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schminke, farbigen Tinkturen usw. sich einen magischen Ruf zu geben.

Sejjid Idrîs soll sehr intelligent, von mittlerem Wuchs, kaffeebraunem Gesicht und durchdringendem Blick sein. Er lächelt immer und hat liebenswürdiges Wesen, was ihn nicht hindert, ein grausamer Tyrann zu sein. Er hat auf der el-Azhar in Kairo studiert und dort wahrscheinlich mit englischen Organen Fühlung bekommen,1 vielleicht auch mit Alttürken. Bei seinem früheren Aufenthalt wird er auch die Italiener in Muṣawa kennengelernt haben. Zuerst trat er nur als Reformator auf, dessen friedliche Absichten dazu dienen sollten, die wirtschaftliche Entwicklung von 'Asîr zu fördern. Lange versteckte er seine wahren Pläne; er ließ sogar diejenigen von seinen Anhängern fallen, welche im Übereifer die Ereignisse sich überstürzen ließen. Er beherrschte allmählich ganz 'Asîr, besonders die Stämme der Beni-Takif und Beni-Kaḥtân; sein Einfluß reichte nach Jemen hinein bis Loḥîja.

'Asîr ist ein zwischen Hiğâz und Jemen liegendes Gebirgsland, das nach der türkischen Eroberung im Jahre 1871 zum Sanğaq gemacht wurde und sieben Kreise (qaḍâ) hatte: El-Ebha, Banu-Šehir, Ghamîd, Ghunfude, Moha'il, Riğâl, Alma und Ṣabjâ. Der Hauptort ist el-Ebhâ. Die Bewohner sind äußerst todesverachtend und tapfer, kein Stamm wird von den Türken wie dieser gefürchtet. Schon 1824 hatte Ahmed Pascha im Auftrage von Meḥmed 'Alî das Land vergeblich bekriegt. Ebensowenig Erfolg hatten die Feldzüge von 1834 und den folgenden Jahren. Der damalige Häuptling des Asîr, 'A'id bin Mûsâ, übte im Bergland seine Herrschaft unbelästigt aus, die auf seinen Sohn Mohammed überging. Letzterer vertrieb 1871 die türkischen Truppen sogar aus den Küstenplätzen. Erst Ferîd (Mohammed) Redîf Pascha gelang es, 1871 das Land zu unterwerfen (s. oben). Bei dem äußerst schwierigen Charakter des Landes und der Bewohner scheinen die Türken dort nie einen Einfluß gehabt zu haben, der viel über die Küste und die unmittelbare Umgebung von el-Ebhâ hinausging.

1 Nach einem in der „Revue du monde musulman“ (XV, 1911, S. 379) erwähnten Brief soll Sejjid Idrîs Mitglied des Mirghanîjah-Ordens sein, der stets die Politik der Engländer in Ägypten und in Chartum gestützt hat.

Etwa im März 1908 warf Idrîs die Maske ab und ließ sich als „Mahdî" (Propheten) im 'Asîr ausrufen. Er war der eigentliche Herrscher dort. Der Wali vom Jemen, Ḥasan Taḥsîn Pascha, ließ durch die türkischen Organe unter den Bewohnern der Tihâma eine Proklamation verbreiten, durch die Idrîs als Zauberer und Schwindler hingestellt wurde. Hierdurch wurde der Aufstand erst recht verstärkt, den der „Mahdî“ Idrîs als ihm auferzwungen hinstellte. Fast das ganze sunnitische 'Asîr sowie die jemenischen Stämme der ez-Zohra und el-Wadât schlossen sich ihm an, später auch noch die el-Kohra und el-Meğarda,1 da diese ihre Interessen durch die türkischen Bahnbaupläne gefährdet glaubten, von denen wir später zu reden haben werden. Der Mahdî aber war mit dem Imâm nicht vereint, schon allein wegen der religiösen Differenzen. Während der Imâm die volle Autonomie erstrebte, wollte der Mahdî zunächst noch die Oberhoheit des Sultans bestehen lassen, ja, er bot zeitweise sich der Türkei sogar als Friedensstifter im Jemen an. Es handelte sich also um Einzelrevolutionen aus allen möglichen Ursachen, und die Türkei wäre gewiß ihrer Herr geworden, wenn sie von Anfang an eine energische und klare Politik gehabt hätte. Leider aber handelten die Zentralorgane in Konstantinopel, der Wali Hasan Tahsîn, der Militärkommandant Sa'îd Pascha und schließlich auch die Lokalbeamten alle nach verschiedenen Grundsätzen, ja, sie ließen sich sogar auf Unterhandlungen mit dem Mahdî ein, den sie vorher als Lügner hingestellt hatten fast gleichzeitig auch mit Jaḥjâ verhandelt hatten.

