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benußen, geben alle gedachten Druckschriften, eine jede auf besondere Weise, die von den Häuptern der Bewegung vorgezeich neten leitenden Grundideen in die Praxis des Gemeindelebens übertragen. Dadurch sind diese Schriften von großer Wichtigfeit, und wir können, wenn anders wir die separirt-lutherische Bewegung in ihren innersten Motiven verstehen und würdigen wollen, nicht umhin, uns die in denselben enthaltenen Argumentationen zu einem übersichtlichen Tableau zusammenzustellen, damit wir ihre Tragweite sodann prüfen, und das Richtige von dem Falschen in ihnen sondern können. Wir werden uns, um jeden Zug des Gesammtbildes in voller Schärfe hinzuzeichnen, nicht auf die polemischen Schriften aus den Jahren 1834-1835 beschränken, sondern auch auf frühere, so wie auf spätere Darlegungen des separirt-lutherischen Standpunktes näher einzugehen haben. Desgleichen werden wir uns genöthigt sehen, einzelne Gedanken, die wir bereits oben zur Beurtheilung der geschichtlichen Facta angegeben haben, hier zu wiederholen, damit die gesammte Macht der von den Separirten vorgebrachten Gründe Gelegenheit habe, sich vor unseren Augen zu entfalten.

Die Schriften, welche wir als die bedeutendsten hiezu insonderheit in's Auge fassen, sind:

1) Theologisches Votum eines Juristen (Huschke) in Sachen der Königl. Preuß. Hof- und Dom-Agende, herausgegeben von Scheibel. Nürnberg bei Naw, 1832.

2) (Hirschfeld) Das trennende Unionswerk oder die neue preußische Agende, beleuchtet von einem evangelisch - luthe= rischen Geistlichen Schlesiens. Nürnberg bei Raw, 1833. 3) Blüher, Neueste kirchliche Ereignisse, Geschichte der lutherischen Parochien Hönigern und Kaulwiß. Nürnberg bei Raw, 1835. In dieser Schrift ist besonders wichtig Kellner's ausgezeichnete Darlegung seines Standpunktes in einem ausführlichen Schreiben an das Patronat von Hönigern, p. 26-91.

4) (Böttcher) Die lutherische Kirche in Preußen, ein Work

an die Christen zur Verständigung. Nürnberg bei Raw, 1835.

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5) D. Wehrhan, Vertheidigung der lutherischen Sache gegen Dr. Olshausen. Meißen bei Gödsche, 1835. 6) Ehrenström und Kellner, Die neuesten Widersacher der lutherischen Kirche in Preußen. Eine Beleuchtung der sieben, im Jahre 1837 erschienenen Gegenschriften. Leipzig bei Fleischer, 1838.

7) E. Kellner, Die wichtigsten Unterscheidungslehren der Lutherischen, reformirten, unirten und katholischen Kirche. Leipzig bei Dörffling und Franke, 1852.

8) Huschke, Einige erwiedernde Bemerkungen. Aufsaß in der Evang. Kirchenzeitung 1832, Nr. 91 u. 92.

9) Huschke, Erachten über das Bedenken eines entschiedenen Lutheraners. Auffaß in der Evang. Kirchenzeitung 1833, Nr. 67 f.

Außerdem sind eine bedeutende Anzahl kleinerer Schriften und einzelne Bemerkungen aus anderweitigen von Scheibel und anderen in der ersten Zeit des Kampfes herausgegebenen Schriften, auch sicher verbürgte handschriftliche Mittheilungen benutzt worden, und zur Vergleichung ist endlich eine Schrift eines der neueren Nachfolger jener ersten lutherischen Bekenner hinzugefügt worden, nämlich:

10) A. Zöller, Wir können nichts wider die Wahrheit, ein

Zeugniß wider die falsche Union. Trieglaff 1858,

In dieser lezten Schrift ist zwar nur selten eine Beweisführung zu finden, welche nicht bereits in den oben genannten in viel flarerer und bestimmterer Gestalt gefunden würde; da fie indeß gegenwärtig die neueste polemische Schrift ist, und auch die am meisten heutzutage gekannte, und weil sie von den heutigen separirten Lutheranern als ausgezeichnet gelungene Darlegung ihres Standpunkts begrüßt worden ist, und weil sie auch wirklich in einzelnen Stücken, z. B. was den sogenannten Schriftbeweis der separirten Lutheraner betrifft, so ziemlich genau die Quintessenz dessen giebt, was separirterseits in einzelnen Schriften zerstreut aufgebracht worden ist, so haben wir doch es für zweckmäßig erachtet, auf sie hinzuweisen, um so mehr

als hiedurch am deutlichsten klar wird, daß die Prinzipien und Anschauungen der heutigen separirten Lutheraner noch unverändert dieselben sind, wie vor 30 Jahren.

Zweites Kapitel.

Die Beweisführung der separirten Lutheraner.

Wir werden die Anschauung der separirten Lutheraner am besten in der Weise übersichtlich darstellen, daß wir a) ihre Theorie über den Begriff der Kirche darlegen, dann insonderheit übergehen zu den drei Hauptfactoren desselben: b) der kirchlichen Verfassung, c) dem Bekenntniß, d) dem Cultus, — und daraus ableiten, wie sich e) ihre Stellung zu der reformirten Kirche und ihre Stellung zur Union hinaus mit Nothwendigkeit entfalten mußte. Endlich werden wir ihre Stellung zur heiligen Schrift und zu den lutherischen symbolischen Büchern zu prüfen haben.

a) Der Kirchenbegriff der separirten Lutheraner.

