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und über die Mitgabe von Arbeit beschloss er Schweigen darüber. Das kann nicht so bleiben, namentlich in Bezug auf die Heimarbeit, die eine schamlose Umgehung des Fabrikgesetzes ist. Eine Revision des Fabrikgesetzes muss also hier und in Bezug auf die Kinderarbeit, die auch noch nicht hinreichend beschränkt ist, das Richtige bringen. Namentlich aber ist dies von einem Zusammenschluss aller grossen Industriestaaten zu einer Arbeiterschutz-Konvention zu erwarten.

In unseren Industrieverhältnissen scheint dermalen die Stickerei der Ostschweiz, besonders die Handmaschinenstickerei, am meisten von einer Krisis bedroht zu sein. Das Nähere enthält der ausführliche Bericht des Handels- und Industrievereins, der im Oktober d. J. für das Jahr 1903 erschien.

Andere Klagen werden noch gehört: über die grossen Waarenhäuser, welche den Spezialgeschäften und Handwerkern das Leben erschweren und jedenfalls beschränkt werden sollten, und über die Unzahl von Geschäftsreisenden, welche in einer Anzahl von über 30,000, worunter 2/3 Deutsche, die Schweiz überschwem

men.

Der zürcherische Thierschutzverein erhebt neuerdings seine Stimme gegen die Vivisektion in der sog. Serumanstalt in Bern, in welcher abgenutzte und halb zu Tode gequälte Pferde in diesem Jahre noch mit ärztlichen Gesundheitsscheinen an Metzger verkauft wurden, worauf dann mehrere Personen von dem Genuss dieses Fleisches tödtlich erkrankten. Diese <wissenschaftliche» Grausamkeit ist für uns das betrübendste Merkmal der modernen Wissenschaft und eines der schlimmsten Zeichen der Zeit überhaupt. Mit Recht hat der König von Sachsen

bei seiner Thronbesteigung die Thierquäler von der Amnestie ausgeschlossen.

Ueber die Jagd enthielt das Luzerner Tagblatt von Seite einer Bäuerin folgende «Offene Bitte an die Rathsherren»: «Das erste Mal in meinem Leben schreibe ich jetzt in eine Zeitung, aber Noth bricht Eisen. Ich möchte die Rathsherren und die h. Regierung dringend bitten, sie sollen das Jagdpatent auf 100 Fr. erhöhen oder die Reviere einführen, damit mein Mann übers Jahr daheim sein muss. Ja, das ist ein Kreuz für eine Bäuerin. Vier Tage in der Woche ist der Mann auf der Jagd, und zwei Tage ist er nichts werth zum Schaffen. Am Abend, wenn er heimkommt, ist er so müde und so wunderlich, weil er nichts heimbringt, und im Traume redet er immer von einer Rehgeiss. Ich weiss nicht warum, er hat doch keine heimgebracht. Die Erdäpfel sind noch im Boden, die Aepfel und Birnen thut der Wind besorgen, die Knechte und der Melker machen, was sie gern wollen. Wir sollten säen, und will Niemand Samen dreschen und den Acker rüsten. Ich muss waschen, flicken, dörren, die Schweine füttern und natürlich auch die Kinder besorgen. Von den Mägden darf ich nichts schreiben. Also, ihr Herren Grossräthe, die ihr nicht auch selber solche Sünder seid, erbarmt euch der geplagten Bäuerinnen und versalzet den leichtsinnigen Bauern das Jagen! Ich weiss noch viele, viele solche.>>

Das sieht Alles schon der Beschreibung der luzernischen Bauern vor dem Bauernkrieg, wie sie der Landvogt Cysat in seiner «Brevis et simplex narratio» gibt, wieder ziemlich ähnlich. Möge es nicht das gleiche Ende herbeiführen. (Vgl. Oechsli, Quellen zur Schweizergeschichte pag. 489).

Sport und Spiel betrachten wir nicht unbedingt als soziale Uebel; im Gegentheil; sie werden es aber, wenn sie, wie die Hazardspiele oder Börsenspekulationen, auf die gemeine Leidenschaft des Geldgewinnes ohne

Arbeit spekuliren, oder wie ein Theil des englischen Sportwesens mit einem allzu grossen Ernst und Eifer betrieben werden, gerade, als ob es Arbeiten und nicht blosse Erholungen wären. Der Nordpolfahrer Nansen sprach sich darüber in einer schwedischen Zeitung sogar allgemein, wie folgt, aus:

<<Die jungen Leute von heute setzen eine Ehre darein, in Rennen und Wettkämpfen zu siegen und alle Rekords zu schlagen. Das durchaus übertriebene Lob, das man ihnen zollt, schmeichelt ihrer Eitelkeit. Aber was gewinnen sie in Wirklichkeit dabei? Sie geben ihrem Körper eine Entwicklung, die nicht harmonisch genannt werden kann, und werden dann leichter als andere Leute von Krankheiten, besonders von der Tuberkulose, befallen; ausserdem verlieren sie jedes Interesse für das praktische Leben und werden schlechte Geschäftsleute und unfähige Staatsdiener, deren Gedanken sich nur mit den nächsten Rennen und Wettkämpfen beschäftigen. Die Jugend sollte mehr aufs Land, in die Wälder gehen und die Natur studiren. Die Einsamkeit bildet den Charakter. Das moderne Leben ist zu oberflächlich. Man springt von einem Gegenstand zum andern, will alles kennen lernen, alle Bücher und alle Zeitungen gelesen haben, bei allen Vorstellungen und allen Vorträgen dabei gewesen sein. Die industrielle Entwicklung hat raschere Fortschritte gemacht als die Entwicklung des Menschen. Deshalb ist die moderne Litteratur auch so pessimistisch, es fehlt ihr das Gravitätscentrum. Sagen Sie den jungen Leuten, dass sie sich mehr körperlichen Uebungen widmen sollen, aber keinem Sport!»>

