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Unterstützung der Organe des Aufenthaltsstaates rechnen kann, hängt lediglich davon ab, ob zwischen beiden Staaten eine auf gegenseitige Auslieferung der Militärflüchtigen gerichtete Praxis, ein Vertrag, Uebereinkommen 2c. besteht oder nicht. Gründe gegen eine solche internationale Hülfe im Gebiete eines der wichtigsten Zweige der staatlichen Verwaltung lassen sich weder aus der Natur des staatsbürgerlichen Verhältnisses, noch viel weniger aus allgemeinen ethischen Gesichtspunkten ausfindig machen. Fraglich und bedenklich könnte eine solche indirecte Förderung der nationalen Wehrkraft nur im Hinblicke auf die Pflichten strengster Passivität sein, welche die neuere Staatenpraxis den Neutralen auferlegt.2)

2) Das heimathliche Finanzrecht. Das freie Ermessen des Heimathsstaates entscheidet darüber, in wieweit auch der im Auslande lebende Staatsbürger zu den Lasten des Gemeinwesens beizutragen verpflichtet ist. Wenngleich die Steuerpflicht sich in der heutigen Rechtsbildung regelmäßig an den Wohnort und nicht an den Staatsverband knüpft, so kann der Staat doch zu seiner finanziellen Erhaltung (to aid in its support) zweifellos auch im Ausland lebende Angehörige zu allge. meinen oder speciellen Steuern heranziehen. Thatsächlich in Uebung stehen solche in der Form von Abzügen an Pensionen und Ruhegehältern, Personalbeiträgen zur localen Armensteuer, Wehrsteuer (als Surrogat für den entfallenden Militärdienst), Wehrgeld zc.

nicht

3) Schärfer entwickelt hat sich ferner in unserer Zeit der völkerrechtliche Gebrauch, daß die Angehörigen eines Staates in der Fremde nur mit der Zustimmung ihres Landesherrn (Träger der obersten Staatsgewalt) in fremde Civil- oder Militärdienstes) eintreten, Rang, Titel, Würden, völkerrechtlich anerkannte staatliche Ordenszeichen 2c. annehmen. Wo die Annahme dieser fremdherrlichen Aemter, Decorationen 2c. gänzlich verboten ist, wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, England (?), erfolgt die Bewilligung durch Ausfertigung einer amtlichen Urkunde seitens der obersten Verwaltungsorgane, in einigen Staaten sogar im Wege der Gesetzgebung (Centralamerik. Republiken) und durch Publication im Gesezes bezw. Amtsblatte des betreffenden Staates.

Festzuhalten ist, daß die in der Staatenpraxis zu plastischerer Ausbildung gelangten, im Vorstehenden verzeichneten Formen keineswegs den ge sammten Umfang der rechtlichen Einwirkung des Staates auf seine ihm durch die Personalhoheit unterworfenen Glieder bezeichnen; auch innerhalb des gegenwärtigen internationalen Verkehrsrechts ließe sich das jus avocandi in Anwendung denken gegenüber den im Auslande weilenden der Schul. pflicht unterliegenden Angehörigen, in Ansehung der im Auslande Stu direnden, in auswärtigen Klöstern Befindlichen 2c., ebenso wie auch bei einer intensiveren Ausbildung des Systems der Personalsteuern eine um fangreichere Heranziehung des ausgewanderten, aber nicht ausgebürgerten Staatsgliedes zu den Lasten der Staatsverwaltung sich aus dem Unter thansverhältnisse und aus dem Gedanken rechtfertigen ließe, daß der

Staatsangehörige auch in der Fremde des völkerrechtlichen Schußes seines Heimathsstaates sich erfreut.

II. Der Gehorsamspflicht des Staatsangehörigen entsprechen jene Aeußerungen der Staatsgewalt, durch welche diese ihrerseits die Continuität des rechtlichen Verbandverhältnisses innerhalb des internationalen Verkehrs bethätigt. Sie betreffen :

1) Die Aufnahmepflicht des Staates gegenüber dem wohnberechtigten Staatsangehörigen; deren völkerrechtliche Natur und Bedeutung für das Stactensystem haben wir bereits oben (§116) einer nähern Betrachtung unterzogen.

