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amerika mit den größeren Europäischen Staaten), theils im Wege stillschweigender Duldung und durch Herstellung eines modus vivendi, der sich regelmäßig damit begnügt, nur diejenigen Gegensäße auszuscheiden, welche aus dringenden Gründen im Interesse der staatlichen Autorität nicht ohne empfindlichen Schaden seitens der staatlichen Organe1) übersehen werden können.

Ohne diese Ableitungen tritt der Conflict der Gesetzgebungen im Rechtsleben des Einzelnen insoferne ein, als die inappellablen Normen zweier Staaten dasselbe thatsächliche Lebensverhältniß von der einen Seite als rechtmäßig, von der andern als rechtswidrig erscheinen lassen. Die Rechtswissenschaft hat den Zugang zu einer principiellen Lösung solcher Widersprüche durch die Erörterung der Vorfrage zu gewinnen gesucht: Welche Gesezgebung ist als Kriterium für die Recht. mäßigkeit eines Personenverkehrs actes anzusehen? Zur Beantwortung derselben genügt es aber offenbar nicht, wenn, wie es häufig geschieht, nur der eine Theil des Verkehrsactes und zwar mit Vorliebe der der Einbürgerung ins Auge gefaßt wird, dem gegenüber die Ausbürgerung dann entweder mit dem Hinweis auf die „völkerrechtliche Auswanderungsfreiheit" keine oder doch nur bestensfalls mit Bezug auf die Militärpflicht zweitlinige Berücksichtigung findet. Lediglich die genetische Untersuchung, d. h. die Aufrollung und juristische Prüfung aller die Einheit des Verkehrsactes ausmachenden Momente und deren ausstrahlenden Beziehungen, ermöglicht eine erschöpfende Auskunft und principiell fundirte Antwort auf die Frage über die Statusrechte des Individuums und deren Wechsel in jedem Stadium des Verkehsr. actes. Wenn jede Phase desselben auf ihren juristischen Gehalt geprüft, also ihre Uebereinstimmung bezw. Nichtübereinstimmung mit dem hier allein entscheidenden Grundmaße der staatsgeseßlich normirten Hand. lungsfähigkeit der den Verkehrsact seßenden Person untersucht wird, dann ist auch im Endergebniß die principielle Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verkehrsactes selbst festgestellt. 5) Oft verschließt uns allerdings der heutige Stand der nationalen Gesezgebungen das Betreten dieses Weges, denn in vielen Fällen gelangen wir eben nur dazu die Sprödigkeit der auf selbstständigem, souveränem Grunde ruhenden, in Correlation gebrachten staatlichen Normen zu constatiren.

In den Fällen des Widerstreites zwischen den Entlassungsbedingungen des heimathlichen Rechts und den durch das Recht der neuen Heimath geschaffenen Befugnissen eröffnet sich für das in diesem Conflict stehende Individuum die Möglichkeit, daß der von ihm gesezte internationale Verkehrsact, von drei verschiedenen Seiten aus einer wechselnden Beurthei lung unterworfen werfen kann, die ihm dann eine jeweilig local ver schiedene Rechtslage begründet:

1. Bleibt der ohne Rücksicht auf die Beschränkungen des hei mathlichen Rechts Ausgewanderte, also nicht rite Ausgebürgerte fortan dauernd innerhalb der Grenzen des neuen Heimath.

staates; ist also der von dem gedachten Individuum vorgenommene internationale Verkehrsact abgeschlossen durch dessen Ein. tritt in die volle, staatliche nationale Rechtsgemeinschaft; — dann tritt der solchergestalt Naturalisirte als gewöhnlicher Staatsangehö riger mit allen Rechten und Pflichten unter die Herrschaft des Rechtes seines neuen Heimathsstaates. Regelmäßig erinnert innerhalb seiner staatsbürgerlich-nationalen Rechtslage nichts an den internationalrechtlichen Charakter seines Eintritts.

