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um ihn dann erst mühselig wieder aus dem Chaos kosmopolitischer Ideenreihen heraustreten zu lassen. Denn keiner der Autoren, die diese, die Einheit des realen Völkerrechtssystems empfindlich störende Materie mit_unverkennbarer, aus idealer Gesinnung entspringenden Vorliebe be handeln, kann sich der Einsicht verschließen, daß alle die behaupteten und bekämpften Ur-Menschenrechte zu einer Wahrheit, zu einem rechtlich ge. ordneten und geschüßten Institute doch nur erst im Staate und durch den Staat werden.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen vgl. Heffter § 14ist zur Zeit allerdings kaum mehr streitig, daß wir unter den Subjecten des Völkerrechts lediglich die Staaten und, was übrigens selbstverständlich ist, Staatencombinationen zu verstehen haben. (Vgl. hierzu Bulmerincq's zutreffende Ausführungen in dessen Systematik des Völkerrechts.) Es ist daher jedenfalls widerspruchsvoll, wenn Martens a. a. O. die Einzelpersonen wohl nicht für directe Subjecte des Völkerrechts" erklärt, ihnen aber dennoch im Gebiet der internationalen Beziehungen bestimmte „Rechte" sichert, entspringend 1) aus der menschlichen Persönlichkeit an sich, und 2) aus der Stellung dieser Personen als Unterthanen eines Staates. Es fehlt der scheinbaren Eintheilung an einem inneren Unterscheidungsprincip; wenn nach der ausdrücklichen These Martens. (Bergbohms) lediglich Staaten der Subject-Charakter innerhalb des Völkerrechtsverkehrs zusteht, können nicht gleichzeitig auch außerhalb des Staatenverbandes stehende Individuen Rechtssubjecte im internationalen Verkehr sein. Menschen der genannten Art mögen kraft staatlichen Rechts innerhalb der einzelnen nationalen Rechtsordnungen auf weitreichenden Schuß zählen können, für das internationale, mit organisirten Völkerschaften operirende Recht (Vertrags- und Gewohn. heitsrecht) existiren dieselben nicht, oder noch nicht als Träger bestimmter juristischer Befugnisse.5)

1) Heffter hielt allen Bedenken zum Troß die Bezeichnung allezeit aufrecht. Bergegenwärtigen wir uns, daß der Ausdruck einen bestimmten geistigen Gehalt andeuten und nicht einer geographisch räumlichen Abgrenzung dienen will, dann ist das von Geffcken zu § 1 bei Heffter geltend gemachte Bedenken gehoben und die Gefahr vermieden, die in der Ausbreitung der von Bluntschli aufgestellten Lehre liegt, wonach das räumliche Herrschaftsgebiet des Völkerrechts die ganze Erdoberfläche umfasse, soweit sich auf ihr Menschen berühren.

2) Siehe hierzu Fallatti, Ueber das Völkerrecht der Wilden und Halbwilden. Tübinger Zeitschrift f. d. ges. Staatsw. 1840.

3) Heffter Geffden, § 2. Bei Lorimers, The Institutes of International Law, sehr zutreffende Ausführungen über the normal and abnormal relations of States j. p. 5 ff.

*) Gerade die Ueberspannungen der Argumentationen, welche in Anlehnung an das Fichte'sche Wort von der Gleichheit alles dessen, was Menschen. angesicht trägt, zu einer wissenschaftlichen Construction des Völkerrechts als

eines hoch über den Staaten schwebenden und von ihnen unabhängigen Weltbürgerrechts vorzudringen glaubten, haben der Ausbildung des juristischen Kerns des Völkerrechts empfindliche Hindernisse bereitet. Man vgl. z. B. Oppenheim's Philosophie des Rechts und der Gesellschaft über die „Idee des Völkerrechts“, S. 162 ff., Rotteck und Welders Staatslexicon: „Menschheit“, „Völkerrecht“ ze. Erst der in unserer jüngsten Zeit in Lehre und Staatenpraxis vorgenommene enge Anschluß des Völkerrechts an das System des öffentlichen Rechts der Staaten und an bestimmte dem mehrstaatlichen Verkehr zugewandte Zweige der innern Verwaltung, somit die Beschränkung seiner sachlichen und räumlichen Competenz hat das internationale Recht eine in keiner früheren Epoche erlangte Bedeutung und praktische Wirksamkeit gewinnen lassen.

