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rede der Gegner! Wer sich von der Maifeier, die bei ihrer Gründung gewiss gut gedacht war, im Laufe der Zeit sich aber als ein vollständiger Fehlschlag erwiesen hat, nicht trennen kann, der mag sie in seiner Art begehen; man höre aber auf, sie als eine Prinzipienfrage zu betrachten, man befreie die Gewerkschaften von einer Last und verpflichte Niemand, sei es auch nur durch losen Zwang, sich an der Feier zu betheiligen und alle Jahre seine Existenz aufs Spiel zu setzen!» (Allgm. Ztg. 8. Juni.)

Ein eigentliches Hetzgedicht enthielt dagegen die von Naumann herausgegebene «national-soziale Wochenschrift»>, das doch in Erinnerung zu behalten sein wird. Es lautete:

«Fabrikantenlied.>>

Der Winterhimmel, kalt und grau
Hängt uns jetzt voller Geigen,

Wir sind die Herrn von Crimmitschau
Und wollen es euch zeigen.

Wer schwächlich oder bang geduckt

Am Ofen hat gesessen

Und mit der Herde nur gemuckt
Kriegt wieder was zu fressen.

Doch wer beim Streike ohne Blatt
Vorm Munde hat gesprochen
Und wer ein steifes Rückgrat hat,
Dem wird es jetzt gebrochen.

Der mach' nun alle Tage blau
Bis er am Weg verende!

Wir wollen hier in Crimmitschau

Nicht Mäuner, sondern Hände!»>

Naumann versuchte sich mit «dichterischer Freiheit >> des Verfassers, der ein alter und bewährter Freund sei, auszureden, wozu jedoch die Allgemeine Zeitung die fol gende berechtigte Kritik beifügte:

«Dr. Naumann vertheidigt einen schlimmen Missbrauch dichterischer Begabung als den Ausfluss deutschen

Rechtsgefühls, er unterscheidet sich mithin in seinem Rechtsgefühl sehr wesentlich von denen, die ihm in demiselben Parteiverbande nahestehen.»>

Erfreulicher als solche Dinge war eine Rede des Pastors v. Bodelschwingh im preussischen Abgeordnetenhause vom 5. Mai d. J., die über alle Parteischablonen hinausging und damit den Beifall aller Parteien fand. Er sagte unter fortwährender wohlwollender «Heiterkeit» des Hauses, dass er die Interessen der Allerärmsten im Parlamente zu vertreten wünsche; deshalb habe er überhaupt das Mandat angenommen, damit auch dem Arbeitslosen und Arbeitsuchenden des untersten Proletariats, <<meinen Brüdern von der Landstrasse», ein Anwalt in der Volksvertretung erwachse.

Bodelschwingh schilderte dann sehr ernst das niederträchtige «Schwitzsystem», wie er es aus eigenem Augenschein wiederholt kennen lernte, und formulirt seine menschenfreundlichen Forderungen ungefähr dahin, man solle auch die hunderttausend Landstreicher, von denen viele zu leichter Arbeit anzuhalten wären, beim Kanalbau beschäftigen, ferner den privaten Bauunternehmern nicht die Unterbringung und Verköstigung der Kanalarbeiter überlassen, sondern wie beim Nordostseekanal dies in staatliche Verwaltung und Aufsicht übernehmen. Der Alkoholverkauf beim Kanalbau müsse verboten werden und später solle die Regierung versuchen, den Kanälen entlang die Arbeiter durch Zuweisung von Ländereien sesshaft zu machen. Sich zu den Agrariern der Rechten wendend, sagt Bodelschwingh lustig: Und du liebe Landwirthschaft, du musst auch aufhören, zu schreien. Du musst mithelfen. Ihr müsst auch auf dem Lande an eure Arbeiter denken. Lieber Minister von Rheinbaben (Heiterkeit), Ihr Geld können Sie nirgends so gut anlegen, wie beim kleinen Mann, wenn Sie ihm und seiner Familie Gelegenheit geben, einen Garten zu bestellen und ein kleines Häuschen zu bewohnen, ein solcher Arbeiter läuft nicht weg, das sind gute Leute.

Das Staatsministerium versuche eine Aenderung der Gewerbeordnung im Reiche dahin herbeizuführen, dass in grossen Städten keine Konzession für eine Fabrikanlage gewährt wird, wenn der Fabrikherr den Arbeitern nicht die Möglichkeit gewährt, sich ein kleines Häuschen mit einem Stücke Land zu schaffen. Drittens müssen überall ganz kleine Ansiedelungen von Arbeitern gefördert werden. Gott im Himmel wird seinen Segen geben unserer christlichen Arbeit. Amen!»>

Es brauchte eben in den Parlamenten überall mehr solcher Leute, die etwas über den Parteien stehen und von denen doch Jedermann überzeugt ist, dass sie aufrichtig im Interesse des Landes und mit einer wahren Einsicht in die Bedürfnisse desselben reden. Aber sie sind bisher überall äusserst selten.

Vielleicht wird es besser, wenn die Frauen zu Hülfe

kommen.