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2. Verbinden den so in der Fremde Naturalisirten noch Rechts. verhältnisse mit dem alten Heimathsstaate (Militärpflicht, Amtspflicht, Familienverband, Vormundschaft, Curatel 2c. [f. z. B. den Fall der Fürstin Bauffremont], so vermag die ohne Beachtung des heimathlichen Rechts vorgenommene Einbürgerung im fremden Staate eine Veränderung der persönlichen Rechte und Pflichten des Individuums in der alten Heimath nicht zu bewirken. Die Naturalisation wird wie uns der citirte Fall Beauffremont beweist auch im Geltungsgebiete des Französischen Princips „, comme non avenue" betrachtet. Das Individuum bleibt nach wie vor der Personalhoheit des Heimathsstaates unterworfen, des leztern Gesetzgebung bleibt für seinen Status herrschend, und gelangt es selbst einmal wieder in die räumliche Sphäre des verlassenen Staates zurück, dann lebt das ursprüngliche Verbandverhältniß mit allen seinen nur zeitlich suspendirt gewesenen Wirkungen wieder auf. Die Rechtslage des Emigrirten von Strafen und Straffolgen abgesehen - bleibt im Wesent lichen unverändert.

3. Tritt aber der so in zweifelhafter Staatsbürgerschaft Stehende in das Gebiet und damit in die Rechtssphäre eines dritten Staates ein, dann wird die Frage seiner Staatsangehörigkeit in ihrer Beantwortung ausschließlich von der Rechtsanschauung des leßtern abhängig. Dieser entscheidet, ob er in dem aus dem Staate X Ausgewanderten einen definitiv Ausgebürgerten und im Staate Y rite Eingebürgerten betrachten will oder nicht:6) eine Frage, welche in Ansehung der Vermögens- und Familienrechte, der Handels- und Zollbegünstigungen, des gerichtlichen Armenrechts, der Ausweisung, der Auslieferung 2c. für die Rechtslage des in Rede stehenden Individuums von weitreichender, praktischer Bedeutung werden kann.

1) Wir halten es für überflüssig, im folgenden Schema die Einwanderung als einen das Verhältniß beeinflussenden Factor getrennt zu beobachten. Sie gilt als naturgemäße Folge überall da mitinbegriffen, wo die Auswanderung in der Formel gewissermaßen mit positivem Vorzeichen enthalten ist. Eine Aus.

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wanderung ohne Einwanderung physisch undenkbar liegt für uns auch rechtlich nur in dem einen Falle vor, wenn der aus einem geordneten, im inter nationalen Rechtsverkehr stehenden Staate Ausgewanderte nach einem solchen Theile unserer Erdoberfläche übersiedelt, welcher von der Territorialhoheit keines Staates erfaßt wird. Das Individuum tritt damit aus dem Lebenskreise der in einer gewissen, wenn auch noch so dürftigen Gemeinschaft von Rechtsanschauungen und Rechtsübungen stehenden Völkerrechts-Staaten hinaus und somit auch aus dem Rahmen unserer dogmatischen Betrachtung.

Ebenso liegt die Einwanderung als constitutives Element da mitinbegriffen vor, wo wir im Schema die Einbürgerung als vorhanden annehmen, da die leştere, von den im Texte zur Erörterung gelangenden Ausnahmefällen abgesehen, regelmäßig die Niederlassung zeitlich oder dauernd, je nach der betreffenden staatlichen Gesetzgebung bedingt.

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2) Anderer Meinung Laband (a. a. D. I. S. 172), der in allen Fällen den Erwerb der Staatsangehörigkeit in einem anderen Bundesstaate von der Niederlassung im Gebiete des leztern abhängig macht. Ebenso Riedel, Die Reichsverfassungsurkunde S. 258. Seydel (a. a. D. I. S. 530) meint dagegen mit G. Meyer, Lehrb. des Deutschen Staatsrechts, § 76, Zorn, Staatsrecht I. § 1, v. Rönne, v. Sarwey u. A., daß die Niederlassung im Staatsgebiet wohl Voraussetzung sei für den Anspruch, aufgenommen zu werden, aber nicht Voraussetzung der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Aufnahme: „Es darf also die Aufnahme auch dann ertheilt werden, wenn der darum Nachsuchende sich nicht im Staatsgebiete niedergelassen hat." Wenn Laband im § 7 des citirten Ge sezes die Stüße für seine Anschauung findet, so ist dem gegenüber doch auch zu berücksichtigen, daß der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht blos auf die im § 7 bezeichnete Weise, sondern auch nach § 9 durch Amtsbestallung, welcher nicht noth. wendig eine Residenzpflicht im Staatsgebiete entsprechen muß, erfolgen kann.

