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Staatsangehörigkeit Annehmende sich thatsächlich in das Gebiet des von ihm gewählten Staates begiebt oder doch zum mindesten das Gebiet des Staates verläßt, in dessen Mitgliedschaft er ferner nicht mehr bleiben zu wollen erklärt hat. Staatsgebiet und Staatsbevölkerung find normal zwei zusammengehörige Elemente, die mit einem dritten Staatsgewalt

machen.

das historische und juristische Ganze des Staates aus.

Noch greller tritt das Widerspruchsvolle des Verhältnisses hervor, wenn der Ausgebürgerte seine alte Heimath wieder betritt, um daselbst mehr oder minder dauernden Aufenthalt zu nehmen. Die Verwirrung der Rechtsverhältnisse und Rechtsvorstellungen steigert sich hier bis zur völligen Zerstörung der Rechtsordnung, die Scheinformen des Rechtslebens tragen hier einen gefährlichen Sieg davon über alle Absichten und Ziele der nationalen Gesetzgebung.)

Von den familienrechtlichen Wandlungen des Staatsbürgerverhält= nisses (Ehe, Legitimation) abgesehen, muß der Verzicht auf die Staatsangehörigkeit daher nothwendig die physische Lösung des Verband. verhältnisses zur Folge haben oder es lebt effectiv der alte politische Nexus mit seinen Rechtsfolgen wieder auf. Nach Deutschem Reichsrecht bewirkt die Aushändigung der Entlassungs-Urkunde den Verlust der Staatsangehörigkeit; allein diese Aushändigung hat jenen Erfolg nur dann, wenn der Entlassene binnen sechs Monaten seinen Wohnsiz außerhalb des Bundesgebietes verlegt. Die Entlassungsurkunde wird also nur mit der Resolutivbedingung ertheilt, daß binnen der angegebenen Frist der Ernst der Expatriirungsabsicht (animus) durch die thatsächliche Auswanderung bethätigt werde und zu der Absicht auch der wirkliche Erfolg hinzugetreten sei.7)

Das Deutsche Reichsrecht wollte dadurch den fingirten Auswan derungen vorbeugen, welche lediglich zum Ziele haben, den Betreffenden den Verpflichtungen gegen das bisherige Vaterland zu entziehen. Das Gesez verlangt deshalb, daß thatsächlich und zwar innerhalb sechs Monaten vom Tag der Aushändigung der Entlassungsurkunde die Auswanderung erfolgt sein, und zu diesem Behufe der Entlassene seinen Wohnsiz außer halb des Bundesgebiets verlegt haben müsse. Es genügt demnach ein bloßer Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets nicht; der Entlassene muß vielmehr die Trennung von dem bisherigen inländischen Wohnsiz mit der Absicht vornehmen, künftig seinen Wohnsiz d. h. den Mittelpunkt seiner Verhältnisse und seiner Thätigkeit im Auslande zu nehmen. Mehr verlangt das Geseß aber auch nicht, wenn es von dem „Verlegen des Wohnsizes außerhalb des Bundesgebietes" spricht. Insbesondere ist nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Entlassene im Auslande einen neuen Wohnsitz an einem bestimmten Ort begründet haben müsse. Ob und wo der Entlassene im Auslande einen Wohnfig begründete, ist ein für sein Verhältniß zu dem Deutschen Bundesstaate, dem er bisher angehörte, gleichgültiger Umstand; für dieses Verhältniß ist nur von Be

deutung, daß die Lösung der aus der Staatsangehörigkeit entspringenden Beziehungen nicht blos eine formale, sondern eine effective sei; daß der Entlassene auch durch die That zu erkennen gebe, daß er dauernd aus dem bisherigen Staatsangehörigkeitsverhältnisse ausscheiden wolle. Sicher ist aber, daß die citirte Gesezesstelle das Sachverhältniß nicht erschöpfend crledigt. Denn fordert auch das Deutsche Recht nicht ausdrücklich den Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit, so seht sie ihn mindestens stillschweigend voraus. Das Individuum gilt insolange nicht nur völker. rechtlich als Deutscher, auch nach Deutschem Staatsrechte steht ihm das Recht zu, sein Deutsches Indigenat in jedem der Deutschen Bundesstaaten wieder aufleben zu lassen, vorausgesezt nur, daß er sich in demselben niedergelassen hat.