wie sie

Mehrere Kommissionen wurden zu Sejjid Idrîs gesandt; die erste, aus arabischen Häuptlingen und Geistlichen zusammengesetzt, verließ Mekka Ende Dezember und traf Idrîs in Sabjâ, seinem Hauptquartier. Sie erhielt nur einen Brief des Idrîs, in dem er dem Großwesir die traurige Lage der Araber in 'Asîr schilderte. Die zweite Mission, aus türkischen Geistlichen und Offizieren zusammengesetzt, ver

1 Im Dezember 1909 wurden der italienische Konsul von Mochâ Marchese Benzoni und der deutsche Forschungsreisende Burchardt (zwischen Şan â und Ta'izz) ermordet, eine Tat, die mehr gegen die türkische Begleitmannschaft als gegen die beiden Opfer gerichtet gewesen zu sein scheint. Der Weg führt durch das Gebiet der obengenannten beiden Stämme.

1

ließ Konstantinopel Anfang Januar 1910 (1909?), sie traf in Gizân mit Sa îd Pascha zusammen, der am 25. Oktober 1909 eine Unterredung mit Idrîs hatte, der mit 6000 Reitern ankam. Dieser wies die Anschuldigung zurück, daß er das Freitagsgebet (chutba) immer noch im Namen des früheren Sultans 'Abd ul-Ḥamîd abhalten ließe, er sei ein treuer Freund der Türken und hoffe besonders von den Jungtürken eine Besserung der Verhältnisse seines Landes. Gegen seinen Willen habe man ihn zum „Mahdî" ausgerufen. Wenn aber seine Vorschläge zurückgewiesen würden und die Regierung Truppen gegen ihn senden sollte, so würde er zum Kriege gezwungen.

Diese Verhandlungen scheinen stattgefunden zu haben, nachdem der Imâm 1909 einen neuen Aufstand erregt hatte, von dem oben schon die Rede war. Diese Unruhen gaben, wie erwähnt, den Vorwand, den Entwurf für eine Verfassungsänderung in Jemen im August 1909 zurückzuziehen. Ganz genau habe ich mich aus der Presse über die Reihenfolge der Ereignisse, welche zur großen Erhebung von 1910/11 führten, nicht unterrichten können. Jedenfalls sagen französische Nachrichten, daß Sa'îd Pascha sich geneigt gezeigt hätte, weiter mit Idrîs zu verhandeln, daß er. aber aus Konstantinopel die Weisung bekam, sich nach Ghunfude zu begeben, um den Befehl über die Truppen zu übernehmen und unmittelbar in 'Asîr einzumarschieren. Die scharfe Politik des Wali Ḥasan Taḥsîn und der Wunsch der Jungtürken, eine Dezentralisation zu vermeiden, scheint auch gegenüber Idrîs den Ausschlag gegeben zu haben. Allerdings sollen damals viele türkische Offiziere ihre Bedenken geäußert haben, angesichts des Umfanges des Aufstandes in Jemen dorthin so viele Truppen zu senden, in einen Kampf, der selbst bei glücklichem Ausgang der Armee eine lange Erholungszeit aufgenötigt hätte, was man in Rücksicht auf die Lage in der europäischen Türkei nicht wagen könne. Rouet meint, daß außerdem die Alttürken noch das Gerücht ausgestreut hätten, es handle sich um eine Vereinigung von Imâm und Mahdî, die dem Sultan das Chalifat streitigmachen wollten, ein Gerücht, das angeblich auch noch durch die vom alten 'Izzet Pascha beeinflußte ägyptische Presse weiterverbreitet wäre, damit durch die Unternehmungen in Jemen die Jungtürken so

große Schwierigkeiten bekämen, daß ihre Herrschaft gefährdet sei.

Die Folge des Abbruches der Verhandlungen mit Jaḥjâ und Idrîs über die Verfassungsreformen in Jemen war jedenfalls, daß die Aufstände von neuem ausbrachen oder verstärkt wurden. Beide Gruppen von Aufständischen, der Imâm und Idrîs, schlugen los. Es scheinen aber zunächst nur kleine örtliche Ereignisse gewesen zu sein, bis Ende 1910 offene umfangreiche Revolte ausbrach.