2) Die Schuhpflicht. Die Sicherheit des internationalen Verkehrs, seine Verläßlichkeit, beruht zu einem großen Theil auf der durch die Staatenpraxis begründeten Annahme, daß die Staaten als Subjecte desselben ihren Angehörigen auch jenseits der Staatsgrenzen das Walten der Rechtsordnung zu repräsentiren sich für verpflichtet halten. Die innerhalb des Völkerrechtsindigenats stehenden Personen haben durch Vermittlung jener einen Anspruch auf völkerrechtlichen Schuß.4)

Sehr wichtig ist hier die Beobachtung des Umstandes, aus welcher Quelle das dem Nationalen zugefügte Unrecht stammt. Mit Recht sagt Bluntschli (a. a. D. S. 219) daß, falls der Inländer im Auslande zunächst nicht durch den fremden Staat d. h. durch dessen Organe in seinen Rechten verlegt wird, sondern durch Privatpersonen, denen allein die Rechts. verletzung als Schuld angerechnet werden kann, so tritt keineswegs in erster Linie der heimathliche Staatsschuß ein, sondern es hat zunächst der Staat, in dessen Gebiet die Rechtsverlegung geschehen ist, durch seine Rechtspflege für Beseitigung des Unrechts, und je nach Umständen Bestrafung der Verbrecher zu sorgen. Mit gutem Grunde würde dieser Staat, dem allein die Gerichtsbarkeit in seinem Lande zukommt, eine unzeitige Einmengung eines fremden Staates in die Verwaltung seiner Rechtspflege als Rechtsverlegung ansehen. Der beleidigte oder verlegte Angehörige eines anderen Staates muß sich demnach zunächst an die Behörden des Staates um Rechtshilfe wenden, in dem er wohnt. Nur wenn ihm der Rechtsweg abgeschnitten und der Rechtsschutz verweigert wird, ist Grund zu einer Intervention seines Heimathstaates vorhanden. „Man hat sich hier vor zwei Extremen zu hüten, dem einen, welches die Staatsangehörigen im Auslande schußlos der Bedrängniß und Mißhandlung preisgiebt es war das bis auf die neuere Zeit die wohlbegründete Klage der Angehörigen Deutscher Klein und Mittelstaaten, und dem anderen einer ungebührlichen Einmischung in die fremde Rechtspflege und Verwaltung zu Gunsten von Staatsangehörigen, welche die diplomatische Unterstützung da anrufen, wo sie gleich anderen Privatpersonen nur berechtigt sind, ordentliche Rechtsmittel anzuwenden,

eine Ueberspannung des Staatsschußes, die man nicht ohne Grund zuweilen England vorgeworfen hat. Im ersten Falle wird die Sicherheit der Privatpersonen im Auslande gefährdet, im zweiten die Rechts. gleichheit der Staaten und die Selbstständigkeit der Rechtspflege bedroht."

Kein Staat ist verpflichtet einen Fremden bei sich aufzunehmen; der ausdrücklich oder stillschweigend im Gebiet Aufgenommene hat aber als Glied eines Staatswesens Anspruch auf Respectirung der seinem Staate vertrags- oder gewohnheitsrechtlich zugesicherten Rechte. Die Staatenpraxis des achtzehnten Jahrhunderts schon hat diesem, aus der rechtlichen Gleichheit aller civilisirten, im Völkerrechtsverkehr stehenden Staaten fließenden Grundsaße in der These Vattel's zum Ausdrucke gebracht: ... Dès qu'il les reçoit, il s'engage à les protéger comme ses propres sujets, à les faire jouir, autant qu'il dépend de lui, d'une entière sûreté."

In den Hülfsmitteln des gütlichen und gewaltsamen Verfahrens, der diplomatischen Anfrage, der diplomatischen Rüge, Repression, Retorsion, Strafexecution, nöthigenfalls im Kriege besißt der moderne Staat ein System steigerungsfähiger und energischer Maßregeln zum Schuße der eigenen Staatsangehörigen, deren Handhabung eine Hauptaufgabe des diplomatischen und consularischen Amtsapparates ausmacht. 5) Uebrigens liegt das wichtigste Anwendungsgebiet dieses jus protectionis jenseits des Europäischen Staatenlebens mit seiner streng geordneten und sicher functioni renden Rechtspflege. In den außereuropäischen Ländern hat das Schuß. verhältniß weitreichende praktische Bedeutung 6), und kein im Weltverkehr stehender Staat verabsäumt es, seine Angehörigen an solchen Orten, wo er eine eigene Vertretung nicht besißt, wenigstens unter den Schuß des Vertreters einer befreundeten Nation zu stellen. Mehrfache von Europäischen Groß. staaten in den lezten Jahrzehnten vorgenommene Demonstrationen und Strafexecutionen) zum Schuße ihrer im Auslande befindlichen Angehörigen lassen erkennen, daß die Englische Doctrin, wonach im Unterthanenverbande eine wechselseitige Verpflichtung von allegiance und protection vorliege, nach wie vor das leitende Princip der Staatenpraxis in dieser Richtung des internationalen Lebens sei.