5) Auch der von Martens, Heffter u. A. versuchte Hinweis auf den Kampf gegen die Sklaverei gibt keinen Beweis ab für die rechtliche Wirksamkeit jener abstracten Lehrsäze. Mit Recht macht v. Holzendorff (Bd. I. S. 61) darauf aufmerksam, daß auch jener Kampf nur theils mit Hülfe der rechtlichen Be ziehungen zwischen Europäischen Regierungen und Afrikanischen Negerstämmen, theils kraft völkerrechtlicher Verträge der seefahrenden Culturvölker unter einander zu greifbaren Rechtsresultaten führte. S. hierzu auch Gareis im II. Bd. dieses Handb. § 102 ff.

$114.

Die Staatsangehörigkeit als Vorausseßung
des Völkerrechtsindigenats.

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Hamaker,

Literatur und Verweisungen: Handbuch Bd. I. § 15 ff. — Das internationale Privatrecht, S. 14 ff. Laurent, Droit civil international, T. 1 p. 7 squs. - Phillimore, Commentaries T. IV. p. 770 sqns. — Bluntschli, Die Bedeutung und Fortschritte des modernen Völkerrechts. (Sammlung wissensch. Vorträge, Heft 2.) Für die von der völkerrechtlichen Literatur bisher wenig behandelte, principielle Seite der Frage: Adolf Trendelenburg, Lücken im Völkerrecht, in Anlehnung an Kant's philosophischen Entwurf zum Ewigen Frieden. Ferner: Savigny, System des heutigen Röm. Rechts, Bd. VIII. Mohl, Die Pflege der internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechts. Bulmerincq, Völkerrecht, § 4 u. ff.

Die Einheit der völkerrechtlich wirkenden, in der gemeinsamen und wechselseitigen Pflege des Völkerverkehrs stehenden Staaten macht die Staatengesellschaft aus. Die Zugehörigkeit zur völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaft begründet für den einzelnen Angehörigen der Verkehrsstaaten das völkerrechtliche Indigenat, dasselbe ist an sich so wenig unverträglich mit der staatsrechtlichen Zugehörigkeit zu einem Bundesstaate oder zu einem Einheitsstaate, wie etwa das Staatsbürgerrecht mit dem Gemeinde und Ortsbürgerrecht oder der Provinz, Kreis-, Grafschafts- 2c. angehörigkeit.

Dieses dem rechtlichen Verkehr zugewandte Völkerrechts - Indigenat bedeutet somit lediglich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe überein. stimmender, von Staaten gehandhabter Verhaltungsnormen und ist von dem Idealgebilde des „Weltbürgerrechts" ebenso verschieden, wie die lediglich durch das Bindemittel des Verkehrsbedürfnisses zusammengehaltene moderne Staatengesellschaft von der „civitas maxima" Wolff's oder der civitas gentium in Kant's Ewigem Weltfrieden.1)

Hier ist die Stelle im System der Lehre, wo zahlreiche von der Staatenpraxis festgehaltene und ausgebildete Institute ihre principielle Begründung finden. Was bedeutet die formelle oder durch thatsächliche Verkehrsverbindung vorgenommene Anerkennung" der in fernen Welttheilen gelegenen neuen Staaten: Congo, Liberia 2c., die Aufnahme des mohamme danischen Kaiserreichs in die Gemeinschaft der europäischen Staaten (1856), u. s. w. anderes, als die Anerkennung dessen, daß diese Staatenbildungen fortan als solche angesehen werden, welche sich in ihrem Verhalten den Angehörigen der anerkennenden Staaten gegenüber durch wesentlich übereinstimmende, aus den Bedürfnissen des Verkehrs (societas) abgeleitete Principien bestimmen lassen.2)

wir

Die Zugehörigkeit zur völkerrechtlichen Rechtsgemeinschaft gebrauchen hierfür mit den oben angedeuteten einem mißverständlichen Gebrauche des Wortes vorbeugenden Beschränkungen den Ausdruck: Völkerrechtsindigenat ist demnach nicht aus der allgemein menschlichen Natur" fließend, sondern von dem Mitgliedschaftsverhältniß in einem staatlichen Verbande bedingt. Die rechtlich geordnete Mitgliedschaft in einem staatlichen Gemeinwesen bildet nun die Staatsan= gehörigkeit des Individuums oder nach einer keineswegs ganz zu= treffenden aber gebräuchlich gewordenen Terminologie dessen Staatsbürgerschaft.3)

Diese Eigenschaft des Individuums kommt somit völkerrechtlich in Betracht als wichtigstes Gliederungsmittel, als Ordnungsprincip für die rechtliche Organisation der Menschheit. Die beiden Erscheinungen verhalten sich zu einander, wie das Mittel sich zum Zweck verhält; oder mit anderen Worten: die Staatsangehörigkeit bildet den Durch. gangspunkt, den das Individuum erreicht haben muß, um in das Licht völkerrechtlicher Betrachtung zu gelangen.