Epricht der § 21 des cit. Ges. zwar auch nur von solchen Deutschen, welche durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande ihr Indigenat verloren, so muß doch diese Rechtswohlthat nach den einfachsten Interpretationsregeln zweifellos auch solchen zu theil werden, welche kürzere Zeit hindurch im Auslande geweilt haben. Sollte man aber meinen, daß dieses Recht nur solchen eingeräumt sei, welche nicht ausdrücklich auf die Staatsangehörigkeit verzichtet hätten, so käme man zu dem schiefen, widerspruchsvollen Ergebniß, daß das Deutsche Recht die rite unter sorgfältiger Beachtung aller gesetzlichen Vorschriften Ausgewanderten ungünstiger behandeln wollte, als die Staatsflüchtigen, die unerlaubter Weise aus der staatlichen Rechtsordnung ausgeschieden sind.

Halten wir somit dem Vorausgehenden entsprechend daran fest, daß der Verlust der Staatsangehörigkeit nur dann zu einem für den internationalen Verkehr effectiven, die allegiance aufhebenden Rechtsact wird, wenn zu der Auswanderung und Ausbürgerung die Einbürgerung in einem anderen Staate hinzutritt, dann haben wir den Gesichtspunkt gewonnen, von welchem aus die überwiegende Mehrheit der modernen Staaten dem internationalen Verkehr ihrer Angehörigen rechtliche Ordnung gab. Vom Standpunkte des internationalen Verkehrs muß jedes Individuum einem bestimmten Staate angehören; die staatliche Angehörigkeit ist wandelbar ihrer Richtung nach, aber so lange nicht ein neuer politischer Nexus das Individuum mit einem Gemeinwesen rechtlich ver bindet, ist der erste (ursprüngliche oder frühere) völkerrechtlich indelebile.8) Die beiden Säge patriam nemo exuere potest" und „ne quis invitus in civitate maneat" (Cicero) haben dadurch eine in der Bedürfniß. richtung des internationalen Verkehrs gelegene Ausgleichung gefunden.

Im Uebrigen läßt sich nach den modernen Geseßen das folgende Echema der in den wichtigsten Staaten anerkannten Gründe für den Untergang der Staatsangehörigkeit aufstellen. Zunächst wird fast überall unterschieden der freiwillige Verzicht von dem unfreiwilligen Verlust; der lettere kann nun wieder eintreten entweder

a. als Consequenz eines familienrechtlichen Verhältnisses (Verhei rathung, Legitimation); oder

b. als Straffolge (beim Eintritt in fremden Staatsdienst oder Militär-
dienst ohne landesherrliche Genehmigung, Betrieb von Sklaven-
handel (Frankreich), bei frustrirten Avocatorien 2c.); oder
c. als gesetzliche Folge der verwaltungsrechtlichen Ordnung der
Bevölkerungsverhältnisse, (bei Erwerb einer fremden Staats.
angehörigkeit, Fortseßung der Abwesenheit während einer ge-
sezlich normirten Dauer, Niederlassung im Auslande cum ani-
mo non revertendi; ausdrückliche Entlassung aus dem staatlichen
Verbande 2c.;9)

d. als Folge völkerrechtlicher Gebietsveränderung bei Eroberung
und Gebietscessionen (für die im Gebiete verbleibende oder
dahin zuständige Bevölkerung, welche von der Optionsbefugniß
keinen Gebrauch gemacht hat).

Da diese einzelnen Verlustarten ihre volle Wirkung erst in und durch den internationalen Verkehr, also jenseits der jeweiligen Staatsgebietsgrenze empfangen, erscheinen die dieselben normirenden nationalen Geseze und Verordnungen in ihrer Durchführung als durch das völkerrechtliche Moment der Realisirbarkeit innerhalb des Verkehrs beherrscht; wo diese Geseze und Verordnungen jedoch die Willenssphäre eines andern Staates nicht treffen, da sind dieselben für die Beurtheilung der in der Person eines frühern Staatsangehörigen rechtlich bewirkten Statusänderung aus. schließlich und im vollen, staatsrechtlich zulässigen, Umfange maßgebend.

1) Kaum eine zweite Frage des öffentlichen Rechtes verfügt über eine gleich umfangreiche Literatur, wie die über das Recht der Auswanderung. Der Aus gangspunkt ihrer wissenschaftlichen Erörterungen fällt zum großen Theile in die bewegte Zeit der Religionskämpfe des XVI. Jahrhunderts da der Auszug Landesangehöriger zum ersten Male auch unter einem andern Gesichtspunkte als unter dem einer blosen Populationsfrage, in Betracht kam.