1) Wir glauben, daß es hier neben der Betonung der Gehorsamspflicht einer besonderen Hervorhebung der Treueverpflichtung, die juristisch doch immer nur in ihrer negativen Richtung gegenüber einer bestimmten geseßlichen Norm von Bedeutung ist, nicht bedarf. Die Treuepflicht reicht zweifellos weiter als die Gehorsamspflicht, allein in der Sphäre des thatsächlichen Verkehrslebens tritt nur die Verlegung der leztern in die Erscheinung. Der Treuebruch wird nur dort juristisch wirksam, wo er gleichzeitig sich als Thatbestand eines Gehorsamsbruchs erweist, im andern Falle bleibt die rein seelische Disposition allerdings lediglich der ethischen Abschäßung unterworfen. Anderer Meinung: v. Martiß a. a. D. 801, zum Theil auch Laband, zuleßt in Marquardsens Handbuch (Staatsrecht des Deutschen Reiches) S. 30. - Ob der Staat die Verlegung derselben Vorschriften auch bei dem Fremden bestraft (Hochverrath und Landesverrath) ist für die im Texte be handelte Frage ohne Belang; zum mindesten bereitet die geseßliche Lösung des Problems unserer Auffassung geringeren Widerstand als der bekämpften. Denn in Ansehung seiner unmittelbaren Existenz als eines Staates, als eines selbstständigen Gliedes der völkerrechtlichen Gemeinschaft und diese Rechtsgüter er.

scheinen eben bedroht, wenn es sich um Hochverrath oder Landesverrath handelt — kann der Staat allerdings auch dem Fremden gegenüber normgebend, also Ge. horsam, nicht aber Treue fordernd, gedacht werden.

*) Die in der Literatur bei diesem Anlasse im Friedensrechte regelmäßig eröffnete Debatte über die Frage, wie sich der Aufenthaltsstaat zu dieser Auffor. derung des fremden Staates an seinen eigenen Angehörigen zu verhalten habe, ist darum systematisch verstellt und in ihren Resultaten zudem meistens völlig ver fehlt.Martens. Bergbohm S. 336 betont, daß die Deutschen Militärflüchtlinge 1870/71, obwohl sie offenbar eine gesezliche Verpflichtung verlegten, von Rußland doch nicht zwangsweise nach Preußen expedirt werden konnten. Die Verpflichtung, dieselben hinaus zu befördern, hätte der Russischen Regierung nur kraft eines diesbezüglichen speciellen Uebereinkommens mit Preußen obgelegen. Lezteres ist wohl richtig, irrig ist es aber, wenn der cit. Autor weiter meint, daß „dergleichen Verträge sich weder durch das Völkerrecht, noch durch diejenigen Verhältnisse dürften rechtfertigen lassen, welche normaler Weise zwischen einer Regierung und ihren Unterthanen existiren müssen“. Es ist schlechthin kein Grund erkennbar, der sich innerhalb der bestehenden Staatenpraxis dem Abschluß eines solchen Vertrages entgegenstellen sollte. Die einzigen Schwierigkeiten, die sich der Ausführung derselben in Kriegszeiten entgegen. stellen könnten, liegen eben, wie im Texte bemerkt, nur im Normensystem des Neutralitätsrechts. Auch Heffter's Parteinahme gegen dieje Mitwirkung aus dem Gedanken „des allgemeinen Weltbürgerrechts" (§ 59a., Note 3), noch vielmehr aber Bluntschli's ziemlich banale Motivirung (zu Art. 375 Völkerrecht) lassen sich theils aus der herrschenden Vorliebe, jede mit dem Staatsganzen in Beziehung zu bringende Rechtsverletzung von vornherein des Schußes der politischen „Verbrechen“ theilhaftig werden zu lassen, theils aus der oben (§ 118) erwähnten, in der Literatur des Völkerrechts vorherrschenden Neigung erklären, die Idee der Auswanderungsfreiheit selbst auf Kosten der unentbehrlichsten Grundlagen des staatlichen Ver. bandes in Schuß zu nehmen.

3) Hier tritt die Bedeutung der völkerrechtlichen Dehortatorien, der Abmah. nungen und Verbote hervor, in welchen die Staaten bei eingetretenen Kriegsfällen ihren, wo immer weilenden Angehörigen, den Eintritt in den Kriegsdienst eines betheiligten Staates bei Strafe verbieten. S. die Englischen Foreign EnlistementActs, die Neutralitäts-Erklärungen aller Staaten anläßlich des Deutsch-Französischen Krieges, in den von der Handelskammer zu Hamburg herausgegebenen Actenstücken, Beilage zum Staatsarchiv 1870.