3) Auf die singulären, mit der Occupation und der Option zusammenhängenden Bildungen, soweit dieselben nicht bereits im aufgestellten Schema enthalten sind, sowie auf einzelne durch Umkehrung der Merkmale in den Fällen von 1-6 sich ergebende, nach den verschiedenen Landesgeseßen eintretende, geringfügige Variationen konnte hier nicht eingegangen werden, da wir das Naturalisationsrecht auf seinen syste matischen Aufbau und nicht auf seine legislativen Details zu prüfen, die Absicht hatten.

*) Beispiele für diese staatliche Connivenz sind uns gegeben in dem Ver. Halten der meisten continentalen Staaten eben vor Abschluß der Bancroft-Verträge; f. ferner die langjährige Duldung der sogen. Klausenburger Ehen in Desterreich. Ungarn u. s. w.

5) Bei diesem methodischen Vorgehen wird allerdings die in der Literatur an vielen Stellen man vgl. Bluntschli, Calvo, Folleville, selbst v. Bar - vorherrschende Neigung, zunächst die Einbürgerung und nur subsidiär die Beschränkungen der Auswanderungsfreiheit zu berücksichtigen, einen empfindlichen Rückschlag erfahren. Die Beurtheilung der Rechts- und Handlungsfähigkeit des Einwandernden muß in der That mit logischer Nothwendigkeit und im Gedanken an den ungestörten Bestand der Staatengesellschaft seitens jedes einzelnen Staates nicht blos von dem Gesichtspunkte aus betrachtet werden, daß der neue Staat dem Einziehenden kraft seiner Souveränetät neue Rechte verleihen kann; es muß vielmehr auch die Spiegelung des Verhältnisses im internationalen Verkehr, die Thatsache Berücksichtigung finden, daß das Individuum nicht aus einer fremden Welt, auch nicht aus einer rechtlosen Sphäre in das diesseitige Gebiet eintritt,

sondern aus einem organisirten Gemeinwesen mit bestimmter Rechtsordnung, welche naturgemäß dem Angehörigen auch eine Summe von Pflichten auferlegt hat, die der neue Staat nicht ignoriren kann. Geht man aber von der Thatsache aus, daß das moderne Recht nur den Verkehr Staatsangehöriger und zwar der Angehörigen principiell gleichberechtigter Staaten im Auge hat, so muß man zu dem Ergebnisse gelangen, daß im Conflictsfalle der ältere Status der wirksamere und demnach der primäre Heimathsstaat zur Beurtheilung der Staatsangehörigkeit des Individuums in erster Linie competent sei. Dagegen Folleville a. a. D. S. 353 aus wenig stichhaltigen Gründen. Vermittelnd Laurent (III. p. 368) der hier den vorsichtigen uud billigen Gebrauch der eigenen Rechte empfiehlt, unter möglichster Schonung der begründeten Ansprüche des fremden Gemeinwesens. — In der That steht hier der ausgleichenden Parallelgeseßgebung auf Grundlage der vergleichenden Rechtslehre, und der Vermittlung der Gegensäge durch internationale Verträge noch ein weites Feld fruchtbarer Thätigkeit offen. S. in demselben Sinne v. Martiz a. a. D. S. 1117.

6) Neberaus schwierig gestaltet sich die Sachlage in Bezug auf jene Landesbewohner eines durch debellatio oder victoria universalis gänzlich in einem andern Staate aufgegangenen Gemeinwesens, denen eine Optionsbefugniß seitens des Siegers nicht eingeräumt worden ist, die aber gleichwohl sine animo revertendi den fremd gewordenen Heimathsboden verlassen haben, ohne eine bestimmte andere Staatsangehörigkeit zu erwerben. Rechtsfall des Grafen von Platen. Haller. münde nach dem Untergange des Königreichs Hannover. S. hierüber Näheres bei Stoerk, Option und Plebiscit. S. 150 ff.

§ 119.

B. Die rechtliche Stellung der im Auslande befindlichen Staatsangehörigen zur heimischen Staatsgewalt.

Literatur und Verweisungen: S. die vorhergehenden §§. v. Martis, S. 804 ff. Martens. Bergbohm I. S. 335 ff. Heffter Geffcen § 59 a. Bulmerincq § 87 ff. Bluntschli, Art. 278 ff. Vattel, Droit des gens II. c. 8. Hall, International law. p. 236. Lomonaco, Diritto civile internazionale. p. 100 ff. Phillimore III. ch. 2 ff.