Vollends, wenn dann diese Sportsleute unser Land fast wie ihr Eigenthum ansehen, und, weil sie einigen Gasthöfen Verdienst gewähren, berechtigt zu sein glauben, allen andern Menschen lästig oder sogar gefährlich zu werden, dann hat es mit der Schonung oder Sympathie aus Rücksicht auf die Fremdenindustrie billig ein Ende.

Von den bisher üblichen Sports scheint uns das Footballspiel, das eigentlich nur aus einer ziemlich ordinären Rauferei um einen Ball besteht, abgenommen zu haben, dagegen ist der Bergsport in voller Blüthe (und auch keineswegs zu missbilligen, wenn vernünftige Vorsicht dabei waltet), und ebenso leider einstweilen der unschönste, ungesundeste und für Andere gefähr lichste Sport, das Automobilrennen. Wir können es verstehen, wenn die Regierung von Obwalden einem solchen französischen Landfahrer gegenüber, der sich noch über ungebührliche Behandlung Seitens der Eingeborenen des Ländchens bei dem Bundesrath beschwerte, antworten liess: «Dass sie sich veranlasst finden könnte, die Brünigroute auf Obwaldner Gebiet für den Automobilverkehr einfach zu sperren, Es herrsche zumal unter der landwirthschaftlichen Bevölkerung Erbitterung über Motorwagenfahrer, weil man nicht einmal mehr mit einem Stück Vieh, noch viel weniger mit einer Herde Vieh sicher die Landstrassen passiren könne. Denn dass so ein Automobilist Halt machen würde, um eine Herde Vieh passiren zu lassen, das gehöre schon zu den Ausnahmen.»><

Es ist freilich auch zu begreifen, dass dieses moderne <<fahrende Volk» sich ungemein wichtig vorkommt, wenn alle Welt (sogar u. A. der deutsche Kaiser) herbeieilt, um seinen unsinnigen internationalen Wettrennen zuzuschauen und die «Sieger», die es gewöhnlich nicht einmal selbst sind, sondern ihre Chauffeurs, zu beklatschen. Wenn Jedermann statt dessen diese Müssiggänger mit Abneigung betrachten würde, so würde der Reiz dieses Sports aufhören und das Automobil auf die nützlichere Thätigkeit der Schleppung schwerer Lasten und Ablösung der lange genug geplagten Pferde und Ochsen verwiesen werden.

Der Präsident des italienischen Automobilclubs hatte ein förmliches Anklagecircular an seine Mitglieder gegen die Regierungen der Gotthardtstrasse gerichtet, in dem es heisst: «Die Annehmlichkeiten, die im Gottharddistrikt reichlich vorhanden sind, bestehen in Belästigungen, in absolut ungerechtfertigten Geldstrafen, die Erpressungen sehr ähnlich sind, und die durch Telephon verhängt werden, wenn der Reisende, der das Gesetz übertreten haben soll, bereits 50 oder 100 Kilometer von dem Orte der Uebertretung entfernt ist. Die Einwohner legen offen ihren Widerwillen gegen die Ankunft der Motore an den Tag. Der absolute Mangel an Respekt und die Brutalität, die von Seiten der Gendarmen gegenüber Automobilisten und selbst gegen die diese begleitenden Damen gezeigt wird, zwingt mich, diese Klage an die grosse Oeffentlichkeit zu bringen.» Wir nehmen an, dass sich dieser Respekt eher noch vermindern werde.

Der Grund dieser und vieler anderer Uebelstände ist die «Fremdenindustrie», die für Alles, was sie für zweckdienlich erachtet, in einem Theil der Presse und in den sog. Verkehrsvereinen Unterstützung findet. Das ist die Ursache, weshalb es nicht möglich ist, das Rösslispiel anders als auf dem Wege einer Volksinitiative zu beseitigen.') Es ist daher nur zu begrüssen, dass allmählig die Fremden selber das Wort dagegen ergreifen.

Ein Engländer schreibt der Times über die Bergbahnen:

1) Eine Preisschrift von G. Farner über das Rösslispiel und Artikel 35 der Bundesverfassung kommt zum Schlusse, das Rösslispiel widerspreche dem Sinn und Geist der Bundesverfassung. Er schlägt daher eine Volksinitiative vor, welche dem Art. 35 der Bundesverfassung einen neuen Absatz beifügt, lautend: «Als Spielkonzessionen, die seit 1874 nicht ungültig erklärt, erlöschen müssen, sind auch die Bewilligungen zu betrachten, welche den öffentlichen und ge.

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