art von neuem «Kulturkampf» wieder vorbereiten wolle, und zwar gerade gegen einen der bessern Päpste, während der nach unserer Auffassung weit weniger gute den «Kulturfrieden überreichlich genoss. Das ist in der Welt oft so, dass die Bessern die Leiden vorzugsweise zu tragen haben.

Gegen eine solche Zeitströmung lässt sich dann mei

stens sehr wenig direkt thun; sie will vielmehr ihre Zeit haben, um wieder vorüberzugehen und ihre Früchte zu bringen; aber diejenigen Leute, welche ein wenig darüber stehen, sollten sich die Grundsätze rechtzeitig klar machen, die sie selber in der Zeit des Kampfes haben und beobachten wollen. Dieselben können unseres Erachtens nur die folgenden sein:

1. An eine völlige Uebereinstimmung mit der Regierung der römisch-katholischen Kirche ist nicht zu denken. Jede solche Uebereinstimmung ist Unterwerfung; weniger wird ihrerseits nicht definitiv und vorbehaltlos acceptirt. Es handelt sich daher ihr gegenüber immer nur um einen modus vivendi, ein «tolerari posse», das aber der Natur der Sache nach ein gegenseitiges Verhältniss sein muss. Darin muss man soweit als immer möglich gehen, aber immer unter der Voraussetzung der vollen, unzweideutigen Gegenseitigkeit im Grade; sonst behält Cromwell noch heute Recht, der sagte, Verträge mit der römischen Curie zu machen, sei unnütze Arbeit. <<They are loose and you are bound». Wenn sie also z. B. Respekt und Schutz für die Gebräuche der katholischen Kirche gegenüber der Presse verlangt, so müssen wir auch Schutz gegen Bücher, wie das über Luther von Denifle, oder Encycliken dieser Art seitens des letzten Papstes haben. Wenn sie einen Begräbnissplatz für entweiht betrachtet, sobald ein Protestant darauf begraben liegt, so darf sie sich auch nicht wundern, wenn gegen Klöster und Orden in paritätischen, oder der Hauptbevölkerung nach sogar protestantischen Staaten ein grösseres Misstrauen herrscht, als es sonst gerade erforderlich wäre. Die Grunddifferenz bleibt freilich immer bestehen, die darin liegt, dass die katholische Kirche sich als die

allein wahre Nachfolgerin und Vertreterin Christi, und in Folge dessen dem Staate ebenbürtig, oder sogar über. geordnet ansieht; während der Protestantismus glaubt, dass er die Gedanken des Herrn besser und ohne viele menschliche Zuthaten repräsentire, und dass eine dem Staat in seinen naturgemässen Funktionen Concurrenz schaffende Kirche nicht zu diesen Gedanken gehört habe, sondern selbst eine menschliche Idee einer viel späteren Zeit sei. Diese Differenz lässt sich nicht übersehen, oder ver. mitteln; sie muss mit Geduld und gegenseitiger Nachsicht getragen werden.

2. Gegenüber dem Atheismus und naturwissenschaftlichen Materialismus hingegen, und auch gegenüber jedem Agnostizismus stehen wir entschiedenen Protestanten den Katholiken näher, als den Freidenkern und Ethikern dieser Art.

3. Ebenso fühlen wir auch keine Verpflichtung, unter den katholischen Bevölkerungen irgendwelche UebertrittsPropaganda zu machen; von dem Gedanken ausgehend, dass (wenigstens bei uns) es für den Einzelnen sehr wohl möglich sei, auch im Schosse der katholischen Kirche alle wünschenswerthen Lebenszwecke zu erreichen, und dass selbst die Reformen gegenüber Missständen, die etwa wünschenswerth sein sollten, ihrer eigenen Initiative möglichst überlassen bleiben sollen, ohne Einmischung unsererseits.')