Zur Feststellung ihres eigenthümlichen Kirchenbegriffes gehen die getrennten Lutheraner nicht auf die heilige Schrift, auch nicht auf die symbolischen Bücher, sondern auf eine von ihnen selbst neugebildete Theorie zurück. Sie fassen nämlich diejenigen Punkte im Leben und in der Entwicklung der Kirche, welche durch die Union insonderheit gefährdet erschienen, scharf und einseitig in's Auge, und construiren daraus ein Neues. Diese drei Punkte sind: Kirchliche Verfassung, Bekenntniß und Cultus. Aus der Zusammensetzung dieser drei Factoren bilden sie folgende Theorie: „Durch diese Stücke*) nämlich ein gemeinfames Glaubensbekenntniß und die auf ihm beruhende Selbstständigkeit einer Kirche in Gottesdienst und Verfassung

*) Kellner, „Neueste Ereignisse," p. 58.

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nimmt eine einzelne Kirche gleichsam wieder ihren bedingt unmittelbaren Ursprung in Gott, d. h. durch sie wird bestimmt, was ihr von dem gemeinsamen Lebensquell zugesichert werden, welche Gaben Christus vom Vater für sie empfangen könne." Aehnlich Wehrhan*): Eine jede Kirche besteht aus drei Hauptbestandtheilen, welche sich verhalten, wie Denken, Fühlen, Wollen, und welche so innig mit einander verbunden sind, daß keins ohne die beiden anderen sein kann, sondern daß, wenn man eins wegnimmt, auch die beiden anderen fehlen, oder wenigstens bald zu sein aufhören werden. Diese drei Stücke sind: die Lehre (Confession), der Gottesdienst (Cultus), das Kirchenregiment (bei uns Consistorium)." Und nachdem Wehrhan diese abstracten Grundlinien etwas näher entwickelt hat, sagt er p. 74 selbst, er habe nun,,den Begriff: Kirche": festgestellt." Ihm ist also die Kirche nur das Produkt aus den gedachten drei Factoren. Aehnlich hatte bereits Scheibel (Guerike und Scheibel, „Theologische Bedenken,” Frankfurt a. M. bei Schmerber 1834, p. 81) erklärt: „daß lutherische Kirche nur da natürlich ist, wo abgesonderte selbstständige Verfaffung, Agende, alle und jede Sacramente und kirchliche Handlungen nach den lutherischen symbolischen Büchern verrichtet werden." Und ihm folgend hatte Berger sub 20. Mai 1834 dem Königl. Ministerium geschrieben **): „Ein jedes Kirchenthum besteht aus den drei organisch zusammenverbundenen Stücken: 1) einem in sich widerspruchlosen Bekenntniß des Glaubens, 2) einem demselben gemäßen Gottesdienste, 3) einer eigenthümlichen Verfassung und Leitung der kirchlichen Angelegenheiten durch Personen desselben Glaubensbekenntnisses, wie derselben Kirche;" und die oben besprochene (eigentlich grundlegende) Eingabe der Separirten vom 4. April 1834 sagt geradezu:,,die drei Bestandtheile, welche das Dasein einer Kirche auf Erden

*),,Vertheidigung," p. 12.

**) Dieses Schreiben ist mitgetheilt in: Oster, „Deutschlands Zion und die Halblutheraner," Berlin bei Wohlgemuth 1846, p. 119 f.

ausmachen, sind Bekenntniß eines bestimmten Glaubens, diesem gemäßer Gottesdienst, und eigenthümliche Verfassung und Leitung der kirchlichen Angelegenheiten.“

Wenn auf diese Weise Seitens der Separirten der Schwerpunkt zur Bestimmung des Kirchenbegriffes aus der göttlichen That und der Unmittelbarkeit göttlichen Stiftens und Wirkens herausgeschoben, und in das Gebiet menschlicher Darstellung diefer göttlichen Thaten gerückt wird, so ist es diesem Prinzip völlig entsprechend, wenn Böttcher (1. c. p. 34) sagt: „Die Kirche, und jede Abtheilung derselben ist nichts Anderes als eine Gemeinschaft im Glauben, ausgesprochen in einem Glaubensbekenntnisse zu gemeinsamem Genuß der Güter dieses Glaubens, und zu gemeinsamem Kampfe gegen den gemeinsamen Feind. Der Zweck der Kirche ist: diesen Glauben zu erhalten, resp. zu verbreiten. So und zu diesem Zweck entstand die allgemeine Kirche und jede ihrer Abtheilungen. Sobald irgend eine Lehre oder mehrere, einer Anzahl von Menschen so wichtig wurde, daß sie dieselbe sich und ihren Kindern oder der Welt überhaupt rein und unverkürzt erhalten wünschten, so bildete sich eine Kirche."*),,Die Vereinigung zu einem gemeinsamen Glaubensbekenntnisse, aus dem alles Uebrige hervorgeht, ist die sichtbare Kirche. Ihr Zweck ist, den gemeinschaftlichen Glauben zu erhalten und zu verbreiten" (p. 48)...,,Die sichtbare Kirche ist nichts Anderes als eine Gemeinschaft im Glauben, ausgesprochen in einem Glaubensbekenntniß" (p. 62). Wir hören hier ganz dieselbe Definition von Kirche, welche bereits das ,,theologische Votum" p. 25 giebt: daß nämlich die Kirche sei ,,eine Versammlung der durch ein Glaubensbekenntniß Verbundenen, welche theils lebendige, theils todte Glieder sind."

Weil in diesem Kirchenbegriffe Agende, Bekenntniß und Regiment nicht als wichtige Lebensorgane, sondern geradezu als

*) Also „eine Anzahl von Menschen“ bildete die Kirche, um einen von ihr für wichtig erkannten Zweck in der Weltgeschichte durchzuführen, und nicht der Herr Chriftus selbst bildete fie?

Wangemann,,,Preuß. Kirchengeschichte.“ II.

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