Bei vorwiegender Berücksichtigung der allgemeinen Erscheinungsformen kann es im Hinblick auf die Geschichte der Auswanderung leicht den Anschein gewinnen, daß schon das Zeitalter der Reformation dem Optionsgedanken die früheste Entwickelung gab; daß schon im schwererkämpften Jus emigrandi im § 62 des R. A. von 1530, im § 24 des Religionsfriedens von 1555 und endlich im Art. V. § 36 des Westphälischen Friedensinstrumentes die Grundlagen jener modernen Einrichtung vorlägen. Troß jener formalen Uebereinstimmung der schon zeitlich breit getrennten Institute entbehrt jedoch die Annahme eines Connexes jeder historischen Begründung. Im citirten Saße des Reichsabschiedes als der frühesten Norm ist blos von den Katholiken, im Religionsfrieden nur von den Protestanten die Rede, während im angezogenen Artikel des Friedens von 1648 das Normaljahr 1624 als Basis der Berechtigung zur Religionsübung mit subsidiärer Bewilligung des Emigrationsrechtes aufgestellt wurde.

2) Der Gegenstand hat zur Zeit nur noch rechtshistorische Bedeutung, da die einzelnen Fälle fast durchweg durch Verträge oder durch reciproken Gebrauch aufgehoben worden sind.

3) Die Entlassung aus dem Staatsverbande eines Deutschen Bundesstaates darf Wehrpflichtigen, welche sich in dem Alter vom vollendeten 17. bis zum voll. endeten 25. Lebensjahre befinden, nicht ertheilt werden, bevor sie ein Zeugniß der Ersaßcommission darüber beigebracht haben, daß sie die Entlassung nicht blos in der Absicht nachsuchen, um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte zu entziehen. Da die Entlassung des Angehörigen eines Deutschen Staates aus dem Staatsverbande zugleich auch auf die noch unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder sich erstreckt, sofern nicht bei der Ent. Lassung eine Ausnahme gemacht wird, so ist in dem Falle, daß der Auswanderer minderjährige Söhne hat, welche das 17. Lebensjahr zurückgelegt haben, in der Entlassungsurkunde ein Vorbehalt hinsichtlich dieser Söhne zu machen, wenn nicht für dieselben das erforderliche Zeugniß der Ersaßcommission beigebracht wird. In Kriegszeiten kann durch Kaiserliche Verordnung auf Grund des § 17 des Reichsgeseßes v. 1. Juui 1870 die Ertheilung der Auswanderungs-Erlaubniß an Wehrpflichtige ganz untersagt werden.

Ueberaus weitgehenden Anschauungen gegenüber der der Auswanderung ent gegenstehenden nationalen Wehrpflicht huldigt die französische Rechtsprechung, wie aus den bei Folleville (Annexes a. a. D. 666 ff.) publicirten Urtheilen her. vorgeht.

*) Siehe die zwischen Preußen und Rußland ausgewechselte ministerielle Note vom 31. August 1872 über Repatriirung Preußischer und Russischer Unterthanen wegen Mangels an Existenzmitteln oder eines Passes (Mart. N. R. G. II. Ser. I. 601). Die im fremden Staat Niedergelassenen, welche durch richterlichen Ausspruch oder auf Grund von Gesezen oder Verordnungen der Sitten oder Armenpolizei weggesandt wurden, müssen mit ihrer Familie auf Antrag des fremden Staates wieder in ihrem Heimathsstaat aufgenommen werden. (Siehe die Niederlassungsverträge der Schwetz mit Frankreich vom 30. Juni 1864 Art. 5, mit Italien vom 22. Juli 1868 und mit Rußland vom 20. December 1872 Art. 2, mit Desterreich vom 7. December 1875 Art. 4, mit dem Deutschen Reich vom 27. April 1876 Art. 7, mit Dänemark vom 10. Februar 1875 Art 4). Aus. drücklich haben die Staaten sich das Recht gewährt, Personen, welchen die Subsistenzmittel fehlen oder solche, welche der öffentlichen Armenpflege zur Last fallen, in ihren Heimathsstaat fortzusenden. Andererseits haben die Staaten sich verpflichtet auf Grund sogenannter Repatriirungsverträge ihre Angehörigen, wenn sie auch Vagabunden, Paßlose oder Verbrecher, entgegenzunehmen. (Siehe die Vertr. bei Bulmerincq in v. Holzendorff's Rechtslexikon ad v. Asylrecht“ 3. Aufl.) Dazu Vertrag Schwedens und Dänemarks vom 7. März 1823 (Mart. N.R.G. VII. I. 14.) Declarationen des Deutschen Reichs vom 11. December 1873 (Mart. N.R.G. II. Serie I. 263) und Italiens vom 8. August 1873 Art. V, Desterreichs und Italiens vom 2., 6. August 1874 (1. c. I. 258). Das Deutsche Reich und Italien vereinbarten auch solche Personen zu übernehmen, welche ihre Angehörigkeit zu einem der contrahirenden Staaten verloren und die neue noch nicht erworben haben. Namentlich soll die Repatriirungsforderung nicht abgelehnt werden unter dem Vorwande, daß der zu Repatriirende seine Nationalität verloren habe, es sei denn, daß er eine andere erworben habe. (Siehe die Deutsch. Belgische Declaration v. 7. Juli 1877. [Martens N. R. G. II. Série. T. II. 145]; Belgien. Italien vom 24. Januar 1880. [Martens VI. 631].) -Große Erleichterungen für den Wiedereintritt eines ehemaligen Franzosen in die Französische Staatsbürger. schaft enthält Code civil artt. 18 u. 21; s. Folleville p. 173 ff.

