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im Ganzen genommen, dem der sogenannten Droz'schen «Diplomatenschule» vorzuziehen sein. Ein Kleinstaat kann kein eigenes Gewicht in die Waagschale legen, er muss dies ganz durch die Persönlichkeiten seiner Vertreter ersetzen. Selbst bei einem Grossstaat, wie Amerika, wird der Unterschied im Einfluss sofort bemerkbar, wenn er Leute von staatsmännischer oder wissenschaftlicher Vergangenheit, wie Bancroft oder White, an den grossen Posten besitzt, oder solche, die der Zufall der jeweiligen Präsidentenwahlen dahin gestellt hat, wie dies nur allzu häufig der Fall ist. Es wird aber eben für kleine und grosse Staaten in unserer etwas oberflächlichen Zeit immer schwerer, Persönlichkeiten bedeutender Art zu finden, die sich für solche Stellungen eignen und sie zu übernehmen Willens sind.

Ziemlich gleichzeitig starb in Lugano der Administrator der tessinischen Abtheilung des Bisthums BaselLugano'), Monsignore Molo, Bischof von Gallipoli i. p. inf. Derselbe war Professor des canonischen Rechts an verschiedenen italienischen Collegien bis 1870 gewesen, dann Canonicus in Bellinzona und seit 1887, dem Tode des Mgr. Lachat, Erzbischofs von Damiette i. p. inf., Administrator des Tessin, wo er sich grosser Beliebtheit erfreute.

Die sozialistische Partei der Schweiz verlor eines ihrer besten Mitglieder in Stephan Gschwind von Therwil (Baselland), Mechaniker und Inhaber einer Parkettfabrik in Oberwil, Nationalrath seit 1899. Er war einer derjenigen Leute, die ihre Prinzipien zuerst im kleinen Wirkungskreise, den sie übersehen, in Thätigkeit setzen, statt gleich die ganze Welt reformiren zu wollen, was

1) Vgl. über dasselbe Jahrbuch III, 775 «Das Bisthum BaselLugano».

gewöhnlich schlechter ausfällt. So machte er in Birseck einen, wie ein Nachruf sagt, «ersten und wohlgelungenen Versuch, die elektrische Betriebskraft als genossenschaftlichen Consumartikel zu behandeln» und Jedermann zugänglich zu machen. Wir unterschreiben das Urtheil einer andern Zeitung:

«Ce n'était pas un homme ordinaire que le député socialiste qui vient de mourir à Liestal. Synthétisant en la même personne le patron et l'ouvrier, l'entrepreneur et le tâcheron, nul ne connaissait mieux, par leur côté pratique, les grands problèmes qui agitent aujourd'hui le monde du travail. >>

Ferner starben aus den offiziellen Kreisen: Herr Bundesrichter Gallati von Glarus, nachdem er dieses Amt erst seit Kurzem angetreten hatte, und Herr Nationalrath Fehr, Obergerichtspräsident von Thurgau, ein sehr tüchtiger und gewissenhafter Mann, der seinen Platz überall, wo er stand, ausfüllte.

Ende September verlor ferner die Eidgenossenschaft einen ihrer besten Offiziere, Oberst Scherz von Bern, durch eine plötzliche Magenkrankheit. Wenige Tage vorher hatte ihn noch Jedermann hoch zu Pferde die Manöver der schweizerischen Kadettencorps leiten sehen. <Gestern noch auf stolzen Rossen, Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kühle Grab.>>

In Zürich starb am 24. September im 87. Altersjahr der ehemalige Direktor der Nordostbahn und Gründer der Kreditanstalt, Georg Stoll, lange Zeit eines der bedeutendsten und arbeitskräftigsten Mitglieder des ehemaligen Escher'schen Prinzipats. Wir haben für dasselbe nie Sympathie gehabt, am wenigsten zur Zeit seiner Macht, vor seinem unverdient traurigen und armseligen Ende.

Aber das Talent besass es, tüchtige Arbeitskräfte heranzuziehen, von denen Stoll vielleicht die beste war.

Vor ihm noch starb, ebenfalls in Zürich, ein grosser Seidenindustrieller, Robert Schwarzenbach, über den wir zunächst der «Gazette de Lausanne» das Wort lassen wollen:

«Le nom de Robert Schwarzenbach est connu dans le monde entier. Directeur des fabriques de soieries de Thalweil et d'Adlisweil, avec leurs succursales d'Italie, d'Alsace, de France et d'Amérique, il fut toujours une forte personnalité, aux idées très arrêtées. Pendant la guerre sud africaine, par exemple, il prit parti ouverte. ment pour l'Angleterre, contre l'opinion presque unanime de ses concitoyens. Personne ne mit toutefois en doute sa sincérité, pas plus à cette occasion que lorsque, aux côtés du professeur Beck, de Fribourg, et d'autres personnalités catholiques, il monta à la tribune pour combattre les assurances maladie et accidents.