Idrîs setzte vier türkische Offiziere gefangen und nahm das Zollhaus in el-Wassima (?), er proklamierte seine Unabhängigkeit und setzte eigene Beamte ein; auch nahm er einen Abgeordneten von Asîr gefangen. Die Türken in 'Asîr flohen an die Küste oder nach Ebhâ. Dann belagerte er Ebhâ und sandte Truppen in die Tihâma. Nach dem Bericht der Garnison von Ebhâ vom 23. Dezember 1910 hoffte man, sich dort zu halten, auch die Nachrichten aus Ḥôdeida klangen günstig. Der Imâm aber organisierte große Banden und erklärte den Heiligen Krieg" gegen die Türken, so daß der Bezirk Safa (Dâfir?) sich in Händen des Aufstandes befand und Ṣan â bedroht war.

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An einem Dezembertage des Jahres 1910 waren die ganzen Höhen um Șan â herum von den Mannen des Jaḥjâ besetzt, deren rote Flagge mit dem weißen (doppelspitzigen) Säbel des Alî (dû l-fiqâr) den türkischen Halbmond verdrängt hatte. Wir haben nun in der Folge zwei Kriegsschauplätze zu unterscheiden: den des Idrîs in Asîr und in einem Teile der Tihâma, in Gebieten mit šafe'itischsunnitischer Bevölkerung und den des Imâm Jaḥjâ im Gebirgsland von Jemen mit zaiditischen Leuten. Beide Aufständische wandten sich gegen die Türken, sie hingen aber nicht direkt miteinander zusammen, wenn sie sich auch zeitweilig in ihren Zielen vereinigten. Die religiösen und politisch-wirtschaftlichen Interessen der Aufständischen waren verschiedene, beide aber wurden durch dieselben Gründe geleitet, die in den Türken lagen. Diese hatten stets Reformen versprochen, ihre Zusagen aber nur unvollkommen gehalten; auch hatten die Jungtürken nicht sofort die besten ihrer Beamten in diese schwierigen Gebiete gesandt nach dem Grundsat, daß für die Außenländer die allerbesten Verwaltungsbeamten gerade gut genug sind.

Aus der ḥamîdischen Zeit war die Bestechlichkeit, das Gegeneinanderausspielen der Landesparteien durch Geschenke usw. noch bestehen geblieben. Ferner mußten die Bestrebungen der Jungtürken, einen türkischen Nationalstaat auch im Außenlande zu errichten und der türkischen Sprache die unbedingte Vorherrschaft zu geben, in Jemen sehr große Erbitterung erzeugen. Dann war das Land durch die vielen Kriege wirtschaftlich vernichtet, die einst blühende Kaffeekultur fast ausgerottet, teils weil der Kaffee dort nicht mehr so billig gebaut werden konnte, wie der Weltmarkt es verlangte, teils weil er durch die hohen Steuern so sehr belastet war, teils aber, weil angeblich das gute Land den Arabern fortgenommen sein sollte. Und schließlich spielte auch die Stimmung der Araber gegen die Jungtürken eine Rolle, die religiös einem anderen islamischen Bekenntnis (dem hanefitischen) angehörten als die Landesbewohner, die aber vor allem durch die Verfassung der jungen Türkei den Christen und Juden fast dieselben Rechte wie den Mohammedanern eingeräumt hatten.

Die Türken saßen in 'Asîr an einigen Küstenorten und in Ebhâ. Am 21. Januar 1910 traf die Nachricht in Ḥôdeida ein, daß im Beginn des Monats der Hauptort Ebhâ von den Truppen des Idrîs völlig eingeschlossen sei. Der Platz war zwar gut verproviantiert und von Solimân Pascha kräftig verteidigt. Zu gleicher Zeit waren die Leute des Idrîs auch mit starken Kräften in der Tihâma gegen Hôdeida vorgerückt, ebenso wie sie auch im nördlichen Küstenlande Plätze der Türken einnahmen, wie das Zollamt in 'Arif Chamsa (?) und ‘Abu ‘Arîš, wo sie den Qâ'immaqâm gefangennahmen.

Von Konstantinopel aus sah man die Lage offenbar noch nicht so ernst an, ernannte aber immerhin den in Jemen befindlichen Generalleutnant Sa îd Pascha zum Kommandierenden in 'Asîr. Da aber im Januar auch der Imâm Jahjâ in Jemen losgeschlagen hatte, dessen Truppen man auf 60000 Mann schätzte, mußte man man an fernere Maßnahmen denken. Man bereitete in Konstantinopel die Abfahrt eines Hilfskorps vor, wofür zunächst 31 Bataillone, 5 Batterien und 3 Kompagnien Maschinengewehrtruppen vorgesehen wurden. Am 29. Januar 1911 fuhr Sa îd Pascha von Ḥôdeida nach Ghunfude ab, um dort den Krieg zu leiten.

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