Diese Mitgliedschaft des Einzelnen gewährt nun der rechtswissenschaft. lichen Betrachtung mehrfache Seiten; zunächst geben die mit dieser Mitgliedschaft ausgestatteten Individuen die persönliche Grundlage des Staates ab, aus ihnen empfängt er die idealen und materiellen Kräfte zur Ausführung seiner staatlichen Aufgaben, mit ihnen wird er aber zugleich auch im internationalen Verkehr wirksam. Alle die Mitgliedschaft betreffenden Beziehungen zwischen dem Staate und seiner Bevölkerung sind also nicht blos staatsrechtlich, sondern auch völkerrechtlich relevant.*) Die beweglichen Elemente des Staates die die eigenen und fremden Staatsgrenzen überschreitenden Theile der Staatsbevölkerung, — sie

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sind es, die durch ihre physische Ortsveränderung das juristische Pro. blem des internationalen Verkehrs schaffen. Durch das Verlassen des eigenen Heimathsbodens und durch den Eintritt in ein fremdes Staatsgebiet überschreiten sie die Umfassungslinie, innerhalb welcher sich ein sonst von fremdnationalen Elementen unberührtes Volksleben auf eigenem Boden, kraft eigenen staatlichen Rechts abspielen würde. Dieser Zustand der Isolirung ist aber mit der Geschichte der Menschheit un vereinbar; der leztern Entwickelung beruht nicht auf einer Tautologie der Staaten und Völker, die sich überall gleichförmig und zusammenhangslos wiederholt, sondern umgekehrt auf der, Verschiedengeartetes verbindenden, rechtlichen Organisation der Staaten. Diese wieder ist gegeben in den das Staatsrecht der einzelnen Gemeinwesen ergänzenden Normen, welche die aus jener Ortsbewegung entstandenen, über die Grenzen des einzelnen Staates hinausragenden Beziehungen zum Gegenstande recht. licher Ordnung zu machen bestimmt sind.

Jene Normen geben in ihrem systematischen Zusammenhang und in richtiger Combination der beiden dem ganzen Verhältniß zu Grunde liegenden Begriffe: der staatlichen Territorialhoheit des ungestörten Schaltens auf eigenem Gebiete, - und der Personalhoheit - der staatsrecht. lichen Unterwerfungen aller Staatsglieder unter die staatliche Willens. sphäre den Rahmen ab, in welchem das Fremdenrecht seine den jeweiligen Culturzuständen angepaßte positive Gliederung und Ausgestaltung empfängt.5)

Wenn nun hierauf bezüglich auch mit Recht behauptet worden ist, daß Fremde zur Staatsgewalt nur insoweit in Beziehung gelangen, als fie in deren räumliche Sphäre nnd somit in ihr besonderes Rechtsgebiet eingetreten sind,) und wenn auch weiter vollkommen zuzugeben ist, daß es keinen allgemein gültigen Rechtsgrundsay giebt, nach welchem mit Bestimmtheit und unbedingter Gültigkeit für alle Staaten gesagt werden könnte, welche Rechte und Pflichten im Einzelnen für Fremde bestehen und welche nicht, so wird sich die Völkerrechtslehre doch kaum der Untersuchung 1) der Praejudicialfrage entziehen können: welche im internationalen Verkehr stehenden Personen können als Angehörige eines bestimmten Staates gelten, welche Voraussetzungen vermögen diese Mitglied. schaft zu begründen, zu unterbrechen und aufzuheben. Sie wird ferner 2) nicht wohl übersehen dürfen, daß der hier als Fremder geltende, der Territorialhoheit Unterliegende nach einer andern Richtung hin unter dem Bande der Personalhoheit eines andern Staatswesens steht, die gleichfalls rechtliche Folgen bewirken will. Und sie wird 3) auch die Bedingungen in ihrem Wesen und ihren Wirkungen prüfen, unter welchen der Fremde mit seiner Person oder seinen rechtlichen Verhältnissen in dem Machtbereich des fremden Staates zugelassen wird, sowie die Umstände rechtlicher Natur, welche diese Stellung des Fremden zur Staatsgewalt zu seinen Gunsten oder Ungunsten zu modificiren oder gänzlich aufzuheben vermögen.

