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Sektionen. Es kann fraglich sein, ob die öffentliche Meinung schon hinreichend über das Spiel, oder im Grunde vielmehr über die Neigung, Alles nur Mögliche in unserem Lande der «Hebung des Fremdenverkehrs» zu opfern, aufgeklärt sei. Denn darum handelt es sich eigentlich. Dass das Rösslispiel, wie jedes organisirte Hazardspiel, an öffentlichen Orten verboten ist, weiss eigentlich Jedermann, der es wissen will. Aber man versucht es als so <<harmlos» darzustellen, dass man ein Auge zudrücken könne, wenn dadurch den «Fremdenorten» die Existenz erleichtert werde. Die nächstliegende praktische Frage ist die, ob das der Fall sei. Hierüber muss nach unserem Dafürhalten die bessere Bevölkerung dieser Orte, Luzern, Interlaken, Montreux, Genf, das Wort ergreifen und möchten wir namentlich die vielen anonymen Briefschreiber aus diesen Orten, die uns öfter zum «Aushalten» auffordern, daran erinnern, dass es an ihnen ist, sich offen gegen ihre habsüchtigen und weniger verständigen Mitbürger zu wenden, welche bereit sind, nicht sowohl den Fremden im Allgemeinen, sondern einer geringeren Sorte derselben Alles zu thun, was sie nur zu ihrem Amüsement dienlich erachten. In diesem Geiste des «Fremdendienstes», in den wir wieder verfallen sind, liegt der Fehler; das «harmlose» Rösslispiel ist nur ein Sympton desselben; die gleichen Leute, die es heute harmlos nennen, würden morgen auch noch Anderes mit der gleichen Aufschrift versehen, wenn das genügt, um aus Böse Gut zu machen.

Ueber eine weitere Verfassungsrevision enthielt die Allg. Zeitung vom 21. Okt. folgende Notiz aus Berlin:

«Die Hauptschwierigkeit bei den Handelsvertragsverhandlungen zwischen Deutschland und der Schweiz

ist durch die Frage des Erfindungsschutzes verursacht. Nach der Schweizer Gesetzgebung werden nur solche Erfindungen geschützt, die durch Modelle herstellbar sind. Die deutsche chemische Industrie beklagt sich darüber, dass infolge dieser Gesetzgebung die schweizerische chemische Industrie die deutschen Erfindungen nachahmen darf. Wie verlautet, wurde von deutscher Seite für so lange mit Prohibitivzöllen für schweizerische chemische Produkte gedroht, als die Schweiz ihre Gesetzgebung nicht ändere. Hiergegen opponirt der Schweizer Bundesrath, weil eine Aenderung der Schweizer Gesetzgebung nicht möglich sei ohne vorgängige Verfassungsrevision und Volksabstimmung. >>

Hierzu bemerkt der «Bund» :

<<Wir haben seit Jahren bei jedem Anlass die Forderung aufgestellt, dass die Schweiz diesen Patentschutz einführe, und zwar keineswegs wegen des Handelsvertrags, sondern wegen des Grundsatzes, da solche Erfindungen Schutz verdienen ebenso gut wie andere.

Der Bundesrath hat seinerseits schon mit Botschaft und Verfassungsentwurf vom 13. November 1903 die Revision von Artikel 64 der Bundesverfassung im Sinne der Einführung des Patentschutzes für chemische Verfahren und Produkte vor die Bundesversammlung gebracht. Die Angelegenheit war schon auf den letzten Traktandenverzeichnissen der eidgenössischen Räthe; die Kommissionen sind bestellt, die Priorität ist beim Ständerat. Jedenfalls wird der Antrag in der nächsten Dezembersession zur Behandlung kommen.»

Eine Zeitlang waltete in der Presse eine Art von Diskussion darüber, ob zu viel Büreaukratie in der Eidgenossenschaft herrsche, und worin dieselbe eigentlich bestehe. Nach unserem Dafürhalten besteht wirklich eine solche Hypertrophie, und die Büreaukratie besteht bei uns, wie überall, im Wesentlichen darin, dass sie eine unge. heure Maschinerie ist, die eigentlich nur den Staat und

sich selber mit Aufwand von jährlich neuen Millionen am Leben erhält, ohne dass aus ihren Pallästen und zahllosen Schreibstuben etwas mehr, namentlich eine kräftige und lebendige Initiative für Recht und Wohlfahrt hervorgeht. Wenn dann in Folge dessen allmählig in weiten Kreisen die Meinung entsteht, es werde eigentlich nur regiert, um einer Anzahl von Beamten und Angestellten eine Existenz zu verschaffen, und wenn dann ferner in einer ganzen Masse von Menschen der Wunsch aufkommt, sich auch eines solchen Platzes an Stelle anderer Arbeit zu versichern, dann wächst allmählig, zunächst in den Kreisen der vielen Zurückgesetzten, die Missstimmung, die jetzt bemerklich wird. Natürlich trägt dazu auch das Ihrige bei die rapid zunehmende Vertheuerung des Lebens, welche ganze Schichten der Bevölkerung hülfebedürftig und in Folge davon unzufrieden macht, die es früher nicht waren man denke nur an die Geistlichen und Lehrer und nicht weniger die Ungleichheit in der Stellung der schwach bezahlten kantonalen Büreaukratie gegenüber der besser gestellten eidgenössischen. Die gleichen Leute aber, die klagen, sind mitunter gerade diejenigen, welche die vernünftigen Mittel zur Beseitigung der Uebelstände nicht anwenden wollen.

