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gestellt sein. Blos militärische Erfolge auf dem Schlachtfelde sind für den Untergang des unterliegenden Staates noch nicht entscheidend. Um das Ende der besiegten Staatsgewalt zu bezeichnen, ist die Erklärung des Siegers erforderlich, seine Macht bis zur staatlichen Vernichtung des Gegners ausdehnen zu wollen, außerdem ein dieser Erklärung entsprechender, auch von Seiten dritter Staaten nicht angefochtener Machtzustand. So lange Verbündete des geschlagenen Staates außerhalb seiner Gränzen noch im Felde stehen, muß die Fortdauer des alten Staatsbestandes auch dann präfumirt werden, wenn die vertriebene Staatsgewalt ihre Regierungsthätigkeit factisch nicht mehr ausüben kann. Denn vorübergehend kann ein Staatsoberhaupt auch vom Auslande her regieren. Ob dies verfassungsrechtlich zu Friedenszeiten geschehen darf, bleibt völkerrechtlich ohne Einfluß.

Die bedingte Rechtmäßigkeit der mit Vernichtung einer Staatspersönlichkeit endenden Eroberung kann je nach der Natur der Umstände des einzelnen Falles nur in dem Kriegsgrunde gefunden werden. Andrerseits giebt es auch hier Abstufungen des Unrechts. Eine ohne Kriegsursache aus sog. Zweckmäßigkeitsgründen zwischen Nachbarstaaten vereinbarte und von ihnen gemeinsam durchgeführte Theilung eines dritten Staates, wie solche Polen zuerst 1772 widerfuhr, ist stets als besonders schwere Verletzung auch der allgemeinen Völkerrechtsordnung gerügt worden.

2. Der Untergang eines Staates kann ferner herbeigeführt werden, indem außerhalb kriegerischer Vorgänge dessen eigene Staatsgewalt aufgelöst wird. In rechtmäßiger Weise geschieht dies, wenn unter Innehaltung verfassungsrechtlich vergeschriebener Formen und ohne Verletzung bestehender Rechtsansprüche der Träger der Souveränetät seine Gewalt abdizirend in die Hände einer auswärtigen Staatsgewalt überträgt. Unter diesen Gesichtspunkt fällt der Uebergang der Hohenzollernschen Landestheile in Süddeutschland an die Krone Preußen auf Grund des Staatsvertrages vom 7. Dezember 1849.1) Auch andere Rechtsgeschäfte (z. B. Erbverträge) können den Untergang eines Staates herbeiführen, wobei indessen zu bemerken ist, daß die Vereinigung mehrerer Staaten unter derselben Herrschaft, wenn dieselbe in den Formen der Union geschieht, als Act der Aufhebung einer der Staatsgewalten nicht aufgefaßt werden kann. 2) 3. Durch Umsturz einer Staatsgewalt zu dem Zwecke ihrer Nichtersehung durch eine andere besondere Gewalt begleitet von der Vereinigung des herrscherlos gewordenen Staatsgebietes mit einem bereits bestehenden Staate. Das Völkerrecht kennt keine Bedingungen, unter denen der Verfassungsumsturz im Innern eines Staates ge= rechtfertigt werden könnte; aber auch keine rechtliche Pflicht, ihn durch

Interventionen zu hindern, wenn nicht bestehenden Staatsver= trägen zuwidergehandelt worden ist. Für die Vollendung des Staatsunterganges genügt in thatsächlicher Beziehung keineswegs, daß der herrschaftsberechtigte Souverän vertrieben wurde und der Volkswille fich für die Unification mit einem anderen Staate formell geäußert hat. Vielmehr wird die Thatsache der Selbstauflösung eines Staates erst perfect mit der Aneignung der Herrschaftsrechte durch denjenigen Staat, an den die öffentliche Gewalt übergehen soll. Solange noch eine bis zu diesem Endpunkte wirkende, provisorische Regierung besteht, erscheint der ältere Staatsbestand nur suspendirt, nicht er= Loschen.