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5) Ein großer Theil der völkerrechtlichen Darstellungen übersieht diesen Um stand zum entschiedenen Nachtheil für die juristische Seite der Materie.

S. hierzu die seit den Vierziger Jahren geführte Controverse zwischen Preußen und den Ver. Staaten von Nordamerika wegen der Preußischen Unterthanen, welche nach Erwerb der Naturalisation in den Ver. Staaten sich wieder in Preußen niederließen und hier nun, aufgefordert ihren Preußischen Staatsbürgerpflichten nachzukommen, den Schuß Nordamerikas gegen Preußen in Anspruch nahmen. Wheaton, der diplomatische Vertreter der Ver. Staaten, selbst hat sich in dieser Frage in durchaus klarer Erkenntniß der zu Grunde liegenden staats- und völkerrechtlichen Statusfrage rückhaltslos auf die Seite der die Preußi• schen Rechtsansprüche betonenden Auffassung gestellt. Er weist das Ansuchen eines solchen in Amerika naturalisirten Preußen mit der Motivirung zurüɗ: „En reponse à votre lettre, je dois vous informer qu'il n'est pas en mon pouvoir d'intervenir de la manière que vous désirez. Si vous étiez resté aux EtatsUnis, ou si vous aviez visité tout autre pays étranger (excepté la Prusse) pour vos affaires légitimes vous auriez été protégé par les autorités améri caines au dedans aussi bien qu'au dehors, et vous auriez pu jouir de tous vos droits et privilèges, en votre qualité de citoyen naturalisé des EtatsUnis. Mais, étant retourné dans le pays de votre naissance, votre domicile d'origine et votre caractère national sont rétablis (aussi longtemps que vous resterez dans les possessions prussiennes) et vous êtes tenu sous tous les rapports, d'obéir aux lois, tout comme si vous n'aviez jamais émigré.“

Ihre geseßliche Lösung fand diese Controverse in dem zwischen dem Norddeutschen Bund und den Ver. Staaten abgeschlossenen Vertrag vom J. 1868. Verträge gleichen Inhalts haben die Verein. Staaten sodann mit fast allen Europ. Staaten geschlossen. S. dieselben bei Wharton, Conflict of laws p. 9-11 und Beach Lawrence a. a. D. p. 259 ff.

S. hierzu die lehrreiche, aber in ihrem Endergebniß anfechtbare Entschei dung des Deutschen Bundesamtes für das Heimathswesen, bei Wohlers, Heft XVII. S. 159 ff. Ueber die sonstigen wesentlich strafrechtlichen Folgen für die unter Verletzung ihrer Militärpflicht ausgewanderten Deutschen s. Laband, Bd. III. S. 143 ff. und in Ansehung des Französischen Rechts: Cogordan, p. 286 ff. 8) Das Exil ist aus diesem Grunde aus fast allen Strafrechtssystemen der Culturstaaten verschwunden; nur noch das Französische macht von dieser Strafart in umfassenderem Maße Gebrauch. Siehe über Bannissement die Art. des Code pénal: 8, 28, 32-35, 67, 81-87 u. s. w. S. auch das jüngste Gesetz betr. die Ausweisung der Prinzen der Königl. und der Kaiserl Familie v.J. 1886. Eine Strafmaßregel, die zu ihrer Durchführbarkeit des guten Willens der benachbarten Staaten bedarf, widerspricht der Natur des souveränen Staates und den Grundlagen des auf dem Princip der Gleichberechtigung ruhenden modernen Staatensystems. In demselben Sinne v. Martiz (a. a. D. S. 800): „Die Aufnahmepflicht des Staates seinen Bürgern gegenüber gilt im internationalen Verkehr als eine so unbedingte, daß ihr sogar die Expatriationsgründe des Landrechts weichen müssen. Die Expatriation erscheint heutzutage nur als eine relative, ihre rechtliche Wir kung wird bedingt durch die Aufnahme, die der Expatriirte in einem anderen Staate als Bürger findet. . . . Wenn einzelne Landesgeseße eine Verwirkung, ein forfeiting der Staatsangehörigkeit kennen unser Deutsches Recht läßt sie bei frustrirten Avocatorien und neuerdings nun auch gegen renitente Geistliche ver hängen, das Französische Recht bei jeder directen oder indirecten Begünstigung der

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