Die Frauenbewegung kommt allmählig in das Stadium, wo einerseits die Resultate sichtbarer werden, anderseits aber auch das Misstrauen gegen diese <werdende Macht», die man bisher für ungefährlich hielt, sich in weiteren Kreisen erhebt. Es wird einer sehr taktvollen Leitung, mit nicht allzuvielen Kongressen und Reden, bedürfen, um die Bewegung allmählig und in richtigen Etappen zu den Zielen zu dirigiren, die zugleich wohlthätig und erreichbar sind. Das Allergefährlichste sind dabei die materialistischen und atheistischen Frauen, die eigentlich Jedermann, ausser ihrem eigenen Kreise, verhasst sind, obwohl ihnen manchmal ein grosses inneres Wohlwollen und echte Begeisterung für ihre Zwecke nicht abgesprochen werden kann. Dennoch ist die Atheistin ein Unding, gegen die Natur ankämpfend und stets in Gefahr wieder zur Sklavin jedes Stärkeren

herabzusinken. Das ist auch nach der DarwinistischNietzsche'schen Weltauffassung ganz in der Ordnung. Nur in der wahrhaft christlichen Lebensgestaltung kann die Frau eine würdige Stellung bekommen, und andern als bloss thierischen Lebenszwecken frei dienen. Das sollten die Frauen noch viel bestimmter als bisher einsehen, und auch nur unter dieser Voraussetzung sind wir für ihre etappenweise Emanzipation von den Schranken, in die sie Vorurtheil, Barbarei, und Egoismus des physisch stärkeren Geschlechts gebannt haben.

Ein internationaler Frauenkongress, welcher in diesem Jahre in Berlin zusammentrat, hat daher nach unserem Dafürhalten die Sache nicht wesentlich gefördert und das Misstrauen nur noch vermehrt. Wir entnehmen einer Korrespondenz einer schweizerischen Zeitung Folgendes:

<<Die schärfste Kritik, die zugleich den ganzen Kongress und seine Bestrebungen traf, übte Lilly Braun, die agitatorische Gattin des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, die im Einverständnisse mit der Partei behauptete, ohne Umwälzung der ganzen bestehenden Zustände, ohne die soziale Revolution würden die Frauen ihr Ziel, Gerechtigkeit und Gleichheit nie und nimmer erreichen: Feigheit, Scheu vor richtiger Konsequenz sei es daher, dass sie sich nicht zum Sozialismus und seinem Erlösung verheissenden Programme bekennen wollten.

Die Behörden und selbst die obersten Würdenträger des Reiches, Graf Bülow und Graf Posadowsky, zeigten den Damen des Kongresses ihr liebenswürdigstes Antlitz, empfingen sie gastlich in den schönen Ministergärten an der Wilhelmsstrasse und liessen sie über diesen Bezeugungen ihrer theoretischen Sympathien vergessen, dass zu gleicher Zeit im Reichstage bei der Verhandlung über die Kaufmannsgerichte der Staatssekretär des Innern im Namen der verbündeten Regierungen jede aktive und passive Theilnahme der weiblichen Handeltreibenden für

ausgeschlossen erklärt hatte. Nahmen die meisten Damen arglos die jesuitischen Liebenswürdigkeiten des Reichskanzlers und seiner Minister entgegen, so waren sie erst recht entzückt, als nun gar die Kaiserin die Führerinnen des Kongresses zu sich ins Schloss befahl und sich lange mit ihnen unterhielt; ein heiteres Intermezzo gabs bei dem Empfange besonders durch die frische Ungenirtheit der greisen Republikanerin Miss Anthony, welche die zum Kusse gereichte Hand der Kaiserin kräftig ergriff und schüttelte, der Kaiserin beständig ins Wort fiel und redselig für die Frauensache Propaganda machte, wobei sie fortwärend sagte: Das müssen Sie dem Kaiser sagen. Das müssen Sie dem Kaiser sagen.»>

Solange noch auf der einen Seite mit solcher Einseitigkeit, auf der andern mit dieser Naivität vorgegangen wird, ist der Erfolg in recht geringer Nähe, und wenn eine der Vorkämpferinnen am Schlusse ihrer Berichterstattung in unserer «Semaine littéraire» sagt:

«Le Congrès féministe international de Berlin n'a pas pris une seule résolution. Gardons-nous cependant d'en conclure que son œuvre sera stérile, que l'effort de ces huit jours sera perdu. Pour l'Allemagne, en tout cas, ce congrès marque une date dans l'histoire du féminisme: Il clôt l'ère de la défiance»,

so setzen wir hinzu, sie irrt sich sehr, das Misstrauen nimmt zu, was sein Gutes und sein Schlechtes hat. Einerseits entsteht Misstrauen aus Furcht, und Furcht aus Gefühl, dass man es mit einer Macht, wenigstens einer werdenden zu thun hat. Anderseits gehen den Frauen manche recht gute männliche helfende Elemente verloren, die sie fortan lediglich nach Lilly Braun, oder Clara Zetkin beurtheilen.

Das zeigte sich bei uns an der Synode der «église indépendante» von Neuchâtel, die dem Beispiel ihrer waadtländischen Schwester nicht folgte, sondern das

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