Dem Vorausgeschickten nach wird daher, unter Heranziehung auch der anormalen Erscheinungen im internationalen Staatenleben, die

nachfolgende Behandlung den Stoff des völkerrechtlichen Verkehrs der Personen in vier Gruppen vertheilt zur Darstellung bringen. Wir betrachten unter: A. die Staatsangehörigkeit im internationalen Verkehr, ihren Erwerb und ihren Verlust;

B. die rechtliche Stellung der im Auslande befindlichen Staats-
glieder zur heimischen Staatsgewalt;

C. die rechtliche Stellung der Fremden zur Territorialhoheit des
Aufenthaltsstaates,

und endlich unter

D. die innerhalb des vorstehenden Systems anormale, persönliche
Rechtsstellung Einzelner im internationalen Verkehr.

1) Die im Jahre 1795, somit in den stürmisch bewegten Zeiten des Baseler Friedens verfaßte Schrift sieht das „lezte Ziel des ganzen Völkerrechts" in der Herstellung eines weltbürgerlichen Reiches des ewigen Friedens. Die Gegengründe, die Kant selbst gegen diesen „Chiliasmus“ der Philosophie geltend macht s. in seiner Schrift: „Idee zu einer allgem. Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (Werke Bd.VII).

2) Daß dieselben aus historischen, ethnologischen, religiösen c. Bestimmungs. gründen zu jeweilig verschiedenen gewohnheitlichen und legislativen Ausprägungen gelangen, ist eine unvermeidliche Folge der in der Menschheit selbst liegenden Mannig. faltigkeit der Anlagen. Diese Erscheinung ist aber ebensowenig beweiskräftig gegen die Idee des Völkerrechts wie etwa gegen die Idee des Rechts überhaupt. - Laurent: „L'idéal n'est point que toutes les nations aient un même code des lois: cette unité absolue serait un faux idéal; la vraie unité consiste à respecter les diversités nationales, sauf à établir des règles, reconnues par tous les peuples, pour éviter les conflits auxquels donnent lieu les législations particulières.“ Droit civil intern. I. p. 42 et III. p. 435.)

3) Die Unterschiede zwischen Staatsbürgerrecht und Staatsangehörigkeit liegen im verschiedenen Ausmaß der politischen Befugnisse, mit welchen das Indivi. duum durch sein heimathliches Verfassungs- und Verwaltungsrecht ausgestattet werden kann. Ueber die staatsrechtliche Bedeutung der mannigfachen hier in Betracht kom. menden Ausdrücke: Unterthan, Citoyen, Sujet, Citizen 2c. s. v. Martiz, Das Recht der Staatsangehörigkeit im intern. Verkehr. (Hirths Annalen 1875, S. 796 ff.)

*) Die im Text entwickelte Auffassung steht in völligem systematischen Ein. klang mit der oben (Handbuch Bd. I. § 15) von v. Holzendorff über das Verhältniß des Völkerrechts zum Staatsrecht gegebenen Darstellung, die sich zu den drei Säßen zuspißt: Staatsrecht und Völkerrecht bedingen ein. ander wissenschaftlich; das Völkerrecht seßt begriffsmäßig das Staatsrecht voraus; und endlich: Das Staatsrecht der Gegen. wart sezt aber auch zu seiner vollen praktischen Wirksamkeit das Völkerrecht voraus. In gleichem Sinne Phillimore (T. IV. p. 775): The true end of International Law the welfare and safety of individuals as members of States."

5) Ohne den methodischen Werth des von Bulmerincq zur Erklärung dieser ausgleichenden Function angenommenen Systems staatlicher „Concessionen“ verkennen zu wollen, können wir doch nicht umhin, den von ihm behaupteten Zusammenhang dieser Concessionen mit der Idee der staatlichen Souveränetät aus dogmatischen wie aus historischen Gründen in Abrede zu stellen. Bulme.

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