4. Der völkerrechtliche Charakter einer bestehenden Staatsgewalt kann aufgehoben werden, während der innerstaatliche Gewaltzustand in einem Landesgebiete fortdauert. Dies ist der Fall bei der Begründung solcher Conföderationen, durch deren Verfassungsrecht der Verkehr der einzelnen Mitgliederstaaten mit dem Auslande rechtlich aufgehoben wird. Der umgekehrte Prozeß tritt ein, wenn dies Gesammtstaatsgebilde einer Conföderation, wie das ehemalige Deutsche Reich im Jahre 1806, durch Losreißung völkerrechtlich souverän werdender Landesbestandtheile aufgelöst wird. Das Nähere über diese Vorgänge gehört in die Lehre von den Staatenverbindungen oder von der Suc ceffion der Staaten.

5. Eine theilweise Zerstörung des Staatsbestandes kann in doppelter Richtung vor sich gehen. Entweder in der Weise, daß die Integrität des Gebietes durch Neubildung eines Staates innerhalb desselben verlegt, oder hinsichtlich der Staatsgewalt, wenn diese aus dem Zustande der Souveränetät in denjenigen der sog. Halbsouveränetät versegt wird.

1) S. auch das Preußische Gesek vom 12. März 1850 und die Preußische GesezSammlung 1850.

2) S. unten Stüd VII, Rap. 3.

§ 7.

Anerkennung neuer Staaten. A. Rechtsgrund.

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Fiore,

Literatur: Heffter, Völkerrecht, § 55. Bluntschli, Modernes Völkerrecht, § 30 ff. Pradier-Fodéré, Traité I, § 136-145; § 163 ff. Trattato 1, § 302 ff. F. v. Martens, Völkerrecht (Deutsche Ausgabe) I, § 64. Phillimore, Commentaries II, S. 16 ff. Twiss, Law of Nations I, § 20. Lorimer, Institutes of the Law of Nations I, S. 93 Lawrence, Comm. sur Wheaton I, S. 195. Spence, On

- 163.

recognition of Southern Confederacy. 3. ed. 1882. - Gibbs, Recognition, 1863. Wharton, Commentaries on Law, § 140. Calvo, Droit international I, § 79 ff.

Die Anerkennung neu entstandener Staaten (Französisch reconnaissance, Englisch recognition, Italienisch riconoscimento) bedeutet gleichfam die Eintragung eines neugeborenen Gemeinwesens in die international geltenden Standesregister der Völkerrechtsgenossenschaft, also einen rechtshistorischen Beurkundungsact. Diese Anerkennung neuer Staaten kann also niemals als ihr Entstehungsgrund angesehen werden. Auch mit der Legitimität oder Illegitimität des staatlichen Entstehungsprozesses steht sie in keinem nothwendigen Zusammenhang. Entscheidend ist vielmehr, wie bereits gezeigt wurde, die vollendete Thatsache eines neu in sich selbst vollkommen begründeten Staatswesens, dessen in den Völkerverkehr thatsächlich eintretende Regierungsorgane gewillt und befähigt sind, den bereits bestehenden Rechtspflichten der internationalen Gemeinschaft zu genügen.

Ist ein Staat auf bisher staatenlosen, von keiner Macht beherrscht ge= wesenen Gebieten entstanden, so bietet die Anerkennung des Geschehenen ebensowenig Schwierigkeiten, wie, wenn gemeinsame Vereinbarung Europäischer Mächte gleich dem Falle des Congostaates in Afrika, den Staatsgründungsact leitet. 1) Die Anerkennung eines zukünftigen Thatbestandes geht hier seiner Vollendung

voraus.

Schwieriger gestalten sich die rechtlichen Verhältnisse, wenn die Entstehung neuer Staaten sich auf Kosten eines nicht völlig vernichteten älteren Staatsfubjects, also durch Losreißung von einem nachher benachbart gewordenen Gebiete vollzieht. Alsdann handelt es sich um gewaltsamen Zusammenstoß zwischen positivem Recht und positivem Unrecht oder um den Kampf zwischen zwei subjectiv verschiedenen Rechtsauffassungen der miteinander um die Staatsmacht ringenden Parteien.