Am bedenklichsten für unsern Staat und seine Zukunft scheint uns das beständige Wachsthum seiner Ausgaben zu sein. Noch vor 20 Jahren lebten wir von einem Ertrag unserer Haupteinnahmsquelle, der Zölle, im Betrag von 21 Millionen; jetzt genügen 53 Millionen kaum den nämlichen Bedürfnissen, ohne irgend eine grosse, weder äussere, noch innere Veränderung des Staates, und ohne irgendwelche unglückliche Ereignisse. Auch das finanzielle Wohlergehen der Kantone hat sich

nicht vermehrt; sie sind immer noch und sogar immer mehr auf eidgenössische Subventionen angewiesen, um ohne Erhöhung ihrer Steuern leben zu können. Die allgemeine Lebenshaltung der Bevölkerung mag dabei allerdings ziemlich durchwegs eine bessere und daher kostspieligere geworden sein; ob dies aber als ein ungetheiltes Glück anzusehen sei, darüber werden die Ansichten wohl stark auseinandergehen. Wohin die grösseren Einnahmen der Bundesverwaltung gekommen sind, darüber gewährt jede Staatsrechnung hinreichenden Aufschluss. Die eidgenössischen Anstalten, die nimmersatte Landwirthschaft, das ebenfalls immer geldbedürftige Polytechnikum, die kostspieligen Bauten, und vor allem die stets wachsende Bundesverwaltung sind, neben den Subventionen, wohl die Hauptursache der stets zunehmenden Ausgaben gewesen. Die Militärausgaben, die in andern Staaten die wesentliche Veranlassung zu Klagen dieser Art bilden, sind bei uns gar nicht im gleichen Verhältniss wie die andern Ausgaben des Bundes gewachsen, was freilich auch nur den Friedenszeiten zuzuschreiben ist. Jede Gränzbesetzung würde dieselben in einer für den gesammten Finanzzustand des Landes geradezu bedrohlichen Weise vermehren.

Unter diesen Umständen und da wir ausser den Zöllen keine andere ergiebige Finanzquelle für den Bund weder haben, noch in absehbarer Zeit entdecken werden, darf wohl gesagt werden, dass der Finanzzustand des Landes, trotz des günstigen Kurses seiner Staatspapiere und der noch immer anhaltenden Herabdrückung ihres Zinsfusses, kein solcher ist, bei dem man allen Ereignissen der Zukunft ruhig entgegensehen könnte. Jede bedeutendere Finanzkrisis aber würde den jetzigen centrali

sirten Bundesstaat aus der Periode unserer modernen <zweiten Helvetik» einem Rückgang auf einen Kantonalismus und vielleicht sogar eine theilweise Abhängigkeit vom Auslande entgegenführen, die sich mit der Periode der «Mediation» vergleichen liessen.

Es ist nichts Ungewöhnliches in der Geschichte der Staaten, dass sich solche, aus den gleichen Ursachen hervorgehende Schwankungen von Zeit zu Zeit ziemlich genau wiederholen. An diesem Punkte stehen wir jetzt.

Von den Kantonsverfassungen wurde in diesem Jahre die Zürcherische in einem unbedeutenden einzelnen Artikel (47) betreffend die Gemeindeeintheilung geändert (E. G. S. XX, 81); die obwaldensche grössere Revision von 1902 findet sich in E. G. S. XIX, 251 abgedruckt. In Basel wurde der Versuch gemacht, die obligatorische Stimmabgabe (Stimmzwang) einzuführen. Es sprachen sich 5917 Stimmen dagegen, 4092 dafür aus. Neuerdings machen die vereinigten Konservativen und Sozialisten wieder einen Vorstoss gegen den Liberalismus auf ihrem alten Schlachtrosse, dem Proporz 1), hoffentlich ohne Erfolg.

Anregungen zu Verfassungsänderungen bestehen im Wallis, wo es sich um eine Totalrevision, behufs namentlich des obligatorischen Referendums handelt. Das Land Wallis hatte die Volksabstimmung der Zehnten in alter Zeit besessen, ähnlich wie Graubünden die der Hoch

1) In den diesfälligen Aufrufen war besonders auffällig die schon oft widerlegte Behauptung, dass das proportionale Wahlsystem sich überall bewährt habe und einmal irgendwo eingeführt, nicht wieder beseitigt worden sei. Das Gegentheil ergibt sich aus dem Artikel «Die Doppeliniative» im Jahrbuch XIV, pag. 542.

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