Das ist also ein sehr grosses Gebiet des Verständnisses und wenn der gehörige Ernst für die religiösen Zwecke und Interessen, unter Ablehnung des bloss «po

1) Aus diesem Grunde glauben wir auch, es sei besser, wenn sich die Protestanten nicht in irgend eine «Los von Rom>>-Bewegung direkt einmengen. Ueber dieselbe wird neuerdings aus Oesterreich folgendes berichtet:

litischen» Katholizismus, der nur Streit gebiert, überall vorhanden wäre, so würde sofort die Einheit der christlichen Kirche in den weitaus wesentlichsten Dingen grösser sein, als die konfessionelle Differenz. Darum handelt es sich jetzt, das einzusehen und nicht über relativ gleichgültigen, oder wenigstens minderwerthigen Dingen den richtigen Blick für das Wichtige und allein Wesentliche zu verlieren. Wenn das bei vielen massgebenden Bürgern eines Landes der Fall ist, so wird ein sehr intensiver «Kulturkampf» dort nicht mehr entstehen; andernfalls wird man wieder, ungewarnt durch die Vergangenheit, neuerdings «Maigesetze» machen und eine Zeitlang laut prahlen «Nach Canossa gehen wir nicht», dann aber wieder dem Papst zu viel nachgehen, oder zuletzt sogar die Jesuiten zurückberufen.

An diesem Scheidewege stehen wir nun in allen Ländern neuerdings.

In der protestantischen Welt ist ein beginnender grösserer Ernst zur Sache, zunächst in den Kreisen der Geistlichkeit selber, ein bemerkenswerthes Zeichen der Zeit. Noch vor nicht sehr vielen Jahren war hier der << Vermittler-Typus» an der Tagesordnung. Man bevor

<<Im Zillerthal, aus welchem im Jahre 1837 die Protestanten von staatlichen und kirchlichen Behörden vertrieben wurden, sind in letzter Zeit wieder Uebertritte zum Prote stantismus vorgekommen. In der Pfarrei Mayrhofen ist kürzlich eine Reihe angesehener Landleute sammt Familien aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dem dortigen Pfarrer Becher gelang es nicht, der Bewegung Einhalt zu thun. Das fürsterzbischöfliche Konsistorium in Salzburg sah sich veranlasst, diesen gefährdeten Posten mit einer energischeren Kraft zu besetzen, und hat den bisherigen verantwortlichen Redaktor der «Salzburger Kirchenzeitung», P. Anton Markl, nach Mayrhofen entsendet.»>

zugte einen «toleranten», sehr «milden» Prediger, welcher mit den Matadoren des Kirchspiels auf gutem Fusse stand, in seinen «Kanzelreden» alles Auffallende und Tiefergehende auswich, Kranke nicht mit dem Hinweis auf den Tod «unnöthig erschreckte» und Gestorbenen jeder Art eine schöne Leichenrede nach der Melodie «de mortuis nil nisi bene» zu halten verstand. Wenn er dann überdies noch ein «umgänglicher» Mann war, der auch bei Festen, Hochzeiten und andern Schmäusen einem «<zeitgemässen Fortschritt der Theologie» huldigte, d. h. fünf für gerade gelten liess, oder sogar in den sehr guten Ruf eines «Schützenpfarrers», «Sängerpfarrers» und dergleichen gelangte, dann war alle Welt mit ihm zufrieden; höchstens etwa die Armen und Gedrückten, oder von Zweifeln Geängstigten nicht, die es freilich nicht waren, auf die es aber nicht ankam. Denn mit dem Glauben dieser allgemein Beliebten war es gewöhnlich nicht weit her, wozu sollten sie auch viel Glauben haben? Das war bei Wahlen in grössere Centren, nach denen sie beständig, angeblich <wegen der Erziehung ihrer Kinder», in Wirklichkeit aber wegen des dortigen grösseren Lebensgenusses strebten, eher hinderlich, als vortheilhaft, da man dort stets einen Pfarrer von «nicht allzu orthodoxer Richtung>> vorzog, d. h. einen solchen, der selbst nicht Alles glaubte, was in den Evangelien steht und diese Freiheit daher auch Andern bereitwillig verstattete.

Damit ist es nun zu Ende; ebenso mit den theologischen Schulstreitigkeiten über das Ritschl'sche, oder die anderen Systeme, die uns Laien völlig gleichgültig sind, und wenn hiezu die streitbarere Haltung des Katholizismus, vorzüglich in Deutschland, beigetragen hat, so ist das wieder ein Beweis, dass Gutes aus Un

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