Anerkennung eines auf Kosten älterer Staatswesen gewaltsam errichteten Neustaates bedeutet dann gleichzeitig Aberkennung älterer Befugnisse der früher berechtigt gewesenen Gewalt. Obschon Gründe der Zweckmäßigkeit und der Politik in dem Verhalten dritter unbetheiligter Staaten gegenüber den Gewaltacten einer der Losreißung und Trennung von ihrem ehemaligen Staatsverbande zustrebenden Partei daran stets bedeutsamen Antheil haben, darf man doch nicht annehmen, daß Gewährung oder Versagung der Anerkennung lediglich nur Sache des Beliebens oder der Willkür darstelle.

Von Wichtigkeit wird hier zunächst das zeitliche Verhältniß des Anerkennungsactes zu dem historischen Vorgange staatlicher Neubildungsprozesse, wobei zwei Modalitäten zu unterscheiden sind:

1. Gewährung vorzeitiger Anerkennung eines Staates, während eines noch fortdauernden Unabhängigkeitskrieges erscheint als pflichtwidrige Aberkennung der Staatsgewalt und be

ziehungsweise der Gebietsintegrität bezüglich der in ihrem Bestande angegriffenen Macht oder kann als Intervention in die inneren Angelegenheiten oder als kriegerische Parteinahme aufgefaßt werden. Eine solche Anfangs völkerrechtswidrige, vorzeitig ausgesprochene An= erkennung kann aber im Verlaufe der Zeiten convalesciren, wenn die Losreißung definitiv geworden ist.

2. Versagung der Anerkennung nach völlig beendetem Kampfe oder nach vereinbartem Friedensschluß zwischen den ehemaligen Belligerenten erscheint als Unrecht gegenüber neuentstandenen Staaten, deren Rechtsqualität unzweifelhaft geworden ist, nachdem sich der Beschädigte selbst beruhigt hat.

Die Zulässigkeit der Anerkennung von Seiten dritter unbetheiligter Mächte ist keineswegs ausschließlich abhängig von dem Verhalten der durch Losreißungen beschädigten Staatsmacht. Im Gegentheile wird gerade die Anerkennung des Beschädigten häufig herbeigeführt durch die Thatsache, daß dritte Staaten durch ihren Ausspruch die Vollendung des Geschehenen constatirt haben. So befinden sich meistentheils diese dritten Staaten in politisch vermittelnder Stellung zwischen den Anforderungen einer neustaatlichen Bildung, die den Nachtheil spät gewährter Anerkennung von sich fernzuhalten sucht, und einer altstaatlichen Macht, die den Vortheil einer Anerkennungsversagung möglichst lange für sich auszunußen trachtet. Daher geschieht es häufig, daß die Anerkennenden die Erwartungen und Wünsche je einer Partei verlegen. Um so mehr ist es ihre Pflicht, die Anerkennungsfrage sowohl vom Standpunkte der historischen Thatbestandsvollendung in Hinsicht neuer Staaten, als vom Standpunkte der allgemeinen Friedensinteressen der Völkergenossenschaft zu ent scheiden, ohne lebendige Kräfte der Gegenwart voraussichtlich fruchtlosen Wiederbelebungsversuchen des Abgestorbenen auf dem Niveau der Vergangenheit zu opfern. 2) Geht man von dem späterhin nachzuweisenden Unabhängigkeitsrechte der Staaten aus, so fällt rechtlich auch dies ins Gewicht, daß jeder Staat befugt ist, dem Auslande gegenüber vermöge seiner Souveränetät das Schiedsgericht der Waffen in einem Bürgerkriege darüber entscheiden zu lassen, ob er sich in mehrere Gebiete theilen lassen soll.