Il était doué, dit la Nouvelle Gazette de Zurich, de toutes les qualités qui font le grand industriel: largeur de vues, sens exact des réalités, audace, énergie et prudence, faculté de travail énorme. Il n'y avait chez lui rien de bas et de mesquin; c'était un «gentleman» des pieds à la tête, une belle et noble nature, parfaitement chevaleresque, loyale et sans méchanceté. Il donna à ses concitoyens le spectacle d'un véritable grand seig neur, dans la meilleure et la plus haute acception du terme.>>

Wir theilen diese Bewunderung natürlich nicht ganz. Die grossen Industriekönige eines Landes, so nützlich sie auf der einen Seite sein können, indem sie durch ihren Unternehmergeist neue Hülfsquellen erschliessen und zahlreichen Leuten Verdienst verschaffen, sind doch in einer Republik ein nicht ganz unbedenkliches und jedenfalls sehr zu beobachtendes und in Schranken zu haltendes Element. Denn sie sind im

Zweifel international gesinnt und stets auf Seite der Mächtigen und Reichen (so der südlichen Sklavenhalter im amerikanischen Sezessionskrieg, der Engländer im Boerenkrieg), deren Interessen mit den ihrigen eben übereinstimmen. Das «Geschäft» beherrscht bei ihnen die Gedanken und Ueberzeugungen, für die Politik ihres Landes haben sie gewöhnlich nur ein sekundäres Verständniss, und die Menschen taxiren sie vorzugsweise nach ihrem Kapitalwerth. Es ist die einer republikanischdemokratischen am meisten entgegengesetzte Geistesrichtung, die bei uns jedenfalls nie zu der herrschenden werden darf, in Amerika sogar der gründlichen Bekämpfung durch die Staatsgewalt bedürfen wird, wenn nicht eine neue Sklaverei grosser Massen entstehen soll, welche fast schlimmer ist, als die alte.

Dass vollends eher ein Kameel durch ein Nadelöhr geht, als ein überreicher Mensch in das Himmelreich kommt (und zwar weder hier auf Erden zu einer wahren Befriedigung, noch später), das ist für uns ein unbestreitbarer Glaubenssatz, trotz mancher Pastoren aus solchen Kreisen, die ihre Predigt des Evangeliums auch etwas anders einzurichten verstehen. Wir können eine historische Aristokratie, selbst in einer Republik, ganz gut begreifen, und sogar schätzen, wenn sie ihre Pflicht thut. Aber einen neuen Industrie-Adel wollen wir bei uns doch lieber nicht aufkommen lassen. Er wird niemals zum Vortheil eines Volkes gereichen, wo immer er die Herrschaft bekommt. Der N. Z. Z. möchten wir die Bemerkung machen, dass ein echter «Gentleman» und <grand seigneur» ein Mann ist, der ohne Berücksichtigung seiner Interessen überall für die Armen und Schwachen spricht und handelt, nicht gegen die Boeren und gegen die Versicherungsgesetze auftritt.

In Leipzig starb ein berühmter Basler, der Professor der Anatomie und Physiologie, Wilhelm His. Er war ein Enkel des s. Z. noch bekannteren Oberzunftmeisters Peter Ochs, dessen Nachkommen ihren Namen in «His»> umändern liessen.

In Berlin starb die Gattin des einst hochberühmten württembergischen Dichters Herwegh, späteren Bürgers von Baselland, dessen «Gedichte eines Lebendigen» allerdings thurmhoch über denen der jetzigen deutschen Dichter stehen. Sie wurde in Liestal an der Seite ihres bereits dort ruhenden Gatten begraben.

Charakteristisch für unsere Generation waren die Nekrologe, welche auch in allen unseren bedeutenden Zeitungen über die Königin Isabella II. von Spanien, die in diesem Jahre in Paris verstarb, zu lesen waren. Es war dies doch ein persönlich unsauberes, politisch für sein Land ganz verderbliches «Weibervolk» gewesen. Wer dies aber nicht sonst wüsste, hätte aus den Nachrufen eher den Eindruck einer guten, wohlwollenden, fast liebenswerthen Frau gewonnen. Diese Art von Herrschern haben beinahe ein Recht so zu leben, wie sie es thun, denn sie finden für Alles nachsichtige Beurtheilung, selbst in den Republiken. Solange die Völker nicht selber einen viel schärferen Masstab an ihre Regenten anlegen (deren einzelne auch jetzt zu wünschen. übrig lassen), so geschieht es ihnen ganz recht, wenn sie schlecht regiert werden. Die Monarchie ist nur eine menschenwürdige Staatsform für ein civilisirtes Volk unter der Voraussetzung einer durchaus anständigen Herrscherfamilie.

Die edelsten Verstorbenen des letzten Jahres waren auf europäischem Boden der englische Philosoph Herbert

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