*) Artikel 3 der Deutschen Reichsverfassung bestimmt: „Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schuß des Reiches." S. Laband, Staatsrecht I. § 15. Nach Seydel a. a. D. S. 570 ist der Schuß im Auslande kein „Recht“ des Staatsangehörigen, sondern eine Staats. aufgabe. Der Gesandte, der seinen Staatsangehörigen in Schuß nimmt, erfüllt zwar eine Amtspflicht, befriedigt aber damit nicht einen Anspruch des Staats. angehörigen. Ueber diese in die Controverse über die juristische Natur der Grundrechte fallende Frage vgl. Gerber, Ueber öffentliche Rechte; Seydel, Grundzüge einer allg. Staatslehre, und Stoerk, Methodik des öffentlichen Rechts. 3. Capitel.

5) Die gejeßliche Androhung energischer Retorsionsmaßregeln enthält die Naturalisations-Acte der Verein. Staaten von 1868, deren practische Bedeutung jedoch durch die sog. Bancroftverträge empfindlich gesunken ist. Phillimore nennt die Act „a strange reprisal, after the fashion of the first Napoleon". Mag er auch Recht haben, wenn er dieselbe in ihrer Absicht „of seizing and

imprisoning innocent foreign subjects" für ein gefährliches Novum erklärt innerhalb des Völkerrechtslebens, zeigt sie doch gleichwohl, in welchem hohen Maße thatkräftige Staaten sich ihres jus protectionis zu Gunsten ihrer Staatsangehörigen im internationalen Verkehre bewußt geworden sind. S. die Act bei Philli. more I. p. 451 ff.

*) Die Handels, Schifffahrts., Freundschafts, 2c. Verträge fassen daher die Rechtsverhältnisse der Nationalen im jenseitigen Staate in Friedens, wie in Kriegszeiten aufs Sorgfältigste ins Auge. Aus der großen Zahl einschlägiger Quellen vgl. den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Hawai v. 25. März 1879 (Martens N. R. G. II. Série. VI. 384), zwischen dem Deutschen Reich und Zanzibar vom 20. December 1885 (Martens 1. c. T. XI. p. 571). Die Verein. Staaten nehmen sofort beim Abschluß ihrer Verträge nicht blos auf ihre eigenen Staatsbürger, sondern auch auf ihre Schußbefohlenen Rücksicht. Jhre Ver. träge mit anderen Staaten von geringerer Culturentwicklung sprechen daher regelmäßig zugleich von den „subjects" und den „protegés" der Verein. Staaten. S. hierzu die Verträge mit Madagaskar v. 13. Mai 1881 (Martens N. R. G. II. Série T. XI. p. 732.) Unverkennbar zeigt sich im diplomatischen Quellenmaterial das Bestreben der kleineren transoceanischen Staaten, die nicht immer gerade von den correctesten Elementen der Europäischen Ansiedler zu ihren Gunsten versuchten diplomatischen Interventionen vertragsrechtlich auf einen möglichst engen Anwendungskreis zu beschränken. So wird zum Beispiel im Freundschafts- und Handels-Vertrage zwischen Belgien und Venezuela ausdrücklich stipulirt:

,,Art. VIII. Si un Belge au Venezuela ou un Venezuelien en Belgique, venait à prendre part à des luttes civiles, il sera traité, jugé et, s'il y a lieu, condamné, comme le serait légalement tout indigène dans un cas pareil, sans qu'il puisse recourir à l'intervention diplomatique à l'effet de convertir le fait personnel en une affaire internationale, si ce n'est en cas de déni de justice ou d'infraction à la loi, constatée dans la procédure, ou en cas d'injustice notoire, c'est-à-dire, s'il y a eu violation des lois du pays où le crime, le délit ou la faute a été commis."

7) Die Frage betreffend den Schuß der Forderungsrechte, welche den Nationalen als Gläubigern in Ansehung einer fremden Staatsschuldenverwaltung zustehen, eine Materie, welcher Phillimore (a. a. D. T. III. ch. III.) ein eigenes Capitel widmet, fällt nicht in das eigentliche Fremdenrecht, sondern in das des internationalen Privatrechts. Jedenfalls kann aber auch hier nicht lebhaft genug betont werden, daß es jeder juristischen Begründung entbehrt, wenn Phillimore (pag. 17) bezüglich des modernen Staates ohne jede weitere Einschränkung be hauptet:,,It is a clear maxim of international law that the property of the subject is liable for the debts contracted by the State of which he is a member." Das Widersinnige und Unjuristische der ganzen These wird sofort klar, sobald man dieselbe mit der auch von Phillimore behaupteten Auswande rungsfreiheit des Staatsangehörigen in sachliche Verbindung zu bringen sucht. — Vgl. dazu auch Sizungs-Protokoll Nr. 11 des Berliner Congresses vom J. 1878. (Martens N. R. G. II. Série Tome III.)

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