Die Frage, wann die Anerkennung eines sich von der Gemeinschaft mit älteren Staaten losreißenden Neustaates ausgesprochen werden soll, ist somit vornehmlich und zunächst eine Thatfrage, bei deren Beantwortung weniger das Vorhandensein überall wiederkehrender, objectiv unbestreitbarer Kriterien, als das subjectiv unparteiische Ermessen anerkennender Staaten zur Endentschei= dung berufen ist.

Freilich fehlt es nicht an beachtenswerthen objectiven Merkmalen. Eine Depossedirung älterer Staatsgewalten erfordert überall eine nach Außen hin erkennbare Raumgränze, innerhalb welcher die ältere Staatsgewalt nicht mehr den staatsbürgerlichen Gehorsam zu erzwingen vermag, ohne daß darum gerade genaue Gränzzeichen errichtet zu sein brauchen.3)

Sodann die mindestens thatsächlich endgültig erscheinende Einstellung der Feindseligkeiten auch in den Gränzdistricten, die Bethätigung der gefeßgebenden und richtenden Gewalt innerhalb des seine Unabhängigkeit erstrebenden Staates und zwar außerhalb der rein militärischen Form des Standrechts oder Oberbefehls, endlich der ungehinderte Verkehr handeltreibender Personen. Sind diese Merkmale gepaart mit anscheinender Dauerhaftig= keit des neuen Zustandes, so können Proteste und Vorbehalte einer älteren Staatsgewalt wenig ins Gewicht fallen.

Troßdem wird der subjectiven Würdigung dritter Staaten gerade dann ein weiterer Spielraum offen bleiben, wenn es darauf ankommt, die voraussichtliche Dauerhaftigkeit der neu entstandenen Staatszustände abzuschätzen. Zuneigung oder Abneigung, persönliche Beziehungen der Herrscherfamilien zu den Streitenden, verfassungspolitische Principien entweder der Legitimität oder der Demokratie beeinflussen das Urtheil der Staatsmänner, wenn es gilt, eine solche Zukunftsprognose zu stellen.

Erwiesen wird dies durch die Wahrnehmung, daß, abgesehen von solchen Neubildungen, denen von vornherein die Sanction eines Congresses zu Theil wird, der Anerkennungsact durch einzelne Staaten in sehr ungleich bemessenen Zwischenräumen zu erfolgen pflegt. Der Zwischenraum langer Jahre trennte die Acte der ersten und legten Anerkennung bezüglich des seit 1859 sich entwickelnden, italienischen Einheitsstaates, der gegenwärtig noch der päbstlichen Anerkennung entbehrt.

Somit läßt sich sagen:

1. In zeitlicher Hinsicht und vom Standpunkte des friedlichen Böl ferrechtszustandes pflichtwidrig ist die Anerkennung, solange die militärische Endentscheidung nicht gefallen und kämpfende Armeen im offenen Felde einander gegenüberstehen. Als Beispiel solcher vorzeitigen und pflichtwidrigen Anerkennung wird diejenige der abgefallenen Nordamerikanischen Colonien (1778) durch Frankreich anzusehen sein. Diese Regel gilt jedoch nicht, wenn der bereits unterlegene Souverän sich mit unzureichenden Machtmitteln in minder bedeutenden Gränzfesten oder Gränzdistricten, ohne wahrscheinliche Aussicht auf auswärtige Intervention, einschließt.")

2. Pflichtmäßig ist Anerkennung zu gewähren, wenn ein neuentstandener Staat durch den von ihm depossedirten Souverän förmlich anerkannt wurde.

3. Rechtmäßig und zulässig ist die Anerkennung, wenn ein neuentstandenes Gemeinwesen die äußeren Merkmale staatlichen Bestandes mit der Wahrscheinlichkeit gesicherter Fortdauer und der Fähigkeit, seinen völkerrechtlichen Verkehrspflichten zu genügen, nach dem Ermessen der anerkennenden Staatsregierung vereinigt.

4. In allen zweifelhaften Fällen verdient die Vermuthung zu Gunsten der angegriffenen älteren Staatsgewalt den Vorzug vom Standpunkt

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