Durch die scharfe Unterscheidung zwischen Auswanderung und Ausbürgerung gelangten wir oben zu dem für den völkerrechtlichen Verkehr sehr wichtigen Resultate, daß die rein physische Trennung vom Staatsgebiete in den Statusrechten des Staatsangehörigen eine Veränderung nicht hervorrufe. Der Naturerscheinung der Anziehungskraft vergleichbar, die durch die Theile des Ganzen bestimmt auf die Theile des Ganzen einwirkt, hält auch der moderne Staat rechtlich seine Bestandtheile insolange fest, bis sie definitiv einem andern Staatsganzen als rechtliche, nicht blos physische Bestandtheile sich angliedern. So lange dies aber nicht der Fall ist, verbleibt der Einzelne auch nach dem Verlassen des

Heimathsbodens innerhalb der Rechtswirkung der Personalhoheit seines Staates, also in staatsrechtlicher Unterworfenheit unter die heimische Staatsgewalt. Die völkerrechtliche Anerkennung dieses Grundsages durch die Staatenpraxis verwirklicht das von uns oben (§ 114) formu lirte andere Princip der modernen Staatengesellschaft, wonach die Staatsangehörigkeit den Durchgangspunct bildet, den das Individuum erreicht haben muß, um in das Licht völkerrechtlicher Betrachtung zu gelangen.

Diese Continuität des rechtlichen Verbandes äußert sich innerhalb des internationalen Verkehrs durch die Fortdauer der wechselseitigen Rechte und Pflichten zwischen Staat und Staatsangehörigen. Leßtere, als Objecte der staatlichen Willensmacht gedacht, schulden dieser auch in der Fremde die allgemeine Gehorsamspflicht, durch welche sie zu Handlungen, Leistungen und Unterlassungen nach Maßgabe des heimi. schen Rechts verbunden sind.1) Dieselben bleiben somit auch im fremden Lande allen in der Heimath rite publicirten Geseßen und Verordnungen unterworfen, allerdings nur insoweit mit thatsächlichem Erfolge, als dies physisch möglich und angesichts der vom Staate des Aufenthaltes erlassenen und für die Ausländer verbindlichen Geseze rechtlich zulässig ist. Mit anderen Worten: im Widerstreite muß die Geltung des Personalitätsprincipes dem Territorialitätsprincipe weichen.

So wenig es nun möglich ist innerhalb des staatlichen Lebens einzeln die Pflichten aufzuzählen, welche die Staatsangehörigkeit umfaßt, ebenso wenig läßt sich auch ein erschöpfendes Schema der Verbindlich. keiten positiver oder negativer Natur aufstellen, welche die Personalhoheit des Staates dem in der Ferne lebenden Staatsangehörigen auferlegt.

I. Sie können sowohl die ganze Sphäre des Privatrechtslebens als das gesammte Gebiet der staatlichen Verwaltung betreffen; nur in Ansehung einiger Punkte, welche für das Leben der Staatsangehörigen auf fremdem Boden von besonderer Wichtigkeit sind, haben sich in in der Staatenpraxis Einrichtungen mit größerer Schärfe herausgebildet, auf welche sich conventionell das fachliche Interesse bei Betrachtung des Rechtseffects der Personalhoheit concentrirt. Sie betreffen:

1) Die militärische Dienstpflicht. Der heimische Staat, der seine Angehörigen in Kriegs- oder auch in Friedenszeiten zur Erfüllung ihrer staatsbürgerlichen Pflicht aus einem fremden Lande weg und heimruft, steht in der Ausübung der gesetzlich ihm zustehenden Befugnisse. Besonderer hierauf gerichteter Rückberufungspatente (Avocatorien) bedarf es nicht, da der im rechtlichen Bande Stehende kraft heimathlichen Gesezes von dem zeitlichen Beginn seiner Rückkehrspflicht Kenntniß haben muß; gleichwohl erfolgt im System der Wehrorganisation der modernen Staaten die Rückberufung der Einzelnen auch im Auslande mittels der Zustellung der Einberufungsordre durch die consularischen oder diplomatischen Functio näre des Heimathsstaates 2c. (Matrikel der Nationalen, Meldung der selben 2c.).

Wie weit der diesseitige Staat hierbei auf die